Donnerstag, 25. März 2004
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Nun muss man mit Geyer fürchten, dass Cottbus ganz von der Fußball-Landkarte verschwindet
Thomas Kilchenstein (FR 12.5.) kommentiert den Abstieg des Energie Cottbus. „Regelmäßig hatten die Experten die Cottbusser als ersten Absteiger ganz oben auf der Liste, drei Mal (eigentlich zwei Mal) haben die sie Lügen gestraft. Ehrlich gesagt: Nun reicht es aber auch. In der Bundesliga hat es immer Nischen fürs Anderssein gegeben. Siehe: die Kiez-Kicker von St. Pauli, die Breisgau-Brasilianer aus Freiburg, die Ulmer Spatzen, bald vielleicht die Karnevalisten-Combo aus Mainz. Auch Energie Cottbus hat seine Rolle gespielt. Die Rolle war die des kleinen Underdogs, des Unbeugsamen, der sich nicht unterkriegen lässt. Allem Unbill zum Trotz und mit ehrbaren Mitteln, als da waren: Geschlossenheit, Kampfeswille, Engagement, Disziplin, sogar eine Prise List und Raffinesse. Mit Eigenschaften also, die einen David ausmachen, der ins Duell gegen Goliath ziehen muss. Samstag für Samstag. Und bestimmt war auch eine Prise Folklore dabei, den Jungs nahe der polnischen Grenze beim Strampeln gegen die Großen zuzusehen. Man hat den Hut gezogen vor der Leistung der Cottbusser, die sich mit Zähnen an diese Bundesliga klammerten, die, auch stellvertretend für den Osten der Republik, gezeigt haben, dass man auch mit kleinem Geld mithalten kann – wenigstens für eine gewisse Zeit. Die ist nun abgelaufen. Nun muss man mit Geyer fürchten, dass Cottbus ganz von der Fußball-Landkarte verschwindet, so wie Dynamo Dresden, der VfB Leipzig oder der 1. FC Magdeburg. Die Gefahr ist groß.“
In Cottbus haben Kopfballpendel und Medizinbälle nicht ausgedient
Matthias Wolf (BLZ 12.5.) porträtiert Coach Edurad Geyer. „Der knorrige Sachse sagt, er habe lauter brüllen müssen als andere Trainer, um seine Profis zu Höchstleistungen zu treiben. Denn auf dem Papier waren die viel schlechter als die Konkurrenz. Seine Aufgabe war es, Talente oder billige Kicker vom Balkan auf Bundesligaformat zu trimmen. Er tat dies mit Methoden, die andere antiquiert nennen: In Cottbus haben Kopfballpendel und Medizinbälle nicht ausgedient. Statt teurer Hotels buchte Geyer kasernenartige Trainingscamps. Als Spieler murrten, knurrte er: Nächstes Jahr schlafen wir im Zelt. Dann hetzte er sie auf Berge, bis sich viele übergeben mussten. Gefürchtet waren Straf-Liegestütze und Schulnoten für Spieler, die er in sein Buch eintrug. Selbst die Frisuren der Profis kritisierte er: Lange Haare sind was für Mädchen. Ich brauche echte Männer. Auch für diese Anekdoten wird die Liga, an echten Typen längst verarmt, den schrulligen Ede vermissen. Den Ehrgeizling, der früher nicht einmal seine Kinder beim Kartenspiel gewinnen ließ. Geyer sprach immer aus, was er dachte. Mal nannte er seine Spieler Nachtwächter; ein andermal warf er ihnen vor, zu rauchen, zu saufen und zu huren wie die Nutten auf St. Pauli. Doch in letzter Zeit ist der Cottbuser Einpeitscher etwas ruhiger geworden. Statt Ausdauerläufen ordnete Geyer Badminton an, las Psychologiebücher und suchte in seinem neunten Jahr bei Energie Entspannung beim Wandern und Pilzesuchen. Fast hätte er sogar aufgehört, müde vom Kämpfen – und Verlieren. Nun macht er doch ein Jahr weiter. Weil er noch einmal zu den Siegern zählen will.“
Detlef Dresslein (FAZ 12.5.) berichtet vom Spiel. „Energie Cottbus steht nach seinem hundertsten Spiel in der Bundesliga, in der man bisher exakt hundert Punkte geholt hat, als hundertster Absteiger fest. Das stand nach dem 0:3 beim TSV München 1860 fest. Und nun wachsen in Cottbus die Sorgen. Nicht wegen des Abstiegs, denn darauf konnte man sich in den letzten Wochen vorbereiten wie Torwart Lenz sagte. Aber das Wie der Vorstellung von München hinterläßt Ratlosigkeit. Für Mittelfeldspieler Rost war es grausam mitanzusehen, und Stürmer Juskowiak sagte, daß wir heute nicht nach vorne gespielt haben, und hinten war’s noch schlimmer. Dreimal entsandte man den Ball in Richtung Münchner Tor. Versuche, die weit von der Bezeichnung Torchance entfernt waren. Nach mehr als einer Stunde bekam man die erste Ecke zugesprochen, und in der Abwehr bevorzugte man die kontaktarme Gegnerbewachung. Temperament, Leidenschaft und was sonst zum Fußball gehört, haben gefehlt, sagte Trainer Eduard Geyer. Was zur Folge hatte, daß die Münchner ein Spielchen boten, was manch jüngerer Stadionbesucher so noch nicht erlebt haben dürfte. Hackentricks, Doppelpässe, gelungene Zuspiele über zwanzig, dreißig Meter und ein paar gekonnte Torversuche.“
Nervenzerfetzendes Fernduell
Christian Zaschke (SZ 12.5.) befasst sich mit der Stimmung bei den Siegern. „Ein Spiel, in dem es um fast alles ging: Für Cottbus darum, nicht allzu schlecht auszusehen, für 1860 um die Qualifikation zur Teilnahme am so legendären wie beliebten Uefa-Intertoto-Cup, kurz: UI-Cup. Was die ohnehin unerträglich Spannung im Olympiastadion noch einmal steigerte, war das nervenzerfetzende Fernduell, dass die Sechziger seit einigen Wochen mit dem VfL Wolfsburg um Platz acht austragen. Wolfsburg spielte nur Unentschieden gegen Kaiserslautern, die Löwen besiegten Cottbus und schoben sich auf Rang acht der Tabelle. Der UI-Cup ist nah, und der Jubel war groß. Er war tatsächlich recht groß, weil die Anhänger des TSV 1860 bescheiden geworden sind. Irgendwer muss in der Mitte der Liga spielen, und in jüngster Vergangenheit ist es eben der TSV 1860. Die Fans haben sich, so schien es am amstagnachmittag, damit abgefunden. Das mag auch daran gelegen haben, dass ihnen vor Augen geführt wurde, dass ein Platz in der Mitte allemal besser ist als der Platz von Cottbus. Nun sind sie abgestiegen, und an den schlechten Tagen der kommenden Saison werden sie wohl manchmal träumerisch an jene idyllische Gegend denken, in der 1860 wohnt; ans schöne Niemandsland.“
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EM 2008 in der Schweiz und in Österreich
EM 2008 in der Schweiz und Österreich – Wolfsburgs neues Arena und Aura? – Lorant bei Fener entlassen – Köstner (mehr …)
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Uwe Seeler ist Ehrenbürger Hamburgs u.a.
Frank Fahrenhorst wechselt zu Bremen und bestätigt die Nahrungskette der Bundesliga“ (SZ) – Uwe Seeler ist Ehrenbürger Hamburgs u.a.
Im Hinblick auf den Transfer Frank Fahrenhorsts gefällt Christoph Biermann (SZ 28.11.) Bochumer Gelassenheit und ärgert sich über Bremer Ärger: „Fahrenhorst wird zu Werder Bremen wechseln. Das ist der Verein, der vor kurzem lauthals eine Moraldebatte anzettelte, weil zwei Spieler, ablösefrei zudem, das bessere Angebot eines anderen Klubs annahmen. Ailton und Krstajic werden im Sommer zu Schalke 04 wechseln. Wie bigott die Bremer Empörung war, das zeigt sich jetzt. Denn unbestreitbar gibt es in der Bundesliga eine Nahrungskette, nach der die Großen und Reichen die Kleinen und Armen fressen. Das ist nicht schön, darüber kann man klagen, und längst überfällig ist die Debatte, wie man zu wirtschaftlicher Gleichstellung kommen könnte. Etwas seltsam ist es hingegen, dann zu jammern, wenn man selbst von den Großen gefressen wird und im nächsten Fall selbst still und heimlich die Kleinen vertilgt. In Bochum haben sie erfreulicherweise nicht beklagt, dass Werder Bremen kein Entschuldigungsfax geschickt hat. Dort ist klar, dass auch sie sich demnächst ihren Happen genehmigen werden. Bei einem Kleinen aus der Zweiten Liga oder ausländischen Klubs aus einer kleinen Liga.“
Wenn einer in die Nähe des perfekten Menschen kommt, dann ist es Uwe Seeler
Frank Heike (FAZ 28.11.) berichtet den Festakt anlässlich der Ernennung Uwe Seelers zum Hamburger Ehrenbürger: „Ole von Beust gab eine Anekdote aus den Zeiten vor dem Wahlkampf zum besten: Berater hätten ihm vorgeschlagen, den Slogan Uns Uwe abzuwandeln und Uns Ole daraus zu machen, aber: Diese Gotteslästerung habe ich empört von mir gewiesen. Da lachte der Saal. Etwas ruhiger wurde es bei der Dankesrede des Fußballidols. Stolz, überwältigt, tief gerührt sei er. Seeler erinnerte an die Werte, die ihm sein Vater Old Erwin mit auf den Lebensweg gegeben habe: Echte Hamburger sind ehrlich, zuverlässig und fair, sagte mein Vater. Ohne diese Eigenschaften wäre ich heute nicht hier. Danke, Hamburg! Das herzlichste Dankeschön richtete Seeler an seine Frau Ilka, die die Abstimmung in der Bürgerschaft von der Zuschauertribüne beobachtet hatte und nun im Festsaal in der ersten Reihe saß. Du warst und bist mein tollster Treffer, den ich je geschossen habe. Danach stellte sich der Ehrenbürger dem Blitzlichtgewitter, hielt stolz die Urkunde hoch und gab später Arm in Arm mit Reiner Calmund in einer Ecke des Saals Interviews. Ungefähr zur gleichen Zeit adelte der Kaiser seinen guten Freund: Er war der beste Kapitän, den man sich vorstellen kann, als Privatmensch steht er für Treue und Bodenständigkeit. Wenn einer in die Nähe des perfekten Menschen kommt, dann ist es Uwe Seeler. Wer mochte Franz Beckenbauer an diesem Abend schon widersprechen?“
Always shit on the Welsh side of the bridge
Ralf Hertel (SZ 27.11.) stimmt an: „In England wurde die Stelle des Poeta laureatus der Fußballgesänge ausgeschrieben. Der Lederpillen-Lyriker soll durch die Fanblöcke ziehen und „Gesänge komponieren, welche Schlüsselmomente der Saison miteinbeziehen“. Die Gesänge sollen „witzig, mitreißend und originell sein“. Dafür wird er 10 000 Pfund im Jahr bekommen. Das ist immerhin doppelt so viel, wie das Jurymitglied Andrew Motion als offizieller Hofdichter verdient, einem ehrwürdigen und über dreihundert Jahre alten Amt. Bezahlt wird die Aktion von Barclaycard, dem Sponsor der ersten Liga. Dass nun schon bald eher simple Gesänge wie die Mutter aller Sprechchöre „You’ll never walk alone“ durch ziselierte Zidane-Zurufe, Beckham-Balladen oder Deisler-Distichen ersetzt werden, darf bezweifelt werden – verhindert doch der Zwang zur prägnanten Kürze („Ha-Ho-He: Hertha BSE“) und der traditionell eher geringe Tonumfang des Fans allzu elaborierte Ausführungen. Dem zukünftigen Rasenpoeten sind aber auch inhaltliche Grenzen gesetzt, da die Ausschreibung jegliche Obszönitäten verbietet. Dies wird Schöpfungen im Stil jener Parodie verhindern, die von Engländern gern auf die Melodie von „Always look on the bright side of life“ gesungen wird: „Always shit on the Welsh side of the bridge“.”
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Bislang sind die deutschen Stadionzeitungen vernachlässigt worden
„Bislang sind die deutschen Stadionzeitungen vernachlässigt worden. Denn zusammen genommen stellen sie eine beachtliche Öffentlichkeit her, was an wichtigen Spieltagen wie bei der womöglich saison-entscheidenden Runde an diesem Wochenende auffällt. Bei rund 400000 Heften liegt die Auflage aller 18 Stadionhefte im Durchschnitt; in einer Saison macht das immerhin rund sieben Millionen Hefte (…) In dem Sortiment nimmt der Absteiger FCSt.Pauli eine meisterliche Stellung ein. 1/4 nach 5 ist das aufwändigste Magazin der Liga und auch das mit dem höchsten Verkaufspreis: Zwei Euro kostet ein Monatsheft, das mehr Stadtteil- denn Stadionzeitung ist. Der Fußball nimmt nur rund vierzig der hundert Seiten ein – dafür aber mit Geschichten, die in anderen Stadionzeitungen unvorstellbar wären. Etwa über die beiden ersten schwul- lesbischen Fanclubs in – man kann es sich denken – Hamburg und Berlin. Auch wird ein Literaturkanon propagiert: die 14 besten Fußballbücher (elf Stammspieler und drei Joker) werden aufgestellt, etwa der indische Roman Im Himmel spielen die Götter Fußball. Die neue CD von Neil Young wird besprochen und die hippe Viva-Moderatorin Charlotte Roche interviewt.“ (Volltext)
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Pflichtlektüre nicht nur für Bayernfans!
„Warum es doch einen Grund gibt, den FC Bayern zu lieben.“ Heike Faller (Zeit28.5.) erzählt die „Geschichte eines Clubs, der zu seinem jüdischen Präsidenten hielt. Kurt Landauer hat wie keiner vor ihm, so heißt es in der Chronik des FC Bayern, die Werte und Prinzipien verkörpert, die dem Verein 1932 zur ersten deutschen Fußballmeisterschaft verholfen haben und die ihn heute zum Rekordmeister machen. Dass er aus einer jüdischen Familie kam (wobei er weder gläubig war noch Zionist), passte in einen Club, der um die Jahrhundertwende im Bohemeviertel Schwabing gegründet worden war. Die Ur-Bayern waren Ladenbesitzer, Studenten, Bürgersöhne, Juden wie Christen. Man scheint sich darin einig gewesen zu sein, dass Turnen spießig war und dass ein eleganter Fußballer das Spielfeld niemals ohne Krawatte betrat. Schon in den zwanziger Jahren spielten beim FC Bayern Preußen und andere Ausländer. Und es war ein österreichisch-ungarischer Trainer, mit dem der Club 1932 Meister wurde. (Mit einem 2:0-Sieg gegen die feldüberlegene Frankfurter Eintracht, der sich, typisch Bayern, aus einem Elfmeter und einem Alleingang zusammensetzte.) In einer Bayern-Chronik gibt es ein Fotos vom Empfang der Mannschaft in München. Darauf zu sehen sind die offenen Pferdekutschen, mit denen die Spieler vom Hauptbahnhof abgeholt werden, gefolgt von Jugendlichen in gestreiften Baumwollhemden. In einem der Zweispänner saß Landauer, geborener Münchner, leidenschaftlicher Bayer, Bayern-Präsident und Jude. Hätte Kurt Landauer oder sonst irgendjemand der Tausenden, die ihm an diesem Sommertag von den Straßenrändern zugejubelt haben, ahnen können, dass ein Jahr später der Cousin seines Schwagers von der SA durch dieselben Straßen geführt werden würde? Dem armen Mann, einem Rechtsanwalt, hatten sie die Hosenbeine abgeschnitten und ein Schild umgehängt, auf dem stand: „Ich bin Jude und will mich nicht gegen die Polizei beschweren“ nachdem dieser sich für einen Mandanten eingesetzt hatte. Und hätte sich jemand vorstellen können, dass Landauer selbst, im Jahr nach der deutschen Meisterschaft, erst seinen Arbeitsplatz verlieren würde und dann als Bayern-Präsident würde zurücktreten müssen, ohne dass das beim Verein jemand so gewollt hätte? Kurt Landauer wurde später nach Dachau verschleppt und kam nach zwei Monaten wieder frei. 1939 flüchtete er nach Genf. Vier seiner Geschwister würden dem „Dritten Reich“ nicht entkommen (…) Die Vergangenheit ist überall in der Zentrale des FC Bayern. Hunderte von Pokalen und grotesk geformten Trophäen in Glasvitrinen geben den Gängen die Atmosphäre einer Berufsschule für Metallfachberufe am Tag der offenen Tür. Wahrscheinlich wäre es ein Sakrileg, all die goldenen Kickschuhe und Metall gewordenen Ballflugbahnen wegzutun, auch wenn sie hässlich sind und die Siege, für die sie stehen, längst alt und klein. Vielleicht ist es die Pflicht und das Privileg eines Fußballvereins, dass man sich eher an Turniersiege und Pokale erinnert als daran, welche gesellschaftlichen Entwicklungen sich in dem ganzen Metall widerspiegeln. Kaum einer weiß um die jüdisch-christliche Vorgeschichte des FC Bayern, der diese nie vermarktet hat. Nicht dass der Club ein Geheimnis daraus machen würde: Landauer und die anderen jüdischen Mitgründer des Vereins tauchen in jeder Chronik auf. Weiter geht das Interesse nicht. „Ich war zu der Zeit nicht auf der Welt“, lässt Uli Hoeneß, der Manager, ausrichten. Dabei gehört die Geschichte zum Sympathischsten, was der Verein zu bieten hat. Man könnte damit sogar dem SC Freiburg noch Fans abjagen: wie eng der Kontakt zwischen Verein und Landauer auch nach dessen Rücktritt noch gewesen sein muss, selbst als dieser schon in Genf war. 1940 reiste die Mannschaft zu einem Freundschaftsspiel und stürmte nach dem Schlusspfiff auf die Tribüne, um ihren alten Präsidenten zu begrüßen. Sollte Hitler einen Münchner Lieblingsverein gehabt haben, so muss man davon ausgehen, dass es der Lokalrivale 1860 war, der so genannte Arbeiterverein, der schon von 1934 an SA-Männer an der Führungsspitze hatte. Bei den Bayern, heißt es in dem Buch München und der Fußball, konnte erst 1942 ein Parteimitglied im Präsidentenamt durchgesetzt werden. Bis dahin galt der Verein als „Judenclub“, auch wenn er längst keine jüdischen Mitglieder mehr hatte. Bei den Bayern in der ersten Mannschaft zu spielen konnte trotzdem lebensgefährlich sein: Die „Roten“ landeten häufiger an der Front, während „Sechziger“ eher zum Arbeitsdienst in München eingesetzt wurden. Dementsprechend gingen zu der Zeit die Lokalderbys aus.“
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Wer jagt die Bayern?
Wer jagt die Bayern? Wer fordert sie heraus und verhindert ihren Alleingang? fragen sich Fußball-Freunde jederzeit; selbst wenn der Rekordmeister, so wie jetzt, Fünfter der Tabelle ist. Vor der Saison 2003/04 schrieben die Experten ein paar aussichtsreiche Bewerber in ihren Block: Borussia Dortmund, Schalke 04, Hamburger SV, vielleicht Hertha BSC Berlin. Nach sechs Spieltagen haben die Experten ihre Zettel zerrissen und weggeworfen – und zwei neue Kandidaten notiert, von denen sie anfangs wenig erwarteten: Dem Team von Bayer Leverkusen trauten sie nicht viel zu, weil es letztes Jahr so schlecht war; es müsste erst mal den Fast-Abstieg verkraften. Den jungen Spielern des VfB Stuttgart trauten sie nicht viel zu, weil sie letztes Jahr so gut waren; die hätten über ihre Verhältnisse gespielt.
Beiden Vereinen bescheinigen die Chronisten nun Rationalität: das wichtigste Kriterium für sportlichen Erfolg von Dauer. Großen Einfluss wird den Trainern zugesprochen: „Klaus Augenthaler hat Bayer Leverkusen das gegeben, was dem Verein seit Jahren fehlte: ein Stück FC Bayern“, schreibt der Tagesspiegel nach dem 3:3 Leverkusens bei Angstgegner München in einem sehr unterhaltsamen Spiel. Die Heldengeschichte von Trainer Felix Magath wird weitergeschrieben; allerdings kleiden ihn die Autoren in neues Gewand: vor einem halben Jahr stellten sie ihn uns Lesern als Marathonläufer vor, schwitzend. Heute lesen wir vom Schachspieler und Strategen Magath. „Für den Erfolg opfert der VfB gerne die Schönheit“, erläutert die FAZ Magaths Konflikt und resümiert achtungsvoll: „Was Magath derzeit anfaßt, es gelingt ihm.“
Die FAZ urteilt anerkennend über den ungeschlagenen Tabellenführer nach dem 1:0 über Borussia Dortmund: „Die Erfolgsserie des VfB Stuttgart wird von einer Basis getragen, die auf ein langes Haltbarkeitsdatum schließen lässt.“ Die SZ überbietet: „Moralisch einwandfreier Fußball, das ist der VfB Stuttgart. Jung und unbekümmert schießt er Tore, schert sich nicht um Geld und Ruhm, macht einfach nur Spaß“ – und fährt fort: „Es könnte ein günstiger Zeitpunkt gekommen sein, um einige der Etablierten zu überholen und sich aus dem Windschatten heraus für die Rolle der zweiten Kraft hinter dem FC Bayern zu bewerben.“
Jedoch schreiben die Zeitungen auch von Skepsis und Misstrauen in Vereinsumfeld und Wirtschaft. Martin Hägele (NZZ) sieht die Ursachen für diese Vorsicht in der Vergangenheit: „Nach dem Grund für die mangelnde Identifikation mit dem VfB traut sich keiner zu fragen, weil der Ehrenvorsitzende Mayer-Vorfelder unter „Tabuthema“ läuft. Als „ewige Vergangenheitsbewältigung“ hat Magath den Aspekt „MV“ jetzt in einem Interview umschrieben Über ein Vierteljahrhundert hat der heutige DFB-Präsident den VfB wie kein anderer Klubchef personifiziert. Dessen Bedürfnis nach Zuneigung sowie seine Art, den Sonnenkönig zu spielen, haben Parteigänger, Lakaien und Schleimer angezogen, liberale Zeitgenossen und viele Andersdenkende dagegen abgestossen. Die warten nun ab, welchen Kurs die neue Führungsriege einschlägt. Noch fehlt ein klares Bekenntnis zu einem Stil.“
Pressestimmen zu allen Spielen
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Wahlkampf
Benjamin Henrichs (SZ 13.6.) macht einen Vorschlag. „Ach so, eins hätten wir jetzt fast vergessen: dass wir ja nicht nur Fußball haben in Deutschland, sondern auch Wahlkampf. Gut, dass wenigstens die beiden Spitzenkandidaten es noch wissen. Und nun beinahe täglich und in allen Kanälen auf sportlich-männliche Weise in ihrer Fußballleidenschaft und -kennerschaft miteinander wetteifern. Denn eines ist klar: Die Herren können denken, reden und tun, was sie wollen. Doch wer jetzt ein falsches Wort über den Fußball sagt (etwa: „Brasilien spielt doch am schönsten!“), der ist politisch erledigt. Den können wir an der Spitze unseres Landes, das eine Fußball-Weltmacht ist, nicht akzeptieren! Vielleicht sollten die beiden Herren ihr Duell (das jetzt sowieso niemanden mehr interessiert) mit einem Elfmeterschießen zügig erledigen. Kein Wahlkampf mehr, endlich! Und noch mehr Zeit für den Fußball.“
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Ultimatum, das richtige Fußball-Wort?
Im freistoss vom 31.10. schreibe ich: „In Berlin freut man sich darüber, dass Trainer Huub Stevens sein „Ultimatum“ – nahezu alle Schreiber vergessen bei diesem aufgeblasenen Wort aus der Weltpolitik die Gänsefüßchen – erfüllt hat.“ Kollege Stefan Hermanns vom Berliner Tagesspiegel, oft zitiert an dieser Stelle, schreibt mir daraufhin eine Email: die Korrespondenz im Wortlaut:
SH: Lieber Herr Fritsch, ich gehöre auch zu den Berliner Schreibern, die ihrer Meinung nach beim Ultimatum an Huub Stevens, bei diesem aufgeblasenen Wort aus der Weltpolitik die Gänsefüßchen vergessen haben. Aber von Vergessen kann gar keine Rede sein: Ultimatum ist laut Duden, Fremdwörterbuch, die Aufforderung, binnen einer Frist eine schwebende Angelegenheit befriedigend zu lösen (unter Androhung harter Maßnahmen, falls der Aufforderung nicht entsprochen wird), trifft also meines Erachtens genau auf das Vorgehen im Fall Stevens zu und muss demnach gar nicht in Anführung gesetzt werden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass man Gänsefüßchen ohnehin nur für wörtliche Rede oder zur Kennzeichnung eines Zitats verwenden sollte – und nicht als Ironiezeichen. In den meisten Fällen sind Gänsefüßchen nur ein Beleg dafür, dass der Schreiber mit seiner Wortwahl selbst nicht hundertprozentig zufrieden ist. Das Ganze dann in Gänsefüßchen zu setzen ist also die billige Variante. Besser wäre es, darüber nachzudenken, was ich genau sagen will. Das Ultimatum wäre also auch nicht besser als das Ultimatum. Viele Grüße aus Berlin, Stefan Hermanns, Der Tagesspiegel, Sport.
OF: Lieber Herr Hermanns, vielen Dank für Ihre Zuschrift, ich entgegne gerne: 1. Ich halte den Begriff Ultimatum bezeichnend für die Wichtigtuerei vieler Fußball-Funktionäre; in meinem Duden steht: …‘Forderung eines Staates an einen anderen …‘ Wir sprechen von Ultimatum immer im Zusammenhang mit Bush und anderen Staatsmännern. 2. Sie haben recht mit Ihrem Gänsefüßchen-Hinweis, doch: für Gänsefüßchen bei ironischer Verwendung habe ich nicht plädiert, im Gegenteil: ironisch kann man (je)den begriff ohne Gänsefüßchen verwenden. das ‚Ultimatum‘ in meinem Text ist ein Zitat – zugegeben ein nicht recherchiertes. Ich weiß nicht, wer es in die Welt gesetzt hat. Wissen Sie es? 3. Über Sprache und Sportberichterstattung gibt es viel kritisches und diskussionswürdiges zu sagen, oder? 4. Ich würde gerne diese ‚Debatte‘ in meinem Newsletter veröffentlichen. Vielleicht gibt es Resonanz. Einverstanden? Es würde mich freuen, in Kontakt zu bleiben, liebe Grüße aus der Provinz, Ihr Oli Fritsch.
SH: Lieber Herr Fritsch, ich habe nichts dagegen, unseren kleinen Diskurs der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es kann ja nicht schaden, zu zeigen, dass sich auch Sportjournalisten mit sprachlichen Fragen beschäftigen (glaubt man ja manchmal nicht). Noch eine Ergänzung zum Ultimatum: In diesem Fall ist das Wort ja gerade nicht von den wichtigtuerischen Fußballfunktionären in die Welt gesetzt worden. Im Gegenteil: Dieter Hoeneß versucht bis heute alles, damit der Begriff nicht verwendet wird, sondern stattdessen das von ihm in die Welt gesetzte Vereinbarung. Ich halte es aber für unjournalistisch, einfach den Begriff zu übernehmen, den Herr Hoeneß gerne hätte. Wenn man nämlich die Vereinbarung durchleuchtet, stellt man fest, dass es sich eben doch um ein Ultimatum (Definition Duden Fremdwörterbuch) handelt.
OF: Vielleicht sind es auch wir Schreiber, die den Fußball zu ernst nehmen. Ich bleibe dabei: Ultimatum im Fußball, das passt nicht! Ultimaten stellt die UNO – und nicht Dieter Hoeneß.
Liebe Leser und Experten, Sie halten das alles für ultimative Klugscheißerei?! Sie wollen nicht mir das letzte Wort überlasen. !
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Themen der letzten Tage
Themen der letzten Tage: Abschluss des Lizenzstreits zwischen Frankfurt und Unterhaching, Saisonvorbereitung der Bayern, Stuttgarter Finanzloch, Affäre Tøfting u.a.
Unter den Lizenzstreit setzt Gerd Schneider (FAZ 19.7.) einen Schlussstrich. „Was noch bleibt, ist das diffuse Gefühl, dass in Jahren wirtschaftlicher Dürre und widriger Umstände auch die Führungsfiguren überfordert sind. Selbst in der noch immer blühenden Fußballbranche. Auch die DFL-Führung verpasste die Gelegenheit, in der Causa Haching entschlossen aufzutreten und Profil zu zeigen. Die Chance ist vertan. Es wird Zeit, dass der Ball rollt. Und dass die Oberen der Vereine und Verbände wieder dorthin zurückkehren, wo sie hingehören: in den Hintergrund.“
Volker Kreisl (SZ 18.7.) zum selben Thema. „Je länger dieses Lizenzverfahren dauerte, desto stattlicher wurde die Reihe der populären Argumente, die gegen das Vorgehen der SpVgg Unterhaching sprachen. Über allem schwebte der Vorwurf, der Klub sei sportlich abgestiegen und hätte damit kein Recht, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Darunter bauschten sich weitere Gründe gegen den Kleinklub. Der Klub gefährde Autonomie, ja Fortbestand des deutschen Profi-Fußballs. Ferner verschleppe er das Lizenzverfahren und die Saisonplanung, spiele auf Zeit. Überhaupt: Was Unterhaching vorzubringen habe, sei biederer Formalismus, Paragraphenreiterei (…) Die SpVgg Unterhaching hat mit dem Angriff des Schiedsgerichtsurteils neues Terrain betreten. Die Substanz ihrer Argumente hat sich als unzureichend erwiesen, doch der Klub hatte das Recht, es zu versuchen.“
Wolfgang Hettfleisch (FR 18.7.) meint. „Nein, so sieht keine knappe Punktniederlage aus. Was Unterhaching im Bemühen, der Frankfurter Eintracht den vakanten Platz in der zweiten Liga noch streitig zu machen, gestern vor dem Frankfurter Oberlandesgericht hinnehmen musste, war ein klassischer Knock out (…) Nun, da das misslungen ist, sollte man am Hachinger Sportpark die Scherben zusammenkehren und die klare Niederlage anerkennen. So was zeugt von Größe.“
Die Talentförderinitiative des DFB kommentiert Thomas Klemm (FAZ 17.7.). „Vor allem Profis wie Ballack, Schneider und Jancker, die in den Kinder- und Jugendschulen der DDR ihre Ausbildung genossen haben, gelten als Aushängeschilder für das erweiterte Talentförderprogramm. Die Vereinbarkeit von Schul- und Fußballausbildung bleibt indes eine heikle Herausforderung. Zwar haben die Kultusminister bereits im April betont, dass die Schulen ihren Beitrag leisten werden. Doch gilt es bei dem Anliegen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, am Ort Schulleiter und Eltern begabter Kicker zu überzeugen. Fraglich bleibt auch, inwieweit der Nachwuchs von heute den Fußball von morgen voranbringt. Noch scheitern viele Talente beim Sprung aus der Jugend zu den Erwachsenen. Aber wohin auch immer sich der deutsche Fußball entwickelt: Den Weg als Ziel erkannt zu haben ist allemal ein großer Fortschritt.“
Über die Erwartungshaltung beim FC Bayern schreibt Philipp Selldorf (SZ 19.7.). „Während sich überall in Europa die Klubs auf dem Rückzug vom Größenwahn befinden, fühlen sich die Münchner so mächtig und wichtig wie nie zuvor. Gern hören sie, wie in Italien der Ligavorsitzende Galliani den FC Bayern als beispielhaft gelungenes Unternehmensmodell preist, und in der Gesellschaft der Sponsoren Telekom und Audi wähnt sich der Klub in die Elite der Deutschland AG aufgenommen. Eine Saison lang hat sich der Rekordmeister eine Pause bei der Produktion von Rekorden gegönnt (…) Wie Regen prasseln diese Maximalforderungen auf Ottmar Hitzfeld ein, und so gerät der Trainer in die Defensive, noch bevor ein Ball von Belang gespielt ist. Während des Freundschaftsspiels in Weinheim hatte sich Uli Hoeneß aus München beim Veranstalter nach dem Ergebnis erkundigt. Süffisant meldete der Stadionsprecher den 9.500 Besuchern: „Herr Hoeneß versteht nicht ganz, warum es noch 1:1 steht.““
Claudio Catuogno (SZ 18.7.) skizziert das Berufsbild eines Spielerberaters. „Das Interesse der Manager an erfolgreichen jungen Sportlern ist ein grundlegend anderes als das von Schulen, Vereinen oder Verbänden. Für sie hat Sport nichts mit Ehrenamt zu tun, nichts mit Prävention oder Integration – und nur wenig mit sozialer Verantwortung. Manager müssen mit Talenten ihr Geld verdienen. Hart formuliert heißt das: Der Sportler wird zur Anlageinvestition.“
Die Ursache der Stuttgarter Finanzmisere hat Thomas Kistner (SZ 17.7.) im Auge. „Wer genug Machtbewusstsein hat, muss auch in Krisenzeiten nicht fürchten, als Scharlatan erster Güte entlarvt zu werden. Im Fall des deutschen Zukunftsstrategen MV liegen die Dinge ja so, dass er für eine Guinessbuch-reife Vertragsposse verantwortlich ist, die ernste Debatten über seine Qualifikation als Amtsträger eher erübrigt. Als Chef des VfB Stuttgart hat MV dem Klub ein Ei ins Nest gelegt, dem just ein kleiner Pleitegeier entschlüpft. Der Vertrag von Altstar Balakov verlängert sich dank MVs unitärem Verhandlungsgeschick um jeweils ein Jahr, sofern der Bulgare einen Fitnessnachweis von einem Arzt seiner Wahl vorlegt – und dann sind weitere drei Millionen Euro Jahresgage fällig. Hätte MVs Sozialplan Schule gemacht, wäre der deutsche Fußball so pleite, dass der DFB die WM 2006 schon jetzt versteigern könnte.“
Wolfgang Hettfleisch (FR 17.7.) beschreibt die finanzielle Potenz des englischen Liga-Dritten. „Dass die Gesetze der Branche für Manchester nicht zu gelten scheinen, liegt nicht nur am erfolgreichen Wirtschaften des Klubs. Sportartikel-Hersteller Nike lässt sich eine auf 13 Jahre vereinbarte strategische Allianz mit Vorzeige-Werbeträger United Schwindel erregende 470 Millionen Euro kosten, was den Amerikanern für diesen Zeitraum auch die weltweiten Merchandisingrechte für rote Hemden und anderen Klub-Zierat eintrug (…) Der Klub bleibt vorerst als einziger von den Zwängen der angeschlagenen Branche befreit. Das aber funktioniert nur, so lange sich sportlicher Erfolg einstellt. Niederlagen der Krösusse sind wirtschaftliche Fehlschläge und werden andernorts mit unverhohlener Schadenfreude quittiert werden. It’s lonely at the top!”
Die Affäre Tøfting, dem wegen Körperverletzung eine Haftstrafe droht, beschreibt Frank Heike (FAZ 17.7.). „Die Affäre Tøfting ist das große Thema in den dänischen Medien. Das hat vor allem mit der unglaublichen Wendung Tøftings vom Opfer zum Täter innerhalb von nur drei Wochen zu tun. Noch am 5. Juni steht Tøfting aus ganz anderen Gründen im Mittelpunkt. Das dänische Boulevardblatt „Se og Hør“ erscheint zum Spiel gegen den Senegal mit einer Geschichte, die auf ewige Zeiten für Niveauverlust und Schamlosigkeit der bunten Blätter stehen wird: Auf einer ganzen Seite wird genau beschrieben, unter welch schrecklichen Umständen Tøfting im Alter von 13 Jahren seine Eltern in Aarhus verloren hat. Der grausame Fall, in dem der Vater die Mutter tötet und dann sich selbst das Leben nimmt, ist in Dänemark seit zehn Jahren bekannt, aber es gibt ein Stillhalteabkommen der Medien. Niemand hat es gebrochen, bis „Se og Hør“ kam. Die Ereignisse überschlagen sich: Die dänischen Spieler verlesen am 5. Juni in Daegu vor den Augen der Welt eine Pressemitteilung und verhängen einen Boykott gegen das Blatt. Doch jetzt wollen alle Tøftings Geschichte hören, auch im Ausland. In Dänemark nehmen Supermärkte „Se og Hør“ aus den Regalen. Am selben Tag entlässt das Medienhaus den Chefredakteur. Eine Debatte über die verlorene Moral des Journalismus bricht los. Eine Woche später erscheint das Heft mit einem über die ganze Breite gedrucktem „Entschuldigung“. Man habe nicht daran gedacht, dass die drei Kinder des Ehepaares Tøfting, sieben, acht und zwölf Jahre alt, vom Schicksal ihrer Großeltern noch gar nicht gewusst haben könnten. Stig Tøfting, Täter und Opfer.“
In einem sehr lesenswerten Artikel erinnert Christian Eichler (FAZ 19.7.) an die erste Sommerolympiade der Nachkriegszeit. „Helsinki 1952: Man war noch nicht wieder wer. Aber man war wieder da. Die Rückkehr zu Olympia findet Friedel Schirmer „noch wichtiger als Bern 1954“, als den Gewinn der Fußball-WM. Der Zehnkämpfer und Fahnenträger beschreibt eine unbeschwerte Stimmung, die so gar nicht zum Bild passt, das man im Rückblick auf die ersten Spiele des Kalten Krieges erwartet. Es scheint, als hätte die Welt in Helsinki den ganz normalen Nachkriegsalltag geübt. Und der war, bei allem Wahnsinn, eine Erholung gegen das, was sie gerade hinter sich hatte (…) „Anständig benehmen!“ hatte die deutsche Mannschaftsführung den Athleten eingeimpft. Die Aufgabe, nicht anzuecken, war weniger schwierig als sechs Monate zuvor bei den Winterspielen in Norwegen, das die deutsche Besatzung nicht vergessen hatte. „Viele Auslandsstarts waren problematisch“, erinnert sich Ulzheimer. „Dabei war man sich keiner Schuld bewusst.“ 400-Meter-Läufer Karl-Friedrich Haas erlebte auf Auslandsreisen, dass man „in manchen Geschäften und Lokalen als Deutscher rausgeworfen wurde“. In Finnland war Russland der Feind und Deutschland der Freund, der 1917 den Aufstand gegen die Besatzer mit einem Freikorps unterstützt hatte. Als Schirmer die Fahne an der Haupttribüne vorbeitrug, stimmte die Kapelle den Marsch „Alte Kameraden“ an (…) Viele hatten ein Recht, den Deutschen keinen Sieg zu gönnen. Und diese, als spürten sie das, gewannen zwar 24 Medaillen, aber zum ersten und letzten Mal bei Sommerspielen keine goldene. Dass man nur in den kaum technisierten Sportarten konkurrenzfähig war, vor allem bei den Läufern, so wie es heute die Länder der Dritten Welt sind, war das Spiegelbild eines immer noch halbzerstörten Landes.“
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„Die Chaoten in Berlin, in der Hafenstraße in Hamburg und in Wackersdorf springen schlimmer rum als die SA damals.“
„Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und statt dessen die Polen, diese Furtoks und Lesniaks, spielen?“
„Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in der Anfangsformation stehen, kann irgendetwas nicht stimmen.“
„Hätten wir 1918 die deutschen Kolonien nicht verloren, hätten wir heute in der Nationalmannschaft wahrscheinlich auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest.“
Es könne nicht schaden, wenn Schüler alle drei Strophen des Deutschlandliedes beherrschen. (indirektes Zitat)
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Marco Bode beendet Karriere – Krise in Kaiserslautern
Bremen siegt im Nordderby – Marco Bode beendet Karriere – Krise in Kaiserslautern – Auslandsfußball am Dienstag (mehr …)
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„Alle vier Jahre dreht sich die Welt mit dem Effet eines gut angeschnittenen Balles“
„Alle vier Jahre dreht sich die Welt mit dem Effet eines gut angeschnittenen Balles“, lesen wir heute in der „Süddeutschen Zeitung“ anlässlich der mit dem Spiel Frankreich gegen Senegal beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Aber das Vorhaben birgt ökonomische und politische Risiken. „Alle, die jetzt von den großen Chancen schwärmen, die dieses partnerschaftlich ausgerichtete Großereignis biete“, schreibt Roland Zorn („Frankfurter Allgemeine Zeitung“), „wollen in Wirklichkeit nie wieder eine Weltmeisterschaft in zwei Ländern arrangieren.“ Erstens ist es fraglich, ob die immensen finanziellen Investitionen in Infrastruktur und Stadionbau sich amortisieren werden, zumal Einnahmen und Renommee geteilt werden müssen. Zweitens kann die immer wieder proklamierte völkerverbindende Wirkung des globalen Ereignisses paradoxerweise in der kleinsten denkbaren Zelle scheitern: Die jeweiligen Vorstellungen beider Gastgebervölker voneinander sind aus historischen Gründen von Ressentiments geprägt. Ob die Fußball-WM dazu beiträgt, diese zu überwinden oder ob die Konkurrenzsituation einer gemeinsamen Ausrichtung sie eher noch verstärken wird, ist eine spannende Frage, die in den nächsten vier Wochen immer wieder auf der Tagesordnung stehen wird.
Doch ungeachtet aller dieser wirtschaftlichen und politischen Ungewissheiten, ist die Zeit des Fußballfreunds nun gekommen. Dieser hält es mit Ralf Wiegand („Süddeutsche Zeitung“): „Das vor allem ist eine Fußball-Weltmeisterschaft: ein Weltmarkt der Gefühle. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die WM auf dem Mond ausgetragen würde. Zum Glück ist Fußball nur für die wenigsten Menschen ein ausgebuffter Kampf um Mächte und Märkte. Für die meisten ist es einfach – ein Spiel.“ Recht so.
Pressestimmen zum Verhältnis zwischen den beiden Gastgeberländern.
in den Augen von Christoph Biermann (SZ 31.5.) wird die WM zu einer wahrhaft grenzenlosen Angelegenheit. „Diese WM wird noch mehr als alle vorangegangenen im Zeichen von Migration und Globalisierung stehen. Das liegt nicht nur daran, dass das Turnier erstmals in Asien stattfindet. Auch im weltumspannenden Fußballgeschäft spielen nationale Zugehörigkeiten eine immer geringere Rolle. Spieler aus Slowenien sind in Japan unter Vertrag, Profis aus Paraguay spielen in Griechenland, Ekuadorianer in Schottland. Gerade ein Drittel der Kicker, die für die WM in Korea und Japan nominiert wurden, verdienen ihr Geld im eigenen Land. Und oft genug fällt die Beantwortung der Frage schwer, was das eigene Land überhaupt ist.“
Eine Meldung aus der französischen Tageszeitung Le Monde (30.5.) zeigt, dass in Asien der Kommerzialisierung des Sportes noch Grenzen gesetzt sind. „Der serbische Cheftrainer der chinesischen Fußball-Nationalmannschaft, Bora Milutinovic, riskiert den Verlust großer Summen, nachdem Ausländern das Erscheinen im Rahmen nationaler Werbesendungen seitens der chinesischen Regierung untersagt worden ist. Milutinovic, der China zu seiner ersten WM-Teilnahme geführt hat, zeigt sich in verschiedenen Werbespots für chinesische Alkoholika und DVD-Player, die ihm nach Presseberichten mehr als 2,6 Millionen Euro einbringen. Die chinesischen Sportfunktionäre befürchten, dass die Präsenz des Trainers in den Medien, sowie weiterer Spielerpersönlichkeiten des Weltfußballs wie in Spots von Nike, dem Anliegen des chinesischen Fußballverbandes schade, der das Image der Nationalelf verbessern möchte und seine eigenen Werbeeinnahmen sichern wolle.“
Die senegalesische Tageszeitung Le Soleil (30.5.) richtet gebannt den Blick auf das Eröffnungsspiel ihres Teams gegen Titelverteidiger Frankreich. „Nun wird man dem französischen Weltmeister gegenüber stehen, vor den Augen des gesamten Globus, dessen Leben und Rhythmus einen Monat lang und insbesondere vom Eröffnungsspiel in Seoul bestimmt sein wird, von der Bewegung eines kapriziösen und königlichen Balles.“
Ralf Itzel (taz 31.5.) dazu. „Das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft ist vermutlich das kurioseste aller Zeiten: Franzosen, die im Ausland leben und arbeiten, treffen auf Senegalesen, die in Frankreich zu Hause sind. Einige kamen dort sogar zur Welt, während viele der Franzosen wiederum aus Afrika stammen. Senegal war bis 1960 französisch, und dieser Kolonialverbindung sowie den Regeln des modernen Fußball-Business entspringt die eigenartige Konstellation.“
Martín Hiller (Tsp 31.5.) über die Stärken des allgemeinen Turnierfavoriten. „Argentinien hat jedem seiner schärfsten Konkurrenten etwas voraus: Bei Italien sind nur die ersten zwölf, dreizehn Spieler wirklich stark, die Brasilianer haben überragende Einzelspieler, aber kein Team. Und den kleinen Unterschied zu den ebenfalls hochklassig besetzten Franzosen könnte die Leidenschaft ausmachen, mit der die Argentinier für ihr Volk spielen. Der Weltmeister von 1978 und 1986 hat nur ein Problem: die Überheblichkeit.“
Yousuf Almohimeed (FAZ 31.5.) beschreibt den gesellschaftlichen Stellenwert des Fußballs in Saudi-Arabien, morgiger Gegner Deutschlands. „Aufgrund der sozialen Ordnung, die an den gesellschaftlichen Gebräuchen und Traditionen als Grundlage festhält, gibt es in Saudi-Arabien nur wenige Möglichkeiten der Unterhaltung. Allein das Wort Theater erzeugt eine eigentümliche Empfindlichkeit und eine offen ablehnende Haltung, weil das Theater in den letzten Jahren im kollektiven Gedächtnis eine Assoziation mit Dekadenz, Sittenlosigkeit und Werteverfall hervorgerufen hat; jenen Werten, die darauf gerichtet sind, den Menschen zu erlösen und ihn ins Diesseits hinüberzuretten. Dies geschieht allerdings ohne Rücksicht auf ein allgemeines Verständnis gegenüber dem Theater als einer Kunst, die zur geistigen Bildung und zur sozialen und politischen Kritik beitragen kann. Hinzu kommt, daß die Kinosäle noch keinen Platz in diesem Land gefunden haben – wohl aus demselben Grund. Das Kino wird sogar noch schärfer abgelehnt. Auch wenn es seltene Theateraufführungen gibt, die meistens für die Teilnahme an arabischen oder internationalen Festivals inszeniert werden, bleibt das Theater völlig isoliert und wird mit Schüchternheit betrieben. Es wird weitgehend vom Publikum gemieden. Natürlich besteht das Publikum ausschließlich aus Männern, denn die Frauen dürfen weder das Theater besuchen noch mitwirken. Deshalb wurde der Fußball seit langem zu einem wichtigen Medium der Unterhaltung und des Zeitvertreibs.“
Über die Bedeutung des Fußballs in Politikerköpfen lesen wir bei Günter Bannas (FAZ 31.5.). „In ihren Träumen hätten die Kohls, Schröders, Fischers und Möllemanns lieber das dritte Tor von Bern geschossen, als sich mit Parteifreunden über kleinliche Details der Politik zu streiten. Dem Jubel der Freunde auf Parteitagen werden sie in Wirklichkeit wenig abgewinnen können: Sie wissen, dass sie ihn selbst inszeniert haben. Was dagegen ist ein tosendes Stadion mit seinen Gesängen!“
Über die Affinität deutscher Spitzenpolitiker zum Fußball schreibt Alexander Schwabe (Spiegel 27.5.). „Das Daumendrücken für Deutschland ist bei Schröder in Wahrheit ein Fiebern um den eigenen Job. Sollte ein Versagen der Nationalelf das angeschlagene Selbstwertgefühl der Deutschen weiter schwächen – Schlusslicht in Europa –, sollte der kollektive Narzissmus des deutschen Michel durch Niederlagen auf dem Rasen weiter gekränkt werden, fiele es Edmund Stoiber noch leichter als bisher, die schwärenden Wunden der Betrübten und Enttäuschten zu netzen. Das Abschneiden einer Elf schlägt sich seit je auf die Befindlichkeit einer Gesellschaft nieder. Umgekehrt spiegelt sich die mentale Verfasstheit eines Gemeinwesens in der Qualität der Nationalmannschaft wider. Als die Mannen um Toni Turek, Fritz Walter und Helmut Rahn im Juli 1954 beim Endspiel von Bern die haushoch favorisierten Ungarn mit dem legendären Ferenc Puskas schlugen, war das Balsam für die Seele der Deutschen. Nach der Erniedrigung durch den verloren gegangenen Krieg und nach Jahren der Scham darüber, dem Diktator Hitler gefolgt zu sein, waren die Deutschen in der Welt wieder wer.“
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