Donnerstag, 25. März 2004
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Weiter Jubel über den VfB Stuttgart
Weiter Jubel über den VfB Stuttgart, den ungeschlagenen Spitzenreiter! Nach dem 4:1-Sieg über den SC Freiburg reibt sich die FAS über kinderleichte Entwicklung ihre Augen: „Reifeprozesse sind in der Regel schmerzhaft. Daß schlechte Erfahrungen den nachhaltigsten Lerneffekt zeitigen, fassen Heranwachsende nur selten als Trost auf. Dem VfB Stuttgart gelingt in dieser Saison das Kunststück, seine Schwierigkeiten beim Erwachsenwerden, ohne größere Rückschläge zu verarbeiten (…) Die Stuttgarter widerlegen derweil all jene, die ihnen wegen ihres Jugend-Stils nur den Kurzzeiterfolg zugetraut haben.“
In den Hintergrund gedrängt fühlen sich die Bayern. Die BLZ erkennt die wahren Ausmaße der „größtmöglichen aller Bayern-Krisen: nicht einmal mit einem veritablen sportlichen Durchhängen beachtet zu werden.“ Alle Reporter spitzen derzeit die Ohren – und hören nichts. Haben die Bayern denn keinen Mumm, über den Schiedsrichter zu klagen? Es wäre angebracht, wenn er auf die Schwalben des Gegners hereinfällt. Zu ihren Glanzzeiten beschwerten sich Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und Ottmar Hitzfeld schon mal, wenn sie profitierten. Sie sind Profis: Sie wissen, dass man einem Tabellen-Fünften weniger glaubt als einem Tabellen-Ersten. Sie spüren, dass man sich von Vertretern einer Mannschaft internationalen Durchschnitts weniger ins Notizbuch und ins Mikrofon diktieren lässt als von einem Champions-League-Sieger.
Was gibt’s Neues in Berlin? Hertha verliert, und die Fans fordern den Rauswurf von Trainer Huub Stevens. Na, so was! Die taz teilt uns den Spott der Beobachter mit: „Der neue Slogan, den sich die Berliner Journalisten zuraunen, heißt: Nach dem Ultimatum ist vor der Entlassung.“
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Gewinnspiel für Experten
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Er hätte mich eigentlich umbringen müssen
sehr lesenswert! in Ruanda spielen Täter und Opfer des Bürgerkriegs zusammen – „Wo ist eigentlich Carsten Jancker?“ (FAZ) – Quälerei im Sport – Fans verstehen sich immer als Teilnehmer am Geschehen (FAZ) – Chinas Fußballfreunde vermissen Stars in der Bundesliga u.v.m.
Sehr lesenswert! dd (FAS 18.1.) staunt darüber, dass in Ruanda Opfer und Täter des Bürgerkriegs zusammenspielen: „Seine Geschwister wurden vor seinen Augen ermordet. Er flüchtete mit seiner Mutter in eine Kirche. Doch dort brachten sie auch seine Mutter um. Dann lief der zwölf Jahre alte Olivier Karekezi ziellos und wie betäubt durch die Straßen, bis ihn ein Mann auflas, der ihn von früher kannte. Es war der Trainer von Karekezis Fußballteam. Der Mann versteckte den Jungen, obwohl er sich damit in Lebensgefahr brachte. Denn er war ein Hutu und Karekezi ein Tutsi. Er hätte mich eigentlich umbringen müssen, sagt Karekezi.Heute, zehn Jahre später, ist Olivier Karekezi Fußballnationalspieler von Ruanda, einer Mannschaft die sich sensationell für die Endrunde um den Afrika Cup qualifizierte und das Turnier am kommenden Samstag gegen Gastgeber Tunesien eröffnet. Seine Geschichte ist typisch, und fast jeder seiner Kollegen hat etwas Ähnliches erlebt, jeder Lebenslauf in Ruanda ist irgendwie betroffen. Denn der Bürgerkrieg von 1994 ging als einer der schlimmsten Völkermorde der letzten Jahrzehnte in die Geschichte ein. Die damalige Hutu-Regierung ließ in nur hundert Tagen 800000 Tutsi, die kleinere ethnische Gruppe Ruandas, ermorden und weitere 200000 Hutu, die sich weigerten, sich an diesem Morden zu beteiligen. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung kam ums Leben, viele mußten flüchten und unter furchtbaren Bedingungen in Lagern leben. Es ist die eigentliche Sensation an Ruandas Endrundenteilnahme. Nicht, daß man sich als kleinstes Land seit Mauritius vor 30 Jahren qualifizierte. Nicht, daß man die Favoriten Ghana und Uganda bezwang. Sondern, daß Tutsi und Hutu, daß die Angehörigen der Mörder und die Angehörigen der Opfer heute in einer Mannschaft spielen und vor den Fernsehern und in den Straßen gemeinsam jubeln. Elf Freunde müßt ihr sein? (…) Zehn Jahre nachdem Spieler des Fußballteams des Mukura Victory FC während des Trainings mit Macheten aufeinander losgegangen waren, weil die einen Hutu und die andere Tutsi waren.Für den Afrika Cup bleibt Trainer Dujkovic realistisch: Wenn wir Vorletzter werden, wäre das schon ein Riesenerfolg. Sicher, wir haben in der Qualifikation sehr gut gespielt, aber ehrlich gesagt, sind wir vor allem deshalb weitergekommen, weil uns die anderen total unterschätzt haben. Für Olivier Karekezi ist das Allerwichtigste ohnehin schon erreicht. Vor einigen Wochen, beim 3:0 gegen Namibia in der Qualifikation zur WM 2006, hat er es erlebt: Das Stadion war voll, Tutsis und Hutus standen nebeneinander und sangen unsere neue Nationalhymne. Ich hatte einen Kloß im Hals, weil ich zum erstenmal spürte, was der Fußball getan hat. Was wir erreicht haben, macht unser Land froh und stolz – trotz der schrecklichen Vergangenheit.“
„Wichtiger als die Anstoßzeiten sei, das grundsätzliche Image und die Vermarktung der DFL zu verbessern, sagen Fußball-Experten im Fernost“, berichtet Harald Maaß (FR 19.1.) die Auffassung chinesischer Experten: “Die Heimat ist nie fern, wenn man in China unterwegs ist. In Peking kann es passieren, dass der Taxifahrer einen über den neusten Tabellenstand der Bundesliga aufklärt, in Shanghai wird man möglicherweise über die neusten Affären des FC Bayern München ausgefragt. Und selbst in der Inneren Mongolei bekommt man als Deutscher ein freudiges Bei Ken Bao Er zugerufen – so wird Franz Beckenbauer auf chinesisch ausgesprochen. Deutscher Fußball ist in China populär. Seit 1995 überträgt der staatliche Sportsender CCTV 5 am späten Samstag Abend vor einem Millionenpublikum das Top-Spiel der Bundesliga. Im Internet gibt es eigene Webseiten, die über die Geschehnisse der Bundesliga informieren. Die staatliche Lottogesellschaft hat auf ihrer Toto-Wettscheinen drei Bundesligaspiele stehen.Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) deshalb das Reich der Mitte entdeckt. Bisher verdient die DFL durch Auslandslizenzen nur 15 Millionen Euro im Jahr – die englische Premier League erwirtschaftet das Fünffache. Für seinen Vorschlag, die Anstoßzeit der Bundesligaspiele für den asiatischen Fernsehmarkt um einige Stunden vorverlegen will, erntet DFL-Präsident Werner Hackmann zwar nur Kritik. Einigkeit besteht jedoch, dass die Bundesliga in Asien besser vermarktet werden soll. Ganz oben auf der Liste steht China. Zwischen zehn und zwanzig Millionen Chinesen sitzen Samstag Nachts vor dem Fernseher, wenn Moderator Huang Jianxiang das Top-Spiel aus der Bundesliga kommentiert. Die von der Deutschen Welle betriebene Internetseite www.germansoccer.cn hat nach eigenen Angaben Hunderttausend chinesische Nutzer. Eigentlich müsste China ein guter Markt für deutschen Fußball, sagt Huang. Doch der deutsche Fußball habe ein Imageproblem. Die Bundesliga hat keine echten Stars, deshalb zieht es keine große Massen an, sagt Huang. In der Rangliste der europäischen Ligen stehe die DFL in China nur auf Platz vier – hinter Großbritannien, Italien und Spanien. Als Real Madrid vergangenen Sommer mit seiner Startruppe und den neu erworbenen Dave Beckham zum Trainingslager nach Südchina reiste, kampierten chinesische Teenager von dem Hotel. Für deutsche Clubs, und sei es der FC Bayern, interessieren sich in China nur eingefleischten Fußballfans. Die Deutschen spielen erfolgreich Fußball, aber sie spielen nicht schön, sagt Fußball-Fan Tian Cheng.“
Michael Horeni (FAZ 16.1.) fügt hinzu: “In den vergangenen Wochen haben abermals viele Menschen abgestimmt, um elf Superstars zu finden. Diesmal aber nicht für eine Fernsehsendung im Niederfrequenzbereich. Es wurde vielmehr nach den Hochbegabten des Fußballs auf der Internetseite der Europäischen Fußball-Union gefahndet, um mit ihnen die Mannschaft des Jahres zu formen. Bevor wir uns der europäischen Elite zuwenden, kurz zu denen, die es nicht geschafft haben, die Herzen der 1,5 Millionen Fußballfans bei dieser Wahl zu gewinnen – mit einem Wort: Deutschland. Kein einziger deutscher Spieler und auch kein Ausländer aus der Bundesliga haben die europäischen Fans im vergangenen Jahr verzücken können. Real Madrid ist mit vier Spielern dabei (Beckham, Zidane, Figo, Roberto Carlos), der AC Milan und Juventus doppelt (Nesta Maldini, Buffon Nedved), Manchester United einfach mit van Nistelrooy und UEFA-Cup-Sieger FC Porto überraschend mit Ferreira. Von Kahn und Ballack keine Spur, und auch ein brasilianischer Schützenkönig wie Ailton oder ein sündhaft teurer niederländischer Tor-Roboter wie Makaay machen keinen größeren Eindruck über die Vereins- und Landesgrenzen hinaus. Vielleicht läßt dieses Ergebnis auch deutsche Führungskräfte wie Rummenigge oder Hoeneß, die derzeit über die mangelhafte Vermarktung der Bundesliga in Asien klagen, darüber nachdenken, daß ein Produkt wie die Bundesliga oder der FC Bayern nicht nur einen Markennamen, sondern auch entsprechende Stars im internationalen Konkurrenzkampf aufbieten muß.“
Ich bin kein Star, laßt mich hier rein.
Christian Eichler (FAS 18.1.) vermisst, wie wir alle, Carsten Jancker: „Wo ist eigentlich Carsten Jancker? Schweizer Medien vermuteten ihn kurz vor Weihnachten auf dem Weg zu Eintracht Frankfurt. Englische Zeitungen meldeten ihn diese Woche im Angebot bei Glasgow Rangers. Oder ist er immer noch in Udine? Gott sei Dank ist Jancker Fußballer und kein früherer Hochspringer oder Sirtaki-Sänger, sonst müßte man ihn wohl im australischen Medien-Urwald suchen. Jancker hätte nach den gängigen Sender-Kriterien die Qualifikationsnorm für die RTL-Dschungelolympiade locker geschafft, das aktuelle sportliche Großereignis in populären Disziplinen wie Schlammkriechen, Straußenkampf oder Kakerlakentauchen. Und er hätte wohl nicht die schlechteste Figur gemacht bei diesem Resozialisierungsprogramm für Stars, die man gar nicht vergessen konnte, weil sie nie welche waren. Ich bin ein Star, holt mich hier raus ist in der Ballbranche aber das falsche Motto. Kicker auf Jobsuche sagen das Gegenteil: Ich bin kein Star, laßt mich hier rein. Auch deshalb sind Fußballer zum Glück noch nicht so weit, sich den neuesten Quotenschleim anzutun. Nur: Wie lange noch? Still und heimlich keimt auch in ihrer Welt das Prinzip Schadenfreude, der kleine Spaß des zahlenden Publikums an der Unbeholfenheit der Bezahlten. Seltsamerweise besetzt keiner diese Nische so sehr wie Carsten Jancker. Und das besonders im Ausland. Bei der Goldenen Mülltonne, der Wahl des schlechtesten Spielers in Italien, setzte ihn die Volksjury im Dezember auf Platz drei. Rivaldo, Platz eins, wurde inzwischen vom AC Mailand nach Brasilien abgeschoben; Gaddafis Sohn, Platz zwei, wegen Dopings beim AC Perugia gesperrt. Jancker ist nun also erste Wahl.“
Evi Simeoni (FAZ 17.1.) kritisiert Quälerei im Sport: “Es gibt Fußballhelden, die mit schweren Verletzungen ein Spiel beenden. Eiskunstläufer, die mit gesplittertem Knöchel ihre Kür zu Ende laufen. Handballspieler, die einfach einen gebrochenen Finger mit dem anderen zusammenbinden. Der Tennisprofi Goran Ivanisevic gewann Wimbledon mit einer Schulter, die hinterher nie mehr für ein Match taugte. Jockeys hungern und dürsten sich von Pferderennen zu Pferderennen, rauchen wie die Schlote, betäuben ihre leeren Mägen mit Alkohol und anderen Rauschmitteln und machen trotzdem weiter. Vor wenigen Tagen kündigte die englische Zeitung The Independent schon einmal an, daß man in diesem Jahr noch dem Jockey Willie Thorne zum Geburtstag gratulieren müsse. Er wird endlich 50, hieß es da mit englischem Humor, nachdem er bereits seit 20 Jahren so aussieht. Dazu paßt die Feststellung in einer Publikation des Deutschen Sportärztebundes, daß Mädchen mit Eßstörungen, wie sie im Turnen und in der Rhythmischen Sportgymnastik vorkommen können, in der Gefahr stünden, mit 30 Jahren ein Skelett zu haben, wie man es sonst nur von Siebzigjährigen kennt. Spätestens mit dieser Feststellung müßte die kritiklose Heldenverehrung im Leistungssport enden.“
Fans verstehen sich mehr und mehr als Akteure
Christian Eichler (FAZ 17.1.) lacht: „Beim Frühstück am 19. April 2001 stießen Zeitungsleser in aller Welt auf ein überaus langweiliges Sportfoto. Es passiert rein gar nichts auf diesem Bild. Es wurde im Münchner Olympiastadion aufgenommen und zeigt ein Fußballteam, das sich kurz vor dem Anpfiff routiniert zum üblichen Mannschaftsfoto plaziert. Vorn vier in der Hocke, hinten acht stehend – doch Moment mal, das wären ja zwölf! Und weil der Extramann weder den anderen elf noch irgendwelchen Sicherheitskräften aufgefallen war, wurde das Mannschaftsbild der Fußballzwölf von Manchester United vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen Bayern München eines der kuriosesten Dokumente in der Geschichte der Sportfotografie. Der Mann, der mit seinem ManU-Trikot triumphal in die Kameras lächelte, heißt Karl Power. Er ist der Mann, der das Fan-Sein zum Leistungssport gemacht hat. In der heilen Fußballwelt ist der gewöhnliche Fan für Folklore, gute Laune und stabile Umsätze vorgesehen. Doch mehr und mehr sprengen Zuschauer diesen Rahmen, als seien sie mit der passiven Rolle des berechenbaren Konsumenten nicht mehr einverstanden: Sie führen sich selbst als Akteur auf. Das geschieht in vielfältiger, meist unguter Weise. In gegenseitig gewalttätiger Form als Hooligan. In dumpf bedrohlicher Form als sogenannter Stalker, der seinem Star auf den Leib rückt, ein Phänomen besonders in Amerika (wie es Robert DeNiro in dem Film The Fan darstellte). Auch in der Fußball-Bundesliga verstehen bestimmte Fans sich mehr und mehr als Akteure, als Teilnehmer am Geschehen, wie die zur Mode gewordenen Blockaden von Mannschaftsbussen zeigen. Es ist eine Krux mit den Fans, man kann sie sich eben nicht aussuchen. Manchester United hat seinem lästigsten Anhänger längst lebenslanges Hausverbot erteilt. Doch das schert Karl Power wenig. Im vergangenen April schaffte er es, gleich eine ganze gefälschte Mannschaft ins Stadion Old Trafford einzuschleusen. Vor dem Klassiker gegen den FC Liverpool postierten sich Power und zehn Kumpel zum Mannschaftsfoto am Mittelkreis, alle im Trikot von Manchester United – und alle mit Perücken und Baseballkappen.“
Günter T. Vollbach, if-Leser, schreibt mir: „Hallo Oliver Fritsch, Gott (und Ihnen natürlich!!) sei Dank, es gibt ihn wieder, den Freistoß! Jetzt noch gut 2 Wochen und die Welt ist wieder komplett in Ordnung. Herzliche Grüße GTV, Vancouver, BC (Canada).”
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2:0-Sieg der DFB-Auswahl
Vom souveränen, aber schmucklosen 2:0-Sieg der DFB-Auswahl in Litauen ist die deutsche Sportpresse durchaus angetan. „Start in eine rosige Zukunft“ titelt die SZ angesichts guter Perspektiven der einerseits relativ jungen, andererseits bereits erfahrenen Mannschaft. Die Qualifikation für die EM in Portugal 2004 sollte in der Tat daher reine Formsache sein. Insbesondere Michael Ballack inspiriert die Experten zu einstimmigen Lobeshymnen. „Ballack vereinigt Vorzüge von Beckenbauer und Günter Netzer – so effektiv und uneitel wie er freilich benahm sich keiner der beiden Altstars auf dem Rasen“, reagiert die SZ euphorisch auf die Leistung des Torschützen. In der FAZ lesen wir dazu: „Die deutsche Solidität adelte der Münchner Mittelfeldspieler mit seiner Führungsstärke – und die ist inzwischen unabhängig davon, ob sie bei einer WM oder auf einem Wald-und-Wiesen-Sportplatz wie in Kaunas vor 8.000 Zuschauern vonnöten ist“.
Der blamable Auftritt von Schottlands Nationalelf – inklusive Trainer Vogts – erfährt in der hiesigen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. Zur Kritik gesellen die Gazetten den bitteren Hohn. So heißt es in der FAZ: „Im internationalen Fußball gibt es keine Kleinen mehr – außer Berti Vogts.“ Die SZ schließlich sah die Bravehearts „vom Eisverkäufer blamiert.“ Schließlich geht der Wegbereiter beider faröerischen Treffer (Jakub Borg) dieser in dortigen Breitengraden kniffligen Profession nach. Der zweifache Torschütze (John Petersen) ist übrigens Grundschullehrer.
Weitere Themen: der Auftritt der DFB-Nachwuchsteams – Berichte von weiteren EM-Qualifikationsspielen – Sport und Ökonomie u.a.
Litauen-Deutschland 0:2
Ludger Schulze (SZ 9.9.) resümiert optimistisch. „Das Spiel war glatt gegangen wie eine Examensprüfung, die genau das zum Inhalt hat, was man vorher intensiv geübt hat. Der gute Start, der Rudi Völlers Team gleich an die Spitze der Gruppe 5 brachte, bestätigte die Darbietungen während der WM. Allem Augenschein nach entsteht hier eine der besten Mannschaften in der 94-jährigen DFB-Geschichte (…) Michael Ballack fügte seiner offenbar nicht abreißenden Serie von Glanzstücken auch diesmal eine makellose Vorstellung hinzu, die Fußball-Liebhabern kindliche Freude bereitet. Die frühe Entscheidung durch seinen Flachschuss zum 1:0 war Anschauungsmaterial der hohen Fußballschule in den Fächern Körperbeherrschung und Schusstechnik. Sekunden nach dem Treffer vereitelte Ballack durch eine blitzsaubere Grätsche an der eigenen Strafraumgrenze einen möglichen Gegentreffer. Ballack unterläuft kaum ein Fehlpass, beinahe jede Aktion löst Alarmstufe eins aus in der gegnerischen Defensive (…) Eine während der WM von Franz Beckenbauer angestoßene Diskussion, Ballack müsse endlich in die Chefrolle schlüpfen, hat sich längst erledigt.“
Michael Horeni (FAZ 9.9.) blickt in die Zukunft. „Die Ernsthaftigkeit, mit der Völlers Mannschaft den Alltag nach dem Höhepunkt in Japan und Korea angegangen ist, bringt nicht nur von Beginn an die Führung in der Qualifikationsgruppe 5 ein. Mit jedem schmucklos gewonnenen Spiel gegen die Hinterbänkler, ob sie nun aus Litauen, Schottland, Island oder Färöer kommen, wächst und verfestigt sich auch das Selbstbewusstsein eines WM-Zweiten, der seinen großen Erfolg neben seiner Zielstrebigkeit auch glücklichen Umständen zu verdanken hatte. Mit dem 2:0 in Kaunas in der undankbaren EM-Qualifikationsrunde, deren Ziel nur die direkte Qualifikation als ungefährdeter Gruppensieger sein kann, hat Völlers Mannschaft daher auch den ersten Schritt zu lange vermisster Konstanz unternommen. Die sieben weiteren Begegnungen auf den kleinen europäischen Bühnen sind daher mehr als nur lästige Pflichtaufgaben für eine wiedererstarkte und traditionsreiche Fußballnation. Sie sind auch eine lange Reifeprüfung für ein junges Team, das über die Endrunde in Portugal bis zur WM 2006 im eigenen Land noch an Statur gewinnen will.“
Hartmut Scherzer (FAZ 9.9.) ist begeistert. „Mit seiner feinfühligen Gewandtheit am Ball, seinem sicheren Blick für die Situation, seiner plötzlichen Beschleunigung beim Umspielen des Gegners, mit seiner selbstlosen Dienstbereitschaft für die Mannschaft trotz der Dominanz als zentrale Figur, mit seiner perfekten Schusstechnik und erstaunlichen Kopfballstärke verkörperte Michael Ballack auch in Kaunas alle Tugenden und Fähigkeiten, die einen Weltklassespieler auszeichnen. Seine Führungsstärke und sein Arbeitssinn werden nur noch von seiner außergewöhnlichen Torgefährlichkeit übertroffen.“
Jörg Hanau (FR 9.9.) sieht das ähnlich. „Er weiß um seine Rolle in dieser Mannschaft, in der er längst der Chef ist, ohne diese Rolle auszuleben. Bescheiden versucht sich der 25-Jährige einzureihen. Der Star ist die Mannschaft. Fragt sich nur: Was wäre diese Mannschaft ohne Ballack? (…) Er fordert nicht jeden Ball, taucht auch mal ab. Doch wenn es darauf ankommt, ist er da, brandgefährlich, kaum vom Ball zu trennen und außergewöhnlich zweikampfstark.“
Matti Lieske (taz 9.9.) fasst das Geschehen zusammen. „Wegbereiter für den deutschen Erfolg waren einmal mehr Michael Ballack mit seinem 1:0 durch einen trockenen Linksschuss in der 27. Minute und Torwart Oliver Kahn, der einen Rivaldo-artigen Flatterball diesmal erstaunlicherweise fest hielt. Das gegen einen harmlosen Kontrahenten die meiste Zeit dominante Mittelfeld mit Torgarant Ballack, Dietmar Hamann und Bernd Schneider verstellte Völler jedoch nicht den Blick auf die Schwachstellen in seinem Team. „Wir haben zu wenig Tore gemacht“, schimpfte er bis zur besagten Bewusstlosigkeit, was vor allem gegen die Stürmer Carsten Jancker und Miroslav Klose ging. Auch die Bewertung des Schalkers Jörg Böhme fiel mit den Worten: „Er hat sich bemüht, aber er kann mehr, als er gezeigt hat“, relativ vernichtend aus. Da Böhme in Hinblick auf die WM 2006 mit 28 auch nicht mehr der Jüngste ist, dürfte seine Ablösung durch eine der nachdrängenden Nachwuchskräfte oder, im schlechteren Fall, durch Christian Ziege, nur eine Frage der Zeit sein. Zunächst scheint Rudi Völler entschlossen, am WM-Personal festzuhalten, doch rechnet er selbst damit, dass es aufgrund des dichten Terminplans zu etlichen Ausfällen kommen wird, die dann der Jugend das Tor ins DFB-Team öffnen könnten.“
Interview mit Thomas Linke SZ
Faröer-Schottland 2:2
Zum Remis der Schotten beim Gastspiel auf den Faröer-Inseln schreibt Gerhard Fischer (SZ 9.9.). „Auf den Färöer Inseln ist der Wind manchmal so stark, dass er Autos von der Straße fegt. Vielleicht hat Berti Vogts am Samstag zum Himmel geguckt und gedacht: Herr, schick mir Sturm oder Nebel oder ein prächtiges Unwetter mit Blitzen und einem Krachen, das bis nach Korschenbroich zu hören ist – damit das Spiel ganz sicher abgebrochen wird. Vogts, der Trainer Schottlands, stand vor einer Blamage, die sein Verlierer-Image auf ewig in Stein gemeißelt hätte (…) Berti Vogts hätte wohl am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt. Dann hätte keiner gesehen, dass er immer noch verkrampft ist und immer noch schnell beleidigt.“
Zu Vogts´ Perspektiven heißt es bei Christian Eichler (FAZ 9.9.). „Berti Vogts hat lange vom Job im Ausland geträumt. Nun hat er ihn, nur wie lange noch? Man könnte das Ergebnis eine Steigerung nennen: nach fünf Niederlagen in fünf Spielen und 2:14 Toren. Vogts präsentiert sich gerne als Langzeitpädagoge, Fernziel: schottische Rückversetzung in die Spitzenklasse 2006. Das Zwischenzeugnis: Fünf minus. Seine Mischung aus Jungprofis und reaktivierten Oldies wie Paul Lambert passt hinten und vorne nicht (…) Am peinlichsten war, dass 2:2 nicht einmal ein unglückliches Resultat für die Schotten war (…) Schon nach zwölf Minuten hatten zwei Flanken von Jakub Borg, der auf dem rechten Flügel nicht mehr Gegenwehr fand als bei einer PC-Jagd auf schottische Moorhühner, und zwei Direktabnahmen von Petersen, eine per Kopf, eine per Fuß, Färöer 2:0 in Führung gebracht. 5.000 regengepeitschte Zuschauer waren aus dem Häuschen – ein Zehntel der Gesamtbevölkerung.“
Jörg Hanau (FR 9.9.) zum selben Thema. „Auf einer Insel, auf der sich ein paar Fußballer mit einer erdrückenden Übermacht von Schafen um die besten Rasenflächen balgen, haben sie McBerti gehörnt. Nun hat Vogts wieder Witterung aufgenommen. Riecht das nicht wieder verdächtig nach einer globalen Verschwörung aller Fußballmächte? Da will ihm einer was Böses. Davon ist Vogts seit vier Jahren beseelt.“
Weitere EM-Qualifikationsspiele
Im Rahmen des Spiels zwischen Griechenland-Spanien (0:2) bemerkt Torsten Haselbauer (FAZ 9.9.). „So unterschiedlich erfolgreich sich in der Vergangenheit die Fußballnationalmannschaften von Spanien und Griechenland auch präsentierten, sie haben doch eines gemeinsam: In ihrer Heimat sind sie nicht sonderlich beliebt. Bei den Fans und bei den Spielern stehen die Vereinsmannschaften eindeutig höher im Kurs. Was fehlt, ist eine nationale Grundfixierung in Sachen Fußball, wie sie woanders auf der Welt zu beobachten ist. Auf der einen, westlichen Seite des Mittelmeeres sind es vor allem Real Madrid und der FC Barcelona, auf der anderen, östlichen Seite Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen, für die die Anhänger ihr letztes Hemd geben würden. Auch um aus diesem Dilemma herauszukommen, haben beide nationalen Fußballverbände neue Trainer verpflichtet. Sowohl Otto Rehhagel auf der Bank der Griechen als auch Iñaki Saez sollen außer den erhofften sportlichen Erfolgen auch eine Art Imagetransfer zugunsten von mehr Begeisterung für die Nationalteams hinbekommen.“
Zur Situation der Equipe Tricolore wirft Ralf Itzel (SZ 7.9.) ein. „Jacques Santini guckte ziemlich ratlos. Der 50-Jährige, zuletzt Meister mit Olympique Lyon, steckt als neuer Nationaltrainer in der Zwickmühle. Nur drei WM-Schiffbrüchige sind zurückgetreten (Djorkaeff, Dugarry und Leboeuf), die anderen krallen sich an ihre Posten fest und bauen auf fußballerische Fähigkeiten, die die Talente aus der französischen Liga noch nicht zu bieten haben. Doch deren Frische hat die Equipe dringend nötig, um mit neuem Geist das dunkle WM-Kapitel zu überblättern. Nicht leicht, die Balance zu finden, zumal es einen weiteren Titel zu verteidigen gilt: Europameister sind die Franzosen schließlich noch.“
Direkte Freistöße
Zypern-Frankreich (1:2) SZ
Österreich-Moldawien (2:0) SZ
Niederlande- Weißrussland (3:0) FR
Schweiz-Georgien (4:1) NZZ
Zusammenfassung verschiedener Spiele NZZ
DFB-Nachwuchsteams
Beim 4:1-Sieg der deutschen U21 über Litauen hat Ludger Schulze (SZ 9.9.) beobachtet, „dass dieser Mannschaft das Feuer und die Disziplin innewohnen, die einst den Spieler Jürgen Kohler aufzeichneten. Und aus ihm, der ungestümen Blutgrätsche, ist im Laufe der Jahre der Elder Statesman des deutschen Fußballs geworden, ein abgeklärter, reifer Spieler mit tadellosen Manieren in jeder Lebenslage (…) Das bedeutet keineswegs, dass sein Umgang mit den Spielern ins Kumpelhafte abgleitet, Kohler ist eine Respektsperson.“
Zum Debüt des Team 2006 (1:2 gegen Türkei) bemängelt Christoph Biermann (SZ 9.9.). „Man fragte sich, warum dem Team 2006 eine Art freiwilliger Altersrestriktion auferlegt wird. Die ehemalige A2-Nationalmannschaft galt zwar als nicht sehr attraktiv, aber immerhin ebnete sie Schneider, Frings und Böhme den Weg in Völlers Elf. So hinterließ der Abend am Niederrhein den Eindruck, als wäre die Idee des Teams 2006 eher eine ideologische als eine pragmatische. Nachdem die Nachwuchsförderung lange vernachlässigt wurde, wird sie nun scheinbar mit deutscher Übergründlichkeit betrieben.“
Sonstiges
Michael Reinsch (FAZ 7.9.) erläutert die Kriterien sportlichen Marktwerts. „Aufmerksamkeit, Sympathiewert und Verfügbarkeit bestimmen die Summen, die Verbände und Veranstalter für Fernsehrechte und Sponsorenverträge einstreichen. Was früher Klassiker waren, Olympische Spiele und Fußball-WM, Pokalfinals und Tennis-Grand Slam, sind heute Premiumprodukte. Ein ruhmreicher Klub oder ein berühmter Athlet ist heute eine etablierte Marke. Bayern München und Michael Schumacher spielen in dieser Liga, in der Coca-Cola und Aldi, die stärksten Namen Deutschlands, den Ton angeben. Sie stärken mit ihrer Performance ihre Dachmarken, schaffen Abstrahleffekte für ihre Sponsoren und profitieren auch von deren Image. Überall im Geschäft mit dem Sport eifert man ihnen nach. Bloß kein Nobody sein, kein No-name-Produkt. Nur eine starke Marke verkauft – sich und anderes (…) Cash-flow eines Fußball-Unternehmens ist und bleibt das sportliche Ergebnis. Doch der Zufluss dieser Mittel reicht, wie VfL Bochum und Hansa Rostock zeigen werden, nicht aus. Zwar haben die beiden Klubs ihre ersten drei Spiele der Bundesligasaison gewonnen. Doch größere Chance darauf, Markenartikel im Fußball zu werden, dürfte mit dem Potenzial der Stadt Berlin und seines auf Staatskosten modernisierten Olympiastadions Hertha BSC haben, zumal der Klub in Struktur, Ausbildung und Werbung, in einen neuen Trainer und neue Spieler investiert hat.“
Ralf Wiegand (SZ 7.9.) kritisiert. „Der Unterschied zwischen Pete Sampras und Boris Becker ist, dass der Amerikaner der Generationenfrage in seinem Sport noch immer mit der Ernsthaftigkeit eines Hochleistungssportlers begegnet. Er hat nie die Perspektive gewechselt, er war ein Spieler und ist ein Spieler und glaubt wie ein Spieler, dass er noch etwas gewinnen kann. Er ist unten auf dem Platz geblieben, wo er sich den Applaus verdient. Der Deutsche aber ist ein Clown geworden, der mal Manager sein, will, mal Trainer, mal Mäzen, Interviewer, Partyhengst, Finanzjongleur, Zuschauer oder Phantom. Und der manchmal spürt, dass er nur auf dem Platz unverwechselbar war. Dann will er wieder Spieler sein und bedient sich seiner Vergangenheit, als sei sie ein Schuhkarton mit alten Fotos, deren abgelichtete Erinnerungen Wirklichkeit werden, wenn man sie nur lange genug anschaut. Momentan schaut er sich Davis-Cup-Fotos an. Der Unterschied ist, dass Sampras mit dem, was er tut, noch nicht fertig ist, Becker aber mit nichts, was er tut, jemals fertig zu werden scheint.“
Gerd Schneider (FAZ 9.9.) über Wirkung und Resonanz der Volleyball-WM. „Die Weltmeisterschaft, das steht schon fest, ist trotz des Schwächeanfalls der Deutschen ein Erfolg. Die Marathon-Veranstaltung wirkt wie eine Werbetour für die Sportart, die sich vom Staub der siebziger Jahre befreit hat und zu einer Action-Show geworden ist. Dass die zahlende Kundschaft in Deutschland zu dieser Entdeckungsreise bereit war, ist vielleicht die größte Überraschung dieser WM (…) Wenn die Verbandsführung klug ist, wird sie sich ein paar Wochen Zeit lassen, die Enttäuschung zu verarbeiten, um dann die wahren Ursachen des Scheiterns zu erkennen. Es lag nicht an der Nervenschwäche der Spielerinnen. Und es lag auch nicht an Trainer Hee Wan Lee, unter dessen lautloser Regie die Deutschen vor zwei Jahren Sechster bei den Olympischen Spielen geworden waren, damals freilich in anderer Besetzung. Die Gründe liegen tiefer. Im Verdrängungswettbewerb der Sportarten ist der Volleyball zu einem Nischenprodukt geworden.“
Wolfgang Hettfleisch (FR 7.9.). „Guter Sport kann die in ihrer Summe schon skandalösen Defizite vorübergehend vergessen machen. Gleichwohl bleibt der fatale Eindruck haften, die Zuschauer wohnten einer zweit- oder drittklassigen Veranstaltung bei. Bei der ARD wird das offenbar auch so gesehen. Wie anders wäre zu erklären, dass der Sender noch zum Viertelfinale gegen Spanien gnadenlos sein nicht eben mit quotenträchtigen Krachern zündendes Abendprogramm durchzieht, um schließlich in der zweiten Halbzeit nach Indianapolis zu schalten. Hierzulande funktioniert nur Fußball. Woran das wohl liegt?“
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Kerner: Dummheit im Dienst?
Bayer Leverkusen: Calmund zum ersten Mal in der Kritik, Matthias Sammer schwärmt, „Dummheit im Dienst“ bei Kerner (mehr …)
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Gerets vor dem Aus?
Gerets vor dem Aus? – Toppmöller wird Nachfolger, spekuliert die SZ – FR-Interview mit René Jäggi – Augenthaler, der Realist, kehrt heute nach München zurück – Hollerbach, Hamburgs Hoffnung u.v.m.
Zwischen Beruf und Privatem trennen
„Sieg oder Toppmöller“, sagt Martin Hägele (SZ 20.9.) für den 1. FC Kaiserslautern voraus. „Ist Jäggi, der bislang bei allen wirtschaftlichen und sportlichen Turbulenzen auf und um den Betzenberg unerschütterlich agiert hatte, plötzlich nervös geworden? Oder sah er den Verfall der Mannschaft zu einem „Sauhaufen“ (Jäggi nach dem Pokal-K.o. mit 1:4 beim Regionalligisten Eintracht Braunschweig) bereits voraus, als in der Pfalz noch der Applaus von allen Seiten die beiden Retter der Region, Gerets und Jäggi, wärmte? Bereits damals, kurz nach der Rettung des Vereins aus der Abstiegszone, hatte der Schweizer Manager seine Beziehung zum Trainer in einem theoretischen Exkurs gesplittet: Auch bei ihrer Männerfreundschaft müsse man zwischen Beruf und Privatem trennen können. Kaiserslauterer Szenekenner hatten Verständnis für diese diffizile Definition der Partnerschaft. Immerhin hatte man Jäggi nur deshalb aus Basel und Gerets von dessen Bauernhof holen müssen, weil eine ganz anders strukturierte Freundesclique den Fritz-Walter-Klub praktisch in den Bankrott getrieben hatte. Der Schweizer wollte sich auch im persönlichen Umgang unterscheiden von jener FCK-Männerrunde um die Vorständler Robert Wieschemann, Jürgen Friedrich und Gerhard Herzog, die vom ehemaligen Hauskreis der Trainer-Familie Rehhagel übrig geblieben war. Deren kumpanenhafter Wirtschafterei sind letztlich die Strafen durch die DFL zu danken, vor allem, dass Kaiserslautern mit einem Drei-Punkte-Minus in die Spielzeit starten musste. Dass der Klub nun schon wieder, und vermutlich noch viel schlimmer in der Krise steckt, lässt sich jedoch kaum mit den Altlasten erklären. Gerets hat sich beim Neu-Aufbau der Mannschaft vergriffen (…) Ein für Montag anberaumter Termin ist längst durchgesickert. Da soll über den möglichen Gerets-Nachfolger beraten werden. Womöglich wird der Neue bereits vorgestellt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erklärt dann Klaus Toppmöller Klose und Co. die Laufwege. Der kennt das Stadion, in dem er jahrelang als Torjäger gefeiert wurde und auch die Stadt, wo er einst sein Architekturbüro hatte. Toppmöller wäre nicht nur ein Insider der Pfälzer Verhältnisse, er wäre auch populärer als Gerets, der erstaunlicherweise bei den Fans noch immer viel Kredit genießt. Denn Jäggi muss einen populären Trainer holen, und beim zweiten Mal darf es kein Fremder mehr sein. Sonst sind nicht nur die Tage einer Männer-Freundschaft passe, auch für Jäggi würden die Temperaturen auf dem Betzenberg dann wohl zu heiß. Es wäre die Strafe für einen, der nicht nur seinen Job beim 1. FC Kaiserslautern, sondern auch die Mechanismen der Branche falsch eingeschätzt hätte.“
Bei gehobener Küche über fußballerische Schmalkost reden
Thomas Klemm (FAZ 20.9.) ergänzt. „Niemand rund um den Betzenberg geht davon aus, daß der 49 Jahre alte Kämpfertyp, wie er sich selbst nennt, aus freien Stücken die Mannschaft verläßt. Nur ein Machtwort des Vorstandsvorsitzenden René C. Jäggi und ein förmlicher Beschluß des Aufsichtsrates könnten über den Trainer entscheiden, der bei den Pfälzer Fans so beliebt ist, weil er ihnen als Antistar Respekt entgegenbringt, wie Gerets sagt. Während der FCK-Trainer am Freitag über seine Lust am Kämpfen und die positiven Signale beim vorangegangenen Mannschaftstraining berichtete, schwebte weiter Jäggis Machtwort durch den Raum wie ein böser Geist, der aus der Flasche gelassen wurde. Selbst wenn der Kaiserslauterer Vorstandschef seine ursprüngliche Forderung nach mindestens vier Punkten gegen die beiden Aufsteiger SC Freiburg und Eintracht Frankfurt relativierte und für das Sonntagsspiel im Frankfurter Waldstadion nur noch über die Frage der Einstellung sprechen mochte, bleibt das Ultimatum im Raum. Obwohl Jäggi in diesem schwebenden Verfahren beteuerte, mit Gerets durch Pech und Schwefel zu gehen, und sein letztes Wort zum Sonntag lautete: Man könne durchaus verlieren, die Frage ist nur, wie. Ein Hoffnungsschimmer für Erik Gerets? Aus den beiden Männerfreunden von einst sind Kollegen in der Krise geworden. Gingen der Vorstandsvorsitzende und sein Trainer, die den geglückten Klassenverbleib in der vorigen Saison noch innig umarmt gefeiert hatten, vor einiger Zeit noch regelmäßig zusammen essen, so sind diese Treffen mittlerweile selten geworden. Auf diese Weise umgehen sie die peinliche Lage, bei gehobener Küche über fußballerische Schmalkost reden zu müssen.“
Ich habe auch schon Freunde entlassen
FR-Interview mit René C. Jäggi
FR: Herr Jäggi, ärgern Sie sich, dass Sie etwas geäußert haben, was in allen Medien als Ultimatum an Trainer Erik Gerets interpretiert wird?
RCJ: Es ist kein Ultimatum von mir gewesen. Ich habe nach unserer Pokalniederlage beim Regionalligisten in Braunschweig eine halbe Stunde bei den wütenden Fans am Zaun gestanden. Die haben geschrien: Außer Gerets könnt Ihr alle geh‘n. Ich habe ihnen unter anderem gesagt, dass – wenn in einem Heimspiel eine weitere solche Leistung abgeliefert würde – ich als Profi mein Auto nicht gern am Betzenberg abholen würde. Ich habe gesagt: Es muss etwas passieren.
FR: Vier Punkte aus zwei Spielen – gegen Freiburg und Sonntag in Frankfurt. RCJ: Es ist doch klar, dass ich als Verantwortlicher dieses Vereins etwas erwarten muss, wenn es gegen zwei Aufsteiger geht, seien es drei oder vier Punkte. Aber dass daraus ein derartiges Medienspektakel entsteht, habe ich nicht beabsichtigt.
FR: Es heißt, Ihr Verhältnis zu Gerets sei inzwischen stark abgekühlt.
RCJ: Absoluter Schwachsinn. Ich lasse nicht zu, dass ein Keil zwischen Gerets und mich getrieben wird. Dass die Mannschaft nicht so auftritt wie erwartet, ändert nichts an der gegenseitigen Wertschätzung.
FR: Was ist denn dann anders als im Dezember 2002, als Sie sich nach einer beispiellosen Niederlagenserie dennoch mit breitem Kreuz vor Gerets gestellt haben?
RCJ: Ich habe nie von Gerets allein gesprochen, ich habe immer von uns beiden gesprochen. Wir können die derzeitige Situation nicht mit jener im Dezember vergleichen. In der vergangenen Saison haben wir beide sagen können, dass die Mannschaft, die wir übernommen haben, nicht von uns zusammengestellt wurde. Der Trainer konnte mit einigem Recht sagen, die Mannschaft habe sich bei seiner Übernahme im September in einem desolaten Zustand befunden. In dieser Saison ist das anders: Gerets hat die Mannschaft im Trainingslager vorbereiten können, wir haben die Vorbereitung so geplant, wie wir es machen wollten, wir haben weitgehend diejenigen Spieler geholt, die wir haben wollten. Es ist also vieles völlig anders.
FR: Nehmen Sie sich dabei auch selbst in die Verantwortung?
RCJ: Wir müssen uns beide, das Gespann Gerets/Jäggi, Kritik gefallen lassen. Da kann ich mich nicht davonstehlen. Die Verantwortung ist unteilbar.
FR: Heißt das, Sie verbinden jetzt Ihr Schicksal mit dem von Erik Gerets?
RCJ: Ich bin der Kapitän auf der Brücke, und er ist mein erster Offizier. Da kann ich die Verantwortung nicht unserem Pressesprecher in die Schuhe schieben oder dem Rasenpfleger. Da müssen wir als ranghöchste Angestellte uns schon selbst in die Pflicht nehmen.
FR: Und den Trainer als sportlich Verantwortlichen im Besonderen?
RCJ: Ich habe auch schon Freunde entlassen. Entlassen müssen. Wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht mehr geht, dann muss ich handeln.
Gutes Los Leverkusen
Richard Leipold (FAZ 20.9.) erläutert die folgen eines Siegs für Leverkusens Trainer Augenthaler bei seinem Ex-Klub. “Ein Bonuspunkt gegen den früheren Arbeitgeber würde auch Augenthalers Profil als Cheftrainer weiter schärfen. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere hatte er fünf Jahre lang als Co-Trainer Dienst geschoben – bis die Verantwortlichen ihm zu verstehen gaben, daß er gut beraten wäre, anderswo einen Job als Cheftrainer anzunehmen. Die Trennung verlief nicht frei von Spannungen. Augenthaler wäre gern zwölf Monate länger in die Münchner Meisterschule gegangen, weil auch Trapattonis Vertrag noch ein Jahr lief. Manche Leute legten ihm diesen Wunsch als Bequemlichkeit aus; ihm wurde unterstellt, er habe darauf spekuliert, Trapattonis Nachfolger zu werden. Statt dessen trainierte er den österreichischen Erstligaklub Grazer AK und hielt es später immerhin drei Jahre beim 1. FC Nürnberg aus, ehe er in der Trainertombola das gute Los Leverkusen gezogen hat. Ist Augenthaler den Bayern im nachhinein dankbar dafür, daß sie ihn fortgeschickt haben? Die Antwort klingt nüchtern, desillusioniert, fast kalt. Ich bin dem Verein immer dankbar gewesen, weil ich immer gutes Geld gekriegt habe. Jetzt bin ich den Bayern nicht mehr dankbar, denn ich bekomme nichts mehr von ihnen. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, daß er als Assistent nicht zum Cheftrainer des FC Bayern aufsteigen werde. Ich wußte, daß ich mir erst die Hörner abstoßen muß, sagt Augenthaler. Vielleicht kommt er diesem Ziel näher, indem er den Münchnern zum Oktoberfest Hörner aufsetzt.“
Strenges Arbeitsethos
Christoph Biermann (SZ 20.9.) fügt hinzu. „Augenthaler ist der erfolgreichste Spieler in der 40-jährigen Geschichte der Bundesliga. Er hat sieben Meisterschaften gewonnen und könnte das wie eine Monstranz vor sich hertragen. Augenthaler ist 1990 Weltmeister und danach weder Guru noch Ex-Guru geworden. „Ich weiß doch, was wir früher auch für einen Mist gespielt haben“, sagt er und betont, alle Momente im Leben eines Profis zu kennen. Augenthaler hat nicht nur gesiegt und Trophäen stolz hochgehalten, er hat auch die Angst vor dem Versagen, schwere Verletzungen oder seinen Sturz als Mannschaftskapitän erlebt. Der unverklärte Blick auf die Vergangenheit und die Erfahrungen einer langen Karriere beim FC Bayern hat Augenthaler zu einem strengen Arbeitsethos destilliert. Und er hat den ungestillten Hunger nach Siegen bewahrt. Augenthaler erzählt, dass er es hasst zu laufen. Trotzdem macht er die diensttägliche Laufeinheit in Leverkusen selbst mit, und es ist für ihn das zweitschönste Gefühl, wenn er am Ziel angekommen ist. „Das Schönste ist, wenn man sich 90 Minuten lang auspowert und dann 1:0 gewonnen hat.“ Keiner dieser Siege, und sei es in einem WM-Finale, hat jedoch eine Halbwertzeit: „Am nächsten Tag ist wieder Null.“ In Leverkusen wirkt Augenthaler fern, als müsse er noch Wurzeln schlagen. Einen „rationalen und eher emotionslosen Typ“ sieht Ilja Kaenzig in ihm. Im Vergleich zum „Fußball-Romantiker“ Toppmöller erscheint er dem Manager als „Fußball-Realist“. Journalisten gegenüber wahrt Augenthaler eine im Vergleich zu Nürnberger Zeiten größere Distanz.“
Christoph Kober (SpOn) teilt das Comeback des Hamburger Hoffnungsträger Hollerbach mit. „Die Hamburger, mit Tabellenplatz vier in der Vorsaison für den Uefa-Cup qualifiziert, hatten mit dem Gewinn des Ligapokals die eigenen Erwartungen über die Maßen hinaus gesteigert – und sind nach fünf Spieltagen schwer enttäuscht. Vor allem auch über die Art und Weise, wie sich die Mannschaften den Niederlagen fügt. Es geht um die nackte Existenz!, schlagzeilte die Hamburg-Ausgabe der Bild-Zeitung sorgenvoll. Fans und Verantwortliche sehnen sich nun nach der Rückkehr von einem, der rennt, ackert und grätscht – einem wie Hollerbach, der drei Monate an der Achillessehne verletzt war. Vor einem Jahr noch sah es nicht so aus, als ob Bernd Hollerbach jemals wieder die Rolle des Heilsbringers zugeteilt werden würde. Trainer Kurt Jara wollte die Mannschaft verjüngen und setzte Hollerbach und Jörg Albertz auf die Tribüne: Die hole ich nicht zurück, hatte der Österreicher damals mitgeteilt und musste er sich wenige Monate später im Fall Hollerbach korrigieren: Das ist genau der Typ, den eine Mannschaft braucht. Solche Spieler sind gesucht. Nun stärkt Hollerbach, der sich in der erfolgreichen Rückrunde der Hamburger als Führungsspieler etablierte, dem Trainer den Rücken. Nach einer weiteren Niederlage dürfte der wohl seinen Job verlieren. Für mich wäre es der größte Fehler, an Kurt Jara zu zweifeln. Nur er kann die Mannschaft wieder nach oben bringen, sagt der 33-Jährige. Die aktuelle Misere habe nichts mit der Arbeit der Trainers zu tun.“
Dem Besserwessi die Meinung geigen
Wolfgang Hettflisch (FR 20.9.) kommentiert Netzers Angriff auf Ballack. „Teilzeit-Eidgenosse Günter Netzer macht sich neuerdings anheischig, zum bestgehassten Fußball-Guru aller Deutschen aufzusteigen. Jüngst traf den Grimme-Preis-Nörgler der Bannstrahl von West-Ikone Rudi Völler. Und jetzt muss er fürchten, ob seines Herummäkelns am vermeintlichen Ost-Defekt des gebürtigen Görlitzers Michael Ballack in Nicht-mehr-ganz-so-neu-Fünfland zur Unperson erklärt zu werden. Ossis, erläuterte Netzer sinngemäß, taugten nicht zu Führungsaufgaben. Der Drang zum Kollektiv habe Genies drüben den Weg verstellt. So war das beim ollen Erich, weshalb die Witt ja eigentlich nicht solo auf dem Eis, sondern im Tanzkombinat Ballett Kosmonaut Weltruhm hätte erlangen müssen. Wie dem auch sei, jedenfalls traf Netzer genau dahin, wo bei den Menschen jenseits des gefühlten antiimperialistischen Schutzwalls noch immer der Phantomschmerz wohnt. Die Bild, von Axel Cäsar Springer als Zentralorgan der Wiedervereinigungs-Sehnsucht ersonnen, ließ sogleich ein paar Fußballhelden (Ost) aufmarschieren, um dem Besserwessi die Meinung zu geigen. Streich, Dörner, Croy und Kirsten ließen sich nicht zweimal bitten. Und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die den Netzer-Vorwurf irgendwie persönlich nahm, schimpfte, es zeuge von mangelnder Kenntnis, alle über einen Kamm zu scheren. Ach ja, als die Mauer fiel, spielte Ballack für BSG Motor Karl-Marx-Stadt. Er war gerade 13 Jahre alt geworden.“
SpOn-Interview mit Horst Hilpert, Chef-Ankläger des DFB
SpOn: Herr Hilpert, Anfang dieser Woche wurde der Nürnberger Zweitligaspieler Thomas Paulus wegen einer Tätlichkeit für sechs Wochen gesperrt. Wird wieder kräftiger hingelangt?
HH: Diesen Trend sehe ich nicht. Es war der gravierende Verstoß eines einzelnen Spielers. Diese musste deshalb härter abgeurteilt werden als andere Verstöße in den vergangenen Wochen. Paulus ist auf den Gegenspieler aufgestiegen, ohne dass es vorher eine Provokation gegeben hätte, weder verbal noch durch Treten oder Festhalten. Er hat seinem Gegenspieler einfach mit dem Fußballschuh aufs Bein getreten. Das ist sehr unschön.
SpOn: Für den 21 Jahre alten Paulus war die Partie gegen Aue das Zweitliga-Debüt. Hätte dies das Sportgericht nicht sanfter stimmen können?
HH: Wo denken Sie hin? Wir können doch keine mildere Strafe verhängen, weil jemand jung ist oder das erste Mal spielt. Jeder Akteur hat von Anfang an die gleichen Pflichten. Und eine Tätlichkeit wird mit mindestens sechs Wochen bestraft. Es hätte nach oben abgewichen werden können, aber nicht nach unten.
SpOn: Der Dortmunder Nationalspieler Sebastian Kehl, der im Finale des Ligapokals sogar den Schiedsrichter attackiert hatte, kam jüngst besser weg.
HH: Nein, das stimmt nicht. Kehl hat eine Sperre von acht Spielen bekommen, sechs in der Meisterschaft und zwei für den Ligapokal. Das muss man schön auseinander halten. Bei einem Vergehen gegen einen Schiedsrichter ist das Strafmaß automatisch höher. Aber Kehl hat Jürgen Aust nicht geschlagen, sondern geschubst – und das auch nicht allzu heftig.
SpOn: Dennoch: Ist das nicht eine sehr geringe Strafe für eine Aktion gegen einen Schiedsrichter?
HH: Einige von Austs Kollegen sehen das so und haben mir geschrieben, dass sie acht Spiele zu wenig finden. Wir halten die Strafe jedoch für angemessen. Bei Kehl wurde berücksichtigt, dass es ein Aktiver ist, der bisher immer anständig gespielt hat. Zudem hat er sich sofort bei Aust entschuldigt.
SpOn: Trotz seiner Sperre für die Bundesliga durfte Kehl einige Spiele im Europapokal und der Nationalmannschaft bestreiten. Ist das nicht eine merkwürdige Regelung?
HH: Früher galten Sperren bei gravierenden Vergehen – und das von Kehl war eines – in Deutschland auch für internationale Spiele. Aber irgendwann haben wir uns gesagt: Wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst. Also haben wir uns der Praxis in anderen Ländern wie Italien oder Großbritannien angepasst. Nur wenn jemand etwa dem Schiedsrichter einen Faustschlag versetzt, würden wir denjenigen Spieler auch international sperren.
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Demontage der DFB-Elf
Angesichts Personalmangel sowie matter Auftritte in der jüngsten Vergangenheit, befürchteten einige Experten vor dem Spiel gegen die holländische Starauswahl eine peinliche Demontage der DFB-Elf. Doch „wie so oft, wenn die Auguren den öffentlichen Niedergang der deutschen Fussballnationalmannschaft an die Wand gemalt haben und sich vor ihrem Menetekel auch noch gern der Aussagen ehemaliger niederländischer Fussballgrössen bedienten, kommt es im Ernstfall dann gar nicht so schlimm“, berichtet die NZZ mit gewohntem Abstand über das 1:3 von Gelsenkirchen. In der Tat konnte der deutsche Fußballanhänger von einer Niederlage selten so angetan sein wie dieses mal – wenngleich: Es verlor der Vize-Weltmeister vor heimischem Publikum gegen ein Team, das sich nicht für die WM qualifiziert hatte.
Jedoch sind Spiele gegen die holländischen Fußballästheten für jedes Team der Welt ein Maßstab, zumal für die – so will es das Klischee – Fußball arbeitenden und dabei stets erfolgreichen Teutonen. Doch dieses Mal kam es überraschenderweise zum „Rollentausch“ (FAZ). Beide Mannschaften rehabilitierten sich nämlich gerade in den Disziplinen, die wesenhaft als ihre Schwächen beziehungsweise des Gegners Stärken gelten. Die Deutschen waren spielerisch besser und initiativer, und Oranje gewann. „Ein Sieg, der Holland schmeichelt und dem Deutschen Fussballbund nicht wehtut: verloren, aber nicht versagt“, beschreibt die NZZ die Bedeutung des für die Standortbestimmung von Völlers Equipe aufschlussreichen Spiels. Das Fazit der Fachleute am Ende eines aus deutscher Sicht ereignisreichen Jahres fällt gelegentlich nüchtern aus: „Der deutsche Fußball hat sich im WM-Jahr entwickelt, aber längst noch nicht bis ganz nach vorn“, urteilt die FR realistisch. Der Blick nach vorn jedoch schwankt ausnahmslos zwischen Zuversicht und Euphorie. So fordert die SZ begeistert: „Spielt einfach weiter so!“
Auch aus der entgegengesetzten Perspektive misst man der (im übrigen sehr fairen) Auseinandersetzung große Bedeutung bei. „Mag sein, dass Deutschland noch nicht zu den ganz Großen zählt. Aber wer die Deutschen schlägt, zählt sich immer noch dazu“, fasst der Tsp die stolzen Reaktionen der siegreichen Holländer zusammen, auch wenn Eindhovens Dagblatt eingesteht: „Oranje kennt deutsche Tricks: Spiele gewinnen, obwohl man unterlegen ist.“
Christoph Kneer (FTD 22.11.) ordnet das Geschehen in einen langfristigen Zusammenhang ein. „Man darf am Ende dieses WM-Jahres feststellen, dass es sich bei diesem 1:3 gegen die niederländische Nationalmannschaft vermutlich um eine der nützlichsten Niederlagen der deutschen Länderspielgeschichte handelt. In diesem Abend von Gelsenkirchen finden sich gebündelt sämtliche Erkenntnisse über Völlers neues Deutschland. Es ist dabei kein Widerspruch, dass ausgerechnet Rückkehrer Fredi Bobic am Ende stellvertretend steht für Deutschlands Fußballjahr 2002. Auf dem Boulevard haben sie Bobics unerwartete Wiederkehr das „Comeback des Jahres“ getauft – nicht zuletzt gilt das auch für den deutschen Fußball. Es darf als die erfreulichste Erkenntnis des Jahres gelten, dass es sich im Jahr zwei nach Erich Ribbeck endgültig ausgerumpelt hat. Fürs Erste darf sich Rudi Völler dennoch gutschreiben lassen, dass seine Elf am Ende des Jahres 2002 eine Stufe höher überwintert als 2001.“
Michael Horeni (FAZ 22.11.) blickt optimistisch in die Zukunft. „Auch wenn Völlers Team nach dem 0:1 gegen Frankreich, dem 0:1 gegen Argentinien, dem 0:2 gegen Brasilien und nun beim 1:3 gegen die Niederländer wiederum daran gescheitert ist, eine der großen Fußball-Nationen zu besiegen: Die Tendenz ist, anders als die Ergebnisse es glauben machen, sehr erfreulich. Vor der WM waren die belächelten Deutschen spielerisch und taktisch noch vollkommen chancenlos gegen die beiden Großmächte, im WM-Finale imponierten sie dagegen, und im aktuellen Nachbarschaftsduell schien es mitunter, als hätten Deutsche und Holländer ihre traditionellen Rollen getauscht. Spielerisch ansprechend, taktisch klug, aber vor dem Tor verschwenderisch – diesmal machten es die personell geschwächten Deutschen (fast) so zweckfrei schön wie der WM-Zuschauer von nebenan, der seine Chancen in der Arena teutonisch effektiv nutzte. Die erfolgreiche taktische Handschrift Völlers mit Mut zum schönen Spiel war jedoch viel mehr wert als mancher schnöde Sieg der Vergangenheit. Mit dem, was in der Bundesliga an Talenten noch aufscheint und an erstklassigen Kräften und Bewährtem im kommenden Jahr gesund zurückkehrt, ist die Nationalmannschaft gut gerüstet, um nach dem zweiten Platz bei der WM auch den besten Mannschaften der Welt noch ein Stückchen näher zu kommen. Das spricht nicht nur für die Entwicklungsfähigkeit der Mannschaft, sondern auch ihres Teamchefs und Trainers. Nach dem Ergebnisfußball WM 2002 haben auch fußballerische Erlebnisse bei der Nationalmannschaft eine Zukunft.“
Jan Christian Müller (FR 22.11.) resümiert das Fußballjahr. „Der Fernblick nach Japan und Korea hat manches verklärt. Während die Berichterstatter vor Ort noch nüchtern, mitunter auch beißend zynisch schilderten, wie eine unaufgeregte deutsche Brüderschaft mit Bundesadler auf der Brust sich zweckmäßig den ohnehin fast freigeschlagenen Weg ins WM-Finale bahnte, entwickelte sich in der Heimat ein Weltmeisterschafts-Hype vor Kaufhaus-Schaufenstern, in Bürogebäuden oder Schrebergärten. Die Nation rückte bei Bratwurst mit Ketchup und eingelegtem Kotelett am Holzkohlegrill zusammen, derweil die Helden von Yokohama am Ende sogar die Brasilianer gehörig piesackten. Auch wenn es dort nicht ganz reichte: Zuhause feierte ein Volk sich selbst, auch, weil es sonst kaum Grund zum Feiern gab (…) Es heißt, man könne sein Glück im Fußball auch erzwingen. Aber das ist natürlich Blödsinn. Gegen Argentinien im April, Brasilien im Juni und die Niederlande im November waren Rudis Recken jeweils hoch konzentriert. Es hat trotzdem nur zu einem einzigen Tor in 270 Minuten gereicht. Das ist die Wahrheit. Japan und Korea waren wie ein Traum. Wie ein wunderschöner Traum.“
Ludger Schulze (SZ 22.11.) kennt die Ursachen für die Niederlage. „Im Spitzenfußball ist der zweite Anzug nicht mehr nur eine modische Alternative, sondern längst eine fundamentale Notwendigkeit – jedenfalls für den, der Erfolg anstrebt. Selten hat man dies deutlicher beobachten können als beim Länderspiel gegen die Niederländer in Gelsenkirchen. Während sich die Träger der Trikots erster Wahl zwei Drittel der Spielzeit einen ausgeglichenen Kampf lieferten, war die Angelegenheit rasch und eindeutig entschieden, als die Herren von der Ersatzbank übernahmen. Da musste Teamchef Rudi Völler erkennen, dass sein zweiter Anzug noch ein wenig kneift und drückt. Dem Strickmuster nach entspricht das nicht ganz so gute Stück jedenfalls noch nicht dem Standard der Haute Couture in der Balltreterbranche. Während dem signal-orange gewandeten Gegner zum Beispiel das Übermaß überragender Sturmreihen zur Verfügung stand, fehlte es den Deutschen an Wahlmöglichkeiten. Doch das ist nur eine Modeerscheinung, der Teamchef darf bald nachschneidern.“
Zur Bedeutung des Spiels aus Sicht der Sieger heißt es bei Christoph Biermann (SZ 22.11.). „Wieder einmal weckte die holländische Mannschaft den Eindruck, dass sie noch besser spielen kann, als sie es tut. Auf Grund der „individuellen Superklasse“ (Völler) lässt das Team eigentlich fast immer Phantasien erstehen. Denn selbst Details vermögen die Spieler funkeln zu lassen, wenn sie etwa Kurzpässe so scharf spielen, dass es nur große Könner diese aufnehmen oder direkt weiterleiten können. Nur gehört es auch zu den Erkenntnissen der vergangenen Jahre, dass die Künstler in den orangenfarbenen Trikots die gefühlte Klasse nicht zwangsläufig in Ergebnisse verwandeln. Weiterhin spielt Holland auf Bewährung, und das ist für den Trainer keine schlechte Ausgangslage. Er hat im wesentlichen jenen Spielern eine Chance zur Rehabilitierung gegeben, die sich in der WM-Qualifikation blamiert hatten. Diese Pleite wird seine stärkste psychologische Waffe bleiben, denn das Publikum im eigenen Land wird sich mit Gerede von technischer und taktischer Überlegenheit allein nicht mehr zufrieden geben. Realistischer ist die Mannschaft dadurch geworden. Das muss nicht schaden, denn sollte sie ihre Klasse weiterhin in Effizienz übersetzen, gibt es wenig bessere. Ein wenig klingt es, als sei das der neue Weg. „Wir haben Glück gehabt und sicherlich zu hoch gewonnen“, sagte Bosvelt und fügte achselzuckend an, „aber das Ergebnis zählt.“ Wann hat man so etwas zuletzt von einem holländischen Spieler gehört?“
Ein Spielbericht von Martin Hägele (NZZ 21.11.). „Der WM-Jahrgang von Yokohama wirkte jedenfalls zielstrebiger, und er brauchte auch nicht so viele Fouls wie Davids, Seedorf und Co., deren aggressiv orange Trikots normalerweise allein ausreichen, um manchen Gegner einzuschüchtern. Doch die Auswahl von Teamchef Völler hatte bei ihrer Jahresabschlussfeier auch wieder jenen Geist entdeckt, der sie im Sommer durch die Stadien von Japan und Korea getragen hatte. Sie präsentierte sich wieder als Mannschaft, in der Ballack und Schneider kreative Elemente erzeugten (…) Die Deutschen können nun argumentieren, dass Referee Dallas bei einer Attacke Sendens gegen Bobic Gnade vor Recht ergehen liess, dass bei Schüssen von Ballack und Freier nur ein paar Zentimeter fehlten. Anerkennen aber müssen sie, dass der kleine Nachbar wohl über doppelt so viele Klassespieler verfügt. Bezeichnenderweise wurde das Spiel erst mit den Einwechslungen der Stürmer Nummer drei und vier auf beiden Seiten entschieden. Als Neuville und Asamoah statt Bobic und Klose den Angriff bildeten, war auch die Gefahr fort. Umgekehrt aber häuften sich im und am deutschen Strafraum die brisanten Szenen, nachdem dort statt Kluivert und Makaay mit van Nistelrooy und Hasselbaink zwei ganz andere Goalgetter-Typen aufgetaucht waren.“
Ludger Schulze (SZ 22.11.) kommentiert die Reaktionen nach dem Spiel. „Ein wenig erinnerte die Partie, wenn man das negative Resultat in Relation zum spielerischen Niveau setzt, an das WM-Finale gegen Brasilien (0:2). Zwei gefeierte Fehlschläge waren die Höhepunkte des Jahres, und in beiden Fällen bewiesen die Fans ein feines Näschen für Engagement, Risiko- und Leistungsbereitschaft ihrer Elf. Wie sie richtete auch Völler „keinen Vorwurf an die Mannschaft“, wunderte sich aber schon darüber, dass „gegen eine Mannschaft wie Holland die kleinste Kleinigkeit brutal bestraft wird“. Die Niederländer wissen, worüber der Teamchef philosophierte – oft sind sie selbst den Deutschen auf diese Weise unterlegen.“
Roland Zorn (FAZ 22.11.). „Bobic verkörpert ab sofort das Prinzip Hoffnung aus der Sicht der aus Erfahrung reifen Profis; seine Zuversicht gewinnt Rudi Völler aber auch aus dem reichen Jugendangebot, das er inzwischen nutzen kann. Kuranyi (20 Jahre), Friedrich (23), Freier (23), Ernst (23), Borowski (21), Lauth (21), Balitsch (21) und Bierofka (23) – das sind Aufsteiger, die viel versprechen. Und wer sind die Abstiegskandidaten? Ganz sicher der sogenannte Stürmer Jancker (28), der oft verletzte Ziege (30), der nicht mehr recht auf Trab kommende Neuville (29), das ewige Talent Ricken (26) und die international nicht erstklassigen Asamoah (24) und Baumann (27). Wie auch immer Völler „die Karten neu mischt“, er hält ein Blatt mit Assen wie den gegen die Holländer stechenden Schneider, Frings, Bobic, Ballack und Kahn ebenso auf der Hand wie eine Reihe von Buben, die noch auftrumpfen können.“
Stefan Hermanns Michael Rosentritt (Tsp 22.11.) beschreiben das gesteigerte Selbstwertgefühl der DFB-Auswahl. „Vor zwei Jahren gab es die nachhaltig vertretene Ansicht, dass man die bei der EM 2000 so desaströse Elf nicht einer weiteren harten Prüfung aussetzen solle. Besser sei es, auf die WM zu verzichten, um den Neuaufbau zu forcieren. Aus heutiger Sicht erscheint das abstrus (…) Den Deutschen konnte nichts Besseres passieren als die WM. Das Turnier hat die Mannschaft vorangebracht, aber auch einzelne Spieler. Bernd Schneider zum Beispiel. Oder Torsten Frings und Christoph Metzelder. Kurz vor der WM hat der Spiegel noch über sie gehöhnt: „Wenn nun Eleven wie Frings (acht Länderspiele) und Metzelder (sechs) in Japan Schlüsselpositionen besetzen müssen, erscheint das ähnlich gewagt, als müssten Sieger eines Karaoke-Wettbewerbs die Star-Tenöre in der Mailänder Scala ersetzen.“ Vier Wochen später waren Frings und Metzelder selbst Star-Tenöre. Richtig deutlich geworden ist die Entwicklung im Wettstreit mit den Holländern. Die Deutschen verloren zwar, doch sie waren gleichwertig. Vor zwei Jahren in Amsterdam waren sie noch lächerlich gemacht Worden (…) Die Deutschen sind dabei, den kleinen großen Nachbarn wieder zu überholen. Die U 21 gewann 4:1 gegen Holland, der zweifache Torschütze Kuranyi gilt bereits als möglicher Nationalspieler. Das liegt auch daran, dass die größten Nöte der Deutschen im Sturm liegen. Kritiker der Nationalelf sagen: Wir haben keine echten Stürmer mehr. Optimisten sagen: Noch haben wir keine echten Stürmer. Mag sein, dass Deutschland noch nicht zu den ganz Großen zählt. Aber wer die Deutschen schlägt,
Martin Hägele (NZZ 22.11.) beleuchtet die Perspektiven der Völler-Equipe. „Wer aber richtig hingehört hat bei Völlers Pressekonferenzen, der merkte bald, warum dem Teamchef diese Niederlage – obwohl doch über allem das Wort Prestige stand – überhaupt nicht weh getan hat. Völler selber ist längst bereit für den Umbruch innerhalb seiner Mannschaft. Und wenn er davon spricht, dass nun die Karten neu gemischt und im nächsten Jahr wieder voll angegriffen werde, dann kennt er auch schon diejenigen, denen er im Hinblick auf das Europaturnier 2004 vertrauen kann. Ungewöhnlich offen präsentiert Völler die Namen seiner neuen Zeitrechnung, welche die Altersstufe der 25- bis 30-Jährigen nun ablösen soll. Und es handelt sich im Fall von Spielern wie Kuranyi, Lauth, Balitsch, Hitzlsberger, Hinkel oder Feulner nicht um eine oder gar zwei Handvoll Talente, wie sie immer mal wieder an der Oberfläche erscheinen. Fast alle Mitglieder der U-21- und der Olympia-Mannschaft, gehören sie auch in ihren Bundesligaklubs zum Stammpersonal. Schon ein Blick auf ihre Leistungskurven genügt, um Perspektiven abzuschätzen. Nicht nur der jüngste Werbefilm vom Talentschuppen des neuen Nachwuchstrainers Jürgen Kohler, dem im Vorprogramm auf dem Aachener Tivoli eine beeindruckende Leistungsschau gelungen war: Der Oranje-Nachwuchs wurde auf dem Weg zum 4:1 spielerisch deklassiert. Im Kopf hatte Völler die Besten seines alten Weltmeister-Kumpels Kohler bereits in seine Formation integriert; er und Fussball-Deutschland können sich auf die Zukunft freuen. Eine Zukunft, in der man einem Vergleich mit der heutigen holländischen Star-Generation gelassen entgegenblicken kann. Die besseren Fussballspieler standen mit Schneider und Ballack schon diesmal im Team mit dem Adler auf der Brust. Nur was seine Stürmer betrifft, besitzt Holland einen Vorteil. Doch nicht nur wegen Bobic, vor allem wegen der jungen Konkurrenz besteht die Chance, dass dieses Handicap einmal wettgemacht wird.“
Spielbericht taz
Interview mit Fredi Bobic Tsp
Vor dem Spiel (20.11.)
Freundschaftsspiele der deutschen Nationalmannschaft haben in den letzten Jahren im Allgemeinen an sportlicher Aussagekraft verloren. Wenn jedoch der „Erzfeind“ aus dem nordwestlichen Nachbarland zu Besuch erwartet wird, steigt die öffentliche Aufmerksamkeit. Zumal die Niederländer im heutigen Aufeinandertreffen in der Arena „AufSchalke“ eine günstige Gelegenheit erachten werden, sich für die Schmach der verpassten Qualifikation für die WM in Fernost rehabilitieren zu können, während der Vize-Weltmeister seinen durch wenig ruhreiche Auftritte gegen Litauen, Bosnien und Färöer inzwischen bereits beschädigten Status zu verteidigen sucht.
Zusätzliche Brisanz erlangt das Duell durch die Gegebenheit, dass heute zwei verschiedene Weltauffassungen über dieses Spiel aufeinandertreffen, die sich in Extremen wiederspiegeln: hierzulande der auf Effektivität und Disziplin ausgerichtete Arbeitsfußball – und dort das risikoreiche und ästhetische Kombinationsspiel. „So geht es bei jedem Match zwischen Deutschland und Holland eigentlich um die Frage, wie Fußball zu sein hat“ (Die Zeit).
Im Mittelpunkt der hiesigen Diskussion stand in den letzten Tagen die Forderung vieler Experten und Fußballfans nach einer Berufung Fredi Bobic´, der nach langer sportlicher Durststrecke in Hannover zu alter Torjägerform zurückgefunden hat. Doch erst die gestrige Absage des etatmäßigen Stürmers Carsten Jancker machte das „Comeback des Jahres“ (Die Welt) für den Schwaben möglich. Ob er in seiner „zweiten” DFB-Karriere eine bessere Figur abgeben wird als seine bisherige Bilanz vermuten lässt (zwei Tore in 19 Spielen), ist fraglich. Da dessen Mitstreiter vom „Kommando Torauftrag“ Klose und Neuville derzeit im Formtief stecken, darf die SZ augenzwinkernd feststellen: „Deutschland steckt nach Renten-, Haushalts- und Arbeitslosenkrise gleich im nächsten Dilemma. Zu allem Übel nämlich hat eine Stürmerkrise das zerzauste Land ergriffen.“
Ludger Schulze (SZ 20.11.) erinnert an die jüngsten Duelle mit den Holländern. „Erstmals seit dem WM-Finale gegen Brasilien (0:2) misst sich seine Auswahl mit einem Gegner auf Augenhöhe. Auch wenn Völler stets betont, dass es keine „Kleinen“ mehr gebe, gegen Größen wie die Niederländer tut man sich halt doch etwas schwerer. Die betrachten Begegnungen gegen die „Moffen“ in der Regel als bitterernste Angelegenheit um nur etwas weniger als Leben und Tode, auch wenn sie solche Spiele herzig mit in „Vriendschappelijk“, also „freundschaftlich“ umschreiben. Davon war auch bei den vergangenen beiden Partien weniger als nichts zu spüren, die Oranjes spielten ihre Kollegen in Grund und Boden, so dass mancher deutsche Fußballfan am liebsten das Schengener Abkommen aufgekündigt und die Landesgrenzen wieder geschlossen hätte, jedenfalls für den Fall, dass niederländische Nationalspieler die Einreise begehren sollten. „Lustige Chronologie des Grauens“ titelte die SZ nach dem absurd glücklichen 1:1 im November 1998. Und beim 1:2 im Februar 2000 in Amsterdam verlor die Mannschaft für längere Zeit den Respekt der Fußballwelt.“
Roland Zorn (FAZ 20.11.) kommentiert die Nominierung Bobic´ optimistisch. „Der Schwabe steht, seit er Dortmund verlassen konnte, im Mittelpunkt des von Trainer Ralf Rangnick inszenierten Gute-Laune-Fußballs. Rund zwei Jahre loderte in dem 31 Jahre alten Energiebündel, in Stuttgart einst Seite an Seite mit Giovane Elber und Krassimir Balakow Teil des „magischen Dreiecks“, keine Fußballglut mehr. Bei Borussia Dortmund, wohin er 1999 mit anfänglichem Schwung gekommen war, verebbte die Wucht des für zwölf Millionen Mark transferierten Nationalspielers mehr und mehr. Mit der Ausleihe an die Bolton Wanderers zeichnete sich der Abschied vom Westfalenstadion ab, mit dem Wechsel nach Hannover, bei dem Bobic erhebliche Gehaltseinbußen in Kauf nahm, war er vollzogen. Dort begann des Märchens erster Teil. Der bis dahin punktlose Aufsteiger bekam zum Nulltarif einen taufrischen, mitreißenden Dreißiger, der 96 das Tor zum Klassenverbleib geöffnet zu haben scheint. Unterdessen wurde auch Völler auf Bobic aufmerksam, ohne sofort eine Rückholaktion geplant zu haben. In Gelsenkirchen wollte Völler erst einmal „ein tolles Jahr“ ausklingen lassen, auf dessen Höhepunkt die Deutschen den zweiten Platz bei der WM in Korea und Japan feiern konnten. Bobic sollte, wäre es nach Völlers ursprünglicher Intention gegangen, bis zum kommenden Jahr warten. „Dann werden die Karten neu gemischt“, sagte der Teamchef voraus. Manchmal aber mischt ein anderer für Völler, und so kommt der darüber anscheinend nicht unglückliche Boß der Nationalmannschaft schon in Gelsenkirchen nicht um Bobic herum. Der ehemalige Weltklassestürmer hatte für den derzeit besten deutschen Angreifer am Dienstag viel Lob übrig: „Fredi ist ein klassischer Knipser. Er lebt nach einer langen Durststrecke von dem sehr offensiven Fußball, den Rangnick in Hannover spielen läßt und der ein bißchen auf ihn zugeschnitten ist.“ Bringt Bobic seinen Elan aus dem nahen Niedersachsen mit ins Herz des Ruhrgebiets, müssen die Holländer wenigstens einen deutschen Angreifer an diesem Abend fürchten.“
Stefan Hermanns (Tsp 20.11.) beschreibt einen Imagewechsel. „Im Sommer – während und kurz nach der Weltmeisterschaft – war Deutschland noch Kahnland. Inzwischen ist Deutschland wieder Schröderland oder Bohlenland. Kahn, dem einst Göttlichen, sind von aufmerksamen Boulevardjournalisten längst allzu menschliche Verfehlungen nachgewiesen worden: missglückte Abschläge, unterlaufene Flanken und ausschweifende Diskothekenbesuche. Dieselben Zeitungen, die aus dem Bayern-Kahn den Deutschland-Kahn für das ganze Volk gemacht haben, haben aus dem Deutschland-Kahn jetzt wieder den Bayern-Kahn gemacht. Der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat nicht öffentlich darüber geredet, wie er den Umschwung in der Berichterstattung über seine Person empfunden hat. Er tut das auch an diesem Vormittag nicht, da er in der Stadthalle von Castrop-Rauxel, am Tag vor dem Länderspiel gegen Holland, zur Pressekonferenz erschienen ist. Auf den ersten Blick sitzt da der Deutschland-Kahn von der WM. Doch sein Blick schlendert ziellos durch den Saal. Seine Aussagen sind kurz bis belanglos, und wenn Journalisten ihm eine Frage stellen, schaut er in die andere Richtung, als wolle er seine volle Verachtung demonstrieren. Oliver Kahn, so scheint es, ist wieder bei sich angekommen.“
Zu den Veränderungen in Holland seit der verpassten WM-Qualifikation heißt es bei Christoph Biermann (SZ 20.11.). „Seither ist in Holland viel vom „nieuw realisme“ die Rede. Für einen solchen Realismus steht auch der neue Bondscoach Dick Advocaat, selbst wenn er das Amt bereits zum zweiten Mal übernommen hat. Der 55-Jährige sieht sich immer noch als Statthalter der Ideen von Ernst Happel und Rinus Michels. Happel war sein Coach beim FC Den Haag, unter Michels arbeitete Advocaat beim holländischen EM-Gewinn 1988, ein Foto des Lehrmeisters hängt noch heute in seinem Büro. „Ich bin kein Vielredner. Kurz und deutlich, so bin ich“, sagt Advocaat und liefert damit einen Gegenentwurf zu seinen Vorgängern Rijkaard und van Gaal. Advocaat hält Distanz zu seinen Spielern, er vermeidet große Worte und hat Erfolg. Fünf der sechs Spiele unter seiner Leitung hat die holländische Nationalmannschaft gewonnen und beeindruckte vor allem bei den 3:0-Siegen in der EM-Qualifikation gegen Weißrussland und in Österreich. „Bemerkenswert bei diesen Erfolgen war, auf welche realistische Weise sie zustande gekommen sind“, stellte das Algemeen Dagblad fest. Der neue Bondscoach setzt nämlich auf einen massiven Block im Mittelfeld und verzichtete zuletzt in Wien aufs typisch holländische Flügelspiel, vorne agierten nur noch zwei Spitzen. Vor allem aber profitiert er von einer neuen Haltung im Team. „Alle Nationalspieler wollen sich rehabilitieren“, hat Advocaat festgestellt.“
“Wo habt ihr eure Wohnwagen?” fragt Christian Eichler (FAZ 20.11.). “Begegnungen mit Holländern sind oft spöttische Spiele mit den Klischees, die man unter Nachbarn pflegt. Am schönsten sind die Vorurteile, die manchmal stimmen. Rafael van der Vaart, der aufregendste neue Spieler, den die Niederlande seit Jahren hervorgebracht haben, wird diesen Mittwoch zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein – seine Kindheit hat er in einem Wohnwagen verbracht. Seine Eltern leben immer noch in dem Caravan-Park in Heemskerk. Wie Johan Cruyff, der in einer Amsterdamer Trabantenstadt aufwuchs, stammt van der Vaart vom sozialen Rand der niederländischen Gesellschaft. Vieles spricht dafür, daß auch sein Weg ins Rampenlicht einer Weltkarriere führen wird. Schon vergleicht ihn mancher etwas voreilig mit Europas Fußballer des Jahrhunderts. Die Holländer hätten es gar nicht nötig, ihren 19 Jahre alten Hoffnungsträger zum Jung-Johan hochzujubeln. Das Team, mit dem sie in Gelsenkirchen antreten, wird nur so wimmeln von Weltklassespielern wie Kluivert, Davids, Seedorf, van Nistelrooy, den Brüdern de Boer. Doch neben seinen spielerischen Talenten – Schnelligkeit, Schußkraft, Dribbelkunst, Übersicht – begeistert der Jungstar von Ajax Amsterdam mit einer Siegesmentalität, die Oranje-Fans lange bei ihren Spitzenspielern vermißten. Van der Vaart, der kommende Anführer, soll die neue Richtung weisen. Der schmächtige, nur 1,74 Meter große Bursche gilt als einer ohne Allüren, als Mannschaftsspieler, als Kämpfer. Ihm geht die betonte Lässigkeit und Selbstverliebtheit eines Kluivert oder Seedorf ab. Van der Vaart sucht die klarste Lösung für eine Spielsituation – genau das Denken, das der zu eitlen Spielergeneration vor ihm manchmal gefehlt hat. Vielleicht ist das die Schule des Caravan-Parks, auf der er mit seinem Vater schon als Fünfjähriger mit dem Fußball auf leere Bierflaschen schoß.”
Interview mit einem Holland-Fan aus Thüringen SZ
Interview mit Paul Freier Tsp
Stefan Hermanns (Tsp 19.11.) erläutert die Personalpolitik des Temchefs. „Seitdem Völler vor zwei Jahren das Amt übernommen hat, geht er auf diesem Weg – und seitdem hat er damit beim großen Publikum schon häufiger Verwunderung ausgelöst: Warum hat Völler nach der verkorksten EM 2000 nicht einen Neuanfang mit unbelastetem Personal gewagt? Warum hat er Carsten Jancker mit zur WM genommen, und nicht Martin Max, den Torschützenkönig der Bundesliga? Wieso hat er für das Spiel gegen Holland nicht Fredi Bobic nominiert, sondern – wieder – Jancker, der am Wochenende zum ersten Mal seit 18 Monaten ein Tor erzielt hat? Völler ist wegen all seiner Entscheidungen eine Anhänglichkeit nachgesagt worden, die schon fast an Selbstaufgabe grenzt. Dabei steckt weit mehr hinter seiner Personalpolitik: System nämlich. Es ist eine romantische Vorstellung des gemeinen Fußballfans, dass die Nationalmannschaft die besten Fußballer eines Landes zu vereinen habe. Fußballtrainern aber steht nur selten der Sinn nach Romantik. Für Völler geht es um eine Grundsatzfrage: Soll die Nationalmannschaft die Elf der Besten sein oder die beste Elf? Wäre sie die Elf der Besten, dann müsste gegen Holland Fredi Bobic spielen, der in neun Bundesligaspielen acht Tore geschossen hat. Das Problem aber ist, dass beim nächsten Länderspiel vielleicht schon Markus Schroth zur Nationalmannschaft gehören müsste oder Benjamin Lauth oder Kevin Kuranyi, je nachdem, wer gerade in den Wochen vor der Nominierung die meisten Tore geschossen hat. Das Seltsame ist, dass Völler eigentlich nie Trainer einer Vereinsmannschaft werden wollte, dass er aber jetzt als Bundestrainer versucht, die Nationalmannschaft wie eine Vereinsmannschaft zu führen. Dazu gehört eine gewisse personelle Kontinuität, die nicht von kurzzeitigen Formschwankungen abhängt.“
Ludger Schulze (SZ19.11.) schreibt. „Deutschland steckt nach Renten-, Haushalts- und Arbeitslosenkrise gleich im nächsten Dilemma. Zu allem Übel nämlich hat eine Stürmerkrise das zerzauste Land ergriffen. Wo sind sie, die großen Torjäger nach Uwe Seeler und Gerd Müller, Rudi Völler und Jürgen Klinsmann? Wenn die Krise eines sinnfälligen Ausdrucks noch bedurfte hätte, dann wäre jener Kopfball schlagender Beweis gewesen, mit dem Miroslav Klose soeben das Publikum begeisterte. Bedauerlicher Weise war es das falsche (…) ein statistisch betrachtet, könnte man unter diesen Umständen das Tor, das Carsten Jancker am Sonntag für Udine (2:1 gegen Chievo) erzielte, als Lichtblick betrachten. Janckers Kreditlinie beim Zuschauer hingegen ist weit überzogen, und es braucht wenig Phantasie, um die Pfiffe vorauszuahnen, mit denen ihn das Gelsenkirchener Publikum am Mittwoch vor dem Länderspiel gegen die Niederlande begrüßen wird. Fredi Bobic (acht Saisontore für Hannover 96) freilich darf sich keine übertriebenen Hoffnungen machen, ihm mangelt es mit 31 Jahren an der so genannten Perspektive, selbst wenn er nicht zu Unrecht darauf verweist, dass die DFB-Auswahl am aktuellen Erfolg gemessen wird. Vorfahrt auf der Teststrecke werden wohl junge Hüpfer bekommen wie Kevin Kuranyi (VfB Stuttgart) oder Benjamin Lauth (1860). Einen Aufprall auf die niederländischen Abwehrfelsen Jaap Stam oder Frank de Boer hat ihnen Völlers fürs Erste erspart – in einem solchen Leistungsklima könnten sie sich einen dauerhaften Karriereschaden zuziehen.“
Jan Christian Müller (FR 15.11.) begrüßt die Personalauswahl Rudi Völlers. „Es ist ein Treffen der Vergangenheit. Die Zukunft soll erst im nächsten Jahr beginnen, weshalb Völler den Leistungsgedanken in diesem trüben Monat November ganz bewusst hinter den Teamgedanken gestellt hat. Altmeister Fredi Bobic hätte sich – wie auch die jungen Benjamin Lauth und Kevin Kuranyi – an diesem Abend in diesem Kreis ohnehin unwohl fühlen müssen, hat der zuletzt so treffsichere Stürmer doch schon seit fast fünf Jahren kein Länderspiel mehr bestritten. Letztlich tat Völler aber auch ohne Verweis auf das Veteranentreff am Sonntagabend gut daran, seinen konservativen Grundsätzen treu zu bleiben. Kuranyi, Bobic und Lauth gehörten zu Saisonbeginn nicht einmal zur erwarteten ersten Elf ihrer Klubmannschaften. Der 20 Jahre alte Kuranyi hatte bis dahin ganze fünf Punktspiele bestritten und ein Tor erzielt, der ein Jahr ältere Lauth war erst ein einziges Mal aufgeboten worden. Ihrer Entwicklung tut es keinen Abbruch, gegen eine niederländische Weltauswahl nicht eine ähnliche Schmach zu erleben wie einst Debütant Zoltan Sebescen unter Erich Ribbeck, der seinerzeit von den Holländern regelrecht schwindelig gespielt wurde. Lauth und Kuranyi haben in der Kürze der Zeit auch ohne Nominierung für die Nationalmannschaft einen steilen Aufstieg erlebt, der auch psychisch erst einmal verarbeitet sein will. Und Bobic? Ein begabter Bundesligaprofi, aber mittel- und langfristig keine Hilfe für einen Vize-Weltmeister.”
Roland Zorn (FAZ 19.11.) erstellt ein Formbarometer des deutschen Sturms. „Jancker schoß ein Tor, Miroslav Klose auch. Leider ins eigene Netz. Der Kaiserslauterer muß mit seiner Mannschaft am Tabellenende der Bundesliga derzeit einiges durchmachen. Das 3:5 vom Sonntag in Bremen war auch für ihn ein hammerharter Rückschlag nach einer 3:1-Führung der Pfälzer. Völler aber vertraut Klose weiter, wenngleich auch ihm nicht entgangen ist, daß der Miro im Moment zuviel will: Tore erzielen, den Gegner unter Druck setzen, hinten mit aushelfen und neunzig Minuten unterwegs sein. Er opfert sich total auf. Und verliert damit seine Stärken aus den Augen: die Kopfballqualität, das Geschick im Zweikampfverhalten und den Instinkt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Als Abstiegskämpfer verzettelt sich Klose. Noch schlimmer scheint der Leverkusener Oliver Neuville derzeit dran. Der gewitzte WM-Stürmer ist derzeit bei Bayer Leverkusen nicht einmal schemenhaft wiederzuerkennen. Holland in Not? Wenn, dann bestimmt nicht wegen der deutschen Angriffswucht.“
„Im holländischen Fußball geht es um höhere Ziele als das Gewinnen“, lesen wir von Christoph Biermann (Die Zeit 14.11.). „Dem holländischen Fußball liegt ein ästhetisches Konzept zugrunde.“ Über Fußball werde in Holland anders gedacht. Während hierzulande nur das Gewinnen zähle, verfolge Holland höhere Ziele: Fußball ist Kunst. Es bringe „eine imaginäre B-Note für Schönheit“ ins Spiel, die im Fußball eigentlich nicht zählt. Mit dem verlorenen Weltmeisterschaftsfinale 1974 in München haben die Holländer „die Krönung einer Epoche verpasst“. Doch Johann Cruyff, Hollands größter Spieler aller Zeiten, sagt noch heute, dass ihm der Titel nicht so wichtig sei, „weil er immer wieder Menschen treffen würde, die ihm für den schönsten Fußball danken, den sie damals gespielt haben“. Und Dennis Bergkamp, ehemaliger Nationalstürmer, der noch keinen internationalen Titel gewonnen hat, sagt: „Ich bin nicht daran interessiert, hässliche Tore zu schießen.“ Kein Wunder also, dass die holländische Nationalmannschaft bei großen Turnieren mehrfach im Elfmeterschießen ausgeschieden ist, „als ob ihr diese reduzierte Form zur Findung eines Sieges zuwider wäre“. Für Holland sei es wichtiger, schön zu spielen als zu gewinnen – auch wenn mit dieser Philosophie eher Niederlagen erzielt werden. Am Mittwoch geht es also um mehr als um das blanke Ergebnis. „So geht es bei jedem Match zwischen Deutschland und Holland eigentlich um die Frage, wie Fußball zu sein hat.“
Interview mit Rinus Michels, ehemaliger Bondscoach, über „unentbehrliche Fußballtugenden“ FAS
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Edelboutiquenkicker wieder in der Wirklichkeit angekommen
Die erste Runde der europäischen Königsklasse hat den dieses Jahr bisher verwöhnten deutschen Fußballanhänger ernüchtern müssen. Alle drei gestarteten Mannschaften trafen auf überlegene Teams und verloren bekamen den Tarif bekannt gegeben. Dementsprechend spricht die FAZ von einem „Kurssturz“ hiesiger Fußballaktien. Insbesondere das 2:6-Debakel des letztjährigen Vorzeigeklubs Leverkusen in Piräus gibt den Experten Anlass zu Sorge. „Es war eine epische Niederlage, in die sich der Vorjahresfinalist fügte“, schreibt die FR, während die FAZ geschockt das „komplette Versagen der Bayer-Elf ohne erkennbares System“ feststellen musste.
Dahingegen war die 0:2-Niederlage des Deutschen Meisters beim englischen Pendant offenbar einkalkuliert gewesen. „Den kunstvollen Laufwegen von Arsenal London“, fasst die SZ das Geschehen in Highbury nachsichtig zusammen, „ist Borussia Dortmund noch nicht gewachsen.“ Die FR sah ebenso ein ungleiches Duell zwischen „Avantgarde-Künstlern und Bäckerbuben“, während die FAZ spottend klarstellt: „Arsenal kämpft darum, das beste Team Europas zu werden. Borussia muss erst einmal wieder das beste im Ruhrgebiet werden.“
Die erste Heimniederlage der Bayern seit fünf Jahren (damals 0:1 gegen IFK Göteborg) hat Beteiligte und Beobachter erkennen lassen, dass das seit Wochen angestimmte Hohelied auf das „weiße Ballett“ verfrüht war. Ob das 2:3 gegen La Coruña tatsächlich nur auf mangelnde Konzentration und Einstellung zurückzuführen ist, wie die Verantwortlichen nach dem Spiel unisono behaupteten? Der galizische Gegner zeigte sich nämlich an diesem Abend vor allem taktisch und spielerisch deutlich überlegen.
Der große Sieger des ersten Spieltags war die Primera Division. Neben Deportivo überzeugten die Königlichen aus Madrid beim eleganten 3:0 bei der AS Roma, während der Spanische Meister FC Valencia dem ambitionierten Team aus Liverpool keine Chance ließ (2:0). Die NZZ ist angetan: „vom Schönsten, was man auf europäischen Feldern schon seit langem zu sehen bekam.“ Insgesamt „zeigte die Champions League schon an ihrem ersten Spieltag die spielerische Überlegenheit gegenüber der Weltmeisterschaft, wo Vergleichbares in fünf Wochen nicht zu sehen war. Es war, als wollten sie sofort zu Beginn der Spielzeit auf der europäischen Bühne zeigen, wie sehr die Feinabstimmung von Europas besten Klubteams die der weltbesten Nationalteams übertrifft.“ Kein Gütezertifikat für den deutschen Fußball. Schließlich revidiert dieses Urteil der FAZ die Bedeutung des Vizeweltmeistertitels. Andererseits bleiben den deutschen Vertretern fünf Spieltage Zeit, um den schlechten Eindruck dieser Woche zu korrigieren bzw. den hervorragenden in Fernost erworbenen zu bestätigen.
Christoph Biermann (SZ 20.9.) fasst den Auftritt der deutschen Champions-League-Teilnehmer zusammen, indem er diesen mit der jüngsten Vergangenheit deutscher Fußballherrlichkeit vergleicht. „Weil sich im Fußball die Epochen so schnell ablösen, als seien die Uhren gedopt, ist nun schon wieder alles ganz anders. Bekanntlich gelang in Fernost der Sprung von Rudis Resterampe zu den Sternen. In der Nationalmannschaft zu spielen, war für die Kicker auf einmal so erbaulich, wie in einem barocken Kirchlein zu verweilen, während in dieser Woche die Kathedralen des Vereinsfußballs auf einmal komplett eingerissen wurden. Borussia Dortmund trafen die Bagger nicht unerwartet, den FC Bayern zum ersten Mal seit fünf Jahren im eigenen Stadion schon, während Bayer Leverkusen von der Abrissbirne am heftigsten getroffen wurde.“
Bayern München – Deportivo La Coruña 2:3
Roland Zorn (FAZ 20.9.) über bayerische Erkenntnisse. „Schmerz, lass nach, dem deutschen Fußballrekordmeister ist zu Beginn der neuen Champions-League-Runde ein Zahn gezogen worden: nämlich die Einbildung, jeden Gegner jederzeit austanzen zu können. Das Sommernachtstraumgerede vom „weißen Ballett“ erwies sich vis à vis dem ersten veritablen Gegner in dieser Spielzeit als Vorspiegelung falscher Tatsachen. Dummerweise schienen die Münchner Profis zum Auftakt der schweren Begegnungen in der Gruppe G daran geglaubt zu haben, auch ihre internationalen Widersacher wie daheim in der Bundesliga Aufsteiger Bielefeld oder Abstiegskandidat Nürnberg en passant beherrschen zu können. Ein fataler Irrtum, den die Galizier, allen voran ihr dreifacher holländischer Torschütze Makaay , weidlich ausnutzten. Zwanzig Minuten Münchner Gegenwehr und waren letztlich zuwenig, um die erste Heimniederlage in der Champions League seit 1997 – damals setzte es ein 0:1 gegen IFK Göteborg – noch zu verhindern (…) Ausgerechnet die Münchner, an Champions-League-Erfahrung so schnell von niemand zu übertreffen, meldeten sich in diesem anspruchsvollsten europäischen Vereinswettbewerb so zurück, als hätten sie die Konkurrenz mit einem Einladungsturnier in der Saisonvorbereitung verwechselt. Gegen Deportivo La Coruña sind die Edelboutiquenkicker aus ihrer Selbstbespiegelung herausgerissen und in die Fußball-Wirklichkeit zurückgestoßen worden.“
Martin Hägele (NZZ 19.9.) sah einen verdienten Verlierer. „Der Artisten-Fußball, mit dem das Münchner Star-Ensemble erst die Bundesliga und dann den Kontinent aufmischen möchte, ist nur noch ein künstliches Luftgebilde (…) Der stolze Leader der Bundesliga trat so selbstgefällig auf, wie er das aus dem nationalen Sportbetrieb gewohnt ist – und es sich dort auch oft genug leisten kann: zu wenig Tempo, zu wenig Bewegung, zu wenig Präzision.“
Philipp Selldorf (SZ 20.9.) ebenso. „Tatsächlich hatte der FC Bayern beim 2:3 gegen Deportivo La Coruña ein dermaßen mieses Bild abgegeben, dass augenblicklich alle Anzeichen der guten Laune unter Verbot gestellt wurden, weshalb dann auch der Fototermin mit Neuerwerbung Zé Roberto bei der Lederhosenanprobe ausfiel. „Lederhosenpanik“, höhnten die Beobachter (…) Der erste Auftritt im Europacup offenbarte tatsächlich eine Spielart der neuen Bayern, die noch keiner kannte. Franz Beckenbauer, der tags zuvor noch erklärt hatte, er würde Michael Ballack nicht mal gegen Zinedine Zidane tauschen wollen, sah sein großes Lob schlecht belohnt. Ballack bildete in einer Elf, die laut Beckenbauer „nachlässig und arrogant“ aufspielte, keine Ausnahme.“
„Dank der Weisheit von Valerón und der unendlichen Liebe zum Tor von Makaay“, schreibt die spanische Tageszeitung El País (19.9.), siegt Deportivo an einem offenbar geschichtsträchtigen Ort. „Im eigenen Haus des Kaisers, wo das holländische Dream Team von Cruyff niedergeschlagen wurde und wo der spanische Fußball eine Reihe von Erniedrigungen erleben musste, schrieb Depor ein unvergessliches Kapitel des europäischen Fußballs. Niemals hatte eine spanische Mannschaft im Olympiastadion gewonnen, bis sich eine noch vor kurzem als Debütant geltende Mannschaft entschied, den Mythos des Bayern zu zerstören. Eine Mannschaft ohne glorreiche Vorgeschichte, aber mit einer jugendlichen Frechheit und Ambition, trat – dezimiert durch eine Verletzungsmisere – auf einen Gegner, der bis jetzt in der Bundesliga alles überrollt hatte.“
Olympiakos Piräus – Bayer Leverkusen 6:2
Michael Horeni (FAZ 20.9.) ist von Leverkusens Darbietung geschockt. „Nach dem ersten internationalen Auftritt von Bayer Leverkusen in der neuen Saison ist vom weltmeisterlichen Glanz nichts mehr übriggeblieben. Auch das WM-Quartett konnte in einer vollkommen überforderten Mannschaft den schwersten Rückschlag des Werksklubs in der Champions League weder verhindern noch eindämmen. Eine Niederlage bei Olympiakos Piräus galt zwar beim Champions-League-Finalisten keineswegs als ausgeschlossen, ein 2:6-Debakel verändert aber die Geschäftsgrundlage. Bayer ist am schwarzen Mittwoch auf einem Tiefpunkt angelangt, der vorläufig zu nennen wohl angebracht ist. Die Erfolge des Vorjahres, Zweiter in Europa, Deutschland und im DFB-Pokal, wirken nun eher wie Belastungen angesichts einer Krise, die so einfach nicht zu beenden sein dürfte.“
Erik Eggers (Tsp 20.9.) verfasst einen Nachruf. „Das große Team Bayer Leverkusen, das vergangene Saison die Herzen vieler europäischer Fußballfans eroberte, weil sein Offensivfußball eine neue Stilprägung versprach, eben das Antikonzept zu den effektiven Maurern aus Mailand, Madrid und München – dieses große Team, es ist nicht mehr.“
Spielbericht FAZ
Die SZ (20.9.) zitiert. „Nach dem 2:6-Debakel bei Olympiakos Piräus war nur noch die Frage offen, wie wenig Leben in der Mannschaft von Bayer Leverkusen sei. Keines mehr, fand die griechische Sport- Tageszeitung Derby und stellte die derb sarkastische Behauptung auf: „Olympiakos treibt Unzucht an der Leiche von Leverkusen.““
Torsten Haselbauer (FAZ 18.9.) porträtiert den Leverkusener Gegner. „Olympiakos Piräus ist so etwas wie der FC Schalke 04 und Bayern München zusammen. Der Verein wurde 1925 von Hafenarbeitern und Flüchtlingen aus Kleinasien gegründet und war in den dreißiger Jahren mit sechs Meistertiteln sehr erfolgreich. Noch aus dieser Zeit der lokalen Verwurzelung im Hafenmilieu stammt der Ruf einer „roten Mannschaft“, was sich nicht nur auf die Trikotfarben bezieht, sondern auch auf die politische Ausrichtung des Gesamtvereins. Die Klubführung in Piräus vermag dieses „linke“ Image trendgerecht zu vermarkten. Seit den neunziger Jahren ist Olympiakos jedoch ebenso zu einem Team der Sozialaufsteiger in der griechischen Hauptstadt geworden (…) Olympiakos beschäftigt Marketing- und Merchandisingexperten und besitzt einen eigenen Fernsehsender. Der Gang an die Börse wird vorbereitet. Siebzig Angestellte verdienen ihr Geld beim modernsten und beliebtesten Sportverein Griechenlands.“
Von Andreas Morbach (FR 18.9.) erfahren wir von einem vermeintlichen Schiedsrichterskandal. „Wenn Karlheinz Pflipsen, vor einem Jahr von Panathinaikos Athen zu Alemannia Aachen gewechselt, an seine zwei Jahre in der ersten griechischen Liga denkt, kommt ihm manch seltsame Schiedsrichterentscheidung in den Sinn. Wobei am seltsamsten war: Immer fielen sie zu Gunsten des Rivalen Olympiakos aus. Der 31-Jährige bekam bei seinem fußballerischen Intermezzo im Südosten Europas sehr wohl spitz, dass Piräus nicht allein aus eigener Kraft zu elf Meistertiteln – zuletzt sechs in Folge – seit Einführung der Profiliga vor 23 Jahren gekommen ist. Ein Elfmeterpfiff hier, ein nicht gegebenes Tor dort – auf Hellas ist die kontinuierliche Benachteiligung der Olympiakos-Konkurrenz, allen voran von Panathinaikos und AEK Athen, ein offenes Geheimnis.”
Arsenal London – Borussia Dortmund 2:0
Europäischen Wettbewerben diagnostiziert Christian Eichler (FAZ 19.9.) eine inflationäre Bedeutung. „Europapokal, erster Spieltag, das war einmal das Signal, dass der Sommer vorbei war, dass man aber zum Ausgleich über das Rauschen des Radios, das Flimmern des Fernsehers besondere Emotionen serviert bekäme – den aufregenden Fußballvergleich verschiedener Ligen, Länder, Kulturen. Champions League, erster Spieltag, das ist nur noch ein Pflichttermin im vollen Kalender, Zusatzgeschäft, Alltag, eine leicht lästige Dienstreise. Genauso hat Borussia Dortmund am Dienstag in London auch gespielt: nichts riskiert, nichts gewonnen, nicht mehr verloren als nötig. Eine Übung in Schadensbegrenzung. So hat der deutsche Meister in der Champions League nur kleine Brötchen gebacken. Man fabrizierte eine Niederlage ohne Nebenwirkungen, ein Rückzugsgefecht ohne Kollateralschäden (…) Doch Sammers Klagen hielt sich in Grenzen. Niemand hatte sich blamiert, nichts von dem noch dünnen Selbstvertrauen der neuen Saison war aufs Spiel gesetzt worden. Motto: das Glück nicht gerade erzwungen, aber auch kein Unglück riskiert. Kein Abend, um irgend etwas anzuprangern (…) Arsène Wenger, dem Trainer von Arsenal, ist das Brot längst nicht mehr genug – seit der Elsässer in England wirkt, ziert französische Patisserie die Londoner Fußballkost. Das Publikum in Highbury ist längst an höchste Kombinationskunst gewöhnt, wie sie Arsenal vor dem 2:0 bot. Nach einer Ecke von Dortmund brauchte es nur 13 Sekunden und sieben Ballberührungen von vier Spielern, bis der Ball im Dortmunder Netz lag.“
Raphael Honigstein (SZ 19.9.) sah einen verdienten Sieger. „Ohne wichtige Kräfte wie Amoroso, Ricken, Rosicky und Wörns war Borussia Dortmund am Dienstag kein Team, das den zur Zeit brillant aufspielenden Gunners auf Augenhöhe begegnen konnte. Um den eklatanten Unterschied einigermaßen auszugleichen, hatte die Mannschaft von Trainer Matthias Sammer tapfer die deutschen Tugenden in die Waagschale geworfen, aber schnell gemerkt, dass diese gegen traumhaft sicheren Kombinationsfußball kaum ins Gewicht fallen. Während den einen ein kreatives Hirn fehlte, das die redlichen Bemühungen in produktive Bahnen lenken konnte, schienen sich die anderen für schnöde Grundbedürfnisse des Fußballs wie Einsatz oder Zweikampfstärke gar nicht groß zu interessieren; die Londoner denken nämlich längst in ganz anderen Kategorien.“
Spielberichte von den Uefa-Cup-Spielen
Gomel-Schalke FR
Stuttgart-Ventspils FR
Donezk-Bremen FR
AS Roma – Real Madrid 0:3
Bei einer 1:0-Führung bei der AS Roma begleitete Birgit Schönau (SZ 19.9.) Real Madrid in die Pause. „Es blieb noch eine ganze Halbzeit, um die Demontage des italienischen Vizemeisters komplett zu machen. Und die Mannschaft aus Madrid vollzog sie ebenso genüsslich wie gnadenlos. Lässig und nahezu traumwandlerisch sicher spielten die Spanier mit dem völlig kopflosen AS Rom Katz und Maus, vollführten im Überschwang ein paar Dribblings ohne Sinn und Ziel – und machten noch zwei Tore. Es erschien alles so mühelos, klar und selbstverständlich, dass sie gegenüber der gedemütigten Roma generös auf großen Torjubel verzichteten und die italienischen Tifosi staunten.“
FC Valencia – FC Liverpool 2:0
Zum 2:0-Sieg Valencias über den FC Liverpool liest man bei Felix Reidhaar (NZZ 18.9.). „Es war mithin erstaunlich, wie stark die einfallslosen Briten um das Geschick des Handelns gebracht wurden. Vor allem die Abwehr wusste sich oft nicht zu helfen, wurde häufig mit Leichtigkeit ausgespielt, aber auch im statischen Aufbau fehlten Bewegung und Tempovariationen. Die Valencianos waren von ganz anderem Schrot. Auf direkte Zuspiele und Beschleunigung der Vorstöße statt auf Abwarten bedacht, zeigten sie, wer Herr im Hause ist. Mit dem wunderschönen Führungstor nach 20 Minuten veranschaulichten sie ihre Klasse im Kombinationsspiel (…) Der Manager des FC Liverpool wäre nicht Franzose, hätte er die vergangene Saison geäußerte Kritik am Safety-first und an der eindimensionalen Spielweise seines Teams nicht als Herausforderung angenommen. Ihm schwebt seit je eine bessere Mischung aus Wirksamkeit des mannschaftlichen Konzepts und offensiver Unterhaltung vor, und seit Saisonbeginn bieten sich ihm zur Revision der Angriffs-Philosophie auch mehr Optionen. Von diesem Savoir-faire war in der ersten Phase der Premiership ansatzweise schon zu sehen. Je drei Siege und Remis sowie 13 Tore im ersten halben Dutzend Meisterschaftspartien verraten einen Trend zu mehr Sturmkraft“
Über die Verlierer heißt es bei Felix Reidhaar (NZZ 19.9.). „Die Reds, in den siebziger und frühen achtziger Jahren europaweit bekannt für ihren Angriffsstil und viermal Meistercup-Sieger, blieben erneut matt statt feurig. Offensivvarianten, im eigenen Land schon höflich applaudiert, waren nicht einmal ansatzweise erkennbar. Die Ursache hierfür bildete ein spanischer Meister, der auch dann noch die Autorität auf dem Feld blieb, als die Briten nach dem Seitenwechsel ein bisschen mehr Initiative ergriffen. Auch dies allerdings wenig inspiriert, wenig durchdacht und zudem verblüffend fehlerhaft. Man mag sich nur schwer an eine Spitzenmannschaft der Premier League erinnern, die so harmlos auf fremdem Terrain auftrat, wo sich doch Briten kaum beeinflussen oder ablenken lassen von gänzlich anderen, südländisch inspirierten Spielarten oder lauten Kulissen.“
FC Basel – Spartak Moskau 2:0
Peter B. Birrer (NZZ 18.9.) berichtet von einem „Höhepunkt Schweizer Fußballs“, dem 2:0-Heimsieg des Schweizer Meisters über Spartak Moskau. „Letztlich gab es nur einen Kritikpunkt: Der FC Basel hätte den Auftakt in der berühmten Champions League gegen Spartak Moskau viel früher zu seinen Gunsten entscheiden müssen (…) Der FC Basel ging und geht weiter seinen Weg, fügt seinem Märchen ein Kapitel nach dem anderen bei und scheint durch nichts und niemanden zu stoppen zu sein. Was bringt die nächste Bewährungsprobe in dieser Champions League, das Auswärtsspiel von nächster Woche an der Anfield Road von Liverpool? Es ist nichts mehr auszuschließen.“
Spielbericht SZ
Weiteres
Ein Spielbericht (FAZ 20.9.) über den 2:0-Sieg des FSV Mainz gegen Tabellenführer Eintracht Trier. „Nach zwei Siegen zum Auftakt der zweiten Liga gingen drei Partien am Stück verloren, darunter das Pokalspiel beim Regionalligaverein Unterhaching, und selbst die Heimaufgabe gegen den Tabellenletzten Reutlingen erwies sich als unlösbar. Da kam die Partie am Mittwoch Abend gegen den rheinland-pfälzischen Nachbarn und überraschenden Tabellenführer Eintracht Trier gerade recht. Fast 11.000 Zuschauer waren auf die Baustelle ins Bruchwegstadion gekommen, und mit dem Mut zur Emotion hat man sich gemeinsam zu einem 2:0 gekämpft. Es war kein Abend mit filigranem Fußball, aber es war ein Spiel mit dampfendem Temperament, schnell, mit hohem Risiko auf beiden Seiten. Die Zuschauer waren begeistert.“
Zum DFB-Förderkonzept heißt es bei Martin Hägele (SZ18.9.). „Es ist kein billiges Raster, in das der DFB da für die Stars von morgen investiert. Mit gut zehn Millionen Euro per annum steht das Talentförderprogramm in den nächsten Bilanzen, so lange jedenfalls wie der Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder heißt. Dies ist sein Beitrag zum Wohl des deutschen Fußballs, die Idee ist ihm nach der nationalen Blamage bei der EM in Holland und Belgien gekommen. Im Pressedienst des DFB erklärt der 69-Jährige die Umsetzung des Projektes zur „Chefsache“, und jedermann kann sehen, dass dies wirklich „MVs Baby“ ist. Ob in Gütersloh, im schwäbischen Ebersbach oder in Wendelstein, nur ein paar Kilometer weg vom Gelände des 1. FC Nürnberg weiht MV Zentren ein oder macht Antrittsbesuche. Stolz wie ein Opa, der den Enkel im Wagen chauffiert (…) Kein Zweifel, der schwäbische Multifunktionär und emeritierte Politiker, der in ehrbaren Sportlerkreisen schon lange als nicht mehr vorzeigbar gilt, hat nun ein Mittelchen entdeckt, das all seine Image-Flecken verdecken soll. Gerade an der Basis, bei den Amateuren, dort, wo an den Theken und in den Kabinen der Klubheime die Stimmung gemacht wird, gibt es spontanen Beifall, wenn auf einmal den eigenen Kindern rosige Zeiten prophezeit werden. Kein anderer Sportverband hat sich jemals in solch einer Höhe für seinen Nachwuchs engagiert wie Mayer-Vorfelder und dessen Präsidiumskollegen.“
Neue Situation für Trainer Rangnick in Hannover SZ
„So genannte „Expressentführungen“ und sonstige kriminelle Übergriffe auf Fußballspieler und deren Familienangehörige sind mittlerweile Alltag im wirtschaftlich gebeutelten Argentinien“ erfahren wir von Jörg Wolfrum (FAZ 19.9.). „Prominentester Entführungsfall war im April das Kidnapping des 17 Jahre alten Cristian Riquelme, Bruder des von den Boca Juniors Buenos Aires zum FC Barcelona gewechselten Spielmachers Juan Román Riquelme. Erst nachdem dieser 160.000 Dollar unter einer Autobahnbrücke deponiert hatte, kam der entführte Bruder nach zwei Tagen wieder frei. Seinen folgenden Wechsel nach Spanien begründete Riquelme vor allem mit dem Wunsch, fortan „ohne Angst“ leben zu wollen. Denn der Großraum Buenos Aires wird in diesen Monaten von einer Welle der Gewalt bisher unbekannten Ausmaßes überrollt. Pro Tag sieben Morde lautet die Bilanz für das laufende Jahr (…) Um potenziellen Übergriffen zu entgehen, wechseln Fußballspieler heute wie einst Unternehmer und Politiker während der Militärdiktatur immer öfter die Route zwischen Trainingsplatz und Wohnung.“
Die FAZ (18.9.) vermeldet. „Nach 48 Jahren nimmt die afghanische Fußball-Nationalmannschaft wieder an den Asienspielen teil. Die letzten offiziellen Länderspiele der Afghanen wurden 1984 ausgetragen.“
Philipp Selldorf (SZ 18.9.) schlägt vor. „Während die Politiker die Nähe zum Fußball suchen, nähert sich erstaunlicherweise selten ein Fußballer der Politik. Dabei versorgen viele Funktionäre ihre Ämter auf eine Art, die sie für hohe politische Ämter qualifiziert. Südkoreas Verbandsboss Chung Mong-Joon, ein Machtpolitiker erster Güte, hat gerade seine Kandidatur als Staatspräsident bekannt gegeben. Und wäre der listige Weltfußballpräsident Joseph Blatter nicht auch ein idealer Weltmachtpräsident? Oder Rudi Völler ein Bundespräsident aller, wirklich aller Deutschen? Der Weltmann Franz Beckenbauer nicht der perfekte Außenminister?“
Friedhard Teuffel (FAZ 20.9.) berichtet von den politischen Karrieren ehemaliger Sportler.
Die Zeit(19.9.) stellt ein Deutschbuch für die ausländischen Fußballer von Bayer Leverkusen vor. Denn bei den bestehenden Lehrbüchern für Deutsch lachen sich die Spieler kaputt. Wenn der Lucio im Lehrbuch das Bild einer Waschmaschine sieht, dann kommt der nicht mehr in den Unterricht. Aber erst, wenn “ein Spieler im Alltag sprachlich zurechtkommt, fühlt er sich wohl. Wenn dann noch seine Frau Deutsch kann, fühlt sie sich wohl, und dem Spieler geht es auch besser. Er ist besser integriert. Er hat mehr Kontakt. Er spielt besser. Gerade südamerikanische Fußballer stoßen in Deutschland auf besondere Hindernisse. In Südamerika gibt es keine Selbstbedienungstankstellen. Als Diego Placente ein paar Tage hier war, kam ein Anruf von seiner Freundin. Die stand vor einer Tankstelle, und nichts passierte. Die war mit den Nerven völlig fertig. Es ist ein Buch für Fußballer, eingeteilt in 17 Kapitel für die 17 Heimspiele der Bundesligasaison. Im ersten Abschnitt geht es um die Begrüßung der Mannschaftskameraden in der Kabine. Deutschland wird über die Städte vorgestellt werden, die nächste Saison in der Bundesliga spielen, und höhere Zahlen werden über die Abschlusstabelle der vergangenen Saison veranschaulicht. Und Hausaufgaben? Machen die Spieler nicht. Definitiv.”
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Geldsorgen bei den Organisatoren der WM 2006 – Sebastian Kehl, (über)ehrgeiziger „Mitläufer“
Peinlich, wie der Fußball das Problem angeht
Thomas Kistner (SZ 29.10.) bemerkt zu den Geldsorgen der WM-Organisatoren: „Dass die Fußball-WM in finanzielle Schräglage gerät, erstaunt. Die Geldquelle für das sportlich-kulturelle WM-Rahmenprogramm, die staatliche Oddset-Wette, ist versiegt, die eingeplanten Millionensummen müssen anders aufgetrieben werden. Gut ist das nicht, weil ja besagtes Rahmenprogramm Deutschlands Visitenkarte abgeben soll – kein Ereignis rückt ein Land mehr in den Fokus der Weltöffentlichkeit als eine Fußball-WM. Sollte also das Begleitprogramm mangels Masse auf Luftballons, Würstlbuden und Sackhüpfen zusammenschnurren, wäre das nicht nur recht blamabel, sondern folgenreich. Peinlich, wie der Fußball das Problem angeht. Die Umsatzeinbußen der Oddset-Wetten sind offenkundig auch einer in Grauzonen operierenden privaten Wettkonkurrenz anzulasten – mit der die Profiklubs zugleich dicke Geschäfte machen. Weil aber der Fußball das nicht ändern will, soll die staatliche Einrichtung Oddset etwas stärker ausgepresst (und die Umsatz-Bemessungsgrundlage von 513 auf 400 Millionen Euro runtergedrückt) werden. Jeder soll bluten, Hauptsache, der Fußball muss nicht ans Tafelsilber. Das passt nicht in die Zeit. Die Forderung der Politiker, auch der Fußball solle etwas für Oddset und die WM-Kassen tun, weist den Weg. Angefangen bei OK-Chef Beckenbauer, deutscher Werbemillionär mit Steuersitz in Österreich, verfügt die Branche ja über ein Riesenpotential an Nationalhelden, die ihre Strahlkraft für die WM einbringen können – gerade in der Werbung. Nur, dass die Millionen dafür mal nicht aufs Privatkonto fließen, sondern als Abgabe an die Solidargemeinschaft verbucht werden müssten.“
Klaus Ott (SZ 29.10.) recherchiert den Hintergrund: „Ein netter Brief an den Staat mit der „herzlichen Bitte“ um Hilfe, und schon ist die Weltmeisterschaft gerettet. Das mag sich Gerhard Mayer-Vorfelder gedacht haben, als er den Regierungschefs der 16 Bundesländer ein wichtiges Schreiben schickte. Große Teile des WM-Rahmenprogramms sind gefährdet, weil die staatliche Sportwette Oddset wegen drastischer Umsatzrückgänge als Geldquelle versiegt ist. Nun sollen die Länder dafür sorgen, dass ihre Lotto- und Totogesellschaften trotzdem bis zu 50 Millionen Euro an den DFB und das Organisationskomitee (OK) überweisen. Sonst kann sich Deutschland nicht als perfekter Gastgeber präsentieren; mit WM-Tagen in Schulen und Vereinen, Familien-Sporttreffs und mehr. Die Länder sind indes zunehmend irritiert über das Begehr von Mayer-Vorfelder und OK-Chef Franz Beckenbauer. Bayerns CSU-Regierung verweist auf die Bundesliga und deren Profiklubs, die lieber mit privaten Sportwetten kooperieren, zum Schaden von Oddset und der WM – erst einmal sei die Liga gefordert. Nun gerät auch der DFB unter Druck. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff klagt, es mangele „ganz deutlich“ am Engagement des Verbandes. Dort seien keine Werbeaktivitäten für Oddset „erkennbar“, damit die Umsätze und auf diese Weise auch die Abgaben an das WM-OK stiegen. CDU-Politiker Wulff will den Parteifreund Mayer-Vorfelder (ehemaliger Finanzminister in Baden-Württemberg) noch stärker in die Pflicht nehmen. Zu Gunsten des Kunst- und Kulturprogramms der WM müsse der Verband „darauf hinwirken“, dass die Bundesliga nicht länger die Konkurrenz von Oddset unterstütze. Wulff verweist geharnischt darauf, mit wem sich die Bundesliga einlasse: Es handele sich um „illegale Sportwettanbieter“, deren Lotterielizenzen noch aus der DDR stammten und gar nicht in ganz Deutschland gültig seien.“
Mitläufer statt Leistungsträger
Frank Hellmann (FR 29.10.) tadelt Sebastian Kehl: „Kehl plagen weder ein Erschöpfungssyndrom noch Selbstzweifel. Der 23-Jährige ist selbstbewusst, aufgeschlossen, beherrscht und beliebt – aber nur, wenn der Ball ruht. Rollt die Kugel, fällt auf, dass Kehl oft lamentiert, weil er den entscheidenden Schritt zu spät kommt, Zweikämpfe verliert in einer zentralen Spielfeldzone, in der spritzige und wendige Typen gefragt sind. Der 1,88-Meter-Mann hat aufgrund fehlender Schnelligkeit größere Defizite, als viele dachten. Das ist der Grund für überflüssige Fouls – überflüssige Attacken wie ein Schubser gegen den Schiedsrichter oder ein Tritt in den Hintern eines Gegenspielers haben andere Ursachen. Kehls Karriere klemmt. Seit er im Dezember 2001 mit großem Brimborium statt zu Bayern zu Borussia wechselte, weil die noch eine höhere Gage und Spielgarantie bot, ist es ruhiger geworden um ihn. Das war ihm recht – nicht recht ist einem Ehrgeizling à la Kehl, dass seine Entwicklung stagniert. Im Verein ist er eher Mitläufer statt Leistungsträger. Dazu gesellen sich eine große Erwartungshaltung und ein gestresster Trainer, der unentwegt aggressive Spielweise einfordert. In der Nationalelf ist der Durchbruch bis heute nicht gelungen. Vorschusslorbeeren bei Rudi Völler hat ein frischer Frechling wie er nie besessen. Kehl ahnt, dass der Karriere ein Knick droht. Der BVB will Widerspruch gegen das Urteil einlegen – ein eindringliches Gespräch mit Kehl wäre die bessere Lösung.“
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Christoph Daum hat sich mit seinem seltsamen Auftritt nach seiner Rückkehr aus den USA den Weg zurück in die Bundesliga verbaut, beim Prozess gegen ihn geschieht im jedoch Unrecht (mehr …)
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Tränen bei den Siegern
Martin Hägele (NZZ 14.05.02) sah Tränen bei den Siegern: „Ausgerechnet auf den Wangen von Manager Assauer glänzte es nass. Ein Mann, der als der größte Macho der Bundesliga gilt, war auf einmal so ergriffen, dass er nicht mehr weiterreden konnte, als es ans Abschiednehmen ging. Trainer Stevens, Mulder, Thon, Nemec, Wilomts, Büskens und Eigenrauch, sieben Männer, die in den Annalen des Revier-Vereins auch als „Eurofighter“ geführt werden, hatten vor vier Jahren in Mailand mit dem Gewinn des Uefa-Cups zum größten Erfolg der Schalker Geschichte beigetragen. Nun sind sie alte Herren. Ihre Generation hat ausgedient. Doch der Stil, mit dem sie in Berlin in ein fast schon verlorenes Spiel zurückfanden und die Partie noch umbogen, erinnerte ein wenig an die glorreichen Abende der europäischen 97er Tour.“
Das Streiflicht (SZ 13.05.02) beschreibt die Ästhetik des Zweiten: „Leverkusen, Meister nur der Tränen, du bist übel dran. Wenn es darauf ankommt, stehst du vor dem Tor und scheust die entscheidende Tat, gleich dem Jüngling im Angesicht der Holden. Ein schwacher Trost mag sein, dass sich im Club der ewigen Zweiten nicht die schlechteste Gesellschaft findet, trotz der Anwesenheit von Jürgen Möllemann und Franz Josef Strauß. Da ist aber noch der nette Prinz Charles und der Opel Astra, nach dem Urteil der Fachpresse „ewiger Zweiter der Marktführerschaft“. Und natürlich die Mutter aller ewigen Zweiten, die SG Flensburg-Handewitt, Deutscher Handball-Vizemeister 1996, 1997, 1999 und 2000, vielfacher Vizepokalgewinner und Vizeeuropapokalsieger.“
Andreas Burkert (SZ 13.05.02) über das Faszinosum DFB-Pokal: „Diese Trophäe ist wahrhaft ein Wunderstück. Sie kann: eine komplette Saison retten, wie im Falle der Schalker, die nun weiterhin daran glauben werden, ein Umbau ihrer überalterten wie spielerisch limitierten Mannschaft könne noch ein Weilchen warten; sie kann außerdem: einen mutmaßlich traurigen Abschied eines Trainers in eine Romanze mit Happy End verwandeln. Des weiteren: selbst aus diesem Trainer, einem angeblich groben Klotz Mensch wie dem holländischen Stieselkopp Huub (Schalke-Manager Assauer), Gefühle entlocken. Und sie kann sogar: in den Gedanken eines nur fast verrückten Spielers den Anspruch reifen lassen, er müsse unbedingt mit zur WM in Asien, trotz aller Schwächen in der Defensive – weil es ja auch dort möglich ist, Freistöße aus halbrechter Position genial in den Giebel zu zimmern. Und mal ehrlich: Ist das nicht, wovon wir alle ein halbes Leben lang geträumt haben? Der Kanzler im Sportstudio! Deshalb jetzt alle: Es lebe der DFB-Pokal!“ (Volltext)
Die Richtigen haben gewonnen, findet Friedhard Teuffel (FAZ 13.05.02): „Es geht doch noch gerecht zu im Fußball, denn Schalke hat den DFB-Pokal gewonnen. Die Schalker haben schließlich nicht nur die formellen Kriterien des Veranstalters erfüllt, also bis ins Finale zu kommen und dort mindestens ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. In einer informellen Ausschreibung zu diesem Wettbewerb könnten noch andere Eigenschaften verlangt werden. Etwa, dass die beste Mannschaft den DFB-Pokal zur Herzenssache macht, sich besonders darauf vorbereitet, sich einfach alle Mühe gibt, dieses Endspiel in Berlin zu einem Fußballfest zu machen. Und dass auch am Ende die Mannschaft gewinnt, die sich am meisten darüber freut. Nach so einer Ausschreibung können nur die Schalker Sieger sein. Sie haben alle Anforderungen erfüllt. Die im engeren Sinne, weil sie den erfolgreichsten Fußball gespielt, sich im Halbfinale gegen den FC Bayern München durchgesetzt und im Finale gleich vier Tore erzielt haben. Die im weiteren Sinne, weil sie den Pokal als Hauptgewinn in Empfang genommen haben, als Auszeichnung für sich. Nicht mehr als ein Trostpreis wäre der Pokal dagegen für die Leverkusener gewesen. Was hätten sie schon groß mit ihm anfangen sollen? Dieser Sieg wäre ihnen nach der verpaßten Meisterschaft doch nur ein unbefriedigender Ersatz gewesen.“
Andreas Burkert (SZ 13.05.02) beschreibt Schalker Reaktionen nach dem Triumph: „Mit dem 4:2 über die erneut aufrichtig betrauerten Leverkusener ist am Samstagabend in Berlin eine Ära der Klubgeschichte glanzvoll zu Ende gegangen, und gegen drei Uhr hatte das auch Rudi Assauer endlich begriffen. Als habe jemand seine Davidoff aus frischen Zwiebelringen gedreht, entließ Schalkes Manager, der sonst mit Hingabe sein Image als unberührbarer Macho des Gewerbes pflegt, prallste Tränen. „Niemals geht man so ganz“, spielte die Musik dazu, und die Thon, Büskens, Mulder und all die anderen, die von Bord gehen, sie schluchzten mit ihm. Assauer hat ihnen versprochen, dass sie für ewig der blau-weißen Familie angehören werden. „Ihr hab’t hier ein Zuhause“, sagte er. Es war herrlich kitschig. So geht es zu in diesem Verein, dessen Anhänger das Olympiastadion seit zwei Jahren wie selbstverständlich zum Zielort ihrer Maiprozession erklären. Aus gut 45000 Stimmen setzte sich diesmal der Schalker Chor zusammen.“
Sven Astheimer (FR 13.05.02) über den Abschied der Generation Huub: „Mit dem Abpfiff hat auch ein Umbruch auf Schalke begonnen. Stevens wird künftig durch den jungen Frank Neubarth ersetzt und in Michael Büskens, Yves Eigenrauch, Youri Mulder, Olaf Thon, Jiri Nemec und Oliver Reck tritt gleich eine ganze Reihe von Symbolfiguren ab. Sie stehen zusammen mit dem Trainer für den üngsten Aufschwung des Traditionsvereins, der einer ganzen Region neues Selbstbewusstsein eingehaucht hat.“
Jan Christian Müller (FR 13.05.02) beschäftigt sich mit der Frage, ob Rudi Völlers Entscheidung richtig war, den Schalker Jörg Böhme, der im Finale per fulminantem Freistoß traf, nicht für die WM zu nominieren: „Der Teamchef räumt ein, seine Gruppe zwar zuvorderst nach dem Leistungsprinzip zusammengestellt, zwischenmenschliche Überlegungen aber durchaus berücksichtig zu haben. Einer wie der exaltierte Böhme im WM-Kader wäre Chance und Risiko zugleich. Völler meint: Zu wenig Chance, zu viel Risiko. Im vergangenen Herbst gegen England hatte er noch anders entschieden: Böhme spielte gegen Beckham, Ziege hockte auf der Ersatzbank – was sich dann als folgenreicher aufstellungs-taktischer Fehler erwies. Beckham spielte mit Böhme Katz und Maus. Und Freistoß für Deutschland vom Strafraumeck gab es nicht.“
Mit den Verlierern aus Leverkusen befasst sich Javier Cáceres (SZ 13.05.02): „Unter den Leverkusenern scheint sich das Emersonsche Theorem, aufgestellt in Unterhaching („Leverkusen wird nie etwas gewinnen! Nie!“), durchzusetzen. Oliver Neuville erzählte dem Berichterstatter des spanischen Sportblattes Marca, dass der Leistungseinbruch eine Frage von „mangelndem Selbstvertrauen“ gewesen sei. Michael Ballacks Urteil fiel noch vernichtender aus. „Eine gute Mannschaft“, sagte er mit Blick auf die ersten beiden Gegentore, „steckt so was weg“. Lúcio, der bei den Treffern zum 1:2 und 1:3 äußerst unglücklich agierte, hauchte etwas von Schuldbewusstsein und „Traurigkeit“. Gemeinsam mit Zé Roberto und Ulf Kirsten, dem Schützen zum 2:4, war Lúcio unmittelbar nach Schlusspfiff in die Kabine gelaufen; die Silbermedaille holten sie sich nicht ab. „Was sollte ich da?“, fragte Zé Roberto. Eine „Unverschämt-heit“ nannte Toppmöller dies, der in der Kabine „so laut wie noch nie“ geworden sein will, „als Fußballer gehört es sich nicht“, dem Sieger keinen Respekt zu zollen. „Man muss verlieren können“, sagte der Coach. Dass Leverkusen dies noch nicht gelernt hat, war die tatsächlich überraschende Erkenntnis des DFB-Pokal-Finales.“
Philipp Selldorf (SZ 13.05.02) über die Folgen der Finalniederlage für die WM aus historischer Perspektive: „Diesmal sind die Probleme der Leverkusener Spieler keine Privatsache, sondern ein gefährlicher Einfluss auf „die wichtigste Mannschaft des Landes“, wie Karl-Heinz Rummenigge die Nationalelf nennt. Ballack, Schneider, Ramelow und Neuville sollen tragende Rollen in Rudi Völlers Team übernehmen; besonders Ballacks Beitrag ist unentbehrlich, und wer ihn am Samstag gesehen hat, der erkannte nicht den aufstrebenden deutschen Spielmacher, sondern eine müde, moralisch gebrochene Gestalt (…) Hoffnung lehrt diesmal die Geschichte. 1954 standen fünf Spieler des 1. FC Kaiserslautern in der deutschen Auswahl für die WM in der Schweiz. Die Männer unter dem Kommando von Fritz Walter hatten in Hamburg das Endspiel um die Meisterschaft 1:5 gegen Hannover 96 verloren, und das Publikum verhöhnte den Bundestrainer mit „Herberger, Herberger“-Chören. Auf die Kritik der Presse am „müden, alten Fritz“ reagierte der Kapitän, indem er seinen Rücktritt anbot. Doch Fritz Walter blieb. Und wurde Weltmeister.“
Markus Völker (Spiegel Online 12.05.02) über den „Autoamtismus des Verlierens“: „Die Königsblauen schmauchten dicke Zigarren, schleppten riesige Pilsgläser über den Rasen des Berliner Olympiastadions, nahmen Bierduschen und zettelten eine Party in blau-weiß an. Finster blickte hingegen ein Grüppchen von Anzugträgern auf den Konfettiregen, der auf die Gewinner rieselte. Abseits standen Manager Reiner Calmund, Trainer Klaus Toppmöller sowie Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und versuchten tapfer, die Gedanken davon abzulenken, sie seien die ewigen Zweiten, spielten zwar den schönsten Fußball der Liga, schrammten aber mit fataler Logik stets knapp an den Titeln vorbei.“
Welche Konsequenzen sind nun für das bevorstehende Finale der Champions League zu befürchten, fragt Christoph Kieslich (Tsp 13.05.02): “ Mehr denn je wird das Champions-League-Finale am Mittwoch zu einer Angelegenheit von übergeordneter Bedeutung werden. Nicht nur die Anhänger von Bayer Leverkusen oder die in dieser Saison neu hinzugewonnenen Freunde Leverkusener Fußballkunst werden mit einer Mannschaft fiebern, die am Ende einer famosen Saison einen kapitalen Absturz erleben könnte. Das Endspiel gegen Real Madrid wird, so steht zu vermuten, auch unmittelbar auf die WM-Vorbereitung des Nationalteams abstrahlen. Falls Bayer auch die dritte finale Chance nicht packt, wird sich der DFB-Tross auf dem Weg nach Asien in eine Auffanggesellschaft für fünf gestrandete Fußballerseelen verwandeln. Hans-Jörg Butt wird an Position drei im deutschen Tor dabei nicht ausschlaggebend sein, aber auf Michael Ballack, Oliver Neuville, Bernd Schneider und Carsten Ramelow ruhen derzeit viele Hoffnungen beim WM-Turnier. Hoffnungen auf Stabilität, Kreativität und Torgefährlichkeit.“
Stefan Herrmanns Michael Rosentritt (Tsp 13.05.02) zum selben Thema: „Bayer Leverkusen ist große Niederlagen gewohnt – doch inzwischen ist die Schmerzgrenze erreicht (…) Für die Spieler von Bayer ist zurzeit vermutlich alles besser, als sich wieder und wieder mit den schweren Gedanken im Kopf zu plagen. Sie müssen sich vorkommen wie ein Pokerspieler, der vier Könige auf der Hand hat, die ersten beiden siegesgewiss auf den Tisch legt, woraufhin sein Gegenspieler mit zwei Assen antwortet. Er deckt den dritten König auf – und es kommt das dritte Ass. Zwei Titel hat Bayer schon verspielt, und jetzt bleibt ihnen am Mittwoch im Finale der Champions League nur noch eine Chance. Vermutlich wird Real Madrid dann das nächste Ass zücken (…) „Das Verlieren gehört dazu“, sagte Toppmöller. Das Problem ist nur, dass inzwischen manche den Eindruck haben, dass das Verlieren bei Bayer Leverkusen inoffizielles Vereinsziel ist. Statt Titeln und Pokalen bekommt die Mannschaft Mitleid, und vermutlich können es die Spieler schon lange nicht mehr hören, dass sie in dieser Saison den schönsten Fußball geboten haben.“
Bezüglich der Aussichten Leverkusens auf einen Erfolg gegen Real Madrid ist Matti Lieske (taz 13.05.02) sekptisch: „Sie wirkten wie eine in Stein gehauene Trauergesellschaft. Reglos, mit erstarrter Finstermiene, die Mundwinkel kollektiv nach unten gezogen, als wollten sie eine olympische Goldmedaille im Synchronschmollen gewinnen, standen die Führungspersönlichkeiten der Fußballabteilung von Bayer Leverkusen auf dem Rasen des Olympiastadions und sahen zu, wie Schalke 04 seinen Pokalgewinn feierte (…) wie kann sich eine Mannschaft noch einmal erheben, die binnen kurzer Zeit zwei solche Nackenschläge hinnehmen musste, war die Frage, die am Samstagabend beharrlich durch das Olympiastadion geisterte. Eine Mannschaft zudem, die sich in der zweiten Halbzeit des Pokalfinales fast widerstandslos einem Gegner ergab, den sie 44 Minuten lang nach Belieben beherrscht und mit dem 1:0 in der 27. Minute fast schon erledigt hatte (…) Das Rezept für den Mittwoch hat er auch schon parat: Nicht etwa jener wunderschöne Fußball, für den die Leverkusener zuletzt mehr mitfühlende Komplimente bekamen als sie ertragen können, vor allem aus Dortmund und Schalke, sondern Tugenden, die irgendwie vertraut klingen hierzulande. Jetzt sind ganze Kerle gefordert, die ihren Mann stehen, fordert der Coach. Schluss also mit dem soften, geradezu ökologisch anmutenden Fußballbiotop in Callis und Toppis Märchengarten, her mit der guten alten Rasenfressermentalität klassischer Prägung. Man könnte es auch Winnermentalität nennen.“
Sven Astheimer (FR 13.05.02) ist ebenfalls pessimistisch: „Ausgerechnet vor diesem absoluten Höhepunkt machen sich Risse im bislang so solide scheinenden Bayer-Fundament bemerkbar. Was im Laufe der Saison mühsam aufgebaut worden ist, droht nun jäh zusammenzufallen. Toppmöller spürt das und versucht, verbal gegenzusteuern (…) Doch Toppmöllers Versuche, die Spieler nach verlorener Meisterschaft und Pokal wieder stark zu reden, erinnerten an eine zu kurz geratene Tischdecke: Wenn er vorne zieht, reicht’s hinten nicht mehr.“
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Labern ist Peter – Siegen ist Gold
Thomas Ernsts Patzer ist die Szene des Spieltag, Abstiegskampf, Tabellenspitze werden so beeinflusst (mehr …)
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Geht es um Fußball, bleibt der Verstand in der Umkleide zurück
Thomas Kistner (SZ 25.6.) kritisiert die Personal-„Politik“ der Sendeanstalten. „Die Topmanager der Wirtschaftsbranche Profifußball setzen den Trend. Franz Beckenbauer, Chef des Bayern-Aufsichtsrats und des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006, soll im ZDF als Kommentator auftreten – also die eigene Ware als Chefkritiker begleiten. Und Günter Netzer, Miteigentümer der Agentur Infront, der die TV-Rechte an Bundesliga und WM gehören, tut dasselbe bereits ausgiebig in der ARD. So wird ein mäßig sittliches Tele-Shopping für Privatpersonen salonfähig gemacht – zumal es auf der von öffentlichen Geldern finanzierten Bühne ausgeübt werden darf. Nicht mal Leo Kirch, der einstige Herrscher über das Fußballfernsehen, hat sich derart über alle journalistischen Standards und Spielregeln hinweg gesetzt. Es lässt sich nicht leugnen: Geht es um Fußball hierzulande, bleibt der Verstand regelmäßig in der Umkleide zurück. So erklärt sich in Zeiten, in denen alle Gesellschaftsbereiche einige Gänge zurückschalten müssen, der Anachronismus, dass Politiker und Fernsehmacher mit Tricks und Drehs nach Wegen suchen, der Großverdienerszene Profifußball die vielen Millionen zu erhalten. Und so erklärt sich auch die neue journalistische Ethik in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten. Intendanten, Programm- und Sportchefs der Sender tun einfach so, als säße die Fußballbranche noch immer an den langen Hebeln, die ihr einst der Hasardeur Kirch mit seinen politischen Preisen in die Hand gedrückt hatte. Und scheren sich keinen Deut um die öffentliche Restauration von just den Verhältnissen, die dringend überwunden gehören.“
Beim Fußball ist offenbar alles möglich
Klaus Ott (SZ 25.6.) kritisiert die Ingebrauchnahme des populären Fußballs seitens der Politiker zu Gunsten von Image und Wählerstimmen. „Es war ein netter Abend in Berlin. Erst gewann der FC Bayern München das Pokalfinale leicht und locker gegen Kaiserslautern; nach der Übertragung bat die ARD zum Small-Talk. Die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Kurt Beck, die ihre Klubs begleitet hatten, durften sich einem Millionenpublikum als sympathische Landesväter mit Herz für den Fußball präsentieren. Moderator Gerhard Delling stellte harmlose Fragen, und Günter Netzer, der Ballexperte der ARD, sagte wenig und lächelte viel. Die nette Viererrunde vom 31. Mai im Berliner Olympiastadion sollte sich für den Fußball und das öffentlich-rechtliche Fernsehen bald lohnen. Zwei Wochen später machten Stoiber und Beck politisch den Weg frei für die Rückkehr der Bundesliga zu ARD und ZDF. Die Regierungschefs erklärten, mit einem raschen Verhandlungsergebnis müsse jetzt Klarheit geschaffen werden, wo die Liga künftig zu sehen sei. Auch ARD und ZDF kämen als Partner in Frage. Die beiden Ministerpräsidenten wandten lediglich ein, das dürfe nicht zu einer Erhöhung der Rundfunkgebühr führen. Stoiber und Beck, die sich bei ihren Klubs engagieren und gerne ins Stadion gehen, pfiffen den nordrhein-westfälischen Kollegen Peer Steinbrück zurück. Der hatte zuvor geschimpft, die Anstalten seien nicht dazu da, die Finanzprobleme der Bundesliga und ihrer Rechtehändler zu lösen. Damit war Netzer gemeint, der über die Schweizer Sportagentur Infront Mitinhaber der Bundesliga-Bilder ist und damals verzweifelt nach neuen Abnehmern suchte, da Sat 1 (ran) nur noch die Hälfte des bisherigen Preises bot. Mit den Anstalten sind Infront und die Liga besser bedient. In dieser Woche soll der Vertrag mit der ARD aufgesetzt werden, bald danach könnte das ZDF folgen. Der Partnerwechsel ist das Resultat eines seltsamen Beziehungs-Geflechtes, das in dieser Form woanders längst als anstößig empfunden würde. Doch beim Fußball ist offenbar alles möglich, zum Wohle des Nationalsports. Nach der Pleite des Medienhändlers Leo Kirch sorgen die Anstalten dafür, dass die Profi-Klubs, deren Rechtepartner und führende Protagonisten weich fallen (…) Stoiber und Beck haben eigentlich nur eine Bedingung: Die Anstalten dürfen die Gebührenerhöhung nicht in Zusammenhang mit dem Fußball bringen, obwohl das viel miteinander zu tun hat. Den Zuschauern soll das nur niemand sagen.“
Wir werden Beckenbauer so schnell nicht los
Jörg Hahn (FAZ 25.6.) kann sich ein Kopfschütteln gerade noch verkneifen. „Der Franz ist ja zum Glück der Franz, und deshalb werden wir Beckenbauer in Kürze schon wieder auf dem öffentlichen-rechtlichen Bildschirm erleben – beim ZDF, als Pendant zum ARD-Experten Günter Netzer. Nach der Kirch-Insolvenz konnte Premiere, wo Beckenbauer vier Jahre lang räsonieren durfte, sich eine Vertragsverlängerung wohl nicht mehr leisten. Dem Zweiten greift die Postbank finanziell gerne unter die Arme. Im Gespräch sind ist mehr als eine Million Euro Honorar für Beckenbauer pro Jahr. Denn man verspricht sich als WM-Sponsor 2006 doch mit dieser Galionsfigur nach wie vor einen hohen Werbewert. Der Beckenbauer Franz hat zunehmend Zeit, sich seinen Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben: über Fußball reden und Geld verdienen. Beim FC Bayern München wie im Organisationskomitee der Fußball-WM 2006 führt er zwar noch den Titel Präsident, beim deutschen Rekordmeister steht er zudem an der Spitze des Aufsichtsrats. Mit dem oft freudlosen Tagesgeschäft mag man ihn aber gar nicht mehr behelligen. Denn ohne ihn läuft’s fast besser, zumindest glatter, in beiden Organisationen. Zuletzt störte öffentlicher Streit bloß den Betriebsfrieden. Es bleiben repräsentative Aufgaben. Grüßaugust oder Frühstücksdirektor wird das manchmal genannt (…) Es bleibt alles beim alten. Wir werden Beckenbauer so schnell nicht los. Aber fachlich ernstzunehmen ist er auch nicht, der Unterhaltungskünstler – für den deutschen Fußball immerhin nicht der schlechteste.“
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 25.6.) berichtet die Rivalität zwischen Bayernmanager Hoeneß und dem mittlerweile verstorbenen Beckenbauer-Berater Schwan, die sich bis in die Gegenwart hinein verlängere. „Als Hoeneß 1978, gerade 27 Jahre alt, seinen Managerjob an der Säbener Straße antrat, war das der Beginn eines stillen, enorm verbissenen Fernduells und einer erbitterten Macherrivalität zwischen zwei anerkannten Könnern: Hoeneß und [Robert] Schwan. Der 30 Jahre Ältere, gewiefter Berater von Beckenbauer, besorgte seinem Klienten einen lukrativen Werbevertrag nach dem anderen. Erst Toyota, dann Mitsubishi. Im Mercedes bremste Beckenbauer Bayern-Sponsor Opel aus, ein Prosit auf Warsteiner statt auf Erdinger, das Bier des Klubsponsors. Yello statt Eon-Energie. E-Plus beim Bayern-Boss, kein Anschluss für Bayerns Viag Interkom. Geschickte Megadeals in Millionenhöhe realisierte Schwan für seinen Franz, der ja auch noch Weltmeister als Spieler und Teamchef war und als globaler Werbestar die WM 2006 nach Deutschland holte. Schwan beobachtete aus seinem Adlerhorst in Kitzbühel mit scharfen Augen Uli Hoeneß. Wie verwaltete der sein Erbe? Immerhin: Der Jungmanager hatte aus dem FC Bayern das Flaggschiff des deutschen Fußballs gezimmert, war vom Marketingfachblatt „Horizont“ gar zum „Manager des Jahres“ 2001 gewählt worden. Trotzdem, Schwan triumphierte klammheimlich: Über 20 Jahre lang schafften es die Bayern unter Hoeneß nicht, den Europacup der Landesmeister zu gewinnen. Immer wieder ließ sich Schwan zu dieser Malaise mit gezielten Nadelstichen in Richtung Hoeneß vernehmen. Süffisant versuchte er bis zu seinem Tod, den Nachfolger zu brüskieren. Immer offener spielten die Kontrahenten zuletzt ihr Spiel. Bei jeder Gelegenheit attackierte Beckenbauer das operative Geschäft von Hoeneß und Rummenigge, kritisierte Einkäufe wie den von Martin Demichelis und mangelnde Chancen für den Nachwuchs. Jetzt scheint der Kampf zu enden. Beckenbauers Tage als Aufsichtsratschef, gleichbedeutend mit dem Präsidentenamt bei Bayern, sind gezählt. Der Kaiser mag nimmer.“
(23.6.)
Im Rahmen der Verhandlungen um den Verkauf der TV-Rechte vermisste Michael Ashelm (FAS 22.6.) Realitätssinn. „Immer wieder meldeten sich in der Hoch-Zeit der Spekulationen Spitzenfunktionäre wie Uli Hoeneß vom Meister FC Bayern oder der Dortmunder Gerd Niebaum zu Wort und hielten Saisonpreise fürs Free-TV von 120 bis 150 Millionen Euro für angemessen. Rund die Hälfte mag den Kern nun treffen, was bei allem Verständnis für die Verhandlungstaktik nicht unbedingt für einen ausgeprägten Realitätssinn der Herren spricht. Genausowenig wie die Forderung mancher Fußballfunktionäre, doch endlich staatliche Bürgschaften oder Subventionen für marode Klubs zu etablieren. Das alles zusammen zeigt, daß die alte Automatik vom grenzenlosen Wachstum noch immer die Denkprozesse der Fußballverkäufer beherrscht. Gerne preisen sie ihre Ware als sogenanntes Premiumprodukt an, doch verkennen dabei, daß die Qualität das geforderte Entgelt nicht mehr gerechtfertigt. Mittelmaß zu Top-Preisen funktioniert nicht mehr. Und stünde in diesen bewegten Zeiten nicht das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinem gewaltigen, gebührenfinanzierten Apparat als Nothelfer parat, müßte sich die Liga wohl auf den ganz großen Schnitt einstellen. Strategisch wäre es deshalb von Vorteil, wenn die Betroffenen nun wieder in erster Linie auf sich und ihr Produkt schauen würden, anstatt die Rahmenbedingungen zu kritisieren. Am eigenen Bekenntnis zum Leistungsprinzip muß man gerade sich selbst messen lassen. Die Zeit ist überreif für neue Ideen, neue Emotionen und neue Temperamente. Die Langeweile der vergangenen Saison steht da als abschreckendes Beispiel. Das glanzlose Produkt Fußball-Bundesliga braucht unbedingt Auffrischung, um es wieder einigermaßen in Deckungsgleichheit mit den hohen Ansprüchen der Fußballmacher zu bringen.“
Legende von der guten alten Sportschau
Günter Rohrbach (SZ 21.6.) freut sich nicht auf ein Wiedersehen mit der Sportschau. „Beim deutschen Profifußball handelt es sich mit wenigen Ausnahmen um wirtschaftliche Hasardeure, die ihr Geschäft mit ebenso großer Leidenschaft wie ökonomischer Unvernunft betreiben. In einigen Nachbarländern sind die Verhältnisse noch katastrophaler, aber bisher haben sich fast überall noch ein paar nützliche Idioten gefunden, die den Kollaps des Systems verhinderten. In dieser Rolle gefallen sich jetzt unsere öffentlich-rechtlichen Intendanten. Frei von den realen Risiken wirtschaftlichen Handelns kaufen sie eine Ware zu einem Preis, den diese, wenn sie es denn je war, längst nicht mehr wert ist. Für wie ignorant halten die Intendanten die Öffentlichkeit eigentlich, wenn sie darauf verweisen, dass die Summe, die Sat1 bisher gezahlt hat, deutlich unterschritten werde? Jene 80 Millionen stammen aus der Zeit, als Leo Kirch in seinem Monopolisierungswahn jedes Maß verloren hatte. Er hat mit seinem Ruin dafür bezahlt. Er hat aber auch die Vereine in einen Illusionstaumel getrieben, aus dem man sie, wen man an ihrem Überleben ein Interesse hat, so rasch wie möglich herausholen müsste. Genau das werden ARD und ZDF jetzt verhindern. Mit Gebührengeldern. Was will uns Jobst Plog, der ARD-Vorsitzende, eigentlich sagen, wenn er behauptet, der Gebührenzahler werde durch die Entscheidung mit keinem Pfennig belastet? Will er etwa auf die demnächst anstehende und jetzt bereits beantragte Gebührenerhöhung verzichten? Das doch wohl nicht. Woher sonst soll aber das Geld kommen? Überlagert wird die ganze Diskussion von einer Legende, nämlich der von der guten alten Sportschau. Die gute alte Sportschau dauerte 45 Minuten. Ein freundlich lächelnder Moderator stand in einer biederen Dekoration und kündigte drei bis vier Spielberichte in Ausschnitten an, die von jeweils zwei Kameras aufgenommen worden waren. Und dann gab es noch das „Tor des Monats“. Was es nicht gab, waren Nahaufnahmen aus allen möglichen Perspektiven, waren rasante Torszenen in mehrfacher, den Blickwinkel variierender Wiederholung und nach Bedarf in Slow Motion, war die Möglichkeit, jeden beliebigen Spielzug exakt zu rekonstruieren. Die gute alte Sportschau würde ein heutiger Fernsehzuschauer zum Fenster hinauswerfen. Freilich hatte sie einen unschlagbaren Vorteil, der ihren legendären Ruf vor allem begründet: sie enthielt keine Werbung. Die vor allem hat die Sat1-Zuschauer zunehmend genervt und die Quoten ins Souterrain getrieben. Die neue ARD-Sportschau wird den nostalgiegeprägten Zuschauern eine bittere Enttäuschung bereiten. Sie wird von der alten Sportschau fast nichts, von ran aber fast alles übernehmen – den locker plaudernden Moderator, die frenetisch klatschenden Zuschauer, die albernen Gewinnspiele, die rasanten, von zahlreichen Kameras mit großem Aufwand hergestellten Bilder und vor allem Werbung, Werbung, Werbung.“
Der prominenteste Seitenscheitel im deutschen Sport
Wolfgang Hettfleisch (FR 21.6.) kritisiert Günter Netzer, der die zu diskutierende Aufstockung der WM auf 36 Teams als „großen Mist“ bezeichnete. „Beckenbauer mag persönliche Interessen am Gelingen des Fußballfestes haben. Das würde seinem Werbewert wie seinen Aussichten auf den Fifa-Chefsessel gewiss nicht schaden. Netzer hingegen, Geschäftsführer der Schweizer Agentur Infront, die die Fernsehrechte an der WM 2006 hält, hat es sich gefälligst zweimal zu überlegen, ehe er sich als vermeintlich unabhängiger Sachverständiger zu solchen Fragen auslässt. Schließlich ist es für seinen Brötchengeber von nachgerade existenzieller Bedeutung, ob und wie sehr die teuer erstandene WM-Ware von 2006 den Einkäufern der TV-Anstalten rund um den Globus munden wird. Ohnehin ist die Rolle des Ex-Spielmachers als Fußballgewissen der Nation und grummelnder Prellbock im Kienzle-Hauser-Kabarett mit dem ARD-Berufs-Adoleszenten Gerhard Delling seltsam. Der prominenteste Seitenscheitel im deutschen Sport dreht bei Infront ja am ganz großen Rad: WM-Rechte, Bundesligarechte, DFB-Marketing. Alles Netzer oder was? Jedenfalls alles Infront (…) Damit das klar ist: Ein 36er-Feld bei der WM 2006 wäre grober Unfug. Kein Fußballfan kann den daraus resultierenden Modus reinen Herzens gutheißen. Netzer hat mit seiner Meinung völlig Recht. Nur darf er sie auch mal für sich behalten.“
Gewinnspiel für Experten
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