Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Zwei Fundstücke über Wembley, die „Kirche des Fußballs“ (Pelé)
Broder-Jürgen Trede (Tagesspiegel 12.12.) referiert eine Episode um das von Sportjournalisten gewählte Sportfoto des Jahrhunderts. Dieses zeigt den deutschen Mittelstürmer Uwe Seeler beim WM-Finale England-Deutschland, wie er in gebückter Haltung und in Begleitung von Ordnern den Rasen verlässt (s u). Die Interpretation dieses Bilds war jedoch lange Zeit durch einen Widerspruch geprägt. Einerseits war „für viele […] dieses Foto das Symbol für die unglückliche deutsche Final-Niederlage von 1966 schlechthin“ (Trede). Andererseits hatte sich die Auffassung durchgesetzt, wonach das Bild in der Halbzeitpause entstanden sein sollte (Spielstand 1:1). Warum also hätte Seeler zu diesem Zeitpunkt niedergeschlagen sein sollen? Die Halbzeittheorie wurde jedoch von ihm persönlich gestützt. Immer wieder beteuert er, er habe sich lediglich die Schnürsenkel binden wollen. Außerdem habe, nach Angaben vieler, die Musikkapelle (s Foto) ausschließlich zur Halbzeit gespielt.
Recherchen des Hamburger Instituts für Sportjournalistik, schreibt Trede, hätten jedoch ergeben, dass das Bild nach dem Schlusspfiff entstanden sein müsse. Als Indizien wurden Fotos herangezogen, die unbestritten in der Halbzeit entstanden sind, und deren Personenkonstellation und Spielfeldgeographie analysiert. Außerdem unterstreiche Archivmaterial von konkurrierenden Sportfotografen die Schlusspfifftheorie. Diese wurde seit jeher auch von Rudi Michel – dem unvergessenen Fernsehkommentator des Endspiels – vertreten: ein fraglos glaubwürdiger Zeuge.
Foto: Sven Simon
Mit einer Mischung aus Misstrauen und Augenzwinkern registriert Christian Eichler (FAZ 14.12.) die Entscheidung, das Wembley-Stadion nunmehr doch zu restaurieren. Bisher zeichnete sich mangels Geldquellen ein Scheitern des Vorhabens ab. Der „Tempel des Fußballs“ schien dem Untergang geweiht. Nun haben jedoch die Stadt London, die britische Regierung sowie weitere Sponsoren Zuschüsse garantiert und somit den „Totalschaden fürs nationale Image“ verhindert. An der Diskussion lasse sich nämlich die „selbstironische Opferrolle“ Englands ausmachen, die sich seit dem 5:1 von München allerdings nicht mehr aufrecht erhalten ließ und verschoben habe auf die „Selbsbezichtigung, zur Organisation großen Sports unfähig zu sein“ (alle Zitate Eichler).
Christian Zaschke (SZ 17.08.) ist der Hinweis auf eine Angelegenheit zu verdanken, die belegt, dass auf die Sittenhüter der Bundesliga Verlass ist – und sein muss. Er schildert den Jahre anhaltenden Zwist zwischen den Fans des FC St. Pauli auf der einen Seite sowie den Ordnungshütern des Münchner Olympiastadions und den Offiziellen des FC Bayern auf der anderen. So sei nach Angaben des Münchner Fanbeauftragten Raimond Aumann das Symbol der Hamburger – der Totenkopf samt gekreuzten Knochen – dazulande nicht gerne gesehen. „Im Freistaat Bayern herrschen nun mal andere Regeln und Richtlinien“ (Aumann). 1989 nahm man den Gästen deswegen die Fahnen am Stadioneingang ab. Sieben Jahre später wurde den „gottlosen Gesellen“ (Zaschke) von den Ordnern befohlen, ihre Totenkopf-Pullover links herum zu tragen. Dabei biete gerade das Piratensymbol den Paulianern große Identifikationsofferten. „Es soll den Gegnern Angst machen und davon künden, dass hier die Kleinen kommen, um den reichen Pfeffersäcken die millionenschwere Punkte zu rauben“, und der FC Bayern sei nun mal „die vereingewordene Verkörperung des Pfeffersacks“ (Zaschke).
Dass Rolf Töpperwien einer der gewieftesten unter den Journalisten ist, dürfte weit über die Fachkreise hinaus kein Geheimnis sein. Sein neuester Schachzug untermauert erneut seinen Anspruch als Spürhund der Liga. Thiemo Müller (kicker 10.12.) berichtet, dass es dem ZDF-Reporter gelungen sei, „in den exklusiven Kreis der mannschaftsinternen Weihnachtsfeier des VfL Wolfsburg im noblen Ritz Charlton zu gelangen“, indem er sich für diese als Knecht Ruprecht bewarb. Obwohl die Veranstaltung unter Ausschluss der Journalisten über die Bühne gehen sollte, gab die VfL-Geschäftsführung dem Bewerber den Zuschlag, vermutlich aus Mangel an geeigneten Kandidaten. „Wohl dem, der gelernt hat, mit den „Wölfen“ zu heulen“, so Müller, und man gerät in Versuchung zu ergänzen: zu feiern, zu singen, zu essen undsoweiter.
dazu ein Zitat von Waldemar Hartmann
Nils Havemann (FAZ 23.01.) referiert die Ausführungen Bernhard Siegerts („Ein höheres Walten des Worts. Sportreportagen im deutschen Radio 1923-1933.“ In: Neue Rundschau (4/112), Ffm 2001.), wonach „die Übertragung von Fußball im Rundfunk und später Fernsehen erst durch die moderne Abseitsregel populär werden konnten.“ Die Regeländerung im Jahre 1925 habe Wesen und Attraktivität des Spiels stark innoviert. Bis zu diesem Zeitpunkt verhinderte die bis dahin geltende Abseitsregel flüssige Kombinationen und damit eine fesselnde Funkübertragung. „Der Reporter hatte nämlich die undankbare Aufgabe, eine Partie zu kommentieren, in der die Spieler aufgrund der strengen Abseitsregelung kaum nach vorne zu passen wagten und daher den Ball ständig bei Fummeleien an der Mittellinie vertändelten. Erst mit der Änderung kam jene Dynamik in Spiel, welche die Reportage zu einem aufwühlenden nervenzerreibenden Ereignis machte.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Die zweite Runde des DFB-Pokals
Die zweite Runde des DFB-Pokals besitzt nicht den sportlichen Stellenwert eines gewöhnlichen Bundesliga-Spieltags. Das erkennt man nicht zuletzt an der Gestaltung der heutigen Sportseiten in den deutschen Tageszeitungen. Dort beschäftigen sich die Experten u.a. mit der von Schalke-Manager Rudi Assauer initiierten Diskussion um die zusätzliche TV-Live-Übertragung der Partie Bayern München gegen Hannover 96 (2:1). DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der „Typus des paternalistischen Sportfunktionärs“ (FR), hatte diese Entscheidung im Alleingang getroffen: eine Kompetenzüberschreitung, die ihm von vielen Vereinsvertretern verübelt wurde.
Weiteres Thema diese Woche: „Der 1. FC Kaiserslautern hat wieder eine Zukunft“, glaubt die FAZ im Anschluss an die dortige Mitgliederversammlung prognostizieren zu können. Insbesondere der Auftritt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), „dessen souveräne Moderation wohl die Wiederkehr der Lynchjustiz verhindert hat“ (SZ), wird von allen Beobachtern hervorgehoben. „Gütig, aber streng, bisweilen selbstironisch, mit feinem Gespür für die Stimmungen im Saal, rotbäckig, hemdsärmelig hielt er die FCK-Familie zusammen“ beschreibt die FAZ dessen Wirken. Die FR hingegen betrachtet den Fall kritischer, nachdem zahlreiche finanzielle Verfehlungen der ehemaligen Vereinsspitze um „Atze“ Friedrich Co. ans Tageslicht gezerrt wurden. „Das Bild des etwas anderen Provinzklubs mit Herz, das die Pfälzer gerne von sich gezeichnet haben, ist endgültig zerstört. Mehr und mehr kommt da ein Netzwerk aus Männerfreundschaften und Günstlingswirtschaft zum Vorschein, wie es Außenstehende kaum für möglich gehalten hatten“. Und weiter: „Bleibt für den Beobachter die Frage offen, wie viele solche maroden Bauten im deutschen Profi-Fußball noch stehen“.
Zum Sportlichen: Der „notorische Pokal-Verlierer Borussia Dortmund“ (FAZ) wird vom „Kurzpassensemble“ (SZ) SC Freiburg mit 3:0 abgefertigt. „Dem Bayer-Team“ aus Leverkusen, dieses Mal im Gegensatz zur Vorwoche Sieger gegen den VfB Stuttgart, „geht es derzeit wie den Diäten von Manager Calmund, es gibt einen Jojo-Effekt zwischen guten und schlechten Tagen“ (SZ) und „die Rückkehr der Dusel-Bayern“ (FR).
Weitere Themen: Porträt Jens Lehmann – Seligsprechung für Wildmoser – neuer Trainer in Karslruhe sowie ein if-Dossier zur momentanen Lage des FC Bayern München u.v.m.
Wie geht´s weiter mit dem FCK?
Zum Ausscheiden des ehemaligen FCK-Vorstand meint Sven Astheimer (FR 7.11.). „Friedrich Co. stießen in den eigenen Reihen nur selten auf Widerstand. Und wo kein Kläger, da auch kein Richter. Deshalb überzeugt es nicht wirklich, wenn sich ehemalige Aufsichtsratsmitglieder nun hinstellen und den Unwissenden markieren. Das Kontrollgremium hat in seiner Gesamtheit versagt. Die bestellten Aufpasser hätten ihre Zweifel früher äußern müssen. Nicht erst beim großen Kehraus. Denn Alarmsignale gab es genügend. Da war beispielsweise die Sache nach dem Wiederaufstieg 1997, als Friedrich unter dem Verdacht stand, seinem Sohn einen lukrativen Auftrag zugeschanzt zu haben. Einige horchten auf, an der Basis bildete sich eine Opposition, die eine außerordentliche Sitzung erzwingen wollte. Doch die Palastrevolution verlief im Sand, auch, weil der Aufsichtsrat stramm an Friedrichs Seite stand. In erfolgreichen Zeiten lassen sich kritische Stimmen leicht mundtot Machen (…) Bleibt für den Beobachter die Frage offen, wie viele solche maroden Bauten im deutschen Profi-Fußball noch stehen.“
Martin Hägele (SZ 7.11.) beobachtete die Zurückgetretenen. „Beiden ging es darum, ohne Aufsehen aus dem Saal zu kommen. Denn die Augen hinter ihnen verhießen nichts Gutes. So schaut man Angeklagten hinterher, wenn sie in die Zelle abgeführt werden, nachdem ein hartes, aber gerechtes Urteil gesprochen wurde. Friedrich und Wieschemann gingen als freie Leute, doch ihr Leben wird sich verändern. Jeder von ihnen wird persona non grata sein in der kleinsten Bundesligastadt, die eigentlich ein Dorf ist: Jeder kennt Jeden. Von Friedrich und Wieschemann fühlen sich die Menschen betrogen. Anwalt und Konkursverwalter Wieschemann hat sein Ehrenamt vor allem auf gesellschaftlichem Parkett für das Ego genutzt. Boutiquenbesitzer Friedrich aber interpretierte den Präsidentenjob zum Zwecke persönlicher Vorteilnahme (…) Dem FCK drohen weitere Enthüllungen. Den Fahndern sei zum Einstieg jene Rechnung empfohlen, welche die Spieleragentur Rogon in diesem Sommer geschickt hat. Rogon berät fast die Hälfte der Stammspieler des FCK. Für die drei Profis Timm, Anfang und Teber wurden 5,5 Millionen Euro Ablöse überwiesen – für die Transfers aber kassierte Firmenchef Roger Wittmann, der Schwager des Kaiserslauterer Spielers Mario Basler, 1,78 Millionen Provision, also 34 Prozent. Branchenüblich beziehen Vermittler die Hälfte. Stellt sich die Frage, wieso Friedrich sich auf einen solch schlechten Handel zum Schaden des Klubs eingelassen hat. Mit großem Vorsprung wählte die Versammlung den früheren Nationalspieler Hans-Peter Briegel in den neuen Aufsichtsrat. Briegel soll Fachkompetenz und Transparenz in das Kontrollgremium bringen. In diesem Zusammenhang hätte es die fast 2000 Versammlungsteilnehmer vielleicht interessiert, mit wem ihr Idol seinen letzten Urlaub verbracht hat: Es war Roger Wittmann.“
Sven Astheimer (FR 7.11.) an anderer Stelle. „Machten Jäggi, Briegel und Beck den Mitgliedern Hoffnung auf eine bessere Zukunft, geriet der Abend für eine andere Troika zum Tribunal. Während der geschasste Finanzvorstand Gerhard Herzog gar nicht erst gesehen wurde, verließen die ehemaligen Führungsfiguren Jürgen Friedrich und Robert Wieschemann gegen Mitternacht kommentarlos und mit Leichenbittermiene ihre Sitzplätze in der zweiten Reihe. Die Mitglieder hatten dem Vorstand sowie den allesamt abgewählten Aufsichtsratsmitgliedern zuvor die Entlastung verweigert. Ob rechtliche Schritte gegen die Betroffenen eingeleitet werden, lässt der Verein derzeit prüfen. Die Vorwürfe sind erschreckend, und ihre Aufarbeitung hätte Stoff für drei Versammlungen geboten.“
Über den Einfluss der anwesenden Mitglieder schreibt Peter Heß (FAZ 7.11.). „Die rund 2000 Mitglieder des Bundesligavereins, die die Jahreshauptversammlung besuchten, dürfen sich von allen Freunden des FCK als Geburtshelfer feiern lassen. Nicht, daß vom Fußballvolk die rettenden Ideen für den wirtschaftlich und sportlich angeschlagenen Fußballverein gekommen wären. Die hat die herrschende Klasse längst entwickelt. Doch hätte die Empörung der Massen über die existenzbedrohende Krise des Vereins zu Tumulten geführt, hätten die gegenseitigen Schuldzuweisungen eine Schlammschlacht zwischen dem ehemaligen Vorstand mit Jürgen Friedrich und Gerhard Herzog und dem Aufsichtsrat ausgelöst, die Rettungsaktion wäre womöglich ausgefallen. Vor allem der Mann, der dem FCK den meisten Rückhalt gibt, hätte sich dann ein weiteres Engagement nicht leisten können: Ministerpräsident Kurt Beck. Wäre der Landesvater in seiner Rolle als Freund des Vereins beschädigt worden, hätte er sich abwenden müssen (…) Die Bundesligabranche gilt als Haifischbecken. Wer bestehen will, kann nicht immer nur schnurgerade Wege gehen. Fehler sind programmiert. Ob der Ball nach einem Schuß gegen den Innenpfosten oder ins Netz fliegt, entscheidet oft nachträglich, ob eine Maßnahme falsch oder richtig war. Dann sind Vertrauen und Loyalität gefragt zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Friedrich kommt erst jetzt vielen Mitgliedern als Inkarnation des Bösen vor, nachdem zweimal die Teilnahme am Uefa-Cup knapp verpaßt wurde. Aber in seine Zeit fiel auch der Gewinn der deutschen Meisterschaft. Zu dieser Zeit wurden seine umstandslosen Entscheidungen goutiert. Sein Nachfolger schätzt Friedrichs Arbeit anders ein als die Masse. Jäggi will sich bei ihm sogar manchmal Rat holen. Selbst wenn der Schweizer dabei scheitern sollte, den FCK wieder nach oben zu führen: Solange der Verein sich auf seinen Landesvater verlassen kann, ist er zukunftsfähig.“
Auflistung der verschleuderten FCK-Millionen kicker
DFB-Pokal, 2. Runde
Zur Diskussion um die zusätzliche Live-Übertragung in der ARD (Bayern – Hannover) wirft Michael Horeni (FAZ 8.11.) ein. „Ruck, zuck kamen so die Bayern auch noch ins Programm, die ARD freute sich über eine gute Quote über den gesamten Abend, und alle Klubs der zweiten Runde (vor allem aber die Bayern und Hannover) bekamen mehr Geld. Der Schalker Manager Rudi Assauer wollte von der Marktwirtschaft auf kurzem herrschaftlichem Dienstweg aber nichts wissen und versuchte sich nach dem Schlußpfiff in der Rolle des Predigers der wahren Werte. „Da sieht man, daß es nicht um Sport geht, sondern um reine Sensationslust“, schimpfte Assauer über einen Deal, der zwar laut Vertrag nicht hätte zustande kommen dürfen – aber bei nüchterner Betrachtung keinen ökonomischen Verlierer zurückließ. Die juristisch lachhafte Regreßforderung, die Assauer nach der Partie erhob, mochte er auch am nächsten Tag nicht explizit zurückziehen. Da sekundierten auch schon Wolfgang Holzhäuser, der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, der von einer „Riesensauerei“ sprach, und Noch-Ligachef Werner Hackmann, der dringenden Gesprächsbedarf erkannte. Dem lautstarken Trio darf man unterstellen, daß sie sich an der Sache eigentlich nicht über Gebühr stören. Über ein zusätzliches Livespiel selbst für die ungeliebten Bayern ließe sich reden – viel empfindlicher werden sie allerdings angesichts der Entscheidung nach Gutsherrenart, die sich Gerhard Mayer-Vorfelder immer noch glaubt leisten zu können. Eine „Katastrophe für den gesamten deutschen Fußball“ (Assauer) ist die Sache zwar nicht, aber sie spiegelt, wie der Manager treffend feststellte, die Situation im DFB tatsächlich sehr exakt wider. Allein die oberste Reizfigur des deutschen Fußballs wirkt fußballintern wie ein hochentzündlicher Treibstoff in einer Angelegenheit, die beim breiten Publikum jedoch auf ungeteilte Zustimmung stößt.“
Andreas Burkert (SZ 8.11.) meint dazu. „Der Ligaverband DFL muss den Alleingang MVs als Beleidigung empfinden, denn dieser hat damit nicht zum ersten Mal seine Kompetenzen überschritten und zugleich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, die Grenzen von Absprachen gedehnt. Der gelernte Machtmensch aus Schwaben hat es eben nie verwunden, dass er mit der Gründung der Deutschen Fußball-Liga im Grunde als Amtsvorsteher ohne Macht existiert. Leider plagt auch die DFL ein Führungsproblem in Person ihres angeknockten Präsidenten Werner Hackmann. Über dessen Mitteilung, er sei verstimmt, wird MV milde lächeln. Er verträgt ja Einiges. Und so stehen die starken Schattenmänner der Liga in der Pflicht, MV das Wesen einer Partnerschaft und von Abmachungen eindringlich zu erläutern: Rummenigge, Holzhäuser, Calmund und Meier. Sonst ergeht es ihnen wie den Elefantenbullen. Bei denen vergehen meist zwanzig Jahre, bis das Werben um eine Elefantin erstmals von Erfolg gekrönt ist. So weit sollte die Geduld der Liga mit MV nicht reichen.“
Reaktionen auf den Alleingang des DFB-Präsidenten SZ
Bayern München – Hannover 96 2:1
Elisabeth Schlammerl (FAZ 8.11.) kommentiert den Fehler Kahns. „Vor ein paar Monaten wäre Kahn solch ein Blackout wohl nicht passiert, aber die Geschehnisse der vergangenen Wochen, Tage gingen nicht spurlos am Kapitän vorbei. Kahn hat schon bessere Zeiten erlebt beim FC Bayern. Seit Saisonbeginn hat er oft zufriedenstellend gehalten, aber eben nie richtig gut. Es folgte Kritik an seiner Leistung und an seiner Person, weil er nach den Huldigungen bei der Weltmeisterschaft vermeintlich die Bodenhaftung verloren hatte, sich offenbar ein bißchen wie „der Überirdische unter all den Irdischen“ fühlte und sich auch dementsprechend benahm. Mittlerweile ist Kahn wieder auf der Erde gelandet, ziemlich unsanft. Der Münchner Boulevard hat längst die sportliche Ebene verlassen, berichtet über eine angebliche Affäre des Tormanns und einen möglichen Wechsel ins Ausland. Die persönliche Krise von Kahn geht einher mit der des FC Bayern. Die Mannschaft schien zuletzt auch deshalb führungslos, weil der Kapitän derzeit viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um die Kollegen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Gegen Hannover 96 sprang einer in die Bresche, dem man die Fähigkeit, die Elf zu führen und anzutreiben, schon abgesprochen hatte – und der zudem nicht fit ins Spiel gegangen war: Michael Ballack.“
Zur vermeintlichen Bedeutung des Siegs für Trainer Hitzfeld heißt es bei Thomas Becker (FR 8.11.). „DFB-Pokal! Ein Wettbewerb, der in der Wahrnehmung des Lichtgestalts-Präsidenten Franz Beckenbauer wahrscheinlich überhaupt nicht existiert, eine zweite Runde ja erst recht nicht. Und dann: Hannover! Ein Team, das vor ein paar Monaten, als der FC Ruhmreich noch Weltpokalsieger war, sich mit Reutlingen, Oberhausen Co in den Untiefen von Liga zwo rumtrieb. Ein solches Spiel soll wichtig sein für einen Ottmar Hitzfeld, als Trainer deutscher Meister und Super-Cup-Gewinner 95 und 96, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 97, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, DFB-Pokalsieger 2000, Ligapokal-Sieger 1998, 1999 und 2000, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 2001. Aber: Das Spiel war verdammt wichtig für ihn. Er gewann. 2:1. Halleluja! Ein Sieg, der die Panik beim FCB und den angehörigen Boulevardblättern nur ein wenig dämpfen wird. Zu harm- und ideenlos die bayerischen Krisen-Kicker, zu großzügig der gegebene Fast-Kein-Foul-Elfmeter, zu lustlos der ebenbürtige Aufsteiger aus Hannover (Trainer Rangnick: „Hier war mehr drin“), zu peinlich der Auftritt von Oliver Kahn in der Schlussminute, als er unnötig einen Strafstoß verursachte. Und doch gewonnen: Die Rückkehr der Dusel-Bayern.“
Spielbericht und Reaktionen SZ
Zur Lage der Bayern – ein if-Dossier
Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach 5:0
Ulrich Hartmann (SZ 8.11.). „Ein vorsätzliches Wortspiel war es wohl nicht, als er nüchtern mitteilte: „Bei uns war heute Sand im Getriebe.“ Dabei traf er damit den Nagel auf den Kopf. Der Sand im Gladbacher Getriebe heißt Ebbe. Der 30-jährige Däne erzielte beim Schalker Sieg nicht einfach nur drei der fünf Tore – vielmehr schoss er sich frei von der spielerischen Lethargie in der jüngeren Vergangenheit, und überdies war jedes seiner Tore schöner als das vorangegangene. Drei Tore in nur 20 Minuten – und das, obwohl ihm bei elf Einsätzen in dieser Bundesliga-Saison bislang nur zwei Treffer gelungen waren. An der wechselhaften Verfassung des Stürmers Sand jedenfalls machen sich dieser Tage auch die Leistungsschwankungen des Pokalverteidigers Schalke fest (…) Am Mittwoch haben die Gelsenkirchener das 14. Pokalspiel in Serie als Sieger beendet. Im Hier und Jetzt hingegen nutzte Schalke den jüngsten Pokalauftritt zu einer Art Rehabilitation und versöhnte die bislang wenig verwöhnten Anhänger mit fünf Traumtoren und dem höchsten Sieg, den man bisher in der neuen Arena zustande gebracht hat.“
SC Freiburg – Borussia Dortmund 3:0
Tobias Schächter (taz 7.11.) sah einen überzeugenden 3:0-Erfolg der Freiburger über den deutschen Meister. „Der französische Schriftsteller Stendhal war ein sensibler Mensch. Bei einem Spaziergang durch Florenz fiel er irgendwann in Ohnmacht. „Zu viel, zu viel Schönheit“, soll der von der Pracht der Stadt Überwältigte noch im Taumeln gesagt haben. Der Vorfall fand Einzug in die Medizingeschichte. Unter dem „Stendhal-Syndrom“ leidet, wem beim Anblick prächtiger Kunstwerke die Sinne schwinden. Die Zahl am „Stendhal-Syndrom“ erkrankter Fußballfans hält sich nach vorsichtigen Schätzungen in Grenzen. Erringt die Mannschaft ihres Herzens einen glanzvollen Sieg, so äußert sich die Begeisterung der Fangemeinde zumeist in kollektiver, klatschender, hüpfender und sehr lebendiger Ekstase, untermalt von lautem Gesang. So gesehen und gehört am Dienstagabend, als Zweitligist SC Freiburg den deutschen Meister Borussia Dortmund aus dem DFB-Pokal kegelte. Der bunte Strauß der Fußballästhetik, den die Freiburger beim 3:0 boten, erinnerte an Zeiten, in denen die Freiburger noch in Liga eins ihre Künste zeigten und als Breisgau- Brasilianer gefeiert wurden. Mutige Tacklings und schneidiger Biss verbanden sich mit Doppelpässen, Hackentricks und wunderbar herausgespielten Toren zu einer tödlichen Melange für einen Gegner, der außer der Überheblichkeit des Klassenhöheren nichts zu bieten hatte.“
Uwe Marx (FAZ 7.11.). „Der notorische Pokal-Verlierer Borussia Dortmund ist ausgeschieden. Er kennt das schon. In den vergangenen Jahren unterlag er in diesem Wettbewerb Gegnern wie Carl Zeiss Jena, Wattenscheid 09, Eintracht Trier oder, im vergangenen Jahr erst, den Amateuren des VfL Wolfsburg. Nun also Freiburg. Es gibt Schlimmeres. Allerdings war das Ergebnis eine rechte Ohrfeige (…) Es war verblüffend, wie schnell der deutsche Meister aus dem Gleichgewicht geriet, nachdem bewährte Stammkräfte auf der Bank Platz genommen hatten (…) Es war weniger ein vorsätzliches, als vielmehr ein fahrlässiges Scheitern. Eine Grundregel der Sportpsychologie ließ sich auch von Sammer nicht außer Kraft setzen: Wer ständig gegen große Gegner spielt – vor einer Woche gegen Arsenal London, an diesem Samstag gegen den FC Bayern –, der tut sich schwer, die kleinen ernst zu nehmen.“
Christoph Kieslich (SZ 7.11.) blickt voraus. „Ein Genuss für das Kurzpassensemble; und der Sprung ins Achtelfinale des DFB-Pokals wirke wie ein Seelentröster für die vom Abstieg schwer betroffenen Südbadener. Das Lebenszeichen aus Freiburg ist auch so etwas wie eine dick unterstrichene Ankündigung fürs nächste Jahr, wenn es nicht mehr allein das Los sein soll, dass dem Sport-Club Festtage im Dreisamstadion beschert. Sondern auch der Terminplaner der Ersten Liga. Noch taucht der SC Freiburg nicht im Hauptprogramm auf, aber beim Besuch eines Branchenkrösus’ wie der Borussia besetzte der Freiburger Trainer schon mal den Werbeblock: „Ich habe ja schon vor dem Spiel gesagt, dass wir gewinnen, weil e.on gegen Naturenergie spielt. Und Strom aus Wasser und Wind ist einfach besser.“”
Udo Muras (Welt 7.11.) kritisiert die Rotation des Borussen-Trainer. „Das ist Wettbewerbsverzerrung, eine Ohrfeige für die eigenen Fans – und auch für die des Siegers. Der Pokal hat zwar seine eigenen Gesetze, nämlich, dass die Kleinen die Großen jederzeit schlagen können. Doch wenn man ihnen derart behilflich ist, geht der Spaß verloren. Auch die Fans des Meisters haben übrigens Anspruch auf die Kultreise nach Berlin. Sammer tritt ihn mit Füßen.“
Uwe Marx (FAZ 5.11.) beleuchtet die Lage der Breisgauer. „Die Nettigkeiten kommen so sicher wie der Abpfiff. Immer wenn Volker Finke mit seinem Sportclub Freiburg in der Zweiten Fußball-Bundesliga eine Partie hinter sich gebracht hat, versichern ihm die Trainer des Gegners: Freiburg ist die beste Mannschaft der Liga, Freiburg spielt den schönsten Fußball, Freiburg hat ein beneidenswertes, weil ruhiges Umfeld, Freiburg hat einen allseits respektierten Trainer. Nach Siegen der Freiburger klingt das plausibel, erklärend, entschuldigend. Nach Niederlagen aber verwundert so viel Lob. Dann schaut Finke gequält freundlich und denkt daran, daß seine Mannschaft bei aller Stärke noch nicht angekommen ist in dieser Spielklasse (…) In Gedanken hat sich mancher aus seinem Kader noch immer nicht von der Bundesliga gelöst, auch wenn die Spieler Woche für Woche das Gegenteil versichern. Möglicherweise schwirrt auch noch anderes in den Köpfen herum. Der Zweitligaverein Freiburg war vor nur einem Jahr nämlich noch international tätig. Erst in der dritten Runde des Uefa-Cups scheiterte der Sportclub an Feyenoord Rotterdam, dem späteren Sieger dieses Wettbewerbs.“
1860 München – VfL Wolfsburg 8:7 n.E.
Christian Zaschke (SZ 7.11.) erzählt. „Was tatsächlich geschah: ein Spektakel. Man könnte Epen über solche Szenen verfassen, Heldengesänge und Lieder des Lobes. Was für ein Stoff: Das Spiel zweier Mannschaften, 90 Minuten, 120 Minuten, zehn Elfmeter, zwanzig Elfmeter, ein Rausch und keine Entscheidung. Was am Ende bleibt, ist das Duell Mann gegen Mann, Torwart gegen Torwart, Jentzsch gegen Reitmaier. Wenn man wirklich übertreiben wollte, dann sagte man in einem solchen Moment: Es kann nur einen geben (…) Die Geschichte ist noch besser, als es das Finale verspricht. Der große Drehbuchschreiber hatte beschlossen, Jentzsch nach 50 Minuten der Pokalbegegnung gegen den VfL Wolfsburg einen richtigen Fehler ins Spiel zu schreiben. In solchen Momenten zählt nicht, was ein Torwart zuvor vollbracht hat. In solchen Momenten ist er schuld. Die Geschichte ist also herrlichster Kitsch: Torwart ist schuld, Torwart ist verzweifelt, in einem großen Kampf macht Torwart alles wieder gut. Warum, wurde Jentzsch gefragt, hat er nach seinem entscheidenden Elfmeter nicht gejubelt? „Ich dachte noch an meinen Fehler, das 2:2 hat mich noch gewurmt“, sagt er. Das kennt man doch, diesen Hang zum Perfektionismus, das Denken an den Fehler im Moment des Triumphs – Kennzeichen Oliver Kahns. Doch Jentzsch ist anders. Er ist ruhiger, er wirkt nicht getrieben wie Kahn, nichts mahlt in ihm.“
Über den Held vom Dienstag schreibt Elisabeth Schlammerl (FAZ 7.11.). „Mit dem Torhüter haben die „Löwen“ im Moment ziemlich viel Spaß, weil er so zuverlässig und glänzend seine Arbeit verrichtet wie nie zuvor in München. In der Bundesliga ist er in elf Spielen fünfmal ohne Gegentreffer geblieben, weshalb er in der Saisonstatistik derzeit auf Platz eins geführt wird, als deutsche Nummer eins also. Die Erfolgsserie des TSV 1860 ist eng verbunden mit Jentzsch (…) Der ehemalige Karlsruher hat eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. In seinen ersten beiden Jahren in München unterliefen ihm regelmäßig grobe Patzer, weshalb Petar Radenkovic, Torhüter der Meistermannschaft 1966, den Verein immer wieder aufforderte, endlich einen guten, einen erstligatauglichen Schlußmann zu verpflichten. In dieser Saison ist Radenkovic fast zum Fan von Jentzsch geworden. Er habe endlich verstanden, sagt „Radi“, die physischen Vorteile seiner Körperlänge von 1,96 Meter zu nutzen.“
Bayer Leverkusen – VfB Stuttgart 3:0
Christoph Biermann (SZ 8.11.). „Was eigentlich ein harter Hund ist, das weiß niemand, weil es zwar dicke Hunde gibt – aber keine weichen. Trotzdem müssen Fußballtrainer immer dann harte Hunde sein, wenn es mal nicht so läuft, oder den Nachweis antreten, dass sie es eigentlich immer schon gewesen sind. Entsprechend knurrig ist Klaus Toppmöller dieser Tage gewesen, weil er plötzlich als zu kumpelhaft im Umgang mit seinen Spielern galt. So, als würde er lieber mittendrin im Rudel laufen als vorneweg. Udo Lattek, der gefürchtete Hundekenner, hatte diese These nach der 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart aufgebracht und die Verhaltensforscher in vielen Gazetten hatten sie entsprechend analysiert. Es schien auch einiges darauf hinzudeuten, denn Toppmöller gab am Sonntag bekannt, dass im Zwinger an der BayArena für die faulen Hunde von Bayer Leverkusen der Acht-Stunden-Tag eingeführt würde – inklusive Trainings- Doppelschichten (…) Auf dem Rasen hatte es jedenfalls den gewünschten Effekt. Das konnte man an der fast idealen Versuchsanordnung ablesen, gegen den gleichen Gegner vier Tage später erneut anzutreten. Stuttgart war fast im Wortsinne chancenlos, denn die Gäste hatten ihre einzige Torgelegenheit, als alles schon entschieden war. Auch wenn Leverkusen erneut zu viele Torchancen vergab und manches noch holperte, war die Mannschaft weit entschlossener als am Samstag.“
Spielbericht Tsp
Sammelbericht DFB-Pokal SZ
Spielbericht St. Pauli – Werder Bremen (0:3) SZ
Weiteres aus der Bundesliga
Sebastian Krass (SZ 6.11.) war beim Delegiertentreffen von 1860 München. „Solche Vereinsversammlungen von Fußball-Bundesligisten haben sowieso öfter einen größeren Unterhaltungswert, als es die eigentlich trockene Abfolge von Tagesordnungspunkten erwarten lässt. Bei Schalke 04 gab es schon so manchen Tumult, wenn mal wieder ein Präsident abzuwählen war. Bei der Frankfurter Eintracht wurde vor einigen Jahren ein Redner mittels eines kraftvollen Fausthiebs vom Podium befördert. Und auch bei den Löwen wurde der eine oder andere Delegierte schon einmal ausfällig. So etwa Winfried Schreyer, der nach eigener Auskunft vor drei Jahren „die Kontrolle verloren, getobt und geschrieen“ hat. Schreyer zählt sich zur Opposition gegen das aktuelle Präsidium. Eine Opposition, die es nicht leicht hat. Unter den 140 Delegierten war kaum einer, der etwas von Kritik an der Vereinsführung wissen wollte (…) Auf der Delegiertenversammlung wurde Wildmoser mit der Goldenen Ehrennadel für sein Wirken in den zehn Jahren seiner Präsidentschaft geehrt. Die Abgeordneten feierten ihn mit rhythmischem Klatschen im Stehen. Es fehlte nur noch, dass Wildmoser noch einmal aufstand und mit gereckten Armen den V-Stil des Kanzlers nachahmte. Bei all der Zustimmung und all dem Lob konnte der Präsident, wie das so seine Art ist, auch nicht zurückstehen und musste seine Arbeit selbst noch ein bisschen würdigen”
Felix Meininghaus (Tsp 8.11.) porträtiert den Dortmunder Torhüter. „Lehmann darf nicht nur an seinen Paraden gemessen werden. Sein Auftreten ist ebenso erstaunlich. Lange stand Lehmann in dem Ruf, der größte Kotzbrocken der Liga zu sein. Mittlerweile ist der Imagewandel vollzogen. Längst hat sich das ehemals so belastete Verhältnis zu den BVB-Fans und den Journalisten normalisiert. Früher gab es nach Spielen aus Trotz keine Statements vom Dortmunder Torwart. Der fühlte sich stets ungerecht behandelt. Heute ist der Mann ein gefragter Gesprächspartner.“
Spielbericht Hertha Berlin – Apoel Nikosia (4:0) Tsp
Interne Reaktionen in Berlin über die Situation der Hertha Tsp
Zweite Liga
Uwe Marx (FAZ 6.11.) über den neuen Trainer des Karlsruher SC. „Köstner ist kein Visionär des Fußballs und auch kein Schwärmer. Er fragt vielmehr: Was habe ich? Was kann ich? Und vor allem: Was kann ich nicht? Mit dieser selbstkritischen, oft unbequemen Bestandsaufnahme begann einst auch seine Arbeit bei der Spielvereinigung Unterhaching, die er mit beschränkten Mitteln, fußballerisch wie finanziell, aus der Regionalliga in die Bundesliga führte – bis heute eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten in dieser Spielklasse. Auch in Karlsruhe setzt Köstner auf bewährte fußballerische Primärtugenden: „Hingabe, Disziplin, Loyalität.“ Er baut hier vor allem auf erfahrene Spieler, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Seine Achse gleicht einer Altherren-Auswahl: In der Verteidigung sind Kapitän Thijs Waterink und Torsten Kracht gesetzt, der eine 33, der andere 35 Jahre alt. Im Mittelfeld rackert der 37 Jahre alte Bernhard Trares, im Angriff Bruno Labbadia, auch schon 36 (…) Ihren Talentiertesten haben die Karlsruher schon verloren, obwohl er noch da ist: Offensivkraft Clemens Fritz wechselt nach dieser Saison zu Bayer Leverkusen. 1,5 Millionen Euro brachte sein Transfer den Karlsruhern ein. Das Geld wurde bereits überwiesen, andernfalls wäre die Lizenz in Gefahr gewesen. Sportlich ist das ein Schritt zurück, finanziell einer nach vorn.“
Frank Heike (FAZ 6.11.). „Besonders, irgendwie „anders“ sind die Profis des FC St. Pauli nur noch einmal im Monat. Dann nämlich, wenn die Vereinszeitschrift „Viertel nach fünf“ die Spieler als Pin-ups im Mittelteil des Monatsmagazins abbildet: Nico Patschinski räkelt sich in Leopardenfellunterhose auf einer Samtcouch, Markus Lotter hockt in engen Jeansshorts auf einem orangenen Motorrad, Yakubu Adamu blickt fast nackt am Elbstrand liegend in die Kamera. Daß gerade diese drei Modelle auf der Streichliste von Trainer Joachim Philipkowski vor dem Pokalspiel an diesem Mittwoch gegen den SV Werder Bremen stehen, hat nichts mit den gewagten Aufnahmen zu tun, sondern mit ihrer Leistung beim 0:1 am vergangenen Freitag gegen den SC Freiburg. Und das wiederum sagt viel über den Gesamtzustand des tief gefallenen Absteigers aus der Bundesliga in diesen kalten Novembertagen 2002 – ausgerechnet die Stützen der St.-Pauli-Gesellschaft versagen. Das gilt für alle Ebenen des auf den drittletzten Rang der zweiten Liga gepurzelten Klubs von der Reeperbahn. Nicht der Wiederaufstieg, allein der Klassenverbleib ist das Ziel von Philipkowski, dem Nachfolger von Dietmar Demuth, und des Präsidenten Reenald Koch. Daß es in nur drei Monaten so weit gekommen ist, daß innere Ordnung und Anflüge von Professionalität als Überbleibsel des Bundesligaabenteuers längst wieder verloren sind, hat seine Gründe in einer Mischung aus verfehlter Einkaufspolitik und längst abgestellt geglaubter Führungsschwäche (…) Wenn man ehrlich ist, entspricht der FC St. Pauli derzeit dem Idealbild eines Absteigers – auf dem Rasen und in der Führungsetage. Warum nur wurde Henning Bürger vertrieben, der gerade bei der Eintracht in Frankfurt zeigt, welch guter Zweitligaspieler er ist? Wieso ließ man das Urgestein Andre Trulsen zu Holstein Kiel in die Regionalliga gehen? Zlatan Bajramovic, Thomas Meggle und Jochen Kientz waren nicht zu halten, fehlen trotzdem an allen Ecken. Es sieht düster aus auf St. Pauli, und die „Paadie“ am Millerntor ist selten geworden
Ausland
Peter Hartmann (NZZ 8.11.) berichtet. „Noch im Jahr 2000 gewann Lazio den Titel, im Sommer danach feierte eine Million Menschen die modernen Gladiatoren der AS Roma für das Meisterschaftsabzeichen im antiken Circo Massimo. Doch jetzt scheint dem megalomanischen Lazio-Mehrheitsbesitzer Sergio Cragnotti ein finanzielles Desaster bevorzustehen, und in der AS Roma mottet ein Bilanzskandal.“
„Präsident Campedelli von Chievo Verona will keine Schulden machen und seinen Klub verkaufen“ SZ
Spielbericht Champions League: Spartak Moskau – FC Basel (0:2) NZZ
„Der erwartete Rücktritt des Iren-Coachs McCarthy“ NZZ
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Nach dem Einzug ins Achtelfinale Hochstimmung in Stuttgart und in den Sportredaktionen – Timo Wenzel, Torschütze und Held – Felix Magath, die schwäbische Instanz (taz) u.v.m.
VfB Stuttgart – Glasgow Rangers 1:0
Beklemmendes Gefühl, daß es so grandios nicht weitergehen kann
Peter Heß (FAZ 28.11.) drückt die Daumen: “So gefestigt, clever und abgeklärt sich die Mannschaft von Trainer Magath präsentiert, so wenig Anlaß zur Sorge ihre Spiele objektiv betrachtet bieten, irgendwie entsteht das beklemmende Gefühl, daß es so grandios nicht weitergehen kann. In den überraschenden und überragenden Erfolgen des VfB liegt schon der Keim des Vergehens – denn haben wir nicht gelernt: Nur die reichen Vereine können auf Dauer triumphieren? Längst macht die Konkurrenz Jagd auf die Talente, umschmeichelt sie mit Angeboten, die sich etwa der FC Schalke 04 nur leisten kann, weil er Teile seiner Zuschauereinnahmen auf Jahre verpfändet hat. Zur gedanklichen Ablenkung kommt der körperliche Verschleiß. Anders als die Bayern ist der VfB nicht in der Lage, seine besten Kräfte durch ein Rotationsverfahren zu schonen. So viele gleichwertige Spieler haben die Stuttgarter nicht. Welchen VfB werden wir also im nächsten Frühjahr erleben, wenn die Champions League entschieden wird? Einen Verein, der weiter den FC Bayern beschämt, oder einen Klub, der einer großartigen Vorrunde nachtrauert und wieder zu Bayern München aufsieht? (…) Nicht, daß Magaths Mannschaft ein großes Stück Fußballkunst abgeliefert hätte. Für den Glanz, für das Mitreißende an diesem Abend hatten in größerem Maße die Begeisterungsstürme der 50 000 Zuschauer im ausverkauften Gottlieb-Daimler-Stadion gesorgt. Was die jungen Profis des VfB geboten hatten, war weniger spektakulär, aber von großer Nachhaltigkeit. Sie hatten einen erfahreneren, sich mit teilweise unfairen Mitteln wehrenden Gegner beherrscht. Sie lieferten dabei kein Beispiel dafür ab, was jugendlicher Überschwang bewirken kann, sondern wie gefestigt, konzentriert, wie selbstbewußt und clever sie sind. Ihr Einzug ins Achtelfinale der Champions League war ein ganz abgeklärtes Werk von Frühreifen.“
Martin Hägele (Tsp 28.11.) beschreibt Stuttgarter Hochgefühl: „„Rosa Zeiten für die Roten“, wie der Traditionsklub aus Bad Cannstatt seit 110 Jahren genannt wird, versprach der Leitartikel der Stuttgarter Nachrichten; und der Kommentator der Stuttgarter Zeitung empfahl seinen Lesern, sich doch den 26. Mai schon mal vorzumerken: An diesem Tag steigt in der Arena Auf Schalke das Finale der Champions League. Also, spinnen die jetzt alle im Schwabenland? Sehen sie jetzt keine Grenzen mehr für ihre überwiegend jugendlichen Himmelsstürmer? Ist vielleicht alles etwas zu schnell gegangen? Immerhin hat sich ein Teil dieser Mannschaft vor nicht einmal zweieinhalb Jahren gerade noch vorm Abstieg in die Zweite Liga gerettet. Timo Wenzel hat die schlechten Zeiten damals mitgemacht, und als gleich zu Beginn dieser Runde der VfB zu einer Spitzenmannschaft in der Liga wurde, schien für den bodenständigen Verteidiger kein Platz mehr zu sein. Vor dem denkwürdigen Sieg gegen Manchester United wurde der 25-Jährige zum ersten Mal aus dem 18-köpfigen Kader gestrichen. Mit Tränen in den Augen saß Wenzel auf der Tribüne, während sich seine Kollegen vor einem Millionenpublikum in Trance spielten. Und nur weil der Brasilianer Bordon operiert wurde, rückte Wenzel vor fünf Wochen wieder ins Team. Er sollte, so gut es ging, dessen Stellvertreter sein in der statistisch besten Hintermannschaft des Kontinents, weil man, wie Wenzel selbst sagt, „einen Bordon nicht ersetzen kann“. Und ausgerechnet dieser Spieler schoss am Mittwoch das 1:0 gegen die Rangers. Mit verschwitztem Trikot saß er um Mitternacht vor 200 Journalisten und acht Fernsehkameras und soll dort erst mal sein persönliches Märchen und dann auch noch das Wunder VfB erklären.“
Fast schon britische Intensität und Aggressivität
Michael Kölmel (BLZ 28.11.) schildert Stuttgarter Stärken: „Ungewöhnlich wenige Chancen hatten die Schwaben im Rückspiel am Mittwoch, aber ihre fast schon britische Intensität und Aggressivität ließ nie einen Zweifel aufkommen, wer die Partie entscheiden würde. Auch die Freistoßvariante über drei Stationen, die zum 1:0 führte, ist Ergebnis monatelanger Arbeit. Assistenztrainer Krassimir Balakov hatte sie mit der Mannschaft einstudiert. Wir haben eben nicht nur einen Trainer, sagte Magath lapidar und erklärte, dass der Erfolg nichts Märchenhaftes an sich habe, sondern vielmehr eine logische Entwicklung sei, Ergebnis zielgerichteter Arbeit der Mannschaft, die es jetzt schon zweieinhalb Jahre mit mir aushält. Gerade die jungen Profis hätten sich durch Balakovs Abschied aus dem Spielerkader enorm gemacht. Kuranyi, Hinkel, Tiffert, Hleb haben aus der Not heraus gelernt, Verantwortung zu tragen. Inzwischen geben sie Magath Anlass zum Schwärmen. So einen Zusammenhalt habe ich selten erlebt, sagte er, da muss ich schon Jahrzehnte zurückdenken, um etwas Ähnliches zu finden. Eine große Zukunft prophezeit er seinem Team. Ein versteckter Hinweis auch an Kuranyi, der noch um einen besser dotierten Vertrag pokert: Es wäre sehr schade, wenn einer ohne Not diese Mannschaft verlassen würde.“
Noch kein europäischer Spitzenklub
Benedikt Voigt (Tsp 28.11.) hält zu viel Euphorie für abträglich: „Bis zu 9,61 Millionen Zuschauer sahen im Fernsehsender Sat1 das 1:0 gegen die Glasgow Rangers, zuvor hatten sich die Fernsehzuschauer und die Leser der „Bild“-Zeitung in einer Abstimmung für das Spiel des VfB Stuttgart und gegen die Partie des FC Bayern entschieden. Sie wollten lieber Leidenschaft und Mut sehen als Routine und Abgeklärtheit. „Seht, ihr Bayern, so wird das gemacht“, sangen die Fans des VfB Stuttgart am Mittwoch. Die Bayern dürften es sich für das direkte Duell am 13. Dezember gemerkt haben. Und vielleicht täte eine Niederlage gegen die Bayern dem VfB Stuttgart auch ganz gut. Denn der beständige Jubel ist noch kein Indiz dafür, dass der Verein für Bewegungsspiele ein europäischer Spitzenklub ist. Er muss das erst noch beweisen, wenn das Umfeld ernüchtert ist. Zum Beispiel muss Stuttgart in der Lage sein, Rückschläge zu verkraften. Einen solchen hat das Team seit eineinhalb Jahren nicht erlebt. Hinzu kommt das Management. Es muss zeigen, dass es schwierige Situationen bewältigen kann. Vielleicht ist es deshalb nicht schlecht, dass der Stürmer Kevin Kuranyi die gute Stimmung mit seinem Vertragspoker stört. Er deckt ein Defizit auf, das auf dem Platz nicht zu sehen ist: Das Management muss erst noch mit der sportlichen Entwicklung Schritt halten.“
Elke Rutschmann (FTD 28.11.) beglückwünscht Timo Wenzel, einziger Torschütze: „Beim großartigen Fest gegen Manchester United saß der 25-Jährige noch auf der Tribüne. Doch dann verletzte sich Marcelo Bordon und Timo Wenzel füllte problemlos die Lücke im hoch gelobten Stuttgarter Abwehrverbund. Gegen die Rangers schoss er das Tor des Abends und verlängerte damit vorzeitig die Verweildauer des VfB in der Champions League. „Ich fühle mich deshalb aber nicht als Held. Außerdem ist es schwer, Marcelo zu ersetzen“, sagte Wenzel, und sein Kinn verschwand immer wieder im Revers seiner schwarzen Trainingsjacke. Dabei hat er keinen Grund sich zu verstecken. „Er kann Bordon sehr wohl gut ersetzen“, lobte Felix Magath. Der Trainer genoss den Abend wie gewohnt mit einer Tasse Pfefferminztee, plauderte locker, ohne selbstherrlich zu wirken. Wie so oft in den vergangenen Wochen nutzte er das feine Instrument der Koketterie. So rechnete er schon einmal aus, dass man sich bei einem Verkauf des unschlüssigen Angreifers Kevin Kuranyi beispielsweise Lauterns Stürmer Miroslav Klose als Ersatz leisten könne. „Aber bei uns wird ja nicht so schnell gerechnet. Man ist etwas langsam im Zusammenzählen“, sagte Magath, und hören sollte das vor allem Ulrich Ruf, Vorstandsmitglied, zuständig für Finanzen und Verwaltung. Mit dem ist sich der Teamchef und Manager regelmäßig uneins über die Verwendung der Einnahmen. „Um sich langfristig zu etablieren, braucht man auch Mut“, sagte Magath.“
Magath spricht, die Schwaben glauben, keiner zweifelt
Tobias Schächter (taz 28.11.) hat Stuttgarts Trainer zugehört: „Die Instanz, die die Himmelsstürmer in den rot-weißen Trikots am Boden hält, ist aus Fleisch und Blut: Felix Magath, der Trainer. Der hat zwar Visionen, ist aber auch Realist. Auf der Pressekonferenz stellte er noch einmal das kollektive Erweckungserlebnis in den Mittelpunkt. Der Sieg gegen Manchester hat allen gezeigt, was hier möglich ist, erklärte der Schwaben-Messias. Und jetzt, vor dem letzten Spiel in Manchester, dem Endspiel um den Gruppensieg, da hat Magath wieder eine Steigerung parat: Wir wollen natürlich auch dort gewinnen, um dann als Gruppenerster gesetzt in die Achtelfinal-Auslosung zu gehen. Im Rückspiel hätte man dann Heimrecht. Magath spricht, die Schwaben glauben, keiner zweifelt. So ist das zur Zeit im Ländle. Und selbst die Frage eines eifrigen Reporters, ob denn nicht auch das Finale drin sei, wird nicht etwa mit Kopfschütteln kommentiert, sondern die Blicke richten sich streng nach vorne aufs Podium, wo Felix Magath kurz lächelt, sich einen Kaffee einschenkt und dann leise orakelt: Ein Schritt nach dem anderen, so weit sind wir noch nicht. Magaths Traum ist es, mit dem VfB zu erreichen, was er einst als Spieler des HSV geschafft hat, als man den Bayern trotzte und den Europacup gewann. Dies ist eine Arbeit hier, wie ich sie, was den Teamgeist, die Begeisterung und die deutschlandweite Anerkennung angeht, in der Bundesliga schon Jahrzehnte nicht mehr erlebt habe.
Selbst die Engel ham’s erkannt, Stuttgart ausser Rand und Band
Martin Hägele (NZZ27.11.) berichtet den Sieg des VfB Stuttgart: „Champions-League-Partys, so scheint es, lassen sich in der neuen Hauptstadt des deutschen Fussballs, fast nach Programm feiern. Auch wenn sich die Event-Planer dabei noch etwas hölzern mit ihren Botschaften anstellen: Das Motto „Selbst die Engel ham’s erkannt, Stuttgart ausser Rand und Band“ auf dem Transparent und die riesige VfB-Fahne mit den Cherubim im Trikot des Bundesligaklubs sollten wohl Weihnachtsstimmung vermitteln. Damit das schwäbische Aschenputtel- Märchen in Europas Königsklasse weitergeht, waren aber auch Tore der jungen Himmelstürmer verlangt. Damit hatte das Ensemble von Felix Magath zunächst einige Probleme, vor allem, nachdem sich die erste grosse Chance des Spiels ausgerechnet den defensiv orientierten Schotten geboten hatte. In der 22.Minute tauchte Ricksen ganz allein vor Hildebrand auf – nun weiss auch der Anhang der Glasgow Rangers, warum der junge Keeper in der Bundesliga für jede Menge Rekorde und Schlagzeilen verantwortlich gewesen war.“
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Auslandsfußball
die Degeneration Manchester Uniteds und Sir Alex Fergusons – Charlton Athletic, „Wunder im Südosten Londons“ (NZZ) – AC Milan, stark und gesund, siegt in Turin u.v.m.
Raphael Honigstein (Tsp 16.3.) teilt die Degeneration Manchester Uniteds und Alex Fergusons mit: „Es gibt im britischen Fußball den schönen Brauch, dass sich die Trainer unmittelbar nach dem Schlusspfiff die Hände schütteln. Manchmal werden dabei zwei freundliche Worte gemurmelt, oder der eine fasst den anderen am Ellbogen und deutet eine Umarmung an. Wenn das Verhältnis der Herren ein wenig gespannt ist, fällt die Zusammenkunft betont kurz und kühl aus. Doch in der überwiegenden Mehrheit aller Seitenlinien-Treffen verzieht keiner die Miene. Der Verlierer bemüht sich, Haltung zu bewahren; Fairplay verbietet dem Gewinner allzu grandiose Gesten. Auch am Sonntag wiederholte sich nach Manchester Uniteds denkwürdiger 1:4-Niederlage beim Stadtrivalen Manchester City zwischen Alex Ferguson und Kevin Keegan das Ritual, doch die Zuschauer wurden dabei Zeugen eines völlig unerhörten, in der Premier League einmaligen Vorgangs: während Keegans rechte Hand beglückt die des Schotten drückte, tätschelte seine linke Sir Alex sanft über die Wange. Bisher hatte in England noch nie ein Kollege den Drang verspürt, dem knorrigen Ritter mit dem roten, teigigen Gesicht Streicheleinheiten zukommen zu lassen, besonders nach einer United-Niederlage gingen Freund und Feind lieber in Deckung. Auch „King Keggy“, der seit seinen Trainer-Tagen beim FC Newcastle einer von Fergusons Lieblingsfeinden ist, hatte in der Stunde des Triumphes keineswegs den Sinn für feine Manieren verloren, sondern augenscheinlich vielmehr Mitgefühl mit seinem Gegenüber empfunden. Sympathy for the red devil? So schlimm ist es für Ferguson schon gekommen. Zwölf Punkte Rückstand hat United jetzt auf den FC Arsenal, der Titel ist verspielt. So mussten sich Uniteds Kicker wegen ihrer stümperhaften Abwehrfehler und des merkwürdig gefügigen Auftretens als „Derby-Esel“ in der „Sun“ verspotten lassen. Nur die Meldung, dass Ferguson seit kurzem einen Herzschrittmacher trägt, verhinderte scharfe Kritik am Trainer. Seltsam resigniert und ein wenig müde wirkte Sir Alex nach der schlimmsten Derby-Niederlage seit 1989 – anstatt wie gewohnt allerlei Verschwörungstheorien zu formulieren, sprach er emotionslos von „unrealistischer Abwehrarbeit“ (…) Die größten Probleme bereitet die Abwehr. Es ist kein Zufall, dass die Krise des Teams mit der Sperre von Rio Ferdinand zusammenfiel. Dass Ferguson es versäumte, im Winter einen Verteidiger einzukaufen, lässt sich schwerer erklären. „Vielleicht war er zu sehr mit den Besitzverhältnissen von Pferdesperma beschäftigt“, vermutet der „Guardian“ angesichts des juristischen Streits um Fergusons Preishengst Rock of Gibraltar.“
Die FR (16.3.) ergänzt: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich in dieser Saison ein Machtwechsel vollzieht: Arsenal spielt den schönsten und erfolgreichsten Fußball, Chelsea hat das meiste Geld. Ferguson dagegen muss mit dem Standortnachteil und seinem Ruf als dogmatischer Dinosaurier (Sunday Herald) kämpfen: Wer will sich schon im Regen von einem autokratischen Choleriker zusammenfalten lassen, wenn in London die Läden teurer, die Frauen schöner und die Trainer kultivierter sind? Die Tage von Gold Trafford sind vorbei, prognostiziert der Mirror, zu dem amtsmüden Diktator gibt es jedoch noch keine ernsthafte Alternative. Ferguson möchte man bei aller Schadenfreude wünschen, dass er von sich aus rechtzeitig vom Thron steigt.“
Martin Pütter (NZZ 16.3.) beschreibt den Auftrieb Charlton Athletics: „Charlton am Ende der Saison in der Champions League? Das wäre ein besonderer Triumph für den Manager Alan Curbishley, die Spieler und den Klub. Im Januar war die Equipe mit einem 2.Platz 1936/37 sowie dem Gewinn des FA- Cups 1947 als grössten Erfolgen bereits einmal so weit vorne in der Tabelle aufgetaucht. Doch dann lockte Chelsea Scott Parker an die Stamford Bridge. Ohne den neuen englischen Nationalspieler, für den die „Blues“ eine Ablösesumme von zehn Millionen Pfund bezahlten, verlor Charlton die nächsten drei Spiele. Die Mehrheit der englischen Medien erkannte darin das Ende des Höhenfluges. Doch Curbishleys Mannschaft fing sich wieder, gewann gegen die Blackburn Rovers, nahm dem Leader Arsenal im Highbury beinahe einen Punkt ab und liess sich nun gegen Middlesbrough drei Punkte gutschreiben. Eine Champions-League-Qualifikation käme auch aus einem anderen Grund einem kleinen Wunder im Südosten Londons gleich. Vor zwanzig Jahren wären die 1905 gegründeten „Addicks“ fast vollständig von der Bildfläche verschwunden. Der Klub kämpfte mit immensen finanziellen Problemen und vermied die vollständige Auflösung quasi in letzter Minute durch ein Urteil des Londoner High Court, des höchsten Zivilgerichts Englands. Ein Jahr später, 1985, musste Charlton aus dem Stadion „The Valley“ ausziehen. Eine der Tribünen der Arena, die 1919 in einer stillgelegten Kiesgrube mit Hilfe von Fans gebaut worden war, entsprach nicht mehr den Sicherheitsvorschriften. Geld für den Umbau fehlte. Die folgenden Jahre spielte die Equipe im Selhurst Park von Crystal Palace und eine Saison im Upton Park von West Ham United. Eine Rückkehr ins Valley, das zuvor mit einem Klubrekord von 75031 Zuschauern (1938 im FA- Cup gegen Aston Villa) zu den grössten englischen Stadien gehört hatte, scheiterte am Greenwich Council. Die Behörde des Stadtteils verweigerte die Baubewilligungen für die Modernisierung des Stadions. 1990 hatten die Fans die Nase voll. Sie gründeten die „Valley-Partei“ und traten zu den Lokalwahlen an. Zwar schaffte kein Parteimitglied den Einzug in den Council, aber die Fans erreichten immerhin, dass jene Stadträte nicht wiedergewählt wurden, die stets die Erteilung der Baubewilligung verhindert hatten. 1992 zog der Verein ins eigene Stadion zurück.“
Birgit Schönau (SZ 16.3.) gratuliert dem AC Milan zum 3:1 in Turin: „Carlo Ancelotti sagt immer, es sei ein Spiel wie jedes andere. Aber mit dieser Ansicht steht er ziemlich allein da. Damals hatten sie in Turin gesagt, ein Schwein könne nicht die Juve trainieren, und das Schwein war er. 70 Punkte hatte er geholt und war zum zweiten Mal Zweiter geworden. Nur Zweiter. Juventus reichte das nicht, sie baten Marcello Lippi zurück und Ancelotti wechselte zum AC Mailand. Seither hat er die Champions League gewonnen. Gegen Lippis Juve, die wurde Zweiter. Nur Zweiter? „Unser Ziel, sagte Lippi am Sonntag, „ist jetzt der zweite Platz. Soeben hatte Ancelottis Milan die Gastgeber im Turiner Alpenstadion 3:1 besiegt und sie vorgeführt. Nicht einmal eine Halbzeit lang hielt die Juve dem intelligenten Ansturm des Tabellenführers stand, um nach der Pause unaufhaltsam zu zerbröseln. „Wir müssen nicht spektakulär spielen, nur klug, hatte Trainer Carlo Ancelotti seine Mannschaft angewiesen, die sich lange daran hielt. Abwarten, den richtigen Moment abpassen, kontern. Nach dem 1:0 durch einen wunderbar präzisen Kopfball durch Schewtschenko aber ließ sich Milan doch noch zum Spektakel hinreißen. Selbstbewusst zelebrierten sie jetzt ihren Spinnennetz-Fußball mit dem coolen Andrea Pirlo im Zentrum und den pfeilschnellen Brasilianern Cafù und Kakà, die die Fäden weit nach vorne zogen. So entzauberte Milan die schwerfällig erscheinende Alte Dame am Ende mühelos, und den Löwenanteil daran hatte der in Italien lange verkannte Holländer Clarence Seedorf.“
Peter Hartmann (NZZ 16.3.) erklärt den Mailänder Erfolg: „Milan wirkt unwiderstehlich gesund, jetzt, bei Frühlingsbeginn, wenn die Entscheidungen fallen und alle Ausreden und Entschuldigungen hinfällig werden. In der Königsliga blieb von den Italo-Klubs nur Milan übrig. Eine Erklärung der Leistungsbeständigkeit dieser Erfolgsmaschine ist die Einrichtung, die sich MilanLab nennt: eine Klinik, angegliedert an das Trainingszentrum Milanello, die nicht nur, wie bei andern Klubs, die akuten Fälle medizinisch behandelt, sondern zusätzlich über eine labortechnische Abteilung verfügt. Eine Datenbank gewährleistet eine genaue Form- und Gesundheitskontrolle der Spieler. Der Leiter des MilanLab, der belgische Arzt Jean-Pierre Meersseman, und der Verantwortliche für die physische Vorbereitung, Daniele Tognaccini, entwickeln aus den Computerdaten individuell abgestimmte Trainingspläne und liefern Trainer Ancelotti einen Raster für seine Personalentscheidungen. Wer übermüdet und verletzungsgefährdet ist, muss pausieren. „Wir haben mit dieser Methode vor allem mit älteren Spielern hervorragende Erfahrungen gemacht“, sagt Tognaccini: mit Costacurta, mit dem ewigen Jüngling Maldini, auch schon 36-jährig, der gerade wieder endgültig ein Comeback in der Nationalmannschaft ausgeschlossen hat, mit Redondo (34), dem fast schon vergessenen früheren Real-Regisseur, der nach schweren Unfällen und zwei Therapiejahren wieder auf die Beine kam, mit Inzaghi (30), der nach einer Serie von Verletzungen als „Strafraumschlange“ („Corriere della Sera“) zurückgekehrt ist. Die Spieler akzeptieren die Rotation klaglos, weil sie spüren, dass nichts sie so erfolgreich macht wie der Erfolg. Im Unterschied zur AS Roma: In Reggio di Calabria blieb der Meuterer Panucci vor laufender TV-Kamera einfach auf der Bank sitzen, als ihn Trainer Capello zum Aufwärmen aufforderte. Nach dem 0:0 liegen die Nerven bei der Roma blank, nächsten Sonntag erwartet sie das Derby gegen Lazio. In Italien wird das Thema Sportmedizin von Skandalen eingenebelt. Vermeintliche Gurus wie der Biochemiker Francesco Conconi und sein früherer Schüler Michele („Dottor Epo“) Ferrari wurden als Dopingmanipulatoren enttarnt. Juventus versucht einen lästigen Dopingprozess über die Verjährungsschwelle zu schleppen. Jahrelang verschwanden im IOK-akkreditierten Labor von Acquacetosa Urinproben von Fussballern ungeöffnet auf dem Müll. Vielleicht weist das Beispiel des MilanLab den Ausweg aus dem Dopingsumpf. Die Investition in die Wissenschaft hat sich mehr gelohnt als die übliche Geldverschwendung auf dem Transfermarkt.“
Fußball in Europas Ligen vom Wochenende: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen NZZ
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Einen zugesprochenen Elfmeter gegen eine Ecke eintauschen
Peter Heß (FAZ 5.5.) wundert sich. “Die Erfindung des Elfmeters ist eine tolle Sache. Da kann eine Mannschaft noch so verunsichert sein, den Spielern mag mißlingen, was immer sie versuchen: Ein Stolperer am rechten Ort, ein wohlwollender Schiedsrichter, und schon ist sie da, die wunderbare Gelegenheit, einem ungünstig begonnenen Spiel eine Wende zum Besseren zu geben. Hannover 96 allerdings bildet da eine Ausnahme. Die Niedersachsen sollten den Antrag stellen, einen zugesprochenen Elfmeter gegen eine Ecke eintauschen zu dürfen oder einen Einwurf. Kostas Konstantinidis vergab am Samstag gegen den VfB Stuttgart auf der Baustelle der AWD-Arena den vierten Strafstoß in Folge für die Sechsundneunziger. Elfmeter wirken bei ihnen verheerend, sie bauen immer nur den Gegner auf. VfB-Trainer Felix Magath stellte in seiner Analyse die Szene in der dritten Spielminute als wichtigste des Spieles heraus: Nach den schwachen Leistungen in den letzten beiden Spielen war uns die Verunsicherung anzumerken. Der Elfmeter war das Signal für uns, daß wir hier etwas schaffen können. Der VfB erarbeitete ein 2:1, das den zweiten Tabellenplatz zementierte (…) Drei Spieltage vor Saisonschluß, nach insgesamt fünf verschossenen Elfmetern und 19 Latten- und Pfostentreffern, wirkt der spielstärkste Aufsteiger seit Jahren aus Hannover angeschlagen. Auffallend, wie häufig sich Spieler nach Fehlern gegenseitig angifteten. In Stuttgart herrscht dagegen wieder Frieden und Gelassenheit.“
Mobbing-Produzent aus Rangnicks Stuttgarter Ära
Dietrich zur Nedden (taz 5.5.) erinnert an gemeinsame Vergangenheiten der Beteiligten. „Es ist bald eine Ewigkeit her, dass Ralf Rangnick den VfB Stuttgart trainiert hat. Genauer: Im Februar 2001 quittierte er dort seinen Job. Und dass Fredi Bobic im magischen Dreieck sprang, statt in der norddeutschen Tiefebene Tore schießend seiner Profession nachzugehen (jawohl: gehen), ist noch länger her, quasi Steinzeit. So verwunderte es nicht, dass nach dem 2:1-Sieg der Stuttgarter in Hannover niemand die geschichtsnotorischen Aspekte des Spiels ansprach, aussprach, besprach. Die beiden Trainer beschränkten sich beim Blick zurück sowieso auf die nächstliegende Vergangenheit, dito Zukunft. Dabei aufgeräumt und gelassen, was sonst: Felix Magath, der Nachfolger Rangnicks in Stuttgart, der, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Mayer-Vorfelder nur noch ein paar Monate ertragen musste, ein möglicherweise entscheidender Vorteil (…) Und der Mobbing-Produzent aus Rangnicks Stuttgarter Ära? Auf seiner Abschiedstournee gab Balakow ein engagiertes Gastspiel, unspektakulär, klug und effektiv. Ein Tick grandioser war freilich sein Nachfolger Hleb, der eben mal vier Gegner stehen ließ, um anschließend eine Flanke auf Dundee zu zirkeln, der nun seinerseits den Pfosten traf. Immerhin: Beim VfB standen anfangs acht Spieler auf dem Platz, die schon unter Rangnick zum Kader gehörten, bei seinem aktuellen Verein waren fünf dabei, die erst während der Saison engagiert wurden.“
Peter Heß (FAZ 5.5.) über den Spieler des Spieltags. „Eigentlich war Magaths Entscheidung schon gereift – Dundee sollte gehen. Einen teuren Stürmer, der kaum spielen kann, kann sich der gezwungenermaßen knausrige VfB nicht leisten. Zumal mit Kevin Kuranyi ein Spitzenstürmer im Aufgebot steht. Am Samstag abend meinte Magath zu Dundees Zukunft: Warten wir mal ab, wo wir am Saisonende in der Tabelle stehen. Es macht finanziell ja einen Unterschied, ob wir Zweiter oder Fünfter werden. Dundee weiß, daß er noch Überzeugungsarbeit leisten muß. Trainer, ich will bleiben, sagte er schon vor Wochen. Dessen Antwort: Dann tue etwas dafür. Manchem wäre das zu wenig Nestwärme, Dundee fühlt sich aber beim VfB gut aufgehoben: Okay, Magath ist oft nicht zufrieden mit mir, aber auch ich bin oft unzufrieden mit mir. Dundee ist ein Instinktfußballer. Zu erklären, warum er trifft oder auch nicht, fällt ihm schwer. Seine größte Zeit hatte er als unbekümmerter, selbstbewußter Neuling. Als sich nach den ersten ernsthaften Rückschlägen Selbstzweifel regten und private Probleme hinzukamen, knickte die steile Laufbahn – schon vor der Verletzungsserie. Mit 30 ist Dundee ein wenig gereift, den Torriecher hat er noch. Vielleicht reicht es für eine zweite Torjägerkarriere. Von Crocodile Dundee wurden auch mehrere Filmteile gedreht.“
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Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfs
Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfes: die akut bedrohliche Situation in Leverkusen – die fast so akut bedrohliche Situation in Rostock – Shao, der Münchner Chinese assimiliert sich – St. Pauli muss Personal entlassen – ein Trainerrausschmiss während der Pressekonferenz in Verl u.a. (mehr …)
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Jorge Valdano im Interview, Frankreichs Nationalteam, Beckhams Nachfolger
Themen: Tsp-Interview mit Jorge Valdano (Sportdirektor Real Madrid) – Umbruch in Frankreichs Nationalteam – furioser Auftakt von Manchester United und dem jungen “Beckham-Nachfolger”
Wenn wir einen Zirkus aufziehen wollen, dann müssen wir auch Herrn Hoeneß verpflichten
Auszüge aus einem Tsp-Interview mit Jorge Valdano
Tsp: Ihr argentinischer Landsmann Cesar Luis Menotti hat einen linken, einen subversiven Fußball gepredigt. Gibt es so etwas überhaupt?
JV: Fußball ist vieles in einem: das Spiel, das Kinder auf dem Schulhof spielen, das Gesprächsthema in einem Café, das WM-Endspiel, also ein so großes Phänomen, dass die Mächtigen leicht den Fußball vereinnahmen können. Je weniger Skrupel die Macht hat, desto mehr wird der Fußball ausgenutzt. Zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, als dort die Militärjunta herrschte und folterte. Es gab damals Stadien, die nur 500 Meter von den Folterkellern entfernt lagen. Die Gefangenen konnten von dort die Torschreie eines Publikums hören, das man einer Gehirnwäsche unterzogen hatte.Tsp: In Deutschland wurde damals sehr lebhaft über einen Boykott der WM diskutiert.JV: Ein Boykott wäre keine schlechte Idee gewesen. Er hätte ganz sicher zu einem Wechsel der politischen Situation beigetragen.
Tsp: So stark ist der Fußball?
JV: Ja, und die sich dadurch bietenden Möglichkeiten werden immer intelligenter genutzt. In Afrika konnten sich die Schwarzen zu Zeiten der Apartheid in den Fußballstadien ungestört treffen, in Städten wie Medellin in Kolumbien sind sich Frauen und Männer als Zuschauer frei begegnet. So etwas war im gesellschaftlichen Leben in dem Land nicht möglich.
(Valdano nimmt einen Stift, zieht ein Blatt Papier aus seinem Jackett und zeichnet ein Rechteck mit Schornsteinen.)
JV: Stellen Sie sich in der Mitte den schönen grünen Rasen vor. Rings herum sind mit der Zeit Fabriken, Schlote, Öfen dazugekommen. Das ist die Fußballindustrie. Und das ist gut so. Die Industrie kann sich vergrößern, aber nur nach außen, weg von der grünen Wiese. Wenn die Industrie eines Tages auf den Platz wächst, verliert das Geschäft seinen Sinn. Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, das zu verhindern.
Tsp: Das erzählt ausgerechnet der Manager des am meisten expandierenden Fußballklubs der Welt.
JV: Ja, wir expandieren nach China, treten dort auf und machen unsere Marke bekannter, aber wir spielen immer noch im Bernabeu-Stadion, und das ist und bleibt in Madrid. Wir vergessen nie, dass im Zentrum all unserer Aktivitäten der Fußball steht. Unser sportliches Projekt ist deutlich definiert: Wir sind die Mannschaft der Zidanes und Pavons…
Tsp: …benannt nach Zinedine Zidane, dem Weltstar aus Frankreich, und Francisco Pavon, einem Spieler aus dem eigenen Nachwuchs.
JV: Wir werden nie die Pavons vernachlässigen, die Einheimischen, die den Stolz des Vereins, der Stadt Madrid repräsentieren. Aber wir schmücken uns auch mit dem Glanz der Weltstars. Dank ihrer Klasse hat Real in den vergangenen vier Jahren zweimal die Champions League und zweimal die spanische Meisterschaft gewonnen. Mit Leuten wie Zidane, Figo, Ronaldo und künftig Beckham haben wir unsere Umsätze in drei Jahren verdoppelt, weil diese Stars die Marke Real Madrid in der ganzen Welt prägen.
Tsp: Die vier oder fünf besten Spieler der Welt müssen immer bei Real spielen?
JV: Genau das ist unser Anspruch. Seit dem Jahr 2000 hat Real vier Stars dieser Kategorie gekauft: Figo, Zidane, Ronaldo und jetzt Beckham. Im selben Zeitraum haben neun Spieler von der Basis den Sprung in den Kader geschafft, dazu kommen unsere spanischen Nationalspieler Raul, Guti und Casillas. Das macht also zwölf Spanier und vier internationale Stars. Eine gute Balance, finden Sie nicht?
Tsp: In der Öffentlichkeit kommt das nicht so rüber.
JV: Es liegt in der Natur der Stars, dass über sie viel mehr geredet und geschrieben wird als über die anderen. Deswegen wird uns oft vorgeworfen, wir würden der Show mehr Raum geben als dem Fußball. Aber Fußball ist ein Spiel und steht damit außerhalb der Realität. Es ist eine Fiktion, die die Gesellschaft zum Leben benötigt. So wie die Literatur oder das Kino. Aber es ist eine Fiktion, die wirkliche Spiele gewinnen muss. Und das gelingt uns doch ganz gut.
Tsp: Wie weit darf das gehen? Der FC Barcelona, der Stolz Kataloniens, hatte vor nicht allzu langer Zeit acht Holländer in seiner Stammelf. Wäre das bei Real möglich?
JV: Gerade deswegen haben wir die Zahl der Spieler von der Basis Jahr für Jahr erhöht. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Real Madrid eine historische Verpflichtung zum Spektakel hat. Es ist doch ein Genuss, Leute wie Zidane, Figo und Ronaldo in einer Mannschaft zu sehen. In Brasilien haben in den 70er Jahren in der Nationalmannschaft bis zu fünf Leute gespielt, die die Nummer zehn des Spielmachers hätten tragen können. Genau das tun wir jetzt auch. Es ist doch schöner, fünf Leute mit grandioser Technik aufzubieten als fünf, die einfach nur ihren Job machen.
Tsp: Beckham ist keine Nummer zehn. Wurde er für die Show gekauft oder weil er ein überragender Fußballer ist?
JV: Beckham ist ein Weltstar, der einige unserer Probleme beseitigen wird. Wir sind nicht schuld daran, dass mehr über sein Image als über seine fußballerischen Fähigkeiten geredet wird. Wir haben einen großartigen Fußballer gekauft, aber wir werden auch sein Image für uns nutzen.
Tsp: Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß hat im Zusammenhang mit dem Beckham-Transfer davon gesprochen, dass Real Madrid sich von einem Fußballverein weg hin zu einem Zirkus entwickeln würde.
JV: Also, wenn wir einen richtigen Zirkus aufziehen wollen, dann müssen wir auch Herrn Hoeneß verpflichten, er könnte doch wunderschön unser Spektakel präsentieren.
Tsp: Hinter dem Konflikt steckt aber mehr. Es gibt im Fußball zwei Kulturen. Für Sie ist der Begriff Spektakel positiv besetzt…
JV: …absolut!
Tsp: …und Uli Hoeneß sieht das eher negativ. Ihm fehlt dabei der sportliche Kern.
JV: Wenn ich so gespielt hätte wie er, würde ich wahrscheinlich dasselbe denken. Schauen Sie: Wenn wir nebeneinander zwei Fußballstadien bauen würden, eines für Real Madrid und eines für Bayern München, und wir würden die Eintrittskarten zum selben Preis verkaufen. Wo würden Sie hingehen? Und wo würde Herr Hoeneß wohl hingehen?
Tsp: Manifestiert sich in diesem Konflikt der fundamentale Unterschied im Denken zwischen einem Argentinier und einem Deutschen?
JV: Nein, nein, es ist nur so, dass Real Madrid im Augenblick ein Maß ist, nach dem sich der Rest der Welt richtet. Ich war früher auch ein sehr praktischer Fußballspieler. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, mich zu sehen oder Maradona, dann hätte ich immer lieber Maradona gesehen.
“Die Zeit der Günstlinge ist in Frankreich vorbei”, führt Arnaud Ramsay (NZZ 19.8.) an. “Als Roger Lemerre am 22.Juli vergangenen Jahres durch Jacques Santini als Trainer der französischen Fussballnationalmannschaft abgelöst wurde, war nicht nur ein Schlusspunkt gesetzt hinter eine der grössten Überraschungen der Fussball-WM-Historie, sondern auch hinter einige grundlegendere negative Entwicklungen innerhalb der Equipe tricolore. Klar war das Vorrunden-Aus des Weltmeisters von 1998 und Europameisters von 2000, ohne einen einzigen Treffer erzielt zu haben, ein Zusammentreffen verschiedener Faktoren wie mangelndes Wettkampfglück, Verletzungen von Schlüsselspielern, diskutable taktische Ausrichtung. Aber gleichzeitig lag das Malaise weiter unter der Oberfläche einer nur nach aussen hin intakten Mannschaft. In der Ära Lemerre hatte sich nämlich eine Auswahlpolitik der mangelnden Konkurrenz, des Spieler-Protektionismus breit gemacht. „Seine“ Weltmeister von 98 wussten, dass sie sich schon sehr ungeschickt anstellen mussten, wollten sie nicht nominiert werden. Diese selbstredend nicht gerade leistungsfördernden Strukturen hat Santini aufgebrochen. Der ehemalige Lyon-Trainer scheute einerseits nicht davor zurück, Thierry Henry endlich die Rolle zuzugestehen, die der Arsenal-Spieler bevorzugt, nämlich jene in der Mitte. Henry, der für Santini ‚au-dessus des autres‘ steht, soll die Rolle des Patrons (neben Zidane) übernehmen. Auf der anderen Seite erhält aber jeder Aufgebotene eine faire Chance, sich nachhaltig in Erinnerung zu rufen. Und das sind nicht wenige.“
Fergusons fussballerischer Instinkt
Martin Pütter (NZZ 19.8.) berichtet Optimismus und Euphorie in Manchester. „Schnell ändern Befindlichkeiten von Fussballfans. Auch in Old Trafford. Spätestens mit dem Schlusspfiff, so schien es, war die Wehmut über den Verlust von David Beckham verschwunden, gab es ein neues, vielversprechendes Gesicht zu feiern. Denn das mit Abstand eindrücklichste Erlebnis neben dem 4:0-Startsieg von Manchester United gegen die Bolton Wanderers war die Leistung des 18-jährigen Cristiano Ronaldo. Nach seiner Einwechslung eine halbe Stunde vor Schluss verwirrte er den Gegner, verzauberte er die Zuschauer – und entlockte selbst Manager Alex Ferguson eine verbale Reaktion, die er so früh jeweils zu unterdrücken pflegt. Der Schotte, der sehr selten lobt, geriet über den Portugiesen, den er im letzten Moment noch verpflichtet hatte nach einigen Niederlagen in der Transferzeit, geradezu ins Schwärmen. „Er gab ein wahnsinniges Début. Er änderte das Spiel, und die Fans kehrten mit einem neuen Helden in den Herzen heim.“ Ob live im Stadion oder später bei der Betrachtung der Höhepunkte im Fernsehen – wer den „kleinen Ronaldo“ in Aktion gesehen hatte, konnte Ferguson nicht widersprechen. Und die englischen Medien, ohnehin nicht für Zurückhaltung bekannt, überschlugen sich. Vergessen waren David Beckham oder gar Eric Cantona, manche Blätter frischten schon Erinnerungen an George Best auf (…) Der Neueinkauf zeugt von Fergusons fussballerischem Instinkt. Während alle von Chelsea und den millionenteuren Einkäufen redeten, zog der Schotte nach dem Abgang Beckhams seine Fäden. Er verpflichtete Spieler nicht nach ihrem Marktwert, sondern nach ihrer Eignung für seine Mannschaft. Fabien Barthez bekam so mit dem Amerikaner Tim Howard ernsthafte Konkurrenz im Tor, im Mittelfeld wird der von Nantes gekommene Eric Djemba-Djemba schon als Nachfolger Roy Keanes betrachtet, dazu kommt noch der Brasilianer Kleberson, dessen Spielberechtigung am Samstag noch nicht eingetroffen war – und zu guter Letzt eben Cristiano Ronaldo. Die Transferausgaben betrugen gut 20 Millionen Pfund, weniger als die Hälfte von dem, was mit Transfers (Beckham, Veron) vereinnahmt wurde. Der Transfererlös steht den Rechnungsbüchern gut an und wird die Aktionäre freuen. Fergusons gutes Auge für Nachwuchs mit Potenzial ist seit langem bekannt. David Beckham, Nicky Butt, Ryan Giggs, die Neville-Brüder Gary und Phil sowie Paul Scholes, Kern des United-Kaders über lange Jahre, reiften unter dem schottischen Fachmann. Nun hat er den jungen Portugiesen engagiert, ein weiterer ist in seinem Visier: der 14-jährige Amerikaner Freddy Adu. Der Teenager wird als eines der angeblich grössten Talente im Fussball betrachtet und machte kürzlich Schlagzeilen, als er mit Nike einen Sponsorvertrag über eine Million Dollar abschloss.“
Ballschrank
Kahns Image, Rassismus in Aachen, Confed-Cup abgesagt
Bernd Stange wird Nationaltrainer im Irak, Daum in Wien, Hintergründe über Bremen, Rostock, Schalke, Arsenal London, Ronaldos Einstand in Madrid, Rassismus in Aachen, Confed-Cup abgesagt, Kahns Image (mehr …)
Ballschrank
Mittelpunkt des Interesses
„Der FC Bayern ist wieder da, wo er immer war: im Mittelpunkt des Interesses.“ Diesem bissigen Schluss der FR muss man zustimmen. Mit dem frühzeitigen Ausscheiden der Münchner aus der Champions League beschäftigen sich derzeit nämlich nicht nur die Sportredaktionen, sondern auch Leitartikler und Feuilletonisten. Schließlich handelt es sich um ein offenbar epochales Ereignis, welches über die üblichen Gesprächszirkel der Fußballanhänger hinaus diskutiert wird.
Bayerns „Saisonende im Oktober“ (Die Welt) wird im Augenblick als Sensation wahrgenommen, doch: Wie wird die Fußballgeschichtsschreibung in fünf oder zehn Jahren auf die Ära Hitzfeld zurückblicken? Vermutlich wird man die vierjährige Boomphase (1998-2002), in der München ununterbrochen zu den ersten Adressen Europas zählte, eher als Überraschung zu deuten bereit sein als das diesjährige Scheitern in einer mit hochkarätigen und ambitionierten Teams besetzten Gruppe. Sprechen die Verantwortlichen nicht vielmehr deswegen von „Blamage“ und „Schande” (Vorstandsvorsitzender Rummenigge), weil sie selbst die Ansprüche vor der Saison – gemessen an der Qualität des Kaders – viel zu hoch schraubten?
Unter Beobachtung steht dabei Trainer Ottmar Hitzfeld bzw. das Verhältnis der Führungstroika Hoeneß/Rummenigge/Beckenbauer zu ihm. Dass sich seine Amtszeit dem Ende neigt, scheint jedenfalls absehbar. „Die Entfremdung zwischen den Vereinsgewaltigen und Hitzfeld nimmt rasant Fahrt auf“ berichtet die ortsansässige SZ. „Der apathische Zustand des Teams wirft zwangsläufig die Schuldfrage auf, und sie trifft vor allem Hitzfeld.“
Zu den Folgen der Geschehnisse meint Philipp Selldorf (SZ 31.10.). „Dass die Bayern nicht mehr in der Champions League spielen dürfen, ist ein Drama für den Verein; dass sie nicht mal mehr die Aussicht auf die Trostrunde im Uefa-Cup haben, ist eine Katastrophe, die Sachschaden in Millionenhöhe anrichtet. Aber wie die Bayern sich aus dem Europapokal verabschiedet haben, lächerlich chancenlos mit einem Punkt, das ist eine Demütigung – der schlimmste denkbare Reinfall also, ein Desaster fürs Prestige und fürs Selbstverständnis. Man kann sich vorstellen, mit welchen Empfindungen künftig der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zu den Sitzungen des Lobbyvereins G14 der europäischen Großklubs reisen wird und wie ihm dann die Herren von Real Madrid und Juventus Turin mitfühlend auf die Schultern klopfen werden. (Übrigens kann man sich auch vorstellen, wie sich die Herren von der Deutschen Telekom jetzt ärgern werden, wenn die Bayern nicht mehr in London oder Mailand, sondern in Bielefeld und Bremen für sie Reklame laufen – für zwanzig Millionen Euro im Jahr.)“
Joachim Mölter (FAZ 31.10.) blickt zurück und voraus. „Vielleicht ist das der Preis, den der FC Bayern München für die Erfolge der Vergangenheit zahlen muß. Irgendwo zwischen San Siro und St. Pauli, zwischen Sekt und Scampis scheinen die Spieler die Lust am Erfolg verloren zu haben, wie Mehmet Scholl unlängst meinte. Auch die Siegermentalität ist den Spielern abhanden gekommen, plötzlich halten sie dem Druck des Gewinnenmüssens nicht mehr stand. An den Zugängen allein kann es nicht liegen, es sind noch genug Profis aus der großen Zeit um die Jahrhundertwende dabei. Aber es war in dieser gesamten Champions-League-Vorrunde nie dieses Aufbäumen zu spüren, das den FC Bayern damals ausgezeichnet hat (…) Wie jeder andere Betrieb, der sein wirtschaftliches Ziel verfehlt, wird auch die FC Bayern AG Personal abbauen. Sie wird Spieler so bald wie möglich gehen lassen, Nationalstürmer Alexander Zickler, Pablo Thiam und Nico Kovac werden am häufigsten genannt. Natürlich wird jetzt auch wieder die Trainerfrage gestellt. Vielleicht hat sich die Autorität von Ottmar Hitzfeld ja tatsächlich abgenutzt. Die Vereinsführung hat ihm jedenfalls alle Spieler geholt, die er haben wollte. Bisher aber hat es Hitzfeld nicht geschafft, aus ihnen und den verbliebenen Profis eine Mannschaft von höchster Qualität zu formen. Es fehlt ihr jemand, der sie führt, der das Spiel bestimmt. Michael Ballack ist es momentan jedenfalls nicht. Ob irgendwann später, bleibt die spannende Frage.“
In der spanischen Tageszeitung El País (30.10.) lesen wir. „Einmal im Leben gehörte die letzte Minute nicht den Deutschen. So schlecht geht es den Bayern, dass sogar Glücksgöttin Fortuna sich entschied, sie in Momenten zu verlassen, in denen sie bisher nie im Stich gelassen wurden. In einer fußballlosen und leidensvollen Nacht herrschte eine lähmende Angst in zwei Mannschaften, die von Niederlagen umringt sind, bevor die Inspiration des holländischen Goalgetters Roy Makaay Depor aus seinem Alptraum rettete.“
Über die schwierige Aufgabe Hitzfelds schreibt Jan Christian Müller (FR 31.10.). „Es muss aber auch eine ungeheuere Kraft und Selbstdisziplin erfordern, eine derartige Aufgabe über Jahre hinweg zu meistern. Rudi Völler etwa war nach sechs Wochen WM mit den Nerven am Ende, was man verstehen kann. Dabei war er erfolgreich. Hitzfeld ist derzeit nicht erfolgreich, die öffentlich wiederholt bekundete Stallorder, die Bundesliga sei ohnehin wichtiger als die Champions League, war eine bloße Notlüge. Wenn das anders wäre, würden die Bayern-Bosse jetzt nicht so böse beleidigt sein. Hält Hitzfeld das aus? Und: Macht es Sinn, dass er das aushält? Die kommenden Wochen werden zeigen, wie Trainer, Vorstand und Mannschaft die Krise des Exportartikels Bayern München mittelfristig meistern. Dabei ist das derzeitige Tief genauso selbstverständlich wie das Auf und Nieder der Konjunktur. Aber es ist natürlich klar, dass es nun schwierig genug wird, sich auf dem heimischen Markt durchzusetzen. Es fehlt der psychologische Rückenwind aus Europa.”
Das Streiflicht (SZ 31.10.). „Es ist noch gar nicht lange her, da machten die wichtigen Männerbeim FC Bayern einen Plan. Sie würden, beschlossen sie, die besten Fußballspieler aus dem ganzen Land nach München holen. Würden ihnen das neue, weiße Anti-Schweiß-Trikot anziehen, das niemals nach Anstrengung aussieht, sondern immer nur nach Zauberei. Die Spieler würden dem Fußball, dieser unbezähmbaren Lederkugel, alles Unbezähmbare, Ledrige, Kugelige nehmen. Und schließlich, bei der WM 2006, würde eine ausschließlich aus Bayernspielern zusammengebastelte Mannschaft namens FC Bayern Deutschland auflaufen. Ach was, aufschweben würde sie, die Fußballer hätten sich längst Flügel antrainiert, weiße Flügel mit dem Werbelogo der Lufthansa. Und ihre Freistöße wären wie Blitze, ihre Flanken wie Regenbögen, die Netze der Tore müssten aus Titan sein, um nicht unter der Gewalt ihrer Schüsse zu zerbersten. Und während die Fußballer anderer Teams dauernd auf das Spielfeld rotzten, würden die deutschen Bayern oder bayrischen Deutschen goldenes Konfetti auf den Rasen rieseln lassen. Es war ein Plan, eine kühne Idee; der Versuch, aus der Wirklichkeit zu fliehen. Aber die Wirklichkeit hat den FC Bayern eingeholt, in der Champions League. Die Wirklichkeit war brutal und nass in La Coruña.“
Philipp Selldorf (SZ 31.10.) war beim Bankett nach dem Spiel. „Die Ansprache des Präsidenten an die Freunde und Förderer, im Beisein von Mannschaft und Trainer, ist eine beliebte Tradition beim FC Bayern, und sie ist ein Gradmesser der herrschenden Stimmung. Für Rummenigge war es die erste Rede von Bedeutung in seiner Eigenschaft als Vereinschef. Franz Beckenbauer, sein Vorgänger als Festredner, war berühmt für seinen nonchalanten Charme oder, je nach Lage, seinen vernichtenden Sarkasmus, mit dem er die Leute zum Lachen brachte. Rummenigges Beitrag nach dem 1:2 der Bayern in La Coruña, dem Ausscheiden aus der Champions League, blieb ernst und schnörkellos, niemand lachte. Aber sie zeigte Wirkung in seiner Umgebung. Hätte jemand die Temperatur gemessen, die nach seinen Worten an der geschmückten Tafel mit dem Tischkärtchen „Präsidium“ herrschte, hätte er erschreckende Werte tief unter Null festgestellt. Hier saßen unter anderen: Rummenigge, von den Spielern „Killer-Kalle” genannt, und neben ihm – im Zustand der Depression – Uli Hoeneß. Vis-à-vis Hitzfeld und dessen Assistent Michael Henke. Eine Art Showdown der handelnden Personen, ausgetragen, indem man aneinander vorbeischaute (…) Der Mann, den diese Äußerungen am meisten trafen, saß am selben Tisch. Trainer Ottmar Hitzfeld streckte den Rücken kerzengerade, sein Gesicht blieb starr wie eine Maske, und er war bereit, jedes einzelne harte Wort zu empfangen.“
Christian Thomas (FR 31.10.) liefert Charakterstudien. „Wie muss man sich den Fußballfan vorstellen, der vorgestern oder gestern erst wieder im Stadion oder vor dem Fernseher saß, wenn nicht als einen auch medizinisch hoffnungslosen Fall. Denn wo der Durchschnittbürger ein Herz hat, hat der Fußballfan ein Doppelherz. Einen solchen Muskel kennt nicht etwa nur der Anhang bestimmter Clubs. Ein solches Privileg genießt nicht allein der mit vielerlei Begünstigungen, mit Meisterschaften und Erfolgen verwöhnte Fan des FC Bayern München. Vielmehr darf man festhalten, dass auch dem gewöhnlichen, dem ganz normalen Fan ein solches Organ in der Brust klopft, dem die Hingebung genauso wie die Feindseligkeit die notwendigen Lebenssäfte zuführt – in beiden Fällen stets heißblütig. Will man das Ausscheiden des FC Bayern München aus der Champions League auch nur annähernd begreifen, so muss man auch diesen Kasus aus einer Doppelperspektive betrachten. Denn einem Bayern-Fan wird die Republik kaum ausreden können, dass es sich bei der Abdankung aus der europäischen Königsklasse um eine nationale Katastrophe gehandelt haben muss. Auf der anderen Seite wird kein Bayern-Anhänger Einfluss auf einen Bayern-Gegner nehmen können, der den sang- und klanglosen Abschied der Münchner vielleicht nicht gleich als einen Reformationstag für die Champions League begreifen, wohl aber als nationalen Feiertag begehen möchte (…) Wer in dieser Republik ein Fußball-Doppelherz hat, den konnten nicht einmal die größten Erfolge des FC Bayern darüber hinwegtäuschen, dass die Bayerngegnerschaft ihre Energien nicht allein aus dem Neid gegenüber einem sportlichen Riesen bezieht. Sondern vielmehr auf einer produktiven Skepsis gegenüber einem Verein basiert, der unter den Lauten am alldeutschen Fußball-Stammtisch der Aufdringlichste ist. Im Grunde bildet der Bayern-Stamm so etwas wie eine fundamentalistische Ethnie.“
Im Vorfeld des Spiels reflektierte auch die spanische Presse (El País 29.10.) über die Bedeutung des Hinspiels (2:3) und die Konsequenzen für beide Mannschaften. Das Spiel bilde im Nachhinein eine Symbiose aus Rationalität und Irrationationalität. Rational schien die Zerschlagung der bayrischen Mannschaft nach dieser schmerzlichen Niederlage. Die Entwicklung Depors nach dem ersten Sieg einer spanischen Mannschaft im Olympiastadion ließe sich nicht rational nachvollziehen. Seitdem sei Depor von einem bösen Geist verfolgt, Valerón verletzte sich beim nächsten Spiel, Molina wurde ein Tumor diagnostiziert, und die Mannschaft habe ähnliche spielerische Probleme wie Bayern. Es könne nur eine Hexenangelegenheit sein. Das wäre vielleicht ein guter Trost für bayrischen Funktionäre.
Internationale Pressestimmen SZ
Gewinnspiel für Experten
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1:1-Remis der Türken gegen Costa Rica
Mark Schilling (NZZ 10.6.) sah beim 1:1-Remis der Türken gegen Costa Rica „unterhaltsame 90 Minuten“. „Geprägt wurden diese durch die schnörkellose und gefährliche Angriffsauslösung des Guimaraes-Teams und der Ballsicherheit der technisch versierten Türken, die allerdings auch das Spiel zu wenig in die Vertikale anlegten.“
Wieder kurz vor Abpfiff ein Gegentor für die Türken: Thomas Kilchenstein (FR 10.6.) dazu. „Warum also haben sich Türken noch die Butter vom Brot nehmen lassen? (…) Trainer Senol Günes fand wiederum allen Ernstes, dass sein Team das letzte Spiel gegen Brasilien noch nicht verkraftet habe, vor allem nervlich. Der unberechtigte Elfmeter habe sich auf das heutige Spiel ausgewirkt. Das klang dann schon ziemlich laut nach Ausrede.“
Roland Zorn (FAZ 10.6.) über das karibische Team. „Robust in der Defensive, elegant in der Offensive – so hatte Costa Rica schon dank einer ebenfalls besseren zweiten Halbzeit die Chinesen als die Anfänger ausschauen lassen, die sie bei ihrer ersten Weltmeisterschaft ja auch sind.“
Beim 1:1 der Türken gegen Costa Rica beobachtete Ralf Wiegand (SZ 10.6.) den Türken Bastürk. „Mit Leverkusen hatte er im Großen erlebt, was ihm nun mit den Türken im kleinen widerfährt, nämlich immer kurz vor Schluss den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mit dem Verein verlor er Titel um Titel, die Meisterschaft, den Pokal, die Champions League und nun mit der Nationalmannschaft Punkt um Punkt und das Achtelfinale aus den Augen. „Es sind immer die letzten fünf Minuten“, klagte der türkische Trainer Günes und vermutete, seine Spieler fühlten sich womöglich zu sicher. Dazu freilich bestand gegen Costa Rica kein Anlass. Viel zu stark spielte dafür der gut organisierte Gegner, der selbst hätte führen müssen, litte er nicht unter einer Abschlussschwäche. Die Türken hielten bloß kämpferisch dagegen.“
Brasilien bezwang China mit 4:0. Über die Spielweisen beider Mannschaften schreibt Mark Schilling (NZZ 10.6.). „Sicherlich sind die Chinesen durchtrainiert bis in die letzte Faser, und vom athletischen Standpunkt her können sie den Vergleich mit den Grossen wohl aufnehmen. Aber die Kreativität lässt sich nicht einfach allein mit Fleiß implementieren. Hierzu benötigt es mitunter Erfahrung. Und die fehlt den Chinesen selbstredend am ersten Auftritt auf der Bühne des Weltfußballs (…) Milutinovic (Trainer China) diktierte nach der 0:4-Klatsche gegen den vierfachen Weltmeister in die Schreibblöcke, dass er mit Mexiko und den USA gegen Brasilien verloren habe, die Südamerikaner damals aber spielerisch klar besser, dafür vor dem Tor viel ineffizienter gewesen seien. Auch diese Einschätzung hat etwas Wahres, denn die Seleção hat bisher nicht „Samba-Fußball“ zelebriert, sondern sich eher von der „europäisierten“ Seite gezeigt. Viel weniger Firlefanz als früher, dafür mehr Realismus und Effizienz vor dem Tor; dazu die Gewissheit, bei Bedarf doch über herausragende Individualisten zu verfügen.“
Antworten auf die Frage, ob Brasiliens Abwehrtaktik aufgehen können wird, hat Christoph Biermann (SZ 10.6.) beim lockeren 4:0 gegen China nicht finden können. „Den wahren Test hat es bislang nicht bestehen müssen. Zweifel gibt es weiterhin an der Dreierkette in der Abwehr, die schon vor dem Turnier dunkle Erinnerungen weckte. Am Ende eines der schlechtesten Auftritte bei einer Endrunde hatte Brasilien 1990 in Italien nur vier Tore erzielt. Damals war die Mannschaft mit zwei Verteidigern und einem Ausputzer angetreten – das Spiel nach vorne blieb stecken. Ansonsten hatte Brasilien bei allen Turnieren stets eine Viererkette aufgeboten, wie es auch heute im Klubfußball des Landes üblich ist (…) Seit seiner Amtsübernahme im letzten Juni hat er (Trainer Scolari) die taktische Wende in Angriff genommen. Inspiriert hat ihn dazu der Nachbar und große Rivale Argentinien. Deren aggressive Vorwärtsverteidigung mit Angriffspressing, in der Südamerika-Qualifikation zur WM sehr erfolgreich, hatte es Scolari angetan. Dass sich seine Mannschaft damit jedoch schwer tut, bestätigte sich selbst gegen China. Die Defensive geriet mehrfach in Verlegenheiten, die sich gegen Stärkere rächen und lautes Wutgeheul provozieren könnten.“
Christoph Biermann (SZ 10.6.) über den lockeren 4:0-Sieg Brasiliens gegen China. „Im Vergleich zu den Brasilianern wirkten sie wie ein Amateurteam, gegen das der Gegner sonst nur spielen würde, um sich etwas warm zu machen. Die Chinesen konnten nicht nur technisch und taktisch nicht mithalten, sie waren auch physisch dramatisch unterlegen. Mit Saudi-Arabien und China stellte Asien die beiden schlechtesten Mannschaften dieser Weltmeisterschaft, was trotz der ansprechenden Leistungen von Korea und Japan ein deutliches Gegenargument für eine Erhöhung der Zahl von WM-Teilnehmern sein dürfte. Die Begeisterung für Fußball in China war in Seogwipo beeindruckend, allerdings müssen die sportlichen Leistungen dazu nun erst einmal aufschließen.“
Vom 4:0-Sieg Brasiliens gegen China berichtet Roland Zorn (FAS 9.6.). „Auch Fußball-Weltmeisterschaften bieten Gelegenheit zu angenehmen Trainingsspielchen. Der viermalige Weltmeister Brasilien hatte am Samstag auf der Ferieninsel Cheju in Seogwipo die Chance, ganz entspannt und doch konzentriert genug seine zweite Probe aufs Exempel locker zu bestehen. WM-Neuling China tat den Stars auch Südamerika nie weh, und die waren so freundlich, die Asiaten nicht vorsätzlich zu demütigen.“
Über Chinas Mannschaft fällt Thomas Kilchenstein (FR 5.6.) nach der 0:2-Niederlage gegen Costa Rica ein hartes Urteil. „Gerannt und gelaufen sind sie viel, doch nie hatte man den Eindruck, als stecke dahinter eine gewisse Idee, ein Plan; oft verhaspelten sie sich im Übereifer, alles besonders gut zu machen (…) Man versteht jetzt gut, warum das Team vor Wochen in einem offenen Brief die Landsleute gebeten hatte, nachsichtig zu sein mit den Spielern, falls es vielleicht doch nicht so gut ausgehen sollte in Südkorea. Man weiß jetzt, dass sich die Mannschaft ganz gut einschätzen kann. Man weiß auch, was sie nicht gut kann: Fußball spielen.“
Ralf Wiegand (SZ 5.6.). „Selbst gegenüber einem kleinen Land wie Costa Rica ist der Rückstand riesengroß. Costa Rica ist selbst keine Größe im Weltfußball, spielt erst zum zweiten Mal bei einer WM mit und schöpft für seinen Sport lediglich aus einem Reservoir von knapp vier Millionen Einwohnern. Aber es liegt in Mittelamerika und mithin in einer Region, die gegenüber den vom internationalen Fußball lange Zeit isolierten chinesischen Fußball ein paar Jahrzehnte Vorsprung hat, was Tradition, Begeisterung und Wettkampf angeht (…) Es ist der klassisch sozialistische Weg, den Chinas Auswahlfußball bisher gegangen ist: Körperlich ist die Mannschaft in ausgezeichnetem Zustand und zudem von beeindruckender Kompaktheit. Fast alle Spieler messen deutlich über 1,80 Meter, keiner läuft die 100 Meter langsamer als in 12 Sekunden. Dahingehend hatte das strenge Auslesesystem durchaus Erfolg. Technisch, taktisch und vor allem emotional lag das Team gegen Costa Rica aber um Längen zurück. Schon in der ersten Halbzeit zeichnete sich ab, dass die Chinesen aus ihren körperlichen Attributen nichts würden machen können. Bei den Sprints vergaßen sie den Ball, nach gewonnenen Zweikämpfen verpatzten sie prompt das nächste Abspiel, und in der Abwehr brachten sich die chinesischen Hochgeschwindigkeitsspieler durch Stellungsfehler in Schwierigkeiten.“
Der Sieg von Brasilien mit einem zweifelhaften Elfmeter hat negative internationale Konsequenzen. Das Spiel hat eine Polemik und eine internationale Kritikwelle entfaltet. Die brasilianische Zeitung O Globo (4.6.) fasst die Reaktionen der ausländischen Presse zusammen. Die argentinische Zeitung Ambito financiero behauptet, dass der brasilianische Sieg dank der Fehler des Referees zustande gekommen sei. Trotzdem wird die brasilianische Überlegenheit im Angriff anerkannt, aber auch „die immer wieder zu beklagende Verteidigungsprobleme“ der brasilianischen Abwehr. Die spanische Zeitung Marca behauptet, dass der Referee Brasilien mit drei Punkten beschenkt habe. Die „Netzerisierung“ der deutschen Medien findet auch ein Echo in der brasilianischer Presse. Sie zitieren Netzer und Schumacher bei ihrer Kritik an Rivaldo, der eine Tätlichkeit des türkischen Spielers Hasan Unsal simuliert habe und dadurch eine rote Karte provozierte. Der türkischen Seite – nämlich Trainer Senol Günes – wird auch eine Stimme eingeräumt: „Wir haben eine große Anstrengung gemacht, aber wir haben nicht erreicht, was wir verdient hätten. Das Ergebnis war eine Ungerechtigkeit“.
El País (4.6.) über zwei Fußballkulturen. “Italien und Brasilien verkörpern die zwei Extreme des fußballerischen Bogens. Italien hat eine spekulative Natur, funktioniert mit Pragmatismus und ist stolz darauf, die besten Fußballer in ihrer Liga spielen zu lassen. Die brasilianische Mannschaft ist der Ort, wo das Spiel sich von der kreativsten Seite zeigt. Ein Land, das nie aufhört, Fußballer zu exportieren. Gestern musste Brasilien schwitzen, um gegen die Türkei zu siegen, eine lebendige Mannschaft, die keine Komplexe empfindet. Sie kämpften um jeden Meter, und obwohl ihre Unterlegenheit deutlich war, stellten sie die Brasilianer in eine Extremsituation. Brasilien spielt immer zwei Spiele. Eins, gegen den Gegner und ein anderes gegen die Geschichte seiner großen Mannschaften. Deswegen wird mehr von den Brasilianer verlangt. Genau betrachtet waren sie der Türkei überlegen, aber das ist nicht genug. Die Geschichte verlangt die Perfektion von den Brasilianern. Momentan suchen sie noch nach dem Weg zu dieser Perfektion. Sie haben ihre traditionelle Vierabwehrkette mit ihren zwei vorgezogenen „Staubsaugern“ aufgegeben und ein neues System übernommen. Das sei in Brasilien eine „kontrakulturelle“ Idee, ein Akt gegen die Natur, die mit Polemik in eigenem Land angenommen wurde.”
Die Elfmeterentscheidung zu Gunsten Brasiliens beim 2:1-Sieg gegen die Türkei bewertet Christoph Biermann (SZ 4.6.). „Offensichtlich geriet der einzige Mensch im Stadion, der gegen diesen Zauber eigentlich gefeit sein sollte, ebenfalls in den Bann der brasilianischen Mannschaft. Bereits über weite Strecken der Partie hatte der koreanischen Schiedsrichters Young Joo Kim das türkische Team leicht benachteiligt. In den meisten strittigen Situationen entschied er für die Brasilianer, doch das waren Nebensächlichkeiten, die am 1:1-Unentschieden wenig geändert hätten. Die wirkliche Bevorzugung der brasilianischen Mannschaft hatte sich Kim für die Schlussminuten aufgehoben. (…) Alpay stürzte dem allein aufs Tor zu eilenden Stürmer Luizao hinterher. In der gleichen Situation hatte der Türke bei der EM ’96 in England seinen Gegenspieler Zahovic (war es nicht der Kroate Vlaovic?, of) noch allein aufs Tor laufen lassen. Der Slowene traf, und Alpay bekam den Fair-Play-Preis. Diesmal riss er Luizao um; die Rote Karte für diese Notbremse war berechtigt. Der von Kim verhängte Elfmeter jedoch nicht, weil das Foul vor der Strafraumgrenze passierte.“
Thomas Klemm (FAZ 4.6.) über die Matchwinner Brasiliens. „Ausgerechnet die Sorgenkinder der vergangenen Wochen, trugen am Montag mit ihren Treffern entscheidend zum 2:1-Auftaktsieg des viermaligen Weltmeisters gegen die Türkei bei. Der lange verletzte und zuletzt formschwache Ronaldo feierte mit seinem 38. Länderspieltreffer in der 50. Minute ein gelungenes WM-Comeback, der angeschlagen ins Turnier gegangene Rivaldo rechtfertigte seinen Einsatz mit einem verwandelten Elfmeter.“
Gewinnspiel für Experten
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FR-Interview mit Rudi Völler über eine Ausländerquote in der Bundesliga – FAZ-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge über die schweren Lasten des FC Bayern München
Mit Ausländerfeindlichkeit hat die Diskussion rein gar nichts zu tun
FR-Interviewmit Rudi Völler
FR: Sie mischen sich neuerdings in die von ihrem Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder initiierte Ausländer-Diskussion auffällig aktiv ein. Warum?
RV: Ich bin Nationaltrainer. Da muss ich meinen Punkt machen, obwohl ich natürlich auch die Clubs verstehe. Ich komme ja selber aus einem Verein. Ich weiß um die Nöte und Zwänge. Deren vordringliches Anliegen ist: Wie läuft mein Apparat am besten?
FR: Die führenden deutschen Clubs halten genau deshalb nichts davon, einen Schutzwall für Ausländer aufzubauen.
RV: Ich bin ein global denkender Mensch. Ich habe sieben Jahre lang in Italien und Frankreich gespielt, ich habe in Italien auch mein privates Glück gefunden, bin mit einer Italienerin verheiratet, zwei meiner Kinder haben einen italienischen Pass. Aber das ändert nichts daran, dass ich mir Gedanken mache darüber, dass 60 Prozent Ausländer in der Bundesliga spielen, vorn im Sturm sogar über 70 Prozent.
FR: Welche Gedanken?
RV: Klar ist: Wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen. Aber wir können ein paar Hürden einbauen. Ich nenne Ihnen Beispiele: In Italien darf nur noch ein neuer Nicht-EU-Ausländer verpflichtet werden, wenn ein anderer abgegeben wird. In Holland muss ein ausländischer Spieler ein Mindestgehalt verdienen. Damit ist gewährleistet, dass nur eine gewisse Klasse ins Land geholt wird. Und in England dürfen nur gestandene Nationalspieler geholt werden, sonst gibt es keine Aufenthaltsgenehmigung.
FR: Der Leverkusener Manager Reiner Calmund hält die Diskussion grundsätzlich für gefährlich, weil damit eine Ausländer abwehrende Stimmung hinausgetragen wird.
RV: Deshalb habe ich ja gerade gesagt: Ich bin das lebende Beispiel dafür, dass das nicht so ist. Mit Ausländerfeindlichkeit hat die Diskussion rein gar nichts zu tun. Schauen Sie: Wenn wir hier den Laden ordentlich im Griff behalten wollen, dann müssen wir was tun. Wir bekommen ja für unsere drei Teams – A-Nationalmannschaft, U 21, Team 2006 – mitunter nur unter großen Mühen die Spieler zusammen. Der Kreis ist sehr klein geworden. Es ist mir zu billig, mich damit nach schwächeren Leistungen rauszureden. Aber dennoch muss es angesprochen werden. Die Zahlen lügen nicht.
Das ist der Grund, weshalb wir nicht Tabellenführer sind
FAZ-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge
FAZ: Sind Sie nicht mehr der Freund von Rudi Völler?
KHR: Ich bin sehr gut mit ihm befreundet. Warum sollte ich nicht mehr sein Freund sein?
FAZ: Wer anders als sein Gegner würde ihm sonst Ballack vorenthalten wollen?
KHR: Ich wollte zu keinem Zeitpunkt Streit mit dem DFB oder mit Rudi, und ich wollte ihm Ballack zu keinem Zeitpunkt vorenthalten. Ich sagte nur, wenn er mit seinen ganzen Verletzungsproblemen, die er nun mal hat – und nicht erst seit gestern, sondern eigentlich ständig –, regenerieren könnte, wäre das wunderbar. Ich wollte eine notwendige Diskussion anschieben: Die Klubs sind bei den Abstellungen der Nationalspieler und dem Spielkalender immer die Leidtragenden. Schauen Sie sich doch nur das letzte Länderspiel gegen Schottland an: Jeremies verletzt, Deisler verletzt, Ballack angeschlagen, Rau ziemlich müde, Zé Roberto landet am Freitag um 22.30 Uhr aus São Paulo kommend, Pizarro und Santa Cruz um 16 Uhr – und dann kassieren wir am nächsten Tag in Wolfsburg die einzige Saisonniederlage. Das ist der Grund, weshalb wir nicht Tabellenführer sind.
FAZ: Das wußten Sie doch alles vorher.
KHR: Natürlich wußten wir das alles vorher. Aber wir müssen daran arbeiten, daß man gewisse Dinge verbessert. Im Fall Ballack gibt es keine Lösung, aber andere Dinge lassen sich regeln.
FAZ: Könnte es sein, daß Ihr Ärger nicht sein richtiges Ziel gefunden hat: Völler und den DFB wollen Sie nicht treffen, die FIFA kriegen Sie nicht zu fassen.
KHR: Die kriegen wir zu fassen, keine Sorge.
FAZ: Wie wollen Sie das anstellen?
KHR: Wir hatten das Thema ja schon vor einem dreiviertel Jahr auf der Tagesordnung. Aber wie das bei der FIFA unter Blatter üblich ist, wurde das Thema ausgesessen. Aber es wird jetzt, von der G 14 und dem UEFA-Klubforum ausgehend, zu einer großen Bewegung kommen. Diese Fragen werden auf der nächsten Agenda stehen, und Herr Blatter wird das nicht mehr negieren können. Bisher macht die FIFA, was sie will. Sie nimmt überhaupt keine Rücksicht auf die Klubs.
FAZ: Hat sich eigentlich Ballack oder sein Berater wegen der neuen Strategie der Bayern schon bei Ihnen beschwert?
KHR: Warum?
FAZ: Ein entscheidender Grund, im vergangenen Jahr nicht zu Real Madrid, sondern zu den Bayern zu wechseln, war für Ballack doch der FC-Deutschland-Plan des FC Bayern.
KHR: Das gehört ins Reich von Grimms Märchen. Ballack spielt beim FC Bayern, weil er ein sehr lukratives Angebot bekommen hat – und nicht, weil der FC Bayern fünf oder sechs deutsche Nationalspieler in seinen Reihen hat.
Michael Jahn (BLZ 8.10.) wundert sich: „Besonders erstaunlich erscheint, dass DFB-Teamchef Rudi Völler für das letzte EM-Qualifikationsspiel gegen Island (Sonnabend, 17 Uhr in Hamburg) gleich auf vier Akteure des erfolglosen Bundesligisten zurückgreift. So viele Spieler wie Hertha stellt kein anderer Verein; nicht Bayern, nicht Leverkusen, und auch nicht die in der Liga dominanten Bremen und Stuttgart. Kurios ist, dass das zuletzt so durchlässige Berliner Abwehrbollwerk mit Marko Rehmer, Arne Friedrich und Michael Hartmann dreimal vertreten ist. Dazu kommt Angreifer Fredi Bobic, der seine gegenwärtige Situation bei Hertha drastisch umschrieb: Bei uns bist du als Stürmer derzeit die ärmste Sau!“
Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208
Gewinnspiel für Experten
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Fußball-Deutschland, genieße!
„Fußball-Deutschland, genieße! Ohne Scham, ohne schlechtes Gewissen, ohne an die kommenden Aufgaben zu denken“ fordert die FAZ. „Ein 8:0 über Saudi-Arabien macht aus einer mittelprächtigen Mannschaft zwar noch lange keinen WM-Favoriten. Aber es schafft die Voraussetzung dafür, über sich hinauszuwachsen.“ Mit über den Moment hinaus gehenden Deutungen des in dieser Höhe nie und nimmer zu erwartenden Kantersiegs ist die deutsche Fußballpresse verständlicherweise zurückhaltend. „Ohne jeglichen Effekt ist ein in allen Belangen überzeugender Sieg natürlich nie. Er streichelt das Ego, macht eine breite Brust und einen schnellen Fuß“ bemerkt die SZ einerseits. Andererseits „bleiben wieder nur Umrisse von vergleichsfähigen Erkenntnissen.“
Bei den anderen Spielen vom Wochenende haben vor allem die Argentinier – wenn auch ohne spielerischen Glanz – und die Dänen in Deutschlands Gazetten Eindruck hinterlassen. Außerdem hat man die Mannschaft Spaniens auf der Rechnung, die zum ersten mal seit 1950 ihr Auftaktspiel gewinnen konnte.
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe E (D-S/A, KAM-IRL)
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe F (ARG-NIG, ENG-SWE)
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe B (ESP-SLO, RSA-PAR)
Nachtrag zum Eröffnungsspiel
Internationale Reaktionen auf den deutschen Kantersieg fasst Michael Horeni (FAZ 3.6.) zusammen. „Während im und um das Team von Völler noch nach einem passenden Bezugsrahmen für ein überdimensioniertes Ergebnis gegen einen real nur minimal Widerstand leistenden Gegner gesucht wurde, kehrt jenseits der Grenzen die Anerkennung wieder zurück. Der neue Fußball made in Germany hatte es Uefa-Präsident Lennart Johansson schon zuvor angetan, so dass er eigens nach Sapporo flog, um sich gut unterhalten zu lassen – was ihm wohl erstmals bei dieser Weltmeisterschaft vergönnt war. „Deutschland zum Genießen“, fand auch die erste Sportzeitung aus dem Land des traurigen Weltmeisters, und britische Blätter warnen schon vor dem Duell am Mittwoch gegen Irland, dass in Sapporo „ein Signal für noch größere Dinge gesetzt wurde“. Tatsächlich ging gegen Saudi-Arabien eine deutsche Mannschaft an ein fußballerisches Gesamtkunstwerk, dem es an nichts fehlte; außer vielleicht einem erstklassigen Gegner.“
Die NZZ (3.6.) portraitiert den schwedischen Trainer Englands. „Eriksson ist auch auf der Insel und während der Weltmeisterschaft derjenige geblieben, der er schon immer war: der kühle Schwede, der Anständige und nie Ausfällige, der Korrekte, leise und kontrolliert Sprechende, der auch im größten Trubel nicht aus der Fassung zu bringen ist. Eriksson ist der Diplomat im Scheinwerferlicht, er entspricht dem Klischee des kühlen Nordländers in geradezu perfekter Art und Weise.“
Christoph Biermann (SZ 3.6.) sah Dänemarks siegreiche Elf (2:1 gegen Uruguay) zunächst in Schwierigkeiten. „Das lag jedoch nicht daran, dass Uruguay das alte Stereotyp der wild um sich tretenden Fußballverhinderer erfüllte, sondern die Dänen zu Beginn beider Halbzeiten mit einigen schönen Spielzügen aus der Ruhe brachte.“
Die Anteilnahme der beiden Gastgeber am Turniergeschehen kommentiert Roland Zorn (FAZ 3.6.). „In Seoul und in vielen anderen Städten des Landes schauten sie am Freitag Abend stolz auf ihr Land. Bei den zahlreichen Begegnungen im öffentlichen Raum scharten sich die Menschen vor Großleinwänden in den Zentren der Kommunen oder in den mit Fernsehgeräten reichlich ausgerüsteten Bars und Kneipen zusammen. Als dann der spezielle Alltag dieses Turniers am Samstag in Japan und Korea begann, waren die ersten ernüchternden Beobachtungen ausgerechnet beim Blick auf die Tribünen zu machen. Keines der Stadien war zu hundert Prozent ausgelastet.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 3.6.) über chinesische Fußballfans. „Vielleicht ist es ganz gut, dass nicht die angekündigten 100 0000 chinesischen Fußballfans ins benachbarte Südkorea reisten, wo ihre Mannschaft die drei Vorrundenspiele der Weltmeisterschaft austrägt. Denn die Manieren der Chinesen in Stadien sind nicht die besten. Gegnerische Spieler werden nicht nur, wie sonst auch üblich, verhöhnt, nein, sie werden von Anfang an wüst beschimpft und ausgepfiffen. Der Zorn kann sich aber auch gegen das eigene Team richten, wenn es nicht gewinnt. Und dass die Chinesen bei ihrer ersten WM-Teilnahme sehr oft gewinnen werden, ist unwahrscheinlich.“
Fernsehzuschauer Benjamin Henrichs (SZ 3.6.) über den WM-Auftakt. „Diese Weltmeisterschaft hat ja ziemlich originell begonnen, das Erste Programm aber hat diesen schönen Anfang böse zerschnarcht. Mit einer monotonen Darbietung des Reporters Wilfried Mohren (Frankreich gegen Senegal) und mit Heribert Faßbender, bei dessen kreuzbiederen und fanatisch temperamentlosen Kommentaren zum Deutschlandspiel die Veronkelung der Fußballreportage ihrer Vollendung rüstig entgegenschritt. So viele Tore sind gefallen, oder auch „Törchen“, wie Faßbender gern sagt. Doch unsere liebe alte ARD – sie war bei ihrer WM-Premiere der graue Kanal.“
Dirk Dirbach (FAZ 3.6.). „Frühere Fußballweltmeisterschaften haben viele Ehen einer Zerreißprobe ausgesetzt: Weil er die Spiele schauen wollte, musste zumindest ein zweiter Fernseher her. Diese Gefahr für den häuslichen Frieden besteht bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea kaum. Aufgrund der Zeitverschiebung beginnen die Begegnungen um 8.30 Uhr, 11 Uhr und 13.30 Uhr, das heißt zur besten Arbeitszeit. Ist 2002 also der betriebliche Friede bedroht? Glaubt man einer Umfrage der Wirtschaftswoche, werden von 500 befragten Unternehmern 84 Prozent ihren Angestellten verbieten, im Büro Ballack, Kahn und Co. bei der Arbeit zuzusehen.“
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