indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Sonstiges

Tunesien gewinnt den Afrika Cup und empfiehlt sich für die WM 2010 – Eintracht Trier hat sich in der Zweiten Liga etabliert (SZ)

Allein die grandiose Eröffnungsfeier ist einer Weltmeisterschaft würdig gewesen

Richard Becker (FAZ 16.2.) berichtet das Finale des Afrika Cups: „Nach dem 2:1 im Finale des 24. Afrika-Cups gegen Marokko heißt es in einem zweiten Wettbewerb zwischen den beiden Maghrebstaaten zusätzlich 1:0 für Tunesien. Denn sowohl Marokko als auch Tunesien (zusammen mit Libyen) bewerben sich wie Südafrika und Ägypten um die Austragung der Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Am 15. Mai dieses Jahres fällt die Entscheidung, wo in Afrika der Weltfußball seinen Besten ermitteln wird, und die Tunesier hoffen, sich nach der dritten Finalteilnahme und dem erstmaligen Gewinn der Afrika-Meisterschaft einen kleinen Vorteil gegenüber dem heimlichen Favoriten Marokko verschafft zu haben (…) Überraschungen hatte dieser 24. Afrika-Cup zuhauf zu bieten. Angefangen vom Finalteilnehmer Marokko, über das Ausscheiden der vom Deutschen Winfried Schäfer geführten Kameruner, die beim Versuch, als erste diesen Pokal zum dritten Mal in Folge zu gewinnen, im Viertelfinale an Nigeria, das mit Jay Jay Okocha den besten Spieler des Turniers stellte, scheiterten, bis hin zur Organisation in den einzelnen Spielorten, die trotz einiger Hakeleien erstaunlich gut klappte. Zwar hat der Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes, Joseph Blatter, trotz dieser beim Afrika-Cup gesammelten Bonuspunkte des Veranstalters nahezu ausgeschlossen, eine WM-Endrunde wie zuletzt an zwei Länder zu vergeben, doch könnten die vom tunesischen Partner und Nachbarn Libyen für 2010 in Aussicht gestellten neun Milliarden Dollar zu einem Prozeß des Umdenkens führen. Die Konzentration des Interesses für 2010 auf Tunesien und Marokko rührt auch von der außergewöhnlichen Zurückhaltung der beiden anderen Bewerber her. Sowohl Südafrika als auch Ägypten haben sich am Ballyhoo, das die beiden nordafrikanischen Fußballverbände bei ihrer Kandidatur veranstalten, nicht beteiligt. Issa Hayatou aus Kamerun, der Präsident der Afrikanischen Fußball-Konföderation und in jüngster Vergangenheit Gegenspieler von Joseph Blatter, möchte keinen seiner afrikanischen Kandidaten bevorteilen. Für ihn ist ein reibungsloser organisatorischer Ablauf dieses Afrika-Cups wichtiger gewesen, um nachzuweisen, daß das bislang als Ausrichter gemiedene Afrika längst in der Lage ist, dem Fußball dieser Welt und seinen handelnden Personen eine adäquate Bühne bereiten zu können. Tunesien hat sich dieser Stellvertreterfunktion mit viel Herz gewidmet. Allein die grandiose Eröffnungsfeier ist einer Weltmeisterschaft würdig gewesen.“

Thomas Becker (SZ 16.2.) befasst sich mit Eintracht Trier: „Paul Linz raucht erst mal eine. Macht es sich auf dem Trainerstuhl bequem, schlägt die Beine übereinander und fängt an zu qualmen. Ein paar Meter weiter schleppen sie die Torwand für den „Halbzeit-Superschuss“ rein, der Gewinner kriegt Karten für den Faschingsball. Linz raucht. Die Ersatzspieler kommen aufs Feld, dandeln mit dem Ball, schießen aufs Tor. Linz raucht. Erst als die Torwandkicker fast fertig sind, drückt er die Kippe aus und geht zur Mannschaft in die Kabine. Gibt ja auch einiges zu sagen, sollte man meinen: 0:0 zu Hause gegen erbärmlich schlechte Fürther – da reicht ein Unentschieden nicht, Trier steht auf einem Abstiegsrang, seit Anfang November. Und der Trainer hat in der Halbzeit nichts anderes zu tun, als gemütlich zu rauchen? Linz macht das immer so. Bis auf die Tage, an denen er sich mal wieder vorgenommen hat, aufzuhören. Es ist keine Pose, Linz ist nicht cool, er braucht das einfach: runterkommen, Hektik rausnehmen, was ich denen in zehn Minuten sagen müsste, geht auch in fünf. Und was nicht geht, das geht halt nicht. Der letzte Satz könnte das Vereinsmotto des SV Eintracht Trier 05 sein. Später, bei der Feier des letztlich klaren 2:0-Sieges gegen Greuther Fürth, wird der Präsident sagen: „Wir geben keinen Pfennig mehr aus als wir einnehmen.“ Man erschrickt fast, wenn er dann noch „step by step“ sagt – klingt viel zu neudeutsch für diesen Verein, der ein uraltes schwarzes Gemäuer im Klubwappen trägt: das Weltkulturerbe Porta Nigra, Römerzeit. In dieser Saison scheint Trier in der Neuzeit angekommen zu sein. Vergangenes Jahr, nach dem mehr als 20 Jahre ersehnten Aufstieg, segelte der Klub auf einer irreal konstanten Erfolgswelle: nur einmal schlechter als Platz acht, am Ende Siebter nach so manchem Bundesliga-Traum.“

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FC 1926 Großen-Buseck mit 2:0 gegen die TSG Leihgestern

Nach einer 0:1-Auswärtsniederlage setzte sich gestern der FC 1926 Großen-Buseck mit 2:0 gegen die TSG Leihgestern durch und konnte somit den zwischenzeitlich nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt in der Bezirksoberliga Süd (Gießen/Alsfeld) sichern. In einem dramatischen Spiel war es dem heroischen Einsatz der FC-Recken zu verdanken gewesen, dass den eigenen Angaben zufolge favorisierten Leihgesterner „Tigern“ die Krallen gestutzt wurden. Dennoch war Schwarz und Gelb das Kolorit des Tages; denn dies sind nicht nur die Farben der asiatischen Raubkatze, sondern auch – und viel bedeutender: die Vereinsfarben der Sieger.

Gewinnspiel für Experten

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Dänemarks „Erfolgsstil“

Roland Zorn (FAZ 13.6.) zu Dänemarks „Erfolgsstil“. „Weg vom irrationalen Spaß am zweckfreien Fußball der frühen Jahre, hin zum pragmatischen Gewinnspiel des 21. Jahrhunderts. Dänemarks Eleven, verstreut über Europas große Ligen, sind im Verbund ein nordisches Bollwerk, an dem nicht nur der L‘art-pour-l‘art-Fußball der frustrierten Weltmeister zerschellt ist. Dänemark widerstand in der brütenden Hitze von Daegu auch dem afrikanischen Sturm und Drang der Senegalesen und zwang zur Eröffnung die zähen Uruguayer in die Knie. Eigentlich kein Wunder, hat doch das Team seit Olsens Dienstantritt nach der sieglos missglückten Europameisterschaft 2000 erst eine einzige Begegnung verloren, ein bedeutungsloses Länderspiel in Frankreich. Also, alle Achtung England: Die gern als kleine Leute daherkommenden Dänen sind in Wirklichkeit nicht der große Außenseiter.“

Ralf Wiegand (SZ 13.6.) über Morten Olsen, den dänischen Trainer. „Man muss sich nur diesen Morten Olsen anschauen und dann das Spiel der Dänen, und man weiß sofort, dass beides zusammen gehört. Olsen war als Spieler schon ein intelligenter Kopf, und heute, als Trainer, sieht er aus wie ein Professor. Vorwitzig balanciert die Lesebrille auf seiner Nasenspitze, und wache Augen linsen über den Rand auf das Spielfeld, wo elf Dänen machen, was Morten Olsen sich hinter seiner faltigen Stirn ausgedacht hat. „Ich habe noch nie mit einem Trainer zusammengearbeitet, der so viel weiß“, sagt der Spieler Stig Töfting (…) Er mag nicht mehr über die Spieler erfügen, die aus dem kleinen Königreich herausstachen wie Schmetterlinge im Winter, diese Fleming Povlsen, Preben Elkjar Larsen, Sören Lerby, vor allem solche Brüder Laudrup, Michael und Brian, und einen ebenso grimmigen wie charismatischen Torwart Peter Schmeichel. Aber noch immer gelten dänische Spieler auf dem europäischen Markt als Qualitätsware, die ihren Preis hat.“

Frankreich

Mark Schilling (NZZ 12.6.). „Nach dem torlosen Remis gegen Uruguay hatte der französische Coach Roger Lemerre ein Auferstehen seines moribunden „Patienten“ nicht ausgeschlossen. Noch atmeten sie, noch bestehe Hoffnung zur Besserung. Nun ist mit der neuerlichen Niederlage gegen Dänemark der letzte Atemzug getan: Der Welt- und Europameister Frankreich muss nach nur drei Vorrundenspielen die Heimreise antreten. Es ist wohl kaum übertrieben, den Abschied der Bleus als eine der größten Sensationen in der Geschichte der 17 WM-Endrunden zu bezeichnen.“

Nach dem französischen Scheitern betreibt Roland Zorn (FAZ 12.6.) Ursachenforschung. „Das also war der Weltmeister: müde, schlapp, erschöpft, urlaubsreif. So schlichen die Franzosen am Dienstag in Incheon vom Platz. Eben waren sie hinauskatapultiert worden von der WM in Korea und Japan. Von einer wohlorganisierten, disziplinierten dänischen Mannschaft, die ihre zwei Treffer nahezu mühelos schoss (…) Es fehlte an allen Ecken und Enden: Frankreich war nach vier Jahren voller Freundschaftsspiele für die WM zwar gesetzt, aber psychisch nicht qualifiziert. Die Mannschaft erholte sich nicht von dem laut Trainer Roger Lemerre „enormen Fehler“ im Eröffnungsspiel, als sie sich von Senegal die Schau stehlen ließ. Danach wurde es dunkel um ein Team, das Lemerre nicht mehr steuern konnte (…) Die Vive-la-France-Mentalität auf dem Rasen hat sich, als es ernst wurde für eine vermeintlich großartige Mannschaft, verflüchtigt.“

Michael Wulzinger (Spiegel 10.6.). „Mit der Equipe Tricolore ist es wie mit vielen anderen Systemen, die über einen längeren Zeitraum dominieren. Ihre Protagonisten werden selbstgefällig und lassen keine Einflüsse von außen mehr zu – bis sie davon überrascht werden, dass ihr Modernitätsvorsprung aufgezehrt ist (…) Die Arroganz der Macht demonstrierten Frankreichs Kicker mitunter auch bei Siegen. Dem Münchner Profi Mehmet Scholl ist von einem Freundschaftsspiel mit der deutschen Nationalelf in Paris die „sehr überhebliche Art“ in Erinnerung geblieben. „Die werden nicht wieder Weltmeister“, prophezeite der Bremer Torsten Frings. Das damalige Ergebnis (0:1) war knapp – die Franzosen hatten sich darauf verlegt, den Deutschen eine Lektion in Spielkultur zu erteilen. Je erfolgreicher Lemerres Mannschaft wurde, desto rigider verrammelte sie sich nach außen. Kritik an Taktik oder Aufstellung etwa betrachtet der Trainer grundsätzlich als unbotmäßige Einmischung – und bürstet sie im Feldwebelton ab. Das schlägt nun bei der WM auf den Hardliner-Coach zurück (…) In Südkorea entpuppen sich auch Frankreichs Heroen als ein ganz banales Team, in dem jeder dem anderen die Schuld zuweist, wenn es nicht läuft.“

Mark Schilling (NZZ 8.6.) bezeichnet die Reaktionen der französischen Spieler nach dem Remis gegen Uruguay als „Autosuggestion“. „Wenn allerdings Desailly der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass es am Dienstag zur Nachmittagsstunde sehr heiß sein werde, weil die Skandinavier die Hitze weniger gut vertrügen, sagt dies auch einiges aus. Wann ist schon letztmals das Selbstverständnis der Franzosen so erschüttert gewesen, dass Petrus angerufen werden musste?“

Frankreichs Chancen auf eine Wende erachtet Thomas Klemm (FAZ 8.6.) als gering. „Alle reden vom Comeback, aber mehr als eine vage Hoffnung auf genügend verbleibende Stärke, das blaue Wunder doch noch zu verhindern, kann keiner vermitteln. Die junge Generation des Welt- und Europameisters ist es nicht gewohnt, mit Niederlagen umgehen zu müssen. Bisher war es immer gutgegangen.“

Christoph Biermann (SZ 8.6.) über die Malaise des Weltmeisters. „Von der Spielweise, die man von Frankreich seit der letzten WM fast kontinuierlich sehen konnte, ist zur Zeit kaum noch etwas übrig geblieben. Statt der gefürchteten Kombinationswirbel sah man viele lang nach vorne gewuchtete Bälle, während die Defensive die Konter von Uruguay nur mit Glück überstand. In den beiden ersten Partien bei dieser WM rächte es sich, dass Roger Lemerre in den letzten Monaten kaum experimentiert hatte. Der französische Trainer setzte fast ausschließlich auf seine erste Elf, ohne ernsthaft Varianten des auf Zidane zugeschnittenen Systems zu probieren. Sein Fehlen konnten aber weder Youri Djorkaeff im Eröffnungsspiel noch Johan Micoud gegen Uruguay nur annähernd kompensieren.“

Josef Kelnbeger (SZ 29.5.) befasst sich mit den Perspektiven des amtierenden Welt- und Europameisters. „Sieht man genau hin, haben sich in ihr Spiel Anzeichen von Arroganz geschlichen. Sie könnten am Ende ihres Weges sein (…) Sie sind fast schon zu gut geworden, zu groß, schon jetzt Legenden des Fußballs. Sie haben die französische Schule zu einem Modell für die Welt gemacht (…) Sie können mit grandiosen Toren Weltmeister werden, sie können aber auch grandios abstürzen. Sie hängen an einem seidenen Faden, wie sie beim 3:2 im Test gegen Südkorea zeigten, so fein wie eine Muskelfaser von Zinedine Zidane.“

Uwe Marx (FAS 26.5.) beschreibt den Stil des besten Fußballer der Welt. „Wenn Zinedine Zidane den Ball mit der Sohle streichelt, auf ihm zu schweben scheint, ihn mit dem linken Fuß sanft zu sich heran zieht, landet, das gleiche wie tanzend wiederholt, diesmal mit rechts, sich dabei um die eigene Achse dreht und einer Überzahl stochernder Gegnerbeine entkommt – dann kann man das schnöde einen gewonnen Zweikampf nennen. Oder Kunst. Wäre der Fußball ein Ballett, Zidane wäre der erste Solist (…) Was bei ihm verblüfft, ist diese perfekte Mischung aus technischer Begabung und robuster Physis.“

Daniel Cohn-Bendit (FR 25.5.) würde sich über einen erneuten französischen Triumph doppelt freuen. „Es gibt linken und rechten Fußball – sie sind verschieden. Das besonders Schöne daran ist, dass mit Frankreich nicht nur der beste Fußball gewinnt, sondern obendrein auch die politisch korrekte Sache, wenn nämlich erst Zinedine Zidane, Thierry Henry, David Trezeguet, Marcel Desailly, Liliam Thuram und die anderen Immigrantensöhne der ersten, zweiten oder dritten Generation den Pokal in die Höhe stemmen, dann ist das der Triumph einer multikulturellen Leistung Frankreichs, die zumindest im Fußball längst die Dimension ethnischer Zugehörigkeiten überwunden hat. Auch wenn es sich in der Realpolitik bei der vergangenen Präsidentschaftswahl anders darstellte (…)Was denken Sie, wie den Anhängern Le Pens diese Marseillaise im Hals stecken bleiben wird. Werden sie die Finger an die Lippen legen, um zu pfeifen anstatt zu singen, so wie Korsen oder Algerier zu entsprechendem Anlass? Wohl kaum, wenngleich sie allen Grund dazu hätten. Denn das, was sie als Frankreich sich wünschen, ist das Gegenteil dessen, was hier als erste Mannschaft seit Brasilien 1962 den WM-Titel verteidigt. Tatsächlich ist diese Mannschaft für Frankreichs Rechte ein leibhaftiges Trauma: Sie ist Ausdruck einer Welt, die sie nicht verstehen, die sie nicht wollen, und doch bringt sie das Beste hervor, was Frankreich fußballerisch je zu leisten fähig war (…)Und das Gute an der WM, die eine wirklich bunte Equipe Tricolore gewinnen wird, ist doch auch, dass sie so herrlich vorführen, wie sie miteinander von ihren verschiedenen multikulturellen Fähigkeiten profitieren und das ganze Volk Frankreichs – wenn es das denn akzeptiert – mit ihnen. Ein wunderbares Gleichnis, ich bin ganz besoffen vor Freude auf die WM.“

Roland Zorn (FAZ 8.5.) berichtet über den Titelverteidiger und Turnierfavoriten. „Der Geist der Musketiere weht in dieser Équipe Tricolore, die 1998 Weltmeister und 2000 Europameister wurde. Dabei ist es nicht der Erfolg allein, der die Lizarazu, Zidane, Vieira, Petit, Thuram, Desailly und Barthez zusammen schweißt: Es ist ein familiäres Gefühl der Zusammengehörigkeit und die Gewissheit, besser als jede andere Mannschaft Fußball spielen zu können (…) Les Bleus, das sit die Eliteklasse in der Hochschule des Fußballs. Frankreich prägt den modernen Fußball des frühen 21. Jahrhunderts mit einem Stil, der kunstvoll und diszipliniert, systematisch und individuell, organisiert und improvisiert zugleich wirkt (…) Die Franzosen haben, vor vier Jahren dazu von Aimé Jacquet, seit dem August 1998 von dessen Nachfolger Roger Lemerre abgeleitet, ein Positions- und Überzahlspiel ausgetüftelt, in dem sie den Ball in Traingelverbindungen vorantreiben. Alles ist im Fluss, niemand steht still.“

Walter Haubrich (FAZ 15.5.) über die Spielweise des weltbesten Fußballers. „Manche Fußballspiele langweilten die Zuschauer, weil sie zu langsam seien, und andere wirkten chaotisch wegen zu hoher Geschwindigkeit. In Europa werde gewöhnlich zu schnell, in Südamerika zu langsam gespielt. Zidane wisse, wann der Ball zu halten und wann er schnell abzuspielen sei, wann mit kurzen und wann mit langen Pässen der Spielrhythmus bestimmt werden müsse, wann das Spiel zu den Außenverteidigern hin zu öffnen oder zu verlangsamen sei und wann eine schnelle Vorlage durch die Mitte Erfolg verspreche. Zidane weiß auch jetzt bei Real Madrid, was in jedem Augenblick zu tun ist – ob nun aus Inspiration oder dank seines besonders schnellen Gesamtüberblicks; die gegnerischen Spieler wissen nicht, was er tun wird, und bleiben so häufig, überrascht von den Einfällen des französischen Stars, einfach stehen. Auch manche seiner Mannschaftskameraden können nicht so schnell mitdenken, und deshalb erreichen einige Pässe Zidanes nicht ihr Ziel. Wenn heute im Fußball die Zusammenstöße der Spieler immer häufiger werden, so findet Zidane meistens einen freien Weg, um am Gegner vorbeizukommen.“

Der für das französische Präsidentschaftsamt kandidierende Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen hatte im Vorfeld der WM 1998 die mit zahlreichen Imigranten bestückte – und später siegreiche – französische Nationalmannschaft als „Negermannschaft“ bezeichnet und als eine „im Ausland zusammen gekaufte“, die einer französichen Nationalmannschaft nicht würdig sei. Jürg Altwegg (FAZ 3.5.) erinnert an die vermeintliche politische Wirkung des damaligen sportlichen Erfolgs. „Die unsäglichen Attacken des braunen Politikers verfehlten ihre Wirkung nicht. Ob sie sich leistungssteigernd auf die Nationalspieler auswirkten, bleibe dahingestellt. Jedenfalls erwiesen sie sich als äußerst wertvoll, als es darum ging, dem Triumph ein politisches Profil zu vermitteln. „Les Bleus“, die Blauen, wurden als multikulturelle Mustermannschaft gefeiert. Mit Le Pens politischem Programm der „nationalen Präferenz“ wäre der Titel unmöglich gewesen. Er wurde zum antifschistischen Lehrstück – gerade im Vergleich mit dem Scheitern der Deutschen – verklärt. Mehr als die Politiker hätten die Fußballspieler bewirkt, verkündete der Soziologe Georges Vigarello. Frankreich befand sich damals in einem Taumel der Vergangenheitsbewältigung. Der Titel war Balsam auf die Seele einer neurotisch gewordenen Nation.“

Senegal

Die senegalesische Tageszeitung Le Soleil (30.5.) berichtet über die „Affäre Fadiga“.“Die Neuigkeit des gestrigen Tages war mit Sicherheit die Bestätigung der „Affäre Fadiga“. Die Nummer 10 der „Löwen“ hatte in einem Geschäft in Daegu geschickt ein Schmuckstück im Wert von 280 Euros verschwinden lassen. Die verborgenen Überwachungskameras waren unerbittlich und angesichts der koreanischen Polizei, die ihm die Beweise seiner Untat vor Augen führte, konnte Fadiga nichts als gestehen. Für den Präsidenten des FSF (senegalesischer Fußballverbands) El Hadj Malick Sy war die Aktion nicht mehr als eine Handlung, die durch äußeren Einfluss zustande gekommen ist, da der Schuldige weit davon entfernt ist, einen derartigen Diebstahl nötig zu haben. Mittlerweile sei alles wieder in Ordnung. Der Spieler fühle sich gut, da er durch seine Mannschaftskollegen die notwendige Unterstützung erhalte. Auch die Mitspieler, namentlich Makhtar Ndiaye, messen der Angelegenheit wenig Bedeutung bei. „Es ist nicht entscheidend, was passiert ist. Es ist, als ob man von gewisser Seite versuche, uns zu destabilisieren. Aber das wird nicht gelingen.“

Die immense Bedeutung des Eröffnungsspiels ihrer Mannschaft gegen Frankreich kommentiert das senegalesische Online-Organ allezleslions.com (27. Mai). „Diese Woche wird es ernst. Das, was bis heute dem Bereich des Traumes zugeordnet war, wird Realität werden. Vor mehr als eineinhalb Milliarden TV-Zuschauern, werden die Repräsentanten eines kleinen Landes von 10 Millionen Einwohnern, gelegen im äußersten Westen des afrikanischen Kontinents, auf Goliath treffen: Frankreich, Europa- und Weltmeister. Sie werden ein weißes Trikot tragen, geschmückt mit grün, gelb und rot und werden stolz wirken. Eineinhalb Milliarden Menschen werden die Nationalhymne des Senegal entdecken, eine Nationalhymne in französisch, der offiziellen Sprache ihres Landes, aber auch die des heutigen Gegners. Die Kommentatoren werden erzählen, wie diese beiden Länder miteinander verbunden sind und sie werden z.B. sagen, dass eine Säule der französischen Elf, Patrick Vieira, vor 26 Jahren in der Nähe von Dakar, der Hauptstadt des Senegal, der des Gegners des heutigen Tages, geboren wurde. Ein großes Kapitel werden sie danach Sylvain Ndiaye, einem spät zum Senegalesen gewordenen Spieler, widmen, der sein Land erst mit 25 Jahren zum ersten Mal betreten hat, nachdem er in Frankreich, dem heutigen Kontrahenten, geboren worden ist. Dakar wird eine tote Stadt sein an diesem 31. Mai 2002. Nicht einmal die Katzen werden in den Straßen unterwegs sein. In den Häusern, werden alle an den Radios oder Fernsehern kleben, jung, alt, Mann und Frau werden nicht mehr an die Risiken des Tages denken in einem Land, das so hoffnungslos arm ist wie schon immer. Für sie wird es nicht nur ein einfaches Fußballspiel sein. Es wird an diesem Morgen die Möglichkeit geben, Revanche zu nehmen, eine symbolische, das ist wahr, aber eine Revanche auch gegen die Kolonialmacht, die sie drei Jahrhunderte zur Sklaverei gezwungen hat. Dort drüben, in der Ferne Seouls, wo es schon Nacht werden wird, werden ihre Söhne, die Löwen eines ganzen Volkes, sich im tiefsten Inneren vergegenwärtigen, dass sie das Spiel ihres Lebens bestreiten. Sie werden alles geben, was sie haben, sogar mehr, sie werden mit ihrer Seele spielen. 90 Minuten später wird es vorbei sein. Man hat an dieses Match seit 6 Monaten gedacht, und wird nun an das folgende Spiel denken. Die Löwen werden ihrem Volk Ehre gemacht haben, sie werden würdige Vertreter Afrikas gewesen sein. Werden sie gewonnen haben? Werden sie verloren haben? Wenn ich die Antwort auf diese Frage wüsste, dann wäre ich nicht ebenso nervös wie sie, die sie diese Zeilen lesen. Ich weiß allerdings, dass unsere Löwen sich von ihrer ganzen Größe zeigen werden und uns nicht enttäuschen werden.“

Senegal hat sich zum ersten Mal für eine WM-Endrunde qualifiziert. Sven Gartung (FAZ 16.5.) über die Ursachen des Erfolgs und die Chancen des Teams. „Vater des jungen Erfolges ist Bruno Metsu, ein Franzose, der nicht nur kürzlich ein senegalesisches Model geheiratet hat, sondern auch zum Islam konvertiert ist und sich nun Abdoul Karim Bruno Metsu nennt (…) Für die Weltmeisterschaft hat der Trainer 22 Legionäre aufgeboten. 20 Spieler stehen bei französischen Vereinen unter Vertrag, je einer spielt in Marokko und der Schweiz – und nur der dritte Torwart ist in Senegal aktiv. Die Nationalelf, derzeit in der Fifa-Rangliste auf Platz 44 geführt, beeindruckt auch René Girard. „Athletisch, technisch einwandfrei, taktisch klug“, so das Resümee des Assistenten von Frankreichs Nationaltrainer Roger Lemerre. Individuell gehörten talentierte Spieler wie Fadiga zu den besten in der französischen Meisterschaft, „unter Metsu entdecken sie nun auch den Teamgeist.“ Nachteile sieht Girard in der fehlenden Turniererfahrung und im psychologischen Moment. Wie stabil, fragt er sich, ist die Mannschaft, wenn sie unter Druck gerät?“

Gewinnspiel für Experten

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Dominanz der Defensive und Destruktivität – Andreas Möller geht – die Stimmung in Cottbus (traurig) und in Berlin (höhnisch)

Daniel Theweleit (FR 21.5.) zieht ein ernüchterndes Saisonfazit. „Noch vor einem Jahr beglückte Bayer Leverkusen Europa mit wunderbarem Offensivfußball. Ich habe halt eine eigene Philosophie. Ich liebe den technisch schönen Ansatz, das Kurzpassspiel, das begeistert, erklärte Klaus Toppmöller sein Konzept, mit dem die Mannschaft die Herzen verzauberte. Er beharrte auf diesem Konzept, bis er deshalb entlassen wurde. Inzwischen erfreuen sich zwar immer noch Menschen – nämlich jene mit einem Faible für die Lust am Niedergang – an Bayer Leverkusen, aber in Wahrheit ist der Zerfall des toppmöllerschen Konzeptes, der Umschwung auf einen Fußball der Prägung Thomas Hörster (dennoch entlassen zwar), eine Tragödie. Geholfen hat dieser fußballerische Paradigmenwechsel kaum, aber er steht beispielhaft für eine Tendenz, die die am kommenden Wochenende endende Fußballsaison kennzeichnet (…) Lichtblicke der Spielfreude waren allein der VfB Stuttgart mit seiner disziplinierten Leidenschaft und Hannover 96, dessen Trainer Ralf Rangnick wohl am eindeutigsten das Offensivspiel zur Priorität erklärte. Am Ende wurde er belohnt, weil Jiri Stajner in letzter Minute mit einem Hoppelball zum 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach traf – übrigens nach einem langen, verzweifelten Befreiungsschlag des Torwarts Tremmel. Das Highlight also ein Abstiegskandidat, dessen Trainer lange Zeit um seinen Job fürchten musste. Es kann Zufall sein, aber auffällig ist die Parallele des Erscheinungsbildes der Fußballsaison zur allgemeinen Befindlichkeit schon: Bloß nichts verlieren, die Bereitschaft zu Solidarität und Risiko tendiert gegen Null, die Schwelle zur Resignation ist niedrig, und überall steht Besitzstandswahrung im Mittelpunkt. Die Angst vor dem Verlust treibt die Leute in die Defensive, und der messbare Erfolg tritt noch stärker in den Vordergrund. So lässt sich die Stimmung im Land beschreiben, und mit dieser Einstellung liefen am Wochenende meist auch die Bundesligaspieler auf den Platz. Das Resultat: Fußballerische Tristesse. Bälle werden lang nach vorne geschlagen, die Nachsicht gegenüber Spielern, die das Risiko suchen, schrumpft auf ein Minimum, und Trainer predigen Realismus, greifen auf Spieler zurück, deren Primärstärke Zuverlässigkeit ist. Genialität, Inspiration und das Gefühl für das Außergewöhnliche gedeiht in solch einem Umfeld nur dürftig. Wo waren die wirklich begeisternden Spiele in diesem Jahr?“

BSC-Connection

Mit einem liebenswerten Portrait verabschiedet Thomas Kilchenstein (FR 21.5.) einen der erfolgreichsten deutschen Spieler der 90er aus der Liga. „Andreas Möller kommt aus Frankfurt-Sossenheim, einem Stadtteil an der Peripherie der Stadt, er stammt aus einfachen, aus intakten Verhältnissen. Sein Trainer war Klaus Gerster, der später schwarzer Abt hieß und von der Uefa kurzzeitig zur Persona non grata erklärt wurde. Damals, Mitte der Siebziger, hieß er aber noch Bimbo, spielte Mittelstürmer in der ersten Mannschaft und bekam die Bälle aufgelegt von Thomas Kruppa, der später als Anwalt den beiden bei den hochkomplizierten Vertragswerken, etwa beim Wechsel von Eintracht Frankfurt zu Juventus Turin, zur Hand ging. Es war eine überschaubare Welt, simpel gestrickt, aber höchst effizient: Der Andy kickte, besser als die meisten, der Bimbo, Freund und Berater, führte ihn und der Kruppa erledigte das Juristische. Manche sprachen da von der BSC-Connection. Aber sie funktionierte prächtig, für alle Beteiligten. Und Andy Möller startete seine, wie er sagt, Traumkarriere. In diesen Tagen des Abschieds fragt man sich krampfhaft, warum sich die unzweifelhaft vorhandenen Erfolge des Andy Möller nicht fester im Gedächtnis eingebrannt haben. Gemessen an seinen errungen Pokalen und Titeln hätte Möller eigentlich ein Weltstar sein müssen. Doch in Erinnerung bleibt irgendwie nur: Jammerlappen, Schönwetterspieler, Schwalbenkönig. Ein Held der Massen war Andy Möller nie, dazu war er, obwohl bodenständig, höflich und kreuznormal, nicht authentisch genug. Er taugte nicht zum Helden der Massen, weil man sinnbildlich stets die Strippen sah, an denen Gerster zog. Andreas Möller ist, trotz manch gedrechselten Satzes, trotz des vielen Geldes, des Ruhms, im Grunde immer der kleine Junge vom BSC 19, vom Rosegger Sportplatz geblieben, der nichts als Fußball spielen wollte, schönen, schnellen Direktfußball. Am liebsten ohne die ganzen unangenehmen Dinge wie Körperkontakt, Grätschen, arbeiten nach hinten, ackern und kämpfen. Bei ihm sollte es leicht aussehen, spielerisch. Es sah aber oft aus, als sei er sich zu schade für den gemeinen Pressschlag, als wolle er sich nicht wehtun beim Sport. Dabei wollte er nur den perfekten Fußball spielen, so wie damals 1992 in Frankfurt bei der Eintracht unter Stepanovic. Das war meine schönste Zeit als Fußballer. Nur gewonnen hatte er damals nichts. Das hat er später nachgeholt, mit Borussia Dortmund ist er erstmals Meister geworden, das war sensationell, er ist mit Juventus Turin Europapokal-Sieger geworden, mit Deutschland Welt- und Europameister, 1992 Vize-Euromeister. 1990, als damals jüngster Spieler, hatte er nur ein paar Kurzeinsätze, in keinem der drei Endspiele war Möller dabei. Möller war nie unumstritten. Er weiß das inzwischen, bei jedem meiner Wechsel musste ich mich neu beweisen. Ungewöhnlich für einen Fußballer seiner Klasse.“

Alles Denkbare ist auch machbar

Christian Zaschke (SZ 21.5.) analysiert die Stimmung in Cottbus. „Das Poesiealbum wurde vor drei Jahren geöffnet. Damals haben Antje Schlodder-Franke und ihr Mann Peter Franke ein rot gebundenes Buch bereitgelegt, etwas breiter als hoch, und jeder Erstliga-Trainer, der seitdem im Stadion der Freundschaft in Cottbus zu Gast war, hat etwas hineingeschrieben. Die beiden führen einen Landgasthof außerhalb der Stadt, und sie sorgen für Essen und Getränke für die Vips und die Presse bei den Heimspielen des FC Energie, des Fußballklubs der Stadt. Am 23. September 2000, der Aufstieg des FC Energie Cottbus in die Erste Liga war noch frisch, schrieb Christoph Daum, damals Trainer von Bayer 04 Leverkusen: „Alles Denkbare ist auch machbar.“ Er war ein Mann, der in Slogans sprach, und damals glaubte man ihm. Im Nachhinein scheint es, als habe er der erstaunlichen Geschichte des Cottbuser Fußballvereins ein Motto verpassen wollen. Natürlich ist es ein pathetischer Spruch, doch er passt zu Cottbus und seiner eigenwilligen Poesie. Worte klingen in dieser Stadt manchmal sehr groß. Als am vergangenen Samstag der FC Energie zu seinem letzten Heimspiel in der Ersten Liga antrat, haben die Fans ein Transparent entrollt. „Träume werden von der Realität verschluckt“ stand darauf, und dazu hielten sie graue Tafeln in die Luft. Die drei Jahre von Cottbus sind vorbei. Plötzlich war die kleine Stadt mit ihren 105.000 Einwohnern damals auf die Landkarte geworfen worden, der Fußball kann das. Unterhaching ist auf diese Weise bekannt geworden, oder Wattenscheid und Uerdingen. Der Fußball hatte der Stadt Cottbus Selbstbewusstsein gegeben, jetzt wussten die im Westen immerhin ungefähr, wo dieses Cottbus liegt.“

Er ist aber ’n Schalker!

Javier Cáceres (SZ 21.5.) war auf der Mitgliederversammlung von Hertha BSC. „Gewiss, einen Eklat im engeren Sinne gab es nicht. Und mit Ausnahme einer an Nationalverteidiger Marko Rehmer adressierte Erkundigung aus dem off („Marko, was macht die Psyche?“) waren auch die verbalen Tiefschläge eher spärlich gesät. Aber man musste schon eine eigene Sicht auf die Dinge haben, um die Mitgliederversammlung des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin als „sehr harmonisch“ zu empfinden, wie es der Vereinsvorsitzende Bernd Schiphorst tat, seiner Miene nach in vollem Ernst. Das war allein deshalb überraschend, weil er der Erste gewesen war, der im Redefluss unterbrochen wurde: Als er unter Tagesordnungspunkt eins, Eröffnung und Begrüßung, feststellte, dass Hertha „vor zehn Jahren praktisch am Ende“ war, erntete er gemurrten Unbill – dies sei ja langsam bekannt. Als Schiphorst aber ansetzte, Hertha einen Platz „in der deutschen Spitze“ zuzuschreiben, formte sich das Echo zu Hohn. Und Gelächter. Es brauchte am Montagabend keines Stethoskops, um festzustellen, wie sehr das Herz der Hertha rast am Vorabend des letzten Spieltags der laufenden Saison (…) Trotz der Inszenierung des Abends durch Hoeneß ließ sich ein Thema nicht vertreiben: die Distanz zwischen Trainer Huub Stevens und jenem Teil der Herthaner, der ihm seinen Lebenslauf vorhält, der zwischen 1996 und 2002 eine Tätigkeit bei Schalke 04 ausweist. Auch Stevens richtete sich per Mikrofon an die Mitglieder, in Demut zwar („Es ist nicht einfach, hier zu stehen“) , aber doch auch mit Grimm. Vermutlich würde Kanzler Schröder auf einer IG-Metall-Tagung mehr Zuspruch erfahren als der Niederländer in Berlin. „Die ganze Liga beneidet uns um Huub Stevens“, beteuerte Hoeneß – und hörte Protest. Als er Stevens „ein Juwel“ nannte, gellte es ihm aus einer Kehle entgegen: „Er ist aber ’n Schalker!““

Gewinnspiel für Experten

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Rarität im Profifußball

„Dass ein Trainer bei seiner Ablösung selber Regie führt, ist eine Rarität im Profifußball“, urteilt die SZ über Hans Meyers Rücktritt vom Traineramt bei Borussia Mönchengladbach. Seitens der Qualitätspresse wird „dem schlagfertigsten und intelligentesten Fußballcoach seit Erfindung des Trainerscheins“ (FTD) ein stilvoller, wenn auch eitler Abgang bescheinigt. In den heutigen Kommentaren zeigt sich, dass der kauzige Meyer nach wie vor die Anerkennung der seriösen Schreiber genießt, während er auf dem Boulevard jederzeit einen schweren Stand hatte. Über keinen anderen (erfolgreichen) Trainer der Liga waren die Ansichten derart geteilt. Mit dem mit Meyer befreundeten und ehemaligen Gladbacher Profi Ewald Lienen ist bereits ein Nachfolger gefunden, der die Arbeitsweise seines Vorgängers fortzusetzen gedenkt. „Es war die harmonischste Stabübergabe der Ligageschichte“, schreibt die FTD, und die SZ lobt das „Ende ohne Disput“.

„Ein Spitzenspiel sollte es werden, doch am Ende war nur von einem Spitzenspieler die Rede“, berichtet die FAZ vom 2:0 des Tabellenführers aus München bei der bisher besten Rückrundenmannschaft aus Cottbus. Eine gelungene Pointe gelang dabei Michael Ballack, der beide Treffer erzielte, nachdem er im Vorfeld Trainer Hitzfeld wegen dessen defensiver Taktik kritisiert hatte und eine Geldstrafe berappen musste. Jedenfalls ist der „Aufstand der Lausitzer Zwerge beendet“ (FR).

Außerdem: „Die Kunstakademie in der BayArena ist bis auf weiteres geschlossen“, bewertet die SZ das 3:0 der kampfstarken Leverkusener über Werder Bremen. „Statt mental verhedderter Stars ist in Leverkusen erst mal die Zeit unbefangener Arbeiter angebrochen. Bayer ist in die Fußball-Grundschule zurückgekehrt.“

Thema des Tages

Christoph Biermann (SZ 3.3.) kommentiert den Abgang Meyers. „Der dritte vorzeitige Trainerwechsel dieser Saison war großes Theater. Er wird vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil sich in Hans Meyer ausnahmsweise der Coach zum Regisseur seines Abschieds machte. Den letzten Arbeitstag seiner Karriere als Fußballtrainer inszenierte der 60-Jährige perfekt, irgendwo zwischen Dramolett und Burleske (…) Als alle Kameras abgebaut und verstaut waren, hob er zum großen Finale an und verkündete dem verblüfften Vorstand seinen Rücktritt. Hans Meyer hat einen starken Abgang gesucht, würdig war er und versetzt mit einem für Meyer typischen leicht kruden Humor. Andererseits wird er froh sein, dass es vorbei ist, denn die Müdigkeit war in seiner Arbeit zu spüren. Meyer ist einfach zu alt, um die absurden Umstände des Trainerjobs noch übersehen zu wollen.“

Michael Horeni (FAZ 3.3.) meint dazu. “Vor zwei Wochen haben sich die Leverkusener beim Rauswurf von Trainer Toppmöller wie die üblichen 365-Tage-Jecken der Liga aufgeführt. Der Abschied des Fußballehrers Hans Meyer von Mönchengladbach hat der Narrhalla-Gesellschaft Bundesliga am Fastnachtssamstag dagegen verdeutlicht, wie närrisch sie sich ansonsten aufzuführen pflegt. Der 60 Jahre alte Trainer hat die schon fast in Vergessenheit geratene Courage besessen, ganz allein für sich zu entscheiden, daß nach dem 2:2 gegen Schalke nach dreieinhalb Jahren die Zeit für den Abschied von der Borussia gekommen war. Meyer trat überraschend zurück, und es schien, als schriebe man nicht das Jahr 2003, sondern befände sich irgendwo in den Siebzigern auf dem beschaulichen Bökelberg, als Stil noch zum Geschäft gehörte. Zur altmodischen Anmutung paßt, daß sich der Klub am Sonntag auch von einem Profi wie Markus Münch getrennt hat, mit dem Meyer nicht mehr zusammenarbeiten wollte. Dabei heißt der neue Mönchengladbacher Trainer doch nun Ewald Lienen, und üblich ist es in solchen Wechselfällen, daß Spieler bei einem Neuanfang für jedes Fehlverhalten und für alle Fehlleistungen der jüngsten Vergangenheit mit Generalamnestie rechnen können. Die mutige Personalentscheidung des Abstiegskandidaten bedeutet jedoch auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko, das die meisten Konkurrenten aus gutem Grund fürchten, da am Ende die Vereinsführung eben doch am Erfolg und nicht an ihrer respektablen Haltung gemessen wird.“

Von Jörg Stratmann (FAZ 3.3.) lesen wir. „Trennungen in dieser Branche pflegen offiziell in beiderseitigem Einvernehmen über die Bühne zu gehen. Doch zum Außergewöhnlichen dieses Trainerwechsels gehört auch, wie sich Borussias Verantwortliche nach dreieinhalb Jahren in schwierigen Zeiten ausdrücklich bei Meyer bedankten. Ohne Abfindung, diese Klausel war schon in die Verlängerung eingearbeitet worden. Doch als Scout wird Meyer dem Verein erhalten bleiben. Ohne den gebürtigen Brandenburger, der über Trainerstationen bei Carl-Zeiss Jena, Rot-Weiß Erfurt, dem Chemnitzer FC und Twente Enschede zum abstiegsgefährdeten Zweitligaverein Borussia gefunden hatte, wäre weder der Aufstieg 2001 noch jene Aufbruchstimmung möglich gewesen, in der nun ein modernes Stadion entstehe, auf das Borussia alle Hoffnungen setze, sagte Jordan. Und Sportdirektor Christian Hochstätter ergänzte, er habe in Meyer einen väterlichen Freund gefunden. Borussias Anhänger drückten ihre Wertschätzung schon lange aus, indem sie von den Rängen ihre höchstmögliche Auszeichnung verliehen: Sie riefen Hennes Meyer, weil ihr Verein ähnlich wie seinerzeit unter Meistertrainer Hennes Weisweiler aufzublühen schien. Dieses Miteinander beendete Meyer nun nach 1272 Tagen aus freien Stücken, so wie er selbst den Namen Lienen ins Gespräch um die Nachfolge gebracht hatte. Am Samstag sorgte er für einen reibungslosen Übergang, indem er Lienen zwei Stunden lang über Mannschaft und Abläufe der Trainingsarbeit ebenso informierte wie über Dinge, die in letzter Zeit abgelaufen sind, wie Lienen erzählte.“

Bernd Müllender (FTD 3.3.) wird Meyer vermissen. „Es war die harmonischste Stabübergabe der Ligageschichte. Im Laufe des Abends sah man Vorgänger und Nachfolger plaudernd und scherzend wie gute Kumpel. Die beiden passen zusammen. Vor Jahren hatte die „Welt“ nach einer gemeinsamen Pressekonferenz, Lienen war damals in Köln, getextet: „Lienen, in den 80er Jahren in der links-alternativen Szene aktiv, und der im Sozialismus aufgewachsene Meyer spielten einen verbalen Doppelpass, der stark an das US-Komiker-Duo Walter Matthau und Jack Lemmon erinnerte.“ Meyer wird der Liga fehlen. Sätze wie „Meistens verstehen die wichtigsten Leute im Klub nichts von Fußball“ hörte man nur von ihm. Oder Schocker wie „Von Hause aus bin ich Kommunist“, was 1999, zu Beginn seiner Tätigkeit im konservativen Mönchengladbach, schwer erschreckte. Meyers Pressekonferenzen waren immer kleine Charme-Mützel mit den Medien. Mal war der Trainer erfrischend zynisch, mal herzenswarm, mal alles zusammen oder kurz nacheinander. Meyers Masche: spaßige intelligente Unberechenbarkeit. Jetzt freuen sich alle auf den sperrigen Lienen. Für die Borussia hatte er als Spieler Herzblut gegeben und damals, im Bremer Weserstadion, aus seinem aufgeschlitzten Oberschenkel, sogar richtiges.“

Sven Astheimer (FR 3.3.) blickt zurück. „Leute, die ihn länger kennen, sagen, dass der Fußball-Trainer Hans Meyer nicht immer so gewesen ist. Dass er im Lauf der Zeit gelernt habe, sich hinter selbst errichteten hohen Mauern mit beißendem Zynismus gegen manch bittere Enttäuschung zur Wehr zu setzen, die das Fußball-Geschäft für ihn parat hatte. Im Osten galt Meyer als Meister seines Faches. Mit Carl Zeiss Jena holte er drei Mal den Pokal, stand 1981 im europäischen Pokal-Finale und gewann fünf Vizemeisterschaften hinter dem quasi planwirtschaftlich gesteuerten Abo-Sieger Dynamo Berlin. Eine einwandfreie Bilanz – die nach dem Mauerfall aber kaum noch jemanden interessierte. Fußball-Theorie, Abteilung Ost, war out. ein Einzelschicksal: Kollege Eduard Geyer beklagt, dass er sich mit Energie Cottbus seine Meriten ein zweites Mal verdienen musste. Der frühere DDR-Auswahltrainer Bernd Stange tingelt kreuz und quer durch die Weltgeschichte auf der Suche nach bezahlter Arbeit – last Exit: Bagdad. Ulrich Thomale, 1987 mit Lokomotive Leipzig im Europapokal-Finale, geht stempeln, Klaus Sammer wurde bei Dynamo Dresden mit wegsaniert und Dixie Dörner scheiterte bei Werder Bremen.“

Axel Kintzinger (FTD 3.3.) porträtiert den Bayern-Manager. „Der Hoeneß dieser Tage erinnert schon äußerlich zunehmend an einen aktuellen Kinostar, den wir ebenfalls aus unserer Kindheit kennen: Karlsson vom Dach. Fehlt nur der Propeller auf dem Rücken. Ansonsten stimmt alles, vor allem die Haltung. Den einen wie den anderen wirft so schnell nichts um, beide sind die Besten der Welt in der Disziplin, die Realität ihrem Weltbild anzupassen. Ertappt bei anrüchigen Geschäften mit Kirch, reagiert Hoeneß – wie die Figur aus Astrid Lindgrens Feder – erst pampig, dann selbstbewusst: Das stört keinen großen Geist. So was scheint Erfolg versprechend. Kein Mensch glaubt ernsthaft, dass den Bayern wegen der geheimen Kirch-Millionen irgendein Ungemach droht, und wie Karlsson seinen Lillebror, so hat auch Hoeneß ganz schnell Freunde in der Liga, die zu ihm stehen. Das Karlsson-Prinzip funktioniert – nicht nur in München und nicht nur beim Fußball. Sondern auch im Finanzsektor: Banken mit Einnahmeproblemen? Stört keinen großen Geist, da muss halt der Staat helfen, der sich doch sonst herauszuhalten habe. Oder in der Politik: Fehlende Mehrheit im Weltsicherheitsrat? Kein Problem, immerhin leiden westafrikanische Staaten bekanntermaßen unter großen Geldsorgen.“

Energie Cottbus – Bayern München 0:2

Katrin Weber-Klüver (FTD 3.3.) resümiert. „So weit sind sie also gekommen, die Männer des FC Bayern München mit ihrem einsamen Erfolg in der nationalen Konkurrenz. So weit, dass die Frage nach dem nächsten Deutschen Meister derart langweilt, dass sich die nach Abwechslung und Aufregung verlangende Aufmerksamkeit auf Nebenschauplätze verlagert. Bei zehn Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger ist weder ernsthaft darüber zu debattieren, ob Borussia Dortmund noch eine Chance auf die Titelverteidigung hat, noch kann sich das Fußballvolk allwöchentlich an spektakulär großartigem Spiel der Bayern vergnügen. So werden neben millionenschweren, dafür moralisch schwachen Geheimverträgen vor allem Petitessen und Privates aus der Welt der Münchner zum Gegenstand öffentlicher Betrachtung. Erst wurde vergangene Woche ein harmloses Interview von Michael Ballack zu Fragen der Bayern-Taktik und seiner persönlichen Rolle im Spielsystem zur Revolte gegen Trainer Ottmar Hitzfeld hochgejazzt, vereinsinterne Geldstrafe des umgehend reuigen Spielers („Es hätte nicht in die Zeitung müssen“) inklusive. Am Wochenende nun stießen Klatsch- und Boulevardblätter in die Lücke, um mitzuteilen, Oliver Kahn, 33 Jahre alt, verheiratet, nächstens Vater zweier Kinder, unterhalte eine Affäre.“

Zu den Reaktionen der Sieger heißt es bei Friedhard Teuffel (FAZ 3.3.). „Hinterher verteilten die Münchner noch Worte des Wohlwollens und der Gefälligkeit an die Cottbuser. Die Cottbuser haben uns sehr freundlich aufgenommen und eine starke Leistung geboten, sagte Manager Uli Hoeneß. Allein diese Worte sagten viel über das Spiel aus. So redet man, wenn man vor, während und nach dem Spiel gut behandelt wird. Zwei gute Chancen hatten die Cottbuser zum Torerfolg. In der ersten Halbzeit schoß Marko Topic übers Tor, in der zweiten traf Timo Rost nur den Pfosten. Mehr hatten die Cottbuser nicht beizutragen. Trainer Geyer listete nach dem Spiel seine offen gebliebenen Wünsche auf: daß seine Spieler aggressiver aufgetreten wären, mehr Zweikämpfe gewonnen und mehr für die Offensive getan hätten. So wie er über Fußball denkt und welche Maßstäbe er an ein gutes Spiel anlegt, hätte er sich außerdem wohl mehr Gelbe Karten für seine eigenen Spieler gewünscht. Denn eine Gelbe Karte ist für Geyer wie ein Abzeichen des Kampfes. Doch am Ende hatten die Bayern drei davon bekommen und die Cottbuser nur zwei. Da konnte etwas nicht stimmen. Die Münchner spielten mit der Disziplin, nach der sich der Cottbuser Trainer Geyer so sehnt.“

Andreas Burkert (SZ 3.3.) meint dazu. “Die Münchner leugneten hinterher, unter besonderer Beobachtung gestanden zu haben. Da haben sie natürlich ein wenig geflunkert. „Die Mannschaft hat doch mit der Kirch-Sache nichts zu tun“, sagte Hoeneß trotzdem und arbeitete gelassen die angesammelten Sündenpositionen ab – denn über das Spiel wollte kaum jemand mit ihm reden. „Das mit Michael Ballack ist doch harmlos gewesen, und die Sache mit Oliver Kahn ist seine Privatangelegenheit.“ Wohl nicht ganz, sonst hätte Hitzfeld nicht nach Konsultationen mit dem Keeper die Profis vor dem Abschlusstraining vom nahenden Enthüllungsorkan informiert, worauf sein Team übrigens „zusammengerückt“ sei und „auch für den Olli gespielt“ habe. Das mag in diesem delikaten Fall etwas makaber klingen, wie auch Jens Jeremies´ Hinweis, Kahn habe „schon ganz andere Drucksituationen durchgestanden.“ Dennoch demonstrierten die Münchner beim FC Energie eindrucksvoll, dass die Aufregungen am Rande die sportliche Potenz nicht in Gefahr bringen können. In Cottbus profitierten sie anfangs vom unvermindert hohen Respekt vor dem Klubenblem.“

Karsten Doneck André Görke (Tsp 3.3.). „Auf keinen Fall sollte sich der FC Energie durch die verbalen Nebelkerzen den Blick trüben lassen, mit denen Bayerns Manager Uli Hoeneß nach Spielschluss gegenüber den Cottbusern um sich warf. Hoeneß streichelte den Gegner förmlich mit Komplimenten, scherte sich dabei auch nicht darum, dass die, die das Spiel gesehen hatten, möglicherweise seinen Fußball-Sachverstand anzweifeln könnten. „Man hatte nie das Gefühl, dass hier der Meisterschaftsanwärter gegen einen potenziellen Absteiger spielt“, sagte Hoeneß und sprach von „zwei fast gleichwertigen Mannschaften“. Hoeneß suchte auf diese Weise offenbar die Versöhnung mit dem Cottbuser Publikum, das ihm schon mal recht feindselig begegnet war – damals, kurz nachdem der Bayern-Manager in der Koks-Affäre um Christoph Daum dezidiert Stellung bezogen hatte. Ob Uli Hoeneß spürt, dass er im nächsten Jahr mit dem FC Bayern wieder in die Lausitz muss – zum Bundesligaspiel beim FC Energie?“

Friedhard Teuffel (FAZ 3.3.) über den Spieler des Tages. „Das einzig Blöde für Michael Ballack ist, daß ihm jetzt tausend Euro fehlen. Am Anfang der vergangenen Woche hatte er nämlich eine Geldstrafe zahlen müssen, weil er sich öffentlich über seine Rolle beim FC Bayern München beschwert hatte. Wenn man einen torgefährlichen Spieler wie ihn hole, dann müsse man ihn auch so einsetzen, hatte der 26 Jahre alte Nationalspieler gefordert. Die Strafe liege knapp unter zehntausend Euro, sagte Manager Uli Hoeneß. So viel hat Ballack am Samstag fast wieder eingespielt, aber eben nur fast. Er erzielte beide Tore beim 2:0 seiner Mannschaft gegen den FC Energie Cottbus. Hoeneß sagte, die Siegprämie reiche nicht ganz aus. Macht dann wohl eine Wochenbilanz von minus tausend Euro. Für soviel Geld hätte Ballack einige Semester an der Fernuniversität Hagen studieren können. Aber im Grunde hätte ihm schon eine Privatstunde in Neuerer Geschichte des FC Bayern München genügt. Trainer Ottmar Hitzfeld hätte sie ihm sogar kostenfrei erteilt.“

Interview mit Eduard Geyer (Energie Cottbus) taz

Porträt André Lenz (Energie Cottbus) SZ

Borussia Dortmund – Hansa Rostock 2:0

Richard Leipold (FAZ 3.3.) berichtet. „Am Ende wurde es familiär im Westfalenstadion. Fünf Minuten vor Schluß wechselte der Dortmunder Trainer Matthias Sammer noch einmal aus. Als Abwehrspieler Dede unter großem Applaus an der Seitenlinie ankam, umarmte er den Kollegen, der seinen Platz einnehmen durfte, besonders herzlich. Es war sein Bruder Leandro. Drei Tage zuvor, beim Gala-Abend gegen Real Madrid, war Sammer vor diesem Wechsel noch zurückgeschreckt – zu riskant. Der Fußballehrer wollte dem unerfahrenen Leandro die Last der Verantwortung ersparen und sah, mangels anderer Abwehrkräfte, den Stürmerstar Amoroso als letzte Lösung. Mit dem Ergebnis, daß ein Ballverlust von Amoroso in der Nachspielzeit den Ausgleich der Spanier einleitete. Im real existierenden Bundesliga-Alltag wagte Sammer den Wechsel unter Brüdern – nicht nur deren Vater zuliebe, der sich unter die 65.000 Zuschauer gemischt hatte (…) Der Alltag hat eben auch seinen Charme, vor allem wenn das Vorprogramm für die Fans so attraktiv ist wie vor dieser Partie. Die Besucher der Südtribüne waren diesmal nicht nur als Borussenchöre gefragt. Der Regisseur Sönke Wortmann vertonte mit den Dortmunder Anhängern die Fangesänge für den Fußballfilm Das Wunder von Bern. So bejubelten sie insgesamt fünf Tore – drei aus dem Jahre 1954 und zwei aus dem Jahr 2003.“

Bayer Leverkusen – Werder Bremen 3:0

Zum Leverkusener Aufschwung bemerkt Roland Zorn (FAZ 3.3.). „Von Leverkusen lernen heißt siegen lernen. Wie bitte? In einem Jahr, da aus dem umschwärmten Meisterschaftszweiten ein bedauerter Abstiegskandidat geworden ist? Thomas Schaaf war am Karnevalssamstag nicht zu Witzen aufgelegt, als er das Bayer-Tagewerk vorbildlich nannte: Wie die sich am eigenen Schopf da rausgezogen haben, davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. Der Trainer des SV Werder Bremen, dessen Team in der Hinrunde landauf, landab ob vieler Siege in Serie gefeiert worden war, hat es im Augenblick nur noch mit einer konfusen, uninspirierten, nahezu desinteressiert anmutenden Mannschaft zu tun (…) Während die Bremer Spieler nach Spielschluß wegen eines von oben verhängten Interviewverbots nichtssagend wie vorher auf dem Platz blieben, feierten die Rheinländer ihren ersten Heimsieg seit dem 19. Oktober 2002 so stocknüchtern wie man sich eine kleine Geburtstagsfeier im Katasteramt vorstellt. Für die neue Zeit ohne Pathos steht bei Bayer Thomas Hörster, der Nachfolger des Trainer-Romantikers Klaus Toppmöller. Ein Mann wie aus den Tagen des Schwarzweißfernsehens: ohne Showallüren, auf das Wesentliche fixiert und nicht darauf erpicht, seine Auftritte mit rhetorischen Schleifchen und emotionalem Beiwerk mediengerecht zu veredeln. Immerhin scheinen die unter Toppmöller im Auf und Ab der Gefühle verunsicherten Spieler gerade noch rechtzeitig begriffen zu haben, daß auch für sie zuerst die Grundwerte ihres Mannschaftssports gelten: füreinander da zu sein und miteinander zu kämpfen. So wie am Samstag wird das was mit dem Klassenverbleib, denn da spielte Leverkusen zunächst einfach und danach, von kurzfristigen Sorgen nach Schneiders ausgelassener Elfmeterchance befreit, einfach schön.“

Zu den Querelen innerhalb der Bremer Mannschaft lesen wir von Frank Heike (FAZ 1.3.). „Plötzlich ist Johan Micoud das Problem. Plötzlich steht der Franzose für den Fall von Werder Bremen nach der Winterpause – fünf Bundesligaspiele, nur ein Sieg. Plötzlich sind alle zauberhaften Auftritte des Regisseurs in der Vorrunde vergessen. Eine halbe Stunde mühen sich Trainer Thomas Schaaf und Sportdirektor Klaus Allofs am Donnerstag mittag im Presseraum der Bremer, das Thema Johan Micoud kleinzureden. Es gelingt ihnen nicht. Frage um Frage prasselt auf die Verantwortlichen ein, sie scheinen immer kleiner zu werden auf dem Podium (…) Micoud, dem die Bremer Fans und Verantwortlichen im Spätsommer den roten Teppich des Respekts ausgerollt haben, wirkt beleidigt wegen öffentlicher Kritik. In der vergangenen Woche hat er einen Reporter der Bild geohrfeigt – ein Fauxpas, der durch die Bremer Zeitungen wanderte und vor allem dem höflichen Allofs mehr als peinlich ist. Und nun, als wäre das egoistische Fehlverhalten des Monsieur Micoud infolge der eigenen Unzufriedenheit nicht deutlich genug, gibt der Franzose auch noch ein langes Interview, in dem er Thomas Schaaf angreift. Technik und Taktik würden zuwenig trainiert, die Kommunikation müsse verbessert werden. Doch in diesem Falle wäre es besser gewesen, wenn der neue Bremer Star den Mund gehalten hätte. Schließlich ist bekannt, daß Schaaf häufig Trainingseinheiten mehrfach unterbricht, um taktische Anweisungen zu geben. Und Micoud, man erinnert sich, sprach noch im September, als er nach Bremen kam, voller Häme über seinen alten Trainer in Parma. Dort hätte es zweistündige Taktik-Besprechungen gegeben – horrible! Jetzt plötzlich der Schwenk in die andere Richtung (…) Noch ist längst nicht alles schiefgelaufen beim Tabellenfünften. Aber die Bremer spüren, daß sie wieder einmal nach einer Winterpause in eine selbstverschuldete Abwärtsspirale geraten sind, die die Zukunftsplanung unendlich schwierig macht. Schon muß sich Allofs fragen lassen, wer denn diesmal verkauft werde, zumal dann, wenn der internationale Wettbewerb nicht erreicht werde.“

1860 München – 1. FC Kaiserslautern 0:0

Joachim Mölter (FAZ 3.3.) sah ein schlechtes Spiel. „Es war schon in der Nachspielzeit, als der Kaiserslauterer Kapitän Aleksander Knavs den Ball aus dem eigenen Strafraum dreschen wollte und dabei den heranstürmenden Münchner Martin Max am Kopf traf – von wo aus der Ball dann knapp am Tor vorbeiflog. So ist den 23 000 Zuschauern nicht einmal das Vergnügen eines Slapstick-Treffers vergönnt gewesen an diesem Samstag im Münchner Olympiastadion, wo so gut wie nichts klappte in der Bundesligapartie zwischen dem TSV München 1860 und dem Tabellenletzten 1. FC Kaiserslautern. Die heimschwachen Münchner hatten sich vorgenommen, ihre verärgerten Fans zu versöhnen, spielten beim 0:0 aber so, als ob sie die verbliebenen auch noch vergraulen wollten. Die auswärts in dieser Saison sieglosen Kaiserslauterer waren gekommen, um verlorenen Boden gutzumachen auf einen Nichtabstiegsrang, traten aber auf, als kämpften sie schon gegen den Abstieg aus der zweiten Liga. Und hinterher glaubten beide Trainer auch noch, ihre Mannschaft hätte den Sieg verdient gehabt. Der Ball sauste nämlich über das Feld wie ein wild gewordener Hase, sprang erst in eine Richtung, dann in eine andere und hoppelte dann wieder dahin zurück, von wo er hergehüpft kam. Es schien, als wäre er auf der Flucht vor den 22 Männern, die ihm rudelweise hinterherhetzten und reichlich ungenau nach ihm traten. Als Antifußball bezeichnete der FCK-Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi die neunzigminütige Quälerei, und er fand niemanden, der ihm widersprochen hätte.“

1. FC Nürnberg – VfL Wolfsburg 0:0

Hans Böller (FAZ 3.3.) kommentiert das Abstiegsduell. „In schlechten Zeiten muß auch über das Preis-Leistungs-Verhältnis beim Fußball schon mal laut nachgedacht werden. Und so hatte Wolfgang Wolf, zum Saisonende scheidender und nicht mehr unumstrittener Trainer des VfL Wolfsburg, gerade die Verspieltheit seiner Mannschaft beim Torschuß gerügt, als sein Nürnberger Kollege Klaus Augenthaler den besonders getadelten Hünen Diego Klimowicz in Schutz nahm. Wer sieben Millionen Dollar kostet, sagte der leiderprobte Augenthaler, darf es schon mal mit einem Lupfer versuchen. Daß aus Lässigkeit, Schusselei und Unvermögen resultierende Versäumnisse auch viel billiger zu haben sind, hatte Augenthalers Elf wieder einmal vorgeführt, und so blieben die Ansichten über die Punkteteilung beim 1:1 beider Mannschaften im Frankenstadion auch eine Frage des Anspruchs. Beim einst ambitionierten VfL Wolfsburg ist es damit zuletzt – parallel zur sportlichen Talfahrt – abwärtsgegangen, in Nürnberg kann das Ziel wie gehabt nur der Klassenverbleib sein, mag die Mannschaft mit einigen ansehnlichen Auftritten vor der Winterpause auch den Wunsch nach mehr geweckt haben. Inzwischen aber ist der Club Tabellenfünfzehnter und damit genau an der Schnittstelle zwischen erster und zweiter Liga. Die Grenzen des sportlichen Wachstums bekamen die Franken am Samstag mal wieder aufgezeigt. Und das gegen einen auswärts notorisch schwachen Gegner.“

Zur Situation in Wolfsburg FR

VfL Bochum – Hannover 96 1:2

Richard Leipold (FAZ 3.3.). “In der Halbzeit waren die Fußballspieler des VfL Bochum kaum in den Katakomben verschwunden, da kehrten sie schon wieder zurück. Trainer Peter Neururer schickte sein Personal nach fünf Minuten wieder auf den Rasen. Der Übungsleiter verlegte die Pausenansprache nicht des schönen Wetters wegen ins Freie. Neururer setzte die Spieler, die zuvor versagt hatten, bewußt den Blicken der 20.000 Fans aus, deren Unmut im Laufe der aus Bochumer Sicht mißratenen ersten Halbzeit nicht mehr zu überhören gewesen war. Von dieser ungewöhnlichen Maßnahme versprach er sich eine doppelte Wirkung. Neururer wollte die Stimmung der Fans kippen und zugleich die bis dahin lethargische Mannschaft wachrütteln (…) Vor dem Anpfiff hatten die Bochumer eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgestellt. Sie wähnten sich zu Höherem berufen, und Neururer, der sonst nur vom UI-Cup spricht, ließ sich dazu verleiten, einen Uefa-Pokal-Platz als neues Saisonziel zu definieren – unter dem Vorbehalt eines Sieges über Hannover. Weil daraus nichts wurde, brauchen die Bochumer sich mit derart komplizierten Gedanken nicht weiter zu befassen. Wir haben die Riesenchance verpaßt, uns nach oben zu schießen und in den nächsten Wochen mit Spaß Fußball zu spielen, sagte Mannschaftskapitän Dariusz Wosz. Die Botschaft des Samstags war eindeutig: Auch mathematisch weniger bewanderten Zeitgenossen wie Neururer ist klargeworden, daß die Bochumer sich wieder auf das kleine Einmaleins der Bundesliga konzentrieren müssen. Sieben Punkte beträgt ihr Vorsprung auf den Tabellensechzehnten. Insofern sieht Neururer seine Mannschaft nicht unmittelbar in Abstiegsgefahr. Aber auch hier könnte der Schein trügen. Den Ausfall überdurchschnittlicher Kräfte wie Freier, Oliseh, Kalla und Schindzielorz vermag die Mannschaft offenkundig nicht zu kompensieren.“

Hamburger SV – Hertha Berlin 1:0

Spielbericht Tsp

VfB Stuttgart – Celtic Glasgow 3:2

Thomas Klemm (FAZ 1.3.). „Im Achtelfinale des Uefa-Pokals ausgeschieden – na und? Mögliche Einkünfte von drei Millionen Euro verspielt – was soll’s. Es bedurfte am Donnerstag abend im Gottlieb-Daimler-Stadion nicht des hymnischen Abgesangs der 5.500 schottischen Fans, die den VfB Stuttgart mit dem trostspendenden Liedchen You‘ll never walk alone von der internationalen Fußballbühne verabschiedeten. Die Schwaben waren selbst rundum mit sich im reinen, nachdem sie sich aus schier aussichtsloser Lage ein gutes Stück befreit und im packenden Achtelfinal-Rückspiel gegen Celtic Glasgow einen 0:2-Rückstand in einen 3:2-Erfolg umgewandelt hatten. Spiel gewonnen, den Wettstreit ums Weiterkommen verloren – Krassimir Balakow sah sich und seine Mitspieler als moralische Sieger, weil wir bis zur letzten Sekunde gekämpft haben. So kann es, so wird es weitergehen, meinte Felix Magath, der sich wie alle Stuttgarter weiter wie im Ländle des Lächelns fühlt. Das Auftreten seines Teams habe Hunger auf mehr gemacht, sagte der VfB-Trainer. Wir werden alles dransetzen, auch im nächsten Jahr international zu spielen. Tabellenplatz drei in der Bundesliga bietet beste Aussichten, das offizielle Ziel – die direkte Qualifikation für den Uefa-Cup – zu erreichen. Diese Europapokalsaison ist abgehakt, die nächste fest im Visier (…) Zuvor hatte sich aber gezeigt, daß die große Stärke der Mannschaft noch ihr größtes Handicap ist. Der jugendliche Elan, mit dem die unbekümmert auftretenden Schwaben in der Liga für Aufsehen sorgen und im Europapokal begeisterten, brachte sie früh in jene mißliche Lage, aus der sie sich nur halbwegs befreien konnten. Schon nach einer Viertelstunde offenbarte sich, daß der VfB ohne seine Stammbesetzung in der Defensive nur bedingt abwehrbereit ist. Alan Thompson und Chris Sutton nutzten mangelnde Cleverneß und Stellungsfehler in der Stuttgarter Hintermannschaft, in der sich das Fehlen der gesperrten Stammkräfte Marcelo Bordon, Fernando Meira und Silvio Meißner nachhaltig bemerkbar machte. Der VfB sei eben keine europäische Spitzenmannschaft mit einem großen, guten Kader, erklärte Magath das Manko.“

Richard Leipold (FAZ 1.3.) berichtet. „Frank Rost, der Torwart des FC Schalke 04, hat auf eigentümliche Weise den Konkurrenzkampf mit seinem Dortmunder Kollegen Jens Lehmann aufgenommen, der im Revierderby seinen Mitspieler Marcio Amoroso beschimpft hatte. Nach dem Spiel tat Rost es dem Dortmunder gleich, allerdings nicht am Arbeitsplatz, sondern in einem vornehmen italienischen Restaurant, wo die Schalker Fußballprofis sich – ohne Cheftrainer Frank Neubarth – getroffen hatten, um das Betriebsklima zu fördern. Wie Zeugen berichten, beschimpfte der Torhüter seinen umstrittenen Mitspieler Jörg Böhme. Du mit deinem Scheiß-Egoismus auf dem Platz. Anschließend sollen sogar Stühle und Gläser geflogen sein. Die Musikkapelle habe ihre Ausrüstung in Sicherheit gebracht und sei in Deckung gegangen, bis Manager Rudi Assauer und Sportdirektor Andreas Müller den Streit geschlichtet hätten. Am Tag danach schienen sich die Wogen zu glätten. Rost entschuldigte sich bei Böhme, und alle glaubten, in Frieden den Rest des Wochenendes genießen zu können. Nach Frank Rosts Versprechen, sich mit Böhme zu arrangieren, dachten alle, die Veranstaltung sei zu Ende, sagte ein Schalker Spieler. Das Ding hat uns völlig umgehauen, auch den Trainer. Nach der Versöhnung mit Böhme folgte das Ding, der Hauptakt des königsblauen Boulevardtheaters. Der Torhüter ging vor versammelter Mannschaft auf Trainer Neubarth los. Seitdem du hier bist, macht mir Fußball keinen Spaß mehr. Du sprichst nicht mit mir, rufst mich nicht und bindest mich nicht ein, soll er geschrien haben. Neubarth hat den für ihn überraschenden und grundlosen Vorfall bestätigt, will ihn aber nicht kommentieren. Wir haben die Sache intern besprochen und aufgearbeitet. Aber was in der Kabine besprochen wird, ist tabu. Ich werde keine weitere Stellung dazu nehmen. Jede öffentliche Diskussion würde Neubarths Autorität vermutlich noch weiter untergraben. Neben den offen ausgetragenen Konflikten sehen Trainer und Manager mit Sorge, daß es Spieler gibt, die solche Interna nach außen tragen. Auf dem Boulevard hat sich ein Profi zu den Ereignissen um Neubarth, Rost und Böhme als Zeuge vernehmen lassen. Assauer glaubt zu wissen, wer der Informant ist.“

dazu auch SZ

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Stefan Beinlichs zum Hamburger SV

Zum bevorstehenden Wechsel Stefan Beinlichs zum Hamburger SV lesen wir von Michael Rosentritt (Tsp 11.4.). „Kritiker meinen, Manager Hoeneß habe sich zu sicher gefühlt mit seinem Argument, die Kirch-Krise, die zwar auch den Vereinen finanzielle Einbußen beschert, würde vor allem aber die übertriebenen Gehälter der Branche regulieren. Die Verhandlungsposition der Vereine habe sich verbessert. „Jetzt sind wieder andere Werte entscheidend. Das ist ein Lernprozess für die Spieler“, hatte Hoeneß gesagt. Und so ging der Manager reichlich spät in die ersten Gesprächsrunden. Gehaltsabschläge von bis zu 20 Prozent hielt Hoeneß für möglich. So verlängerte Hertha in einem ersten Schritt Mitte Februar die auslaufenden Verträge mit Spielern wie Marko Rehmer, Michael Hartmann, Andreas Schmidt und Ersatztorwart Christian Fiedler – zu reduzierten Bezügen. In der zweiten Phase wurde René Tretschok, Rob Maas und Nené mitgeteilt, dass sie gehen können. Vor zwei Wochen wurde ein erstes Gespräch mit Dick van Burik geführt, und in gut einer Woche, ganze vier Wochen vor dem Saisonende, sollte eine erste Runde mit Beinlich stattfinden (…) Die Hierarchie innerhalb der Mannschaft wird sich verschieben. Noch ist nicht abzusehen, wer nach dieser Kräfteverlagerung künftig das Sagen haben wird. Die jungen Spieler können die Mannschaft noch nicht führen. Einige ausländische Profis, vor allem die Brasilianer, bewegen sich am Rande des Teams oder aber haben intern nichts zu sagen. Die Spieler, die vom Alter her dafür in Frage kommen und mit denen der Verein eine Weiterbeschäftigung vereinbarte, taugen nur bedingt für eine solche Rolle. Schmidt, Hartmann, Dardai oder Kiraly verfügen über andere Qualitäten.“

Hintergrund BLZ

Durchschnittskicker müssen inzwischen um ihre Arbeitsplätze bangen

Jörg Marwedel (SZ 11.4.) kommentiert Hamburger Vertragsverhandlungen und erkennt darin allgemein gültige Tendenzen. „Die Unterredung der Klubführung mit dem Mannschaftsrat des Hamburger SV war eine ziemlich einseitige Angelegenheit, und am Ende war klar: der „Spieler-Aufstand gegen die Bosse“ (Bild) war kläglich verpufft. Vergebens hatten die HSV-Profis mit einer in der Fußballbranche noch nicht erlebten Offensive Vertragsverlängerungen für die Kollegen Ingo Hertzsch, 25, und Erik Meijer, 33, reklamiert. Statt dessen verbaten sich Klubchef Bernd Hoffmann und Sportchef Dietmar Beiersdorfer nicht nur „die Einmischung in Personalangelegenheiten“. Sie teilten den beiden Spielern auch mit, sie müssten sich mit einem neuen Angebot weiter gedulden. Bis feststehe, ob der HSV kommende Saison auf europäischer Bühne mitspielen dürfe, gebe es keinerlei finanziellen Spielraum und, vor allem, „andere Prioritäten“. Die Hängepartie und die ungewöhnliche, aber gescheiterte Solidarität der Profis beschreibt exemplarisch die neue Situation im deutschen Fußball: die Macht der Spieler bröckelt. Sie bröckelt sogar so stark, dass HSV-Regisseur Sergej Barbarez – obgleich einer der Großverdiener – zu einer larmoyanten Generalabrechnung ansetzte. Fußball, jammerte er, sei „kein schönes Geschäft mehr, die menschliche Seite ist nicht mehr wichtig“. Die Klage ist, aus Spielersicht, verständlich. Tatsächlich ist nichts mehr, wie es seit dem Bosman-Urteil vom Dezember 1995 war. Statt den Vereinen die Vertragsbedingungen quasi zu diktieren und die Gagen in Schwindel erregende Höhen zu treiben, müssen Durchschnittskicker inzwischen um ihre Arbeitsplätze bangen. Kenner der Szene haben für den Sommer bis zu 400 arbeitslose Fußballer prognostiziert. Eine der Folgen ist ein dramatischer Kursverfall für jene Profis, die nicht zu den unverzichtbaren Stammkräften gezählt werden.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Ballack leistet sich seit einiger Zeit eine eigene Meinung

Bayern München – Hertha Berlin 4:1

Der BLZ(6.10.) gefällt das Rückgrat Michael Ballacks: „Man hat sich ja oft gefragt, was ein Führungsspieler eigentlich sein soll; möglicherweise hat man am Sonnabend erstmals eine einleuchtende Definition gefunden. Führungsspieler wäre demnach, wenn man sagt, was man denkt – ohne Feigheit vor dem Feind. Wir haben am Sonnabend das wichtigste Länderspiel der letzten Monate, brummte Ballack. Also soll er nicht so einen Scheiß erzählen. Das ist unglaublich. Am letzten Wochenende des Oktoberfestes hat also auch der FC Bayern noch seinen Beitrag geliefert. Wie sich das für ein anständiges Festzelt gehört, haben sie ein bisschen Fingerhakeln gespielt unterm Olympiadach. Erst im zweiten Jahr ist dieser Ballack ein Bayer, und doch muss man bilanzieren, dass er schon ein guter Fingerhakler ist. Er ist sich seines Wertes so bewusst, dass er nicht kuschen muss. Er hat dieses bayerische Selbstvertrauen längst so inhaltiert, dass er am Ende als Sieger aus diesem kleinen Wettkampf hervorging. Natürlich wird er zur Nationalelf reisen, und er darf das sogar ungestraft.“

Ballack leistet sich seit einiger Zeit eine eigene Meinung

Daniel Pontzen (Tsp 6.10.) sieht das genauso: „Schwer zu glauben ist, dass dies derselbe Michael Ballack war wie jener, der vor gut einem Jahr im Ruf eines artigen Schulknaben stehend bei den Bayern begann und an dem sich seither in immer kürzeren Abständen die Diskussion um seine Führungsqualitäten entfachte. Er sei genial, aber zu brav, kein Typ, der seine Mannschaft mitreißen kann – so der ausdauernd vorgetragene Vorwurf. Nicht erst Ballacks rau formulierte Adresse an den eigenen Vorstandschef aber lässt an dieser Einschätzung zweifeln. Ballack leistet sich seit einiger Zeit eine eigene Meinung, er trägt sie öffentlich vor, zumeist nicht so polternd wie üblich in dieser Branche, aber bestimmt. Das ist bemerkenswert in einer Firma, in der Meinungsfreiheit zu den weniger penibel geschützten Grundrechten zählt.“

Jan Christian Müller (FR 6.10.) fordert Verständnis für Rummenigge: “Karl-Heinz Rummenigge ist kein Mann des Ausgleichs. Er bevorzugt die klaren Worte. Der AG-Boss begreift seinen FC Bayern München als Familie, nicht aber den deutschen Fußball an sich. Spätestens an der Grenze zu Baden-Württemberg und Hessen beginnt das Feindesland. In Frankfurt – mit Filialen in Stuttgart (DFB-Chef MV) und Leverkusen (Geschäftsführer Holzhäuser) – steht dessen Hochburg. Die Deutsche Fußball-Liga wird nach herrschender Bayern-Meinung von Ahnungslosen verwaltet. Der DFB bleibt suspekt, weil er wenig dagegen unternimmt, dass der internationale Terminkalender zum Wohle der Clubs entrümpelt wird. Rummenigge ist sich einig mit seinem Vorstandskollegen Uli Hoeneß, der neulich nonchalant geäußert hat, er könne sich die Welt auch ohne Nationalmannschaft vorstellen. Es war ein kluger Schachzug von DFB und Völler, Rummenigge ins Boot zu holen und ihm die Verantwortung für die Arbeitsgruppe Nationalmannschaft anzudienen. Der Respekt vor Völler gebot es, mitzumachen. Doch der Respekt ist nicht so groß, dass Rummenigge deshalb die ureigenen Interessen seines Unterhaltungs-Unternehmens FC Bayern aus den Augen verliert.“

Dieser Mann wird bei der WM 2006 nicht im Tor stehen

Marc Schürmann (FTD 6.10.) traut sich: „Wer sagt Oliver Kahn, gepriesen als der Gott zwischen den Pfosten, dass er inzwischen so fehlbar ist wie jeder dahergelaufene Erdentorwart? Dass er ja super war, früher in der Bundesliga und Champions League und bei der WM, doch doch, jedes Fingerzucken eine Offenbarung, aber jetzt – also dass es vielleicht doch andere Götter gibt? Traut sich natürlich niemand. Leider, weil: Es ist nicht nur so, dass er die Unhaltbaren durchlässt, die er früher einfing wie Schmetterlinge. Damals, als er noch King Kahn war, Titan, Torwartgott. Inzwischen scheitert er auch an den Haltbaren. Am Samstag zum Beispiel, das Tor für Hertha BSC durch Niko Kovac – da stand Kahn ohne Grund am Elfmeterpunkt herum, als wäre ihm dort eine hübsche Magnolie aufgefallen. Oder das Tor für Anderlecht am Dienstag: Warum hechtet der Mann so nah an der Außenlinie dem Stürmer entgegen wie ein Hulk? Auch gegen Celtic Glasgow, Wolfsburg, Island: Kahn macht Fehler. Die Konkurrenten spielen seit Monaten beständig besser. Es wirkt wie ein Signal von oben, dass Timo Hildebrand mit 825 Minuten ohne Gegentor den vermeintlich ewigen Rekord Kahns gebrochen hat. Ein Signal von oben, jawohl, und von Kahn kommt es bestimmt nicht. Noch ein Beweis, dass Kahn nicht Gott ist. Bisher schien es, als bestimme Kahn selbst, wann er abtritt. Wer sich nun aber ganz etwas Ketzerisches traut, sagt sogar voraus: Dieser Mann wird bei der WM 2006 nicht im Tor der deutschen Nationalmannschaft stehen. Sicher, so etwas sagt man lieber leise, sonst haut er einen. Aber dass dieser Gedanke überhaupt entstehen kann, hat fast schon etwas Reformatorisches.“

Heldenhaftes 4:1-Unentschieden

Über die Reaktionen der Verlierer schüttelt Christof Kneer (BLZ 6.10.) den Kopf: “Für die Profis von Hertha BSC muss das ein komischer Sonntag gewesen sein. Man muss das ja erst mal verkraften, wenn einem plötzlich die Medien Mut machen. Im Statistikteil eines Sonntagsblattes fanden die Herthaner ein tröstliches Kästchen, und in diesem Kästchen fand sich nichts als die Wahrheit; dort stand, welche Wettbewerbe Hertha BSC gegen den FC Bayern München alle gewonnen hatte. So gilt es nun also für die Nachwelt festzuhalten, dass die Berliner die Rubrik Ecken (6:1) ebenso für sich entschieden wie die Abteilung Flanken (13:10), und als besonders wärmend darf der Doppelsieg veranschlagt werden, der in den anspruchsvollen Disziplinen Lange Pässe (45:42) sowie Angekommene lange Pässe (58 Prozent zu 55 Prozent) gelang. Hertha hatte ein heldenhaftes 4:1-Unentschieden beim FC Bayern errungen, so war das nämlich. Zwar spuckte die mittels Videotext in den Presseraum gestrahlte Tabelle die Hertha später auf Tabellenrang 15 aus, aber hier musste es sich offenbar um eine Verwechslung handeln. Denn war Hertha nicht jener Klub, der in München mutig nach vorne gespielt hatte, wie der zuständige Trainer Huub Stevens referierte? War Hertha nicht jener Klub, der ab der 15. Minute das Spiel diktiert hatte, wie der Spieler Neuendorf fand? Hat Hertha nicht seit drei Spielen eine Tendenz nach oben, wie der Spieler Hartmann zu Protokoll gab? Handelte es sich, mit anderen Worten, bei Hertha nicht um jene Elf, die sechs der ersten sieben Saisonspiele hätte gewinnen können, wie Manager Dieter Hoeneß bündig bilanzierte? Sie haben schon viel probiert bei Hertha, am Sonnabend, nach dem achten

Elisabeth Schlammerl (FAZ 6.10.) ergänzt: „Huub Stevens rang nach den richtigen Worten, und dabei tat sich der holländische Trainer in Diensten von Hertha BSC Berlin sehr schwer. Er versuchte am Samstag krampfhaft alles abzuwenden, was den Spielern, was vor allem ihm schaden könnte, und verlor dabei ein wenig die richtige Sicht für die Dinge aus den Augen. So lobte Stevens den Mut und die Einstellung seiner Mannschaft, die gerade 1:4 gegen einen nicht gerade überragend spielenden FC Bayern München verloren hatte und damit als einziges Team im deutschen Profifußball noch ohne Sieg in dieser Saison ist. Wenn ich nicht optimistisch bin, wer soll es dann sein?, fragte sich Stevens. Allerspätestens jetzt müssen die hochtrabenden Ziele der Berliner aber stark nach unten korrigiert werden, denn statt um den Titel mitzuspielen, stecken sie mit fünf Punkten nach acht Bundesligapartien mittendrin im Abstiegskampf. Allerspätestens jetzt beginnt für Stevens auch der Kampf um seinen Job, wenngleich er in Manager Dieter Hoeneß einen mächtigen Fürsprecher hat. Der ehemalige Nationalstürmer versucht, die Mechanismen, die immer dann greifen, wenn der Erfolg ausbleibt, außer Kraft zu setzen. Die Mechanismen, die seiner Meinung nach ohnehin von außen produziert werden. Wir haben die Frage nach dem Trainer in den letzten Tagen oft genug beantwortet. Das müssen wir nicht immer neu tun. Das klingt nicht nach bloßem Lippenbekenntnis, Dieter Hoeneß scheint es tatsächlich ernst zu meinen. Vielleicht auch, weil ein neuer Trainer nicht automatisch erfolgreicher ist. Beispiele dafür gibt es genug, und der Berliner Manager führt auch eines an: Mein Bruder weint noch heute, wenn er den Namen Jupp Heynckes hört. Bayern-Manager Uli Hoeneß hatte sich im Oktober 1991 dem Druck der Öffentlichkeit gebeugt, nach einer Negativserie den heutigen Schalker Trainer entlassen und den unerfahrenen Sören Lerby verpflichtet, mit dem es noch weiter abwärts gegangen war.“

sid-Interviewmit Dieter Hoeneß, Manager von Hertha Berlin

VfB Stuttgart – 1. FC Köln 0:0

Peter Heß (FAZ 6.10.) beobachtet anhaltende Euphorie im Schwaben-Land: “0:0 gegen den Tabellenletzten – das hört sich ganz danach an, daß der VfB Stuttgart seine Sternstunde in der Champions League nicht verkraftet hätte. Das klingt nach Sich-feiern-lassen, nach Huldigungen annehmen und die Arbeit verweigern. Aber der Verdacht geht ins Leere. Drei Tage nach dem 2:1 über Manchester United zeigte die Mannschaft von Trainer Felix Magath wiederum die Einstellung, die sie groß machte – allerdings nicht ganz die Klasse, zu der sie fähig ist. Gegen einen 1. FC Köln, der sich mit Haut und Haaren gegen eine Niederlage und damit gegen die Entlassung ihres Trainers Friedhelm Funkel wehrte, ergaben alle Bemühungen nur zwei große Torchancen. Ich bin zufrieden mit dem, was ich gesehen habe, ich kann mit dem Unentschieden gut leben, sagte Trainer Magath mit dem Blick für das Große und Ganze. Die Leistung ist ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg nach oben. Auch das Stuttgarter Publikum fand zu einem milden Urteil. Keiner der 52 000 Zuschauer pfiff nach Ende der Partie, obwohl viele allein von der Erwartung eines Sieges ins Gottlieb-Daimler-Stadion gelockt worden waren. Der VfB konnte am Samstag eine Menge neuer oder seltener Gäste begrüßen. Der Triumph über Manchester wirkte wie eine überzeugende Werbebotschaft, noch nie haben so viele Stuttgarter einem Bundesligaspiel gegen den Tabellenletzten zugeschaut.“

911 Freunde müsst ihr sein

Tobias Schächter (taz 6.10.) fügt hinzu: „Geschichten. Do sin a paar Müde dobei heit, meinte ein Zeitgenosse schwäbischen Zungenschlags, ohne dass man auch nur den Hauch eines Vorwurfs in seinem Ton zu erkennen vermochte. Da waren gerade mal 39 Minuten gespielt im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion, und die Uhr zeigte 16.24 Uhr an, eine Zeit, in der normalerweise unsägliche Musik und nervende Werbespots die Arenen der Bundesliga in einer Lautstärke beschallen, die den Hardrockern von Motörhead, angeblich lauteste Band der Welt, frech Konkurrenz machen. Aber der Anpfiff musste um 15 Minuten nach hinten verschoben werden: Der Andrang war zu groß, die Menschenschlangen stauten sich fast bis zum Volksfest auf den Cannstatter Wasen. Alle wollten dabei sein, drei Tage nach dem Triumph über Manchester United, dieser magischen Nacht (Stuttgarter Nachrichten), dem größten Fußballfest in Stuttgart überhaupt (Verteidiger Andreas Hinkel). 52.000 waren es am Ende, die auch das müde 0:0 gegen die mauernden Betonmischer aus der Stadt der Schnauzbärte und Sonnenstudios feierten, als hätte Magaths Team soeben die Champions League gewonnen. Die von einem geschätzten Kollegen einmal als Bruddler bezeichneten VfB-Zuschauer, die sperrige Skepsis so lustvoll kultivieren wie sie gerne Spätzle essen, sind in Euphorie. Und vielleicht ist das die größte Leistung, die diese junge, wilde Mannschaft, diese aus der finanziellen Not geborene Überfliegertruppe bisher erreicht hat. Erfreulich, bewertete Trainer Felix Magath das Publikumsinteresse schlicht, bevor der ehemals als Feuerwehrmann und Quälix verschriene Architekt und Maestro des Stuttgarter Wunders sich aufmachte nach Karlsruhe zu Wetten, dass..?. So ändern sich die Zeiten. Jetzt also Magath bei Gottschalk. Geschichten eben. Viele wissen nicht, was möglich ist, meinte Visionär Magath noch vor zwei Wochen, aber die unvergesslichen 90 Minuten gegen van Nistelrooy und Co. lassen plötzlich eine ganze Region ahnen, wie hoch hinaus es dauerhaft mit diesem VfB gehen könnte. Die Stuttgarter Nachrichten sehen rosa Zeiten auf die Roten zukommen. Auch die Wirtschaft hat das Potenzial erkannt, das in deren Erfolg liegt. Der Sportwagenhersteller Porsche wirbt mit dem neuen VfB (911 Freunde müsst ihr sein), und es verdichten sich die Anzeichen, dass es Präsident Erwin Staudt gelingt, Firmen wie DaimlerChrysler und Puma zu großen Investitionen zu bewegen. Noch aber drücken die Schwaben Schulden aus der Ära Mayer-Vorfelder in Höhe von 16,9 Millionen Euro.“

Mittelkreis-Immobilie Lottner

Erik Eggers (FR 6.10.) missfällt die Taktik der Kölner: „Die Szene war verstörend. Soeben war das humorfreie Rückzugsgefecht einer auf blanke Zerstörung bedachten Auswärtsmannschaft beendet worden, hatte der Tabellenletzte aus Köln mit brutaler Destruktivität den Schwung der Stuttgarter so drastisch gebremst, dass man eingedenk des glorreichen Champions-League-Erlebnisses nur von einem Kulturschock sprechen konnte. Doch die rund 3000 Gäste-Fans verschlossen sich jeder ästhetischen Erkenntnis und feierten ihre Spieler enthusiastisch. Es war der Triumph des Zwecks über die Mittel. Mögen Taktikfreunde auch von perfekter Zerstörung fabulieren, Romantiker des Fußballs vom Schlag eines Klaus Toppmöller hätten diese 90 Minuten als Sieg des Bösen disqualifiziert. Gleichwohl durfte man diese Verwüstung eines Fußballspiels nach den zuletzt verheerenden Auftritten des 1. FC Köln erwarten. Journalisten, die das Trainingslager des FC in Stuttgart beobachtet hatten, berichteten mit veritablem Entsetzen von einer höchst einseitigen Vorbereitung: Trainer Friedhelm Funkel reichte stets eine Hälfte des Fußballfeldes, um endlich die Schwächen in der Verteidigung in den Griff zu bekommen. Mit Erfolg: Diesmal begann die Abwehrbereitschaft bereits im prall gefüllten Mittelfeld. Zuträglich war der Fußballverhinderung auch die Maßnahme Funkels, in Cichon einen freien Mann aufzubieten. Der rustikale Abräumer avancierte denn auch bezeichnenderweise zum Helden des Tages. Marius Ebbers, fasste den Charakter dieses Stils breit grinsend in einem Satz zusammen: Thomas Cichon habe ich fast nur mit erhobenem Arm gesehen, als Entschuldigung für all die Bälle, die er auf die Tribüne gedroschen hat. Die Pointe des Tages lieferte schließlich Dirk Lottner. Wir mussten uns daran erinnern, was unsere Basis ist, sagte der FC-Kapitän und sprach von der Ordnung in der Defensive als Grundvoraussetzung. Kölner Fans, die ihn seiner Spielweise wegen hämisch als Mittelkreis-Immobilie bezeichnen, dürften das eher als gelungene Satire werten.“

Thomas Hahn (SZ 6.10.) gratuliert: „Noch ganz von Sinnen und im Fieber freudiger Erregung schreiben wir diese Zeilen nieder, nachdem die Nachricht aus der neuen Hauptstadt, pardon Fußballhauptstadt Deutschlands sich in Windeseile durchs ganze Land fortgepflanzt hat: Rekord! Rekord in Stuttgart! Wo auch sonst, wenn nicht in Württembergs frisch erblühter Kapitale des guten Sportgeschmacks, Festung einer vergessen geglaubten Heilslehre, Bastion gegen den kalten Kommerz. Wie eine mächtige Woge wälzt sich die Begeisterung durch Höfe, Haushalte, Wald, Flur und was man sonst noch so finden kann zwischen Berchtesgaden und Flensburg. Und auf ihrem Scheitel surft majestätisch ein blonder Held in Handschuhen. 825 Minuten in der Bundesliga ohne Gegentor. Im Ernst, Timo Hildebrand, tapferer Torwächter des VfB Stuttgart: Glückwunsch. Bei solch einer Marke glänzt selbst ein 0:0 gegen den 1. FC Köln.“

FAZ-Interview mit Timo Hildebrand

FAZ: Was ist Oliver Kahn für Sie: Kollege, Gegner oder Vorbild?

TH: Vorbild – noch. Er ist schon als Welttorhüter ausgezeichnet worden, und er ist auch der Beste.

FAZ: Sind Sie Ihm näher gekommen?

TH: Ich bin ihm auf jeden Fall einen Schritt näher gekommen. Wenn man in einer guten Mannschaft spielt und die Champions League erreicht, steht man mehr im Blickpunkt. Ich habe fehlerlose Leistungen dabei gezeigt. So kann es weiterlaufen.

FAZ: Was fehlt Ihnen noch auf Kahn?

TH: Alles. Mit 24 ist man als Torwart noch jung und kann auf alles noch eine Schippe drauflegen. Als ich vor der WM 2002 einmal mittrainieren konnte, habe ich gemerkt: Das ist noch ein ganz anderes Niveau. Seitdem habe ich mich schon weiterentwickelt.

FAZ: Zum Beispiel?

TH: Daß ich nicht mehr übermotiviert versuche, unbedingt die Fehler meiner Vorderleute auszubügeln. Als Torwart muß man sein Spiel spielen. Das macht Kahn extrem, und dadurch macht er wenige Fehler.

Hannover 96 – Schalke 04 1:2

It was Simak time

Wie alle anderen Stadion-Besucher vermisst Katrin Weber-Klüver (BLZ 6.10.) Jan Simak: „Es war ein eigentümlicher Wunsch, den das Faltblatt des Hannoveraner Fanprojekts zum Spiel gegen den FC Schalke 04 unters Volk brachte: Endlich wieder praktischer Fußball stand als Überschrift über einem 23 Zeilen langen Text. In dem ging es um die hektischen und ungewissen letzten zwei Wochen, um die Ausfälle einiger Spieler, die ihre Spuren hinterlassen, darum, dass der erwartete Hurrafußball momentan schwer zu realisieren sei. Schließlich wurde festgestellt: Die Mannschaft braucht jetzt sicherlich Zeit, sich neu zu ordnen. Der Grund für diesen beklagenswerten Zustand aber wurde mit keinem Wort erwähnt. Der Mensch, um den es ging, geisterte wie ein Gespenst durch die Zeilen. Namenlos. Er ist jetzt nicht nur einfach abwesend in Hannover, sogar seine Abwesenheit wird versuchsweise für abwesend erklärt. Sie fand im offiziellen Stadionmagazin nicht statt und in der Fankurve nur am Rande, mit einem kleinen Transparent, auf dem stand: It was Simak time.“

Dietrich zur Nedden (taz 6.10.) beschreibt den Hergang des Platzverweises gegen Brdaric: „Rost eilte extra 10 Meter aus seinem Tor, um den am Boden liegenden 96-Stürmer einer Schwalbe zu bezichtigen, demonstratives Gezeter, das der Manipulation des Schiedsrichters dienen sollte. Brdaric erhob sich, nickte zurück und flog, während Rost Gelb sah und anschließend den Journalisten die Freude machte, nachzulegen: Der geht mir schon lange auf den Sack, schimpfte er. Brdaric sei einer, der während des Spiels private Dinger unter der Gürtellinie gegen die Mitspieler rauslässt. Was genau, könne er nicht sagen, sonst dürfe Ihre Zeitung nur an Leute über 18 verkauft werden. Jetzt wissen wir also ziemlich genau, was Brdaric Rosts Meinung zufolge für ein Typ ist. Das lässt sich leider nicht über Jan Simak sagen, dessen ungeklärter Verbleib acht Tage lang über die Grenzen Hannovers hinaus für Aufregung sorgte. Auch im … und der böse Wolf, der Stammkneipe vieler undogmatischer 96-Fans, war nach dem Spiel nicht so sehr die erste Heimniederlage das Superdoopertopthema, sondern das seltsame Verhalten von Hannovers genialischem Spielmacher, welches seine Mannschaftskollegen mächtig verunsichert zu haben scheint. Seit Simaks Wiederauftauchen ist zwar ein ärztliches Bulletin über den sensiblen Tschechen bekannt – Chronisches Erschöpfungssyndrom –, aber der medizinische Laie neigt trotz dieser differenzierten Diagnose zu simplifizierenden Äußerungen wie: der habe sowieso einen an der Waffel und sei garantiert etwas unterbelichtet. Dritte wiederum unterstellen Simak, er wolle mit der Nummer in objektiv ungeschickter Form sich seines Vertrages entledigen. Derweil räkelte sich seine Freundin (Freundin?) in der Bildauf Nackedei-Fotos (96-Trainer Rangnick) unter dem Motto: Jan, komm zurück, was die selbe Zeitung eine Ausgabe später nicht davon abhielt, über das Ende des Simak-Theaters erleichtert zu sein.“

Wenn eine Mannschaft auf hohem Niveau spielen soll, muß sie organisch wachsen

FAS-Interview mit Jupp Heynckes

FAS: Müssen Sie nicht fürchten, für die Fehlplanungen anderer verantwortlich gemacht zu werden?

JH: Es hat im Moment keinen Sinn zurückzuschauen, zu lamentieren. Man könnte vieles diskutieren, aber dadurch wird es nicht anders, nicht besser. Es bringt mir überhaupt nichts, die jetzige Situation damit zu erklären, daß ich manches vielleicht anders vorgefunden habe, als man mir das geschildert hatte. Ich bin mit dem Ist-Zustand konfrontiert und muß versuchen, Lösungen zu finden.

FAS: Wie könnten die Lösungen aussehen? Brauchen Sie neue Spieler?

JH: Wenn eine Mannschaft auf hohem Niveau spielen soll, muß sie organisch wachsen, nicht nur fußballspezifisch, sondern auch zwischenmenschlich. Die Spieler müssen sich verstehen, das darf man nicht unterschätzen, auch in der heutigen Zeit nicht. Wir sind in einer Phase der Restrukturierung, dafür müssen wir Geduld aufbringen. Sonst wird es nichts. Ich glaube, daß man auf Schalke nur diese eine Chance hat. Wir können keine Spieler verpflichten, höchstwahrscheinlich im Dezember auch nicht. Wir müssen aus der Situation heraus junge Spieler eingliedern. Wenn die Rekonvaleszenten zurück sind, haben wir wieder eine bessere Mischung. Die Mannschaft muß sich erst einmal stabilisieren.

FAS: Fehlt es der Mannschaft eher an Klasse oder an gutem Willen?

JH: Auch wenn es manchmal auf dem Platz nicht so aussieht, die Spieler ziehen sehr gut mit. Aber unsere Fehlerquote ist in den entscheidenden Situationen zu hoch. Man kann den Spielern nicht absprechen, daß sie kämpfen und rennen. Unser Torwart Frank Rost sagt mir, daß eine viel bessere Harmonie in der Mannschaft sei als in der vergangenen Saison, ein stärkerer Zusammenhalt und zwangsläufig auch eine größere Disziplin. Es ist nicht so, daß die Spieler nicht wollen. Sie rennen noch viel zuviel und riskieren zuviel in den Zweikämpfen.

FAS: Im Heimspiel gegen Aufsteiger Frankfurt stand nur ein Stürmer in der Startelf. Hat Sie schon der Mut verlassen?

JH: Es fehlen die adäquaten Alternativen. Mit wem wollen Sie da vorne spielen? Aber die Leute haben ja recht. Ich würde auch lieber mit zwei Topleuten in der Innenspitze spielen und dann auf den Außenpositionen auch noch Offensivleute bringen. Für so ein System müssen Sie aber geeignete Angreifer zur Verfügung haben. Die haben wir im Moment nicht.

SC Freiburg – 1860 München 1:0

Ballack der zweiten Liga

Christoph Kieslich (FAZ 6.10.) porträtiert den Freiburger Torschützen vom Dienst: „Vor einem Jahr zum Ballack der zweiten Liga geadelt, ist Bajramovic seine Torgefährlichkeit selbst schleierhaft. Ich suche oft den Strafraum, sagt er, und weiß, daß er mit seinen Kräften haushalten muß. Denn eigentlich ist Bajramovic ein Mittelfeldspieler, der, wenn auch gewaltig, aus der Defensive kommt. Zwischen Torabsicherung und Tordrang die richtige Balance zu finden, ist eine Kunst, die außer Ballack vor allem Bajramovic in der Bundesliga beherrscht. Der in Hamburg aufgewachsene Bajramovic hat auf diese Weise auch schon seiner Nationalmannschaft sehr geholfen. Neulich gegen Norwegen schoß er drei Minuten vor dem Abpfiff das Tor zum 1:0-Sieg. Ein Treffer, der Bosnien-Hercegovina nächsten Samstag die große Chance eröffnet, mit einem Heimsieg gegen Dänemark die Direktqualifikation für die Europameisterschaft 2004 in Portugal zu schaffen.“

Hamburger SV – Borussia Mönchengladbach 2:1

„Und täglich grüßt das 0:1“, schreibt Jörg Marwedel (SZ 6.10.) angesichts der erneuten Hamburger Lethargie in der ersten Hälfte: „Pressekonferenzen mit Kurt Jara zählen derzeit zum Besten, was der Hamburger SV zu bieten hat. Das ist keine wirklich gute Nachricht, denn des Trainers rhetorische Form scheint stark von der fußballerischen Form seiner Profis abzuhängen – je schlechter sie zuvor gekickt haben, desto besser ist ihr Chef hernach. Nach dem Sieg hat sich Jara fast in kabarettistische Höhen geredet. Da hat der Tiroler die eigentlich traurige Tatsache, dass der Flügelspieler Mehdi Mahdavikia schon nach 35 Minuten mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus transportiert werden musste, so kommentiert: „Eigentlich hätte der Arzt noch Zehn mitnehmen müssen.“ Er hat auch eine griffige Formel gefunden für das, was man einen kleinen Aufwärtstrend nennen könnte, stünden die jüngsten Punktgewinne und der Sprung vom vorletzten auf den zwölften Platz nicht in krassem Widerspruch zum „absoluten Katastrophen-Fußball“, den Jara dem Team über zwei Drittel der Spielzeit attestierte: „Drei Spiele, sieben Punkte, 90 Minuten Fußball gespielt.“ Und weil viele sich fragen, weshalb die Fans des HSV noch immer scharenweise in die AOL-Arena einfallen, hat Jara auch dieses Phänomen noch erklärt: „Emotionen von tief bis hoch, davon lebt der Fußball, deshalb kommen 50 000 zu uns.“ Von tief bis hoch – das trifft es ziemlich genau. Schon sieben Mal ist die vermeintliche Spitzenmannschaft in dieser Saison nach unsäglichem Larifari-Fußball in Rückstand geraten; die letzten vier Partien hat man allesamt mit wahren Kraftakten noch umgebogen. Das erinnert an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“; der war auch ein Kassenschlager, obwohl sich das Geschehen ständig wiederholte.“

Ich weiß, daß man einen Krieg gegen dieses Medium nicht gewinnen kann

Frank Heike (FAZ 6.10.) porträtiert den zweifachen Torschützen: „Der impulsive, unbeherrschte Profi, der immer wieder mit den Schiedsrichtern aneinandergerät, von den Fans seines vorletzten Vereins Borussia Dortmund im Jahr 2000 geradezu fortgejagt und zuletzt wegen seiner scheinbar laschen Spielweise sogar von den Anhängern des Hamburger SV ausgepfiffen wurde – das ist die öffentliche Seite von Barbarez. Die nichtöffentliche zeigt einen verletzlichen Charakter, einen feinnervigen Spieler, der Respekt fordert, einen Familienmenschen, der in Hamburg heimisch werden möchte und seit Monaten ein Haus in den Elbvororten sucht. Wer weiß schon, daß Barbarez einer Stiftung, die sich für behinderte und benachteiligte Kinder und Jugendliche einsetzt, mit seinem Namen Geld spendet?Barbarez ist mit etwa 1,8 Millionen Euro der Großverdiener beim HSV. Wenn ihn Deutschlands größte Boulevardzeitung nach einigen schwächeren (oder besser: torlosen) Auftritten kritisiert, gehört auch das zum Geschäft. Doch die Bild sprengte den normalen Rahmen und schien Barbarez zum Sündenbock für den schwachen Saisonstart des HSV auserkoren zu haben. Die Fans lasen, die Fans pfiffen, die Fans riefen beim Spiel gegen Dnjepropetrowsk: Sergej raus! Das störte Barbarez maßlos. Mit der Bild spricht er nicht mehr: Ich weiß, daß man einen Krieg gegen dieses Medium nicht gewinnen kann. Aber ich kämpfe um Respekt.“

Frank Heike (FAZ 6.10.) berichtet Gladbacher Enttäuschung: „Um Marcel Ketelaer hatte sich ein Pulk der Unzufriedenen gebildet. Den kleinen Profi von Borussia Mönchengladbach konnte man inmitten der zornigen Fans kaum erkennen, nur sein blondierter Haarschopf lugte hervor. Seit 15 Monaten geht das so, rief ein Anhänger, wir haben keinen Bock mehr darauf! Eben wollte Ketelaer ansetzen und versuchen zu erklären, warum die Gladbacher seit einem Jahr und drei Monaten auswärts nicht gewonnen haben, als sein guter Wille niedergebrüllt wurde: Wir sind Gladbacher und ihr nicht! Als Ketelaer kopfschüttelnd, ja traurig wegging und die Fans ihn nicht ließen, mußten sogar ein paar behelmte Polizisten kommen und den Spieler aus den Kalamitäten vor der AOL-Arena befreien. Daß der Zorn der Gladbacher Fans sich gerade auf den kleinen, eingewechselten Ketelaer entlud, der sich ihnen ja stellte, war natürlich genauso ungerecht wie der Zeitpunkt der Explosion: Borussia Mönchengladbach hatte das beste Auswärtsspiel der vergangenen Monate gemacht. Aber leider nur sechzig Minuten lang, so daß nicht mehr als eine knappe Niederlage mit der Aussicht auf auswärtige Besserung wurde. Doch die ewige Hoffnung reichte den Fans an diesem Nachmittag nicht.“

VfL Bochum – 1. FC Kaiserslautern 4:0

Fußballfreunde sind offenbar nachtragend

Richard Leipold (FAZ 6.10.) beschreibt die Unzufriedenheit Peter Neururers mit der Resonanz im Bochumer Umfeld: “Der höchste Sieg seit mehr als sechs Jahren war in den Augen des Fußball-Lehrers nur die halbe Wahrheit des Bochumer Freudentages. Neururer versteht sich auch als Marketingstratege. Nicht erst seit er den VfL trainiert, kennt ihn die Branche als Vollblutverkäufer der Ware Fußball. Als Vertriebsleiter fühlte Neururer sich nach dem Schlußpfiff noch schlechter als vorher, beinahe deprimiert. Obwohl seine Mannschaft daheim neuerdings ein Qualitätsprodukt anbietet, bleibt die Nachfrage auf niedrigem Niveau. Das Spiel gegen Kaiserslautern wollten im Ruhrstadion kaum mehr als 20 000 Zuschauer sehen. Gemessen an der Leistung auf dem Rasen ein unwürdiger Rahmen, jammerte Neururer. Was sollen wir noch machen? Attraktiver als jetzt können wir mit dieser Mannschaft nicht spielen. Die Zuschauer erlebten im Ruhrstadion ein Fußballspektakel, und sie seien näher dran als anderswo, wenn die Spieler Blut, Schweiß und Tränen vergießen. So hübsch ihr Spiel anzuschauen sein mag: Die Bochumer brauchen viel Zeit, um ihre sportlichen Altlasten abzutragen. Der Pendelverkehr zwischen erster und zweiter Liga hat Teile des Publikums mißtrauisch, ja verdrossen gemacht. Dem VfL geht es wie einem Verbraucher, der lange auf Pump gelebt hat. Wenn der Schuldner wiederholt in Verzug geraten ist, schafft die eine oder andere Ratenzahlung, gerade auf dem Konto der Emotionen, noch kein Vertrauen. Die umworbenen Fußballfreunde sind offenbar nachtragend.“

Immer noch tut sich der VfL schwer im Schatten der Riesen aus der Nachbarschaft

Christoph Biermann (SZ 6.10.) fügt hinzu: „„Von unserem vierten Stock sehen wir die Turnhalle, und die ist immer voll“, sagte Neururer, der in Gelsenkirchen-Buer wohnt und von zu Hause aus die Arena von Schalke sehen kann. Ungerecht findet er das, und wirklich ist es in dieser Saison bislang vergnüglicher gewesen, sich den VfL Bochum anzuschauen als Schalke. Keine große Fußballkunst bieten sie, aber hochwertiges Handwerk, das die finanziellen Möglichkeiten deutlich übersteigt. Wie schwer zudem eine Stabilisierung im Mittelfeld der Tabelle geworden ist, zeigt das verzweifelte Ringen ungleich größerer Vereine wie Borussia Mönchengladbach und 1.FC Köln. Neururer hatte vor der Saison von „Plus Eins“ gesprochen, also den neunten Platz aus dem Vorjahr um eine Position zu verbessern. Nach einem Viertel der Saison scheint das nicht unrealistisch, obwohl mit Thomas Christiansen der erfolgreichste Angreifer nach Hannover wechselte. Das Sturmduo Hashemian/Madsen ist gefährlich und effektiv, daneben gibt es den Gelegenheitszauberer Wosz, den eleganten Thomas Zdebel und den erstarkten Oliseh, den Kämpfer Sören Colding und den weit überdurchschnittlichen Keeper Rein van Duijnhoven zu bestaunen. Die gut ausbalancierte Mischung fügt sich zu einer funktionierenden Mannschaft, die als solche auftritt und „wie gemalt ist für die Erlebniswelt Ruhrstadion“, findet Neururer. Doch immer noch tut sich der VfL Bochum schwer im Schatten der Riesen aus der Nachbarschaft, die fast komplett das Interesse des Publikums im Ruhrgebiet absorbieren. Selbst seine eigenen Versuche, durch lautes Getrommel für Aufmerksamkeit zu sorgen, hält Neururer inzwischen nicht mehr für wirksam: „Mein dämliches Gelaber will sowieso keiner hören.“ Die Chance des Schnauzbarttrainers und seiner Bochumer liegt in einer Verlängerung der Serie von fünf Spielen ohne Niederlage gerade in den beiden kommenden Begegnungen. Zunächst geht es da in besagte „Turnhalle“ des Nachbarn in Gelsenkirchen, dann kommt Borussia Dortmund aus seinem Colosseum am Ruhrschnellweg angereist. Der Charme trutziger, kleiner Dörfer besteht halt darin, übermächtigen Imperien zu widerstehen und sie manchmal richtig zu ärgern.“

Eintracht Frankfurt – Borussia Dortmund 0:1

„Die Frankfurter zeigen, dass auch ihr Bestes wohl zu schlecht für die Bundesliga ist“, kommentiert Ingo Durstewitz (SZ 6.10.) die Frankfurter Leistung: „Matthias Sammer, Dortmunder Trainer im schmucklosen Trainingsanzug und in der Branche für seine Widerborstigkeit bekannt, bleckt die Zähne. Er schiebt die Mundwinkel nach oben, lässt die Augen leuchten. Ja doch, er lacht, der stets meckernde Rotbart, in Fernsehkameras, in Mikrofone und Diktiergeräte, er grinst sogar während der Pressekonferenz. Auch die Reporter freuen sich, weil sie mal nicht unwirsch angeblafft werden. Eitel Sonnenschein also an diesem nasskalten Samstagnachmittag auf der Baustelle Waldstadion in Frankfurt am Main. 1:0 hat Borussia Dortmund gewonnen, nach 294 Tagen und elf erfolglosen Versuchen auf fremden Terrain mal wieder drei Zähler eingetütet – da geht selbst die Kratzbürste auf Schmusekurs. „Vielleicht war der Sieg ein bisschen glücklich“, befindet Sammer – und übt sich lächelnd in Nachsicht, „aber ich sage Ihnen etwas: Das ist mir egal.“ Zwei Meter weiter sitzt sein Kollege Willi Reimann, schüttet Milch in den Kaffee und stiert Löcher in die Wand. Die kollektive Heiterkeit im engen Presseraum prallt an ihm ab. „Alles gegeben, alles versucht, es hat nicht gereicht – Danke.“ Aber nicht nur der Frankfurter Vordenker sieht aus, als sei der Abstieg schon am achten Spieltag besiegelt worden, auch den Spielern steht die Ernüchterung ins Gesicht geschrieben, man kennt das mittlerweile: die Mienen versteinert, der Blick leer, die Köpfe gesenkt, die Schultern hängend. Kapitän Alexander Schur, bester Mann und treuer Kämpfer in Schwarz-Rot, dient durchaus als Sinnbild einer angeschlagenen Frankfurter Fußballmannschaft: Der Resolute schleppt sich mit einer mühsam geflickten Platzwunde am Kopf in den Vip-Raum. Dritte Niederlage im vierten Heimspiel (einziger Punktgewinn ein glückliches 0:0 gegen tumbe Herthaner), allesamt gegen Kontrahenten, die entweder einen rabenschwarzen Tag erwischt hatten (Leverkusen, 1:2), schwer angeknockt waren (Kaiserslautern, 1:3) oder ohne elf Stammkräfte auskommen mussten (Dortmund, 0:1) – das hinterlässt Spuren.“

Roland Zorn (FAZ 6.10.) erfreut sich an der „Erkenntnis, daß die vor kurzem noch als verwöhnt und nicht hart genug gegenüber sich selbst eingeschätzten Dortmunder Widerstandsgeist bewiesen und Kampfesmut unter erschwerten Umständen offenbarten.“

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Interesse an Frauen-Fußball – chinesische Neugier auf deutschen Fußball

Volker Stumpe (FAZ 20.10.) meldet Interesse am Frauenfußball: „Weltmeisterinnen sehen! Drinnen spielten die Frauen zwar schon längst Fußball, aber draußen, am Glashäuschen vor dem Abtei-Sportpark in Brauweiler, standen etliche Zuschauer noch in einer Schlange, um sich Eintrittskarten zu kaufen. Anstehen, um sich ein Frauenfußballspiel anzuschauen? Das kommt nicht oft vor. Und schon gar nicht beim FFC Brauweiler Pulheim. Monika Beckmann ist Geschäftsführerin beim FFC, und sie verkauft auch Eintrittskarten. Das sind meist nicht sonderlich viele. Am Sonntag hat man sie ihr geradezu aus der Hand gerissen. Um die 100, manchmal 200 Zuschauer versammeln sich normalerweise rund um den Rasenplatz, den keine Tribüne umgibt, der weit draußen vor den Toren Kölns liegt, an dem an allen Ecken und Enden improvisiert wird und auf dem dennoch Bundesliga-Fußball gespielt wird. Nun wurden so viele Tickets, so viele Würstchen und soviel Kuchen verkauft wie nie zuvor. Alles Bundesligarekorde für Brauweiler. Am Sonntag morgen, um kurz nach elf Uhr, hatten sich 1300 Neugierige eingefunden, um sich das Bundesligaspiel zwischen den heimischen Frauen und dem 1.FFC Frankfurt anzuschauen. 1300? Eigentlich ja kaum zu glauben, aber so erstaunlich nun auch wieder nicht. Eine Woche nach dem Sieg der deutschen Elf bei der WM in den Vereinigten Staaten war die Gelegenheit günstig, sich einige der Golden Girls einmal aus der Nähe anzusehen. Und es gab ja auch etliche Weltmeisterinnen zu sehen. Soviel wie bei keinem anderen Bundesligaspiel an diesem Wochenende. Fünf beim 1. FFC Frankfurt, der die erste Bundesligapartie nach dem WM-Triumph 6:1 gewann. Eine beim FFC Brauweiler. Zwei weitere Weltmeisterinnen, Bettina Wiegmann und Maren Meinert, waren nur als Zuschauerinnen zu Gast. Die beiden Nationalspielerinnen, einst in Diensten des FFC Brauweiler, haben ihre Karriere unmittelbar nach dem Golden Goal beendet. Bettina Wiegmann staunte nicht schlecht, als sie da auf dem gut gefüllten Sportplatz, den sie sonst ganz anders kennt, stand und sich umschaute: Das sind doch zehnmal soviel wie sonst! Und das war genau jener Effekt, den sich alle erhofft hatten. Gute Werbung haben die deutschen Fußballfrauen in Übersee für eine Sportart gemacht, die hierzulande noch immer in einer Nische steckt. Eine Woche lang sind die Nationalspielerinnen von Talkshow zu Talkshow, von Ehrung zu Ehrung, von Termin zu Termin gehetzt, um für Gesprächsstoff zu sorgen. So viel Frauenfußball in der öffentlichen Wahrnehmung war nie.“

Alexander Bartl (FAZ 18.10.) meldet chinesische Neugier an der Bundesliga: „Den ersten bemannten Raumflug des Landes mögen die Chinesen zwar gebannt verfolgt haben, aber danach werden sie, mehr oder weniger patriotisch erbaut, auch wieder Spaß und Spiel suchen. Daß sie dabei mit steigender Neugier nach Deutschland blicken, ist ausgerechnet dem Fußball zu danken, genauer, der deutschen Bundesliga. Rund hunderttausend chinesische Nutzer monatlich zählt das Portal www.german-football.cn der Deutschen Welle. Gemeinsam mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) betreibt der Sender einen Live-Ticker und ein Live-Audioangebot in chinesischer Sprache, bietet zudem Tabellen und Spielberichte sowie Porträts der Spieler und Vereine. Das Interesse wächst, heißt es, und auch die interaktiven Möglichkeiten nehmen chinesische Nutzer zunehmend wahr, um beispielsweise beim Fußball-Quiz zu punkten. Zuletzt waren es gut fünftausend Kandidaten. Die chinesische Liga ist ihrerseits erst zehn Jahre alt, und vermutlich trug die Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea maßgeblich zu der Begeisterung für die wesentlich älteren und professionelleren europäischen Ligen bei. Vor allem aber ist Chinas Fernblick nach Deutschland einem Landsmann zu danken, dem Spieler mit der Nummer acht bei 1860 München: Jiayi Shao, in seinem Heimatland als zweiter Beckham gerühmt, gilt in Deutschland zwar allenfalls als Hoffnung, aber regelmäßig verfolgen Tausende chinesische Fans seine Spiele über DW-World.de. In dieser Saison überträgt die Deutsche Welle deshalb erstmals live ein Spiel an jedem Wochenende nach China.“

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Verpflichtung Augenthalers als Bestandteil der Leverkusener Zweitligaplanung

Gunnar Ehrke wertet die Verpflichtung Augenthalers als Bestandteil der Leverkusener Zweitligaplanung. „Bayer Leverkusen entlässt Hörster und präsentiert Augenthaler als neuen Trainer. Für die letzten beiden Spiele sowie für die neue Saison. Die Arbeit Augenthalers in Österreich und anschließend in Nürnberg mag man unterschiedlich bewerten. Er steht jedoch keinesfalls für Visionen. Im Gegenteil: Die Verpflichtung Augenthalers lässt vermuten, dass Bayer bereits für die 2.Liga plant. Kein ambitionierter Spitzenverein der Bundesliga würde auch nur einen Gedanken an den Trainer Augenthaler verschwenden, ein Zweitligaclub hingegen schon. Leverkusen ist vorzeitig in der Zweitklassigkeit angekommen. Sie entlassen Hörster zu spät und verpflichten den falschen Mann. Bye, bye, Bayer!”

Marc Schmitt kommentiert den Absturz Bayers mythologisch. „Die Mannschaft von Bayer Leverkusen hat im Laufe dieser Saison offenbar die Lust am (eigenen) Untergang als ultimativen Kick entdeckt. Vom Beinahe-Olymp der Champions League im letzten Jahr nun in die Vorhölle der Zweiten Liga – fürwahr, das ist einer griechischen Tragödie würdig, denn auch die Fallhöhe stimmt. Eine andere, rationale Erklärung für das immer noch schwer Nachvollziehbare gibt es eigentlich nicht. Wenn schon kein strahlender Siegerkranz in Pokal, Meisterschaft oder Europacup, dann wenigstens eine grandiose Schussfahrt in den Abgrund, dass Fans und auch wohlwollenden Beobachtern sich die Haare sträuben vor Entsetzen. Aber bloß kein langweiliges Versumpfen irgendwo im Niemandsland der Tabelle! Da wurde Bayer lieber zu einer Mannschaft der Extreme. Selten hat man ein „Team“ ein ganzes Spieljahr lang so konsequent neben sich stehen sehen. Dabei schien es von Anfang an klar, dass kein großartiger, bahnbrechender Fußball im Stil der letzten Saison mehr möglich sein würde – und gleichwohl hat die Mannschaft trotzig und ohne Einsicht in ihre nunmehr beschränkten Möglichkeiten versucht, einen Grand ohne Vier (Ballack, Ze Roberto, Nowotny und Kirsten) zu spielen und zu gewinnen. Aber nicht nur die Mannschaft. Auch Ex-Trainer und Management wollten nach den wahrlich berauschenden Spielen der letzten Saison nicht einfach zur Tagesordnung, sprich zum gehobenen Mittelmaß, übergehen. Irgendwie ist das auch nachvollziehbar und konsequent – und selbstmörderisch. Wenn das kaum Denkbare, aber sich seit Beginn dieses Jahres mit einer seltsamen Folgerichtigkeit und Konsequenz Abzeichnende nun tatsächlich eintritt, wird auch der Chor derer, die schon immer gewusst haben, dass es mit diesem „Plastikclub“ oder „Werksverein“ nichts rechtes werden konnte, wieder auf den Plan treten. Wie in der antiken Tragödie, so im richtigen Leben. Und jener sagenhafte Sisyphos, der dazu verdammt war, im Hades auf ewig einen schweren Felsblock einen Berg hinauf zu rollen, weil der ihm immer wieder kurz vor dem Gipfel aus den Händen glitt, sodass er immer wieder ganz unten von neuem anfangen musste, hat nun einen Wiedergänger namens Reiner Calmund gefunden. Wetten, dass Calli auch in Liga Zwei weitermacht? Nachdem nun auch noch die Rolle des antiken Zyklopen mit der einzig passenden Besetzung namens „Auge“ ausgefüllt wurde, muss Bayer eigentlich absteigen. Sonst fehlte der ganzen Geschichte am Ende die Pointe.“

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Magath wagt den Systemwechsel, Bochum gibt den Ton an, FC Arrogant

Die Schlagzeilen: über Bayern München: „Fußball-Gesellschaft mit beschränkter Hingabe“ (FAZ), „der FC Arrogant – zu fein, ihre weißen Trikots schmutzig zu machen“ (Bild), „Münchner Energiesparprinzip: stark reden, schwach spielen“ (FAS); über Hertha BSC Berlin: „nur 17 Minuten erstligareif“ (FAZ), „Rückpass in den Herbst“ (BLZ); über den VfL Bochum: „im Revier gibt Bochum den Ton an“ (FAZ); über den VfB Stuttgart: „Magath wagt den Systemwechsel“ (FAS) u.v.m. (mehr …)

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Ohne ein letztes Zeichen des Widerstands

Roland Zorn (FAZ 26.5.) sah eine schwache Bielfelder Leistung. „Abstiegskampf stand auf dem Tagesnotprogramm, doch in natura war davon nichts zu sehen. Die Mannschaft von Arminia Bielefeld schlich auf ihrer Schlußrunde durch die Fußball-Bundesliga aus der ersten Klasse, ohne ein letztes Zeichen des Widerstands setzen zu können. Uns ist physisch und psychisch die Puste ausgegangen, gestand Mannschaftskapitän Bastian Reinhardt. Locker, entspannt und mit Lust auf ihren Beruf empfahlen sich die Niedersachsen für eine weitere Spielzeit in der ersten Klasse; verkrampft, ausgebrannt und unfähig, mit dem Ball zu spielen, entschwand die Arminia zum sechsten Mal ins Untergeschoß der Profiszene. Doch bittere Tränen über den vor sechs Wochen noch kaum für möglich gehaltenen Abschied flossen nicht. Die nüchternen Ostwestfalen hatten nach einer Reihe von Niederlagen gegen ähnlich bedrohte Klassenkonkurrenten Zeit genug, sich wieder einmal auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Es spricht für die Sensibilität der treuesten Arminen-Anhänger, daß sie den tieftraurig auf die Fans zukommenden Torwart Mathias Hain trösteten und aufmunterten. Das große Pfeifkonzert blieb auf der mit 26 600 Zuschauern ausverkauften Alm jedenfalls ebenso aus wie das lange Gejammer über eine verpaßte Chance (…) Daß die Ostwestfalen, die auch in der zweiten Liga auf ein treues und zahlreiches Stammpublikum zählen dürfen, umgehend wieder nach oben streben, ist das Wunschziel aller Verantwortlichen; ob und wie das gelingen kann, bleibt die Frage. Erst einmal muß der Verein zwei Millionen Euro als Liquiditätsnachweis für die Zweite Bundesliga auftreiben. Er wird die Deckungslücke dem Vernehmen nach mit einem Mix aus Spielerverkäufen (1,5 Millionen Euro) und Bürgschaften aus der großen Gruppe der regionalen Sponsoren (500.000 Euro) zu schließen versuchen.“

Stete Konfrontation mit dem Albtraum

Zu den Perspektiven in Bielefeld heißt es bei Ulrich Hartmann (SZ 26.5.). „In Bielefeld beschäftigen sie sich nun wieder mit sich selbst und einer unsicheren Zukunft. Das hat hier Tradition. Kein Fan hat sich deshalb nach dem Spiel vor den Mannschaftsbus gelegt. Keiner hat vor dem Kabinenausgang pöbelnd auf die Spieler gewartet. Die Fans in Bielefeld haben gelernt, mit der Katastrophe umzugehen. Schon zum sechsten Mal seit 1972 hat ein Bundesliga-Abstieg die ostwestfälische Fußballwelt erschüttert. Aber die Menschen hier lamentieren nicht lange. Sie beginnen lieber gleich mit dem Wiederaufbau. Die stete Konfrontation mit dem Albtraum erfüllt auf der Bielefelder Alm eine therapeutische Funktion. Als sich das zwölfte Erstligajahr des Vereins gerade in der 90-minütigen Geschichtswerdung befand, hat sich der Puls der Verantwortlichen kaum noch erhöht. Viermal hintereinander hat die Arminia zuletzt verloren und dabei stets so garstig aufgespielt, dass kein anderer Zweifel legitim war als jener an der fußballerischen Kompetenz. „Das war nicht nur Pech“, sagte Brinkmann, „da fehlten auch die fußballerischen Mittel.“ Sechs Spiele gegen Konkurrenten im Abstiegskampf hatte das Restprogramm vorgesehen, als man bereits 34 Punkte aufwies. Aber zwei Remis und vier Niederlagen aus den finalen 540 Saisonminuten bedeuteten am Ende den drittletzten Platz. Die Bielefelder waren fix und fertig. „Ich habe keinen Tropfen Wasser mehr in meinem Körper“, sagte Kapitän Bastian Reinhardt. „Nicht mal zum Weinen.“ In der seriellen Enttäuschung geht folglich die große Melancholie verloren. Gleich nach Spielschluss haben die leitenden Angestellten des Klubs deshalb ganz geschäftig überlegt, wie es jetzt weitergeht.“

Hartmut Scherzer Erik Eggers (Tsp 26.5.) berichten aus Bielefeld. „Die SZ hatte schon vor Monaten prophetisch geäußert, ein Klub wie Bayer Leverkusen könne nicht nur nicht Meister werden, sondern nicht einmal richtig absteigen. Die Arminia liefert dazu gewissermaßen den Gegenentwurf, den Gang in die Zweite Liga beherrscht sie nämlich in nahezu beängstigender Perfektion und Unauffälligkeit. Nicht mal der Trainer wird hier in Frage gestellt. Selbst das Bielefelder Stadttheater weiß daher um die Sinnlosigkeit, den Kartenvorverkauf für eine Tragödie mit den Vokabeln Abstieg respektive Aufstieg anzuheizen, gehören diese Vokabeln doch hier schlicht zum Sprachschatz des Alltags. So gesehen geriet auch dieser Samstag, der, obwohl ein Rekord, als sechster Abstieg einen kaum beachteten Platz in der Fußballgeschichte einnehmen wird, zur Routine.“

siehe auch: zur Lage der Liga

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Spitzenspiel Italiens

Peter Hartmann (NZZ 4.3.) berichtet das Spitzenspiel Italiens. „Juventus gegen Inter ist eine noble Sache: Das „Derby d‘Italia“ zwischen den beiden einzigen Mannschaften, die noch nie aus der Serie A abgestiegen sind. Juve, 1897 von Studenten gegründet, gegen Internazionale, den Klub der Abtrünnigen, die sich 1909 von der AC Milan abgespalten hatten. Während der Faschistenzeit war der Name obsolet, weil er zu sehr an Lenin und Stalin erinnerte und deshalb nach dem historischen Mailänder Erzbischof Ambrogio bis Kriegsende auf „Ambrosiana“ zwangsgetauft wurde. Rivalität der Fussballfamilien der Turiner Agnelli und der Mailänder Moratti, Duell der besten Stürmer, Trézéguet und Vieri, der beiden Nationaltorhüter Buffon und Toldo, Konfrontation der verschlossensten Abwehr (Juve) mit dem besten Angriff (Inter). Und nach 90 Minuten gewinnt meistens die „alte Dame“, auch diesmal, mit einem fast deklassierenden 3:0. Nach der vierten Auswärtsniederlage in Folge wird Inter- Trainer Hector Cuper mit Vorwürfen überhäuft, er habe seiner Mannschaft noch immer kein Konzept vermittelt. Sein Sorgenspieler ist der schlitzohrige, chamäleonhafte Uruguayer Alvaro Recoba, der Liebling des Präsidenten Massimo Moratti: In der Rolle des Linksaussen im Mittelfeld begnügt er sich mit einigen Zirkusnummern. Als zweite Sturmspitze hinter Vieri erzielte er mehr Wirkung und entlastet ausserdem das Mittelfeld – aber Cuper als Verfechter eines klaren 4:4:2-Systems sträubt sich gegen diese Lösung. Tatsache ist, dass Inter noch keine direkten Partien gegen ein Spitzenteam (Juve, Milan, Lazio, Chievo) und bereits seit zehn Jahren in Turin bei der „alten Dame“ nicht mehr gewinnen konnte.

Spielbericht SZ

Zur Situation in Newcastle heißt es bei Martin Pütter (NZZ 4.3.). „Als am Samstag der Schiedsrichter das Spiel im St.James‘Park nach 90 Minuten beendete, waren die Fans von Newcastle United zwar sehr erfreut über den 2:1-Sieg gegen Chelsea, aber sie rieben sich auch gleichzeitig verwundert die Augen. In der Schlussphase des Verfolgerduells der Premier League hatte ihre Mannschaft sechs defensive Spieler auf dem Feld, vier in der Verteidigung und zwei im Mittelfeld. Vor wenigen Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen. In den fünf Jahren mit Kevin Keegan als Trainer (1992-1997) und später unter Ruud Gullit (98/99) hätten die „Magpies“ nämlich nie versucht, einen knappen Vorsprung in der Schlussphase zu halten. Vielmehr wären sie mit ihrer damals offensiv attraktiven Spielweise weiter darum bemüht gewesen, Tore zu schiessen und so den Sieg zu sichern. Vorne fix, hinten nix – damit liess sich der Stil von Newcastle United in den neunziger Jahren zusammenzufassen. So begeisternd der Fussball mitunter war, so wenig Trophäen brachte er aber ein. Nicht einmal ein Vorsprung von zwölf Punkten in der Premier League wie Anfang Februar 1996 reichte zum Gewinn der Meisterschaft. Seit jedoch Bobby Robson im September 1999, als Nachfolger des entlassenen Ruud Gullit, die Mannschaft als Trainer übernahm, hat sich dies langsam, aber effizient geändert. Eines hat sich unter dem ehemaligen englischen Nationaltrainer freilich nicht verändert: Trophäen wurden mit neuer Spielweise auch (noch) nicht gewonnen. Dennoch ist in Newcastle das unter Robson Erreichte beeindruckend (…) Der Hauptgrund dafür, dass Newcastle United nun jedoch wichtige und hart umkämpfte Spiele plötzlich gewinnt, liegt vielmehr in der Person des Trainers selber. Robson ist einer der erfahrensten Trainer auf der Britischen Insel, mit viel Erfahrung im internationalen Fussball – schliesslich war er erfolgreich in Portugal, Spanien und Holland tätig. Seine Erfahrung unterstrich der 70-jährige Robson gegen Chelsea. Nach jeder Auswechslung der Londoner reagierte Newcastles Trainer, brachte für jeden Stürmer, den Ranieri einwechselte, einen zusätzlichen Verteidiger. Chelsea hatte am Ende vier Stürmer auf dem Feld, dazu Zenden in der freien Rolle im Mittelfeld. Da war es nicht erstaunlich, dass die „Magpies“ zuletzt mit sechs Verteidigern spielten.“

Portrait des portugiesischen Klubs MoreirenseNZZ

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