indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Sonstiges

Jörn Andersen, hat RW Oberhausen den Weg nach vorn gezeigt – FR: „die Auszeichnung für Jay Jay Okocha bei ist ein Symbol für das schwache Niveau des Afrika Cups“ – latenter Rassismus in der Premier League u.a.

Richard Leipold (Tsp 13.2.) drückt Jörn Andersen in Oberhausen die Daumen: “Viele Jahre lang ist der SC Rot-Weiß Oberhausen in der Zweiten Fußball-Bundesliga nicht weiter aufgefallen. Eine Weile weckte der vormalige Trainer Aleksandar Ristic mit seiner clownesken Art ein wenig Aufmerksamkeit, ansonsten interessierten sich nur Nostalgiker und Unverbesserliche für den Ruhrgebietsklub. Das vierblättrige Kleeblatt im Vereinsemblem wirkte als Glücksbringer auf Dauer überfordert. Seine Kraft reichte gerade, um den Verbleib in der zweiten Klasse sichern zu helfen. Seit kurzem hat das Kleeblatt Verstärkung. Während der Heimspiele steht eine Gans namens Lucy dem SC Rot-Weiß bei. Bisher hat sie ihrem Klub gute Dienste geleistet. Mit zwei Siegen in die Rückrunde gestartet, ist Oberhausen Tabellenführer. Alles Glückssache? Das würde dem neuen Fußball am Niederrhein und dem neuen Cheftrainer nicht gerecht. Mehr als mit der Gans ist der Erfolg der Mannschaft mit Jörn Andersen verknüpft. Der 41 Jahre alte Norweger hat in sieben Monaten aus einem mausgrauen Abstiegskandidaten den Tabellenführer der Zweiten Liga gemacht; immer noch mausgrau, aber mit sportlichen Farbtupfern. In dieser Saison spielen die Rot-Weißen passablen Fußball, verglichen mit dem eigenen Gestümper der letzten Jahre geradezu famosen.“

dpa-Interview mit Rudi Völler

Über den Platz geschlichen wie ein alter Mann

„Die Auszeichnung für Jay Jay Okocha beim Afrika Cup ist ein Symbol für das schwache Niveau“, schreibt Daniel Theweleit (FR 14.2.): „Es war eine bizarre Situation, als Nigeria in der Vorrunde des Afika-Cups gegen Südafrika spielte. Okocha, 30, war über den Platz geschlichen wie ein alter Mann. Dann gab es einen Elfmeter für Nigeria. Mit lässigen Schritten trabte er zum Vollzug, verwandelte unspektakulär und wurde zum Helden. Denn es war das tausendste Tor in der Geschichte des Afrika-Cups, jeweils drei Mal wurde im Stadion auf arabisch, englisch und französisch verkündet, dass Okocha Geschichte geschrieben habe, und nach dem Spiel wurde er dafür vom afrikanischen Fußballverband geehrt. Zwei Tage später wurde Okocha von Zuschauern der britischen BBC zu Afrikas Spieler des Jahres gewählt. Dabei hatte der Mittelfeldspieler bis auf seine schicken Querpässe und ein paar hübsche Freistöße nur Trägheit verbreitet im Spiel der Nigerianer. Aber sein Gesichtsausdruck, seine ganze Körperhaltung, die Überlegenheit seiner Bewegungen, die Art, wie er sich den Ball zur Ecke bereit legt, sagt: Ich bin der Star dieses Teams, der Star des Kontinents. Dabei gelang dem schillernden Okocha lediglich ein gutes Spiel, beim Sieg im Viertelfinale gegen Kamerun. Drei Tore schoss der Mittelfeldspieler der Bolton Wanderers insgesamt – einen Elfmeter, einen Freistoß und gestern das 1:0 beim 2:1 im Spiel um Platz drei gegen Mali, ansonsten lähmte er das Spiel seiner Mannschaft mit seiner Lethargie eher, als dass er es vehement antrieb. Im Finale stehen Marokko, das vor allem mit Leidenschaft und mannschaftlicher Geschlossenheit überzeugte, und Tunesien, das vom Heimvorteil getragen wurde – zwei Teams ohne herausragende Einzelstars.

Heinz Stalder (NZZ 14.2.) klagt über latenten Rassismus in der Premier League: „Wohl sind Spieler afrikanischer Abstammung längstens in die Mannschaften der englischen Ligen integriert. Mehrere stehen an der Spitze der exorbitanten Gehaltslisten. Leute wie Thierry Henry, Sol Campbell, Rio Ferdinand, Emile Heskey und viele andere haben nicht nur mit ihrer Haut viel Farbe ins englische Spiel gebracht. Hinter vorgehaltener Hand ist es nach wie vor gang und gäbe, mit dummdreisten Sprüchen über die Angehörigen einer ethnischen Minderheit die Lacher auf seine Seite zu bringen. Dass sich Rio Ferdinand im letzten Herbst gegenüber den Anti-Doping-Behörden nicht korrekt verhielt, berechtigte bei den Auswärtsspielen von Manchester United keinen einzigen Supporter der gegnerischen Mannschaft, sich über ihn als Menschen anderer Hautfarbe lustig zu machen. Weissen Spielern mit ähnlichen Sündenregistern wäre von den sogenannten Fans längst Absolution erteilt worden. Und ihre Gagen, ihr finanzieller Wert würden kaum im gleichen Ausmass immer wieder ins Spiel gebracht. Im Argen liegen die Zustände nach wie vor, wenn’s um den im Fussballgeschäft “institutionalisierten Rassismus” geht. In den Chefetagen der englischen Ligen dominiert die Farbe Weiss und steht in keinem noch so geringen Verhältnis zum Bild, das sich einem auf dem Spielfeld bietet. Nicht viel besser sieht es auf der Ebene der Trainer aus. Da und dort ist in der Jugendabteilung ein nichtweisser Betreuer zu finden. Es wird wohl nicht zu Unrecht vermutet, sie seien dort anzutreffen, weil sie das grosse Reservoir fussballbegeisterter Kids aus den ethnischen Minderheiten besser erschliessen helfen. Spieler anderer Hautfarbe beklagen sich, dass sie nach der aktiven Karriere kaum die Chancen ihrer weissen Kollegen hätten und im Bestreben, ins Trainergeschäft zu wechseln, sehr rasch auf der Strecke blieben. Im Moment gibt es denn auch in den ersten drei Ligen keinen einzigen nichtweissen Trainer. Bei den Schiedsrichtern das gleiche Bild. In der Premier League pfeift ein Einziger mit anderer Hautfarbe. Die Asiaten, in der Bevölkerung Englands eine grosse und volkswirtschaftlich sehr wichtige Gruppe, fehlen im Fussball mit wenigen Ausnahmen auch auf dem Spielfeld. Viele Stadien befinden sich in Stadtteilen, die vor allem von ethnischen Minderheiten bewohnt werden. Auf den Tribünen und Rampen sind diese Menschen aber nur zu knapp zwei Prozent vertreten.“

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die Entstehung von Gelben und Roten Karten

Christian Eichler (FAZ 1.6.) über die Entstehung von Gelben und Roten Karten. “Rudolf Kreitlein kann sich noch gut erinnern, wie der ganze Schlamassel begann. Vor ihm stand der riesige Argentinier Rattin, 32 Zentimeter größer als der Schneidermeister aus Stuttgart-Degerloch, und weigerte sich, den Platz zu verlassen. Sieben Minuten lang. Das war im Juli 1966, bei der WM in England. Noch am selben Abend sagte Schiedsrichter-Chef Ken Aston zu Kreitlein, so gehe es nicht weiter. Auch beim deutschen 4:0-Sieg gegen Uruguay hatte es Schwierigkeiten gegeben, zwei Südamerikaner vom Platz zu bekommen; der eine, Troche, ging erst, nachdem er Uwe Seeler noch eine Ohrfeige verpasst hatte. Beim Warten an einer Ampel hatte Aston die rettende Idee: Sie hieß gelb und rot und kommt seit der WM 1970 als leuchtender Karton zum Einsatz. Dass Fußball à la carte reichlich Anwendung finden würde, jedenfalls bei argentinisch-englischen Auseinandersetzungen, lag an der anderen Spätfolge jener verbissenen Partie – einem bleibenden bilateralen Fußball-Zerwürfnis. Während Kreitlein unter Polizeischutz vom Platz musste, verhinderte der englische Trainer Alf Ramsey noch auf dem Feld des Wembley-Stadions, daß seine Spieler vor den Augen der Königin ihre Trikots mit diesen Tieren tauschten. Die Südamerikaner fühlten sich ihrerseits verschaukelt, und das in kontinentaler Solidarität. In beiden Viertelfinalen gegen europäische Teams von europäischen Schiedsrichtern mit Platzverweisen bestraft, dazu Brasilien schon in der Vorrunde gescheitert, weil tretende Europäer Treibjagd auf Pelé gemacht hatten – so entstand 1966 eine lateinamerikanische Dolchstoßlegende, genauso zäh wie die der Deutschen mit dem Wembley-Tor.”

Thomas Kilchenstein (FR 28.5.) über die WM 98. “Wir können uns noch alle gut und mit einigem Grausen an diesen Auftritt erinnern. Damals, vor vier Jahren, als Hans-Hubert Vogts bei Waldemar Hartmann im Fernseh-Studio saß, der kleine Berti, Wut entbrannt, weil er nicht verlieren konnte und finstere Mächte am Werk vermutete. 0:3 hatte Deutschland bei der WM in Frankreich gerade gegen Kroatien verloren, und Vogts, persönlich beleidigt, wählte die folgenden, bald Kultstatus erlangenden Worte: „Vielleicht ist einigen der deutsche Fußball zu erfolgreich. Ich weiß nicht, ob es eine Anordnung gibt.““

Erik Eggers (Die Welt 27.5.) über die WM-Historie. „Dass irgendwann einmal die halbe Welt bei einer Fußball-Weltmeisterschaft mitfiebern würde war vor 72 Jahren eine wahrlich absurde, ja utopische Vorstellung. Als 1930 in Uruguay das erste WM-Spiel angepfiffen wurde, rangen nur 13 Nationen um den heute so begehrten Titel. Und mit Jugoslawien, Frankreich, Rumänien und Belgien reisten lediglich vier europäische Teams an, die gemeinsam mit einem Schiff kamen und im Vergleich zu Mannschaften wie Spanien, Italien oder England bestenfalls zweite Wahl darstellten. Und dennoch schäumte die Freude über im kleinen Staat Uruguay, als die Gastgeber vor 100.000 Zuschauern einen 4:2-Finalsieg über das große Argentinien feierten (…) Als 1930 das erste WM-Turnier tatsächlich anstand, hatte auch die Weltwirtschaftskrise viele europäische Mannschaften von einer strapaziösen Schiffsreise ins ferne Uruguay abgehalten. Die Südamerikaner inklusive des Titelverteidigers revanchierten sich vier Jahre später mit einem Boykott der WM 1934 in Italien, zu dessen Qualifikationen bereits 30 Nationen antraten. Das erste Mal nahm mit Ägypten eine afrikanische Mannschaft teil bei der WM, die vom faschistischen Italien als Propagandaveranstaltung missbraucht wurde. Als Italien dann Weltmeister geworden war, sprachen viele Beobachter von Manipulation und Schiedsrichterbestechung, wozu besonders die beiden Spiele gegen Spanien und das Finale gegen die Tschechoslowakei Anlass gaben (…) Das für 1942 in Deutschland geplante vierte Turnier verhinderte Hitlers Überfall auf Polen 1939. Die Entwicklung der Fußball-Weltmeisterschaft zu einem globalen Ereignis konnte aber auch der Zweite Weltkrieg nur bremsen, nicht mehr verhindern.“

Walther Lücker (FR 27.5.) über die WM 94 in den USA. “Vier Jahre nach der fantastischen WM in Italien notierten die Chronisten schon bald nach dem Schlusspfiff in den USA eher gelangweilt: großartige Veranstaltung, aber unter dem Strich vergleichsweise arm an wirklichen Höhepunkten, kaum sportliche Fortentwicklung. Und dennoch, die WM im Niemandsland des Fußballs hatte etwas. Mag die Zeit die Erinnerung auch ausbleichen, es gab zwischen West- und Ostküste der USA genug geschichtsträchtige Höhepunkte. Die Amerikaner, zumeist nicht einmal des Regelwerkes kundig, machten Fußball zu einem Happening, zu einer riesigen Barbecue-Party. Viele feierten noch vor den Stadien, als drinnen längst der Ball gespielt wurde. Egal, Hauptsache die Hot-dogs platzen nicht.

Dieter Hochgesand (FR 25.5.) war bei Deutschlands letztem WM-Titel 1990 in Italien vor Ort. „Der dritte Titelgewinn für ein DFB-Team nach 1954 und 1974 war für Beckenbauer besonders süß, weil er manifestierte, dass der einstige Kicker auch als Macher den Olymp zu besteigen in der Lage ist. Er hatte erstaunt, manche gar brüskiert mit der ständigen Behauptung mir persönlich ist der WM-Titel völlig egal. Aber er hatte diese seiner oft so eigenwilligen Aussagen auch dankbar interpretieren lassen. Ja, Weltmeister werden schon, sogar mit allen Fasern seines Herzens, aber eben für die Mannschaft, für den DFB, die deutschen Fans usw. usw. Beckenbauer als der selbstlose, gute Mensch, der reine Altruist? Keineswegs. Nur: Sein Image, seinen Marktwert, sein Ego glaubte er nicht vom Titelgewinn abhängig machen zu müssen.“

Dieter Hochgesand (FR 24.5.) erlebte die WM 86 al Autor der Journalist vor Ort mit. “Ab nach Mexiko mit Trallala (Mexiko mi amor …) und der von Beckenbauer ausgegebenen Parole: Durchsetzungsvermögen. Der Mann, dünnhäutig und feinfühlig, reiste im Bewusstsein, dass es im deutschen Fußball fünf vor zwölf ist, die Öffentlichkeit dennoch von ihm ohne Wenn und Aber den Erfolg fordert. Dazu gab es Zoff im Quartier La Mansion Galindo, draußen bei Queretaro, dem Vorrundenspielort. Wo der Conquistador Cortez einst seine Geliebte Malinche verwöhnte, fühlten sich Beckenbauer, Rummenigge und Co. drangsaliert, nachdem der mexikanische Journalist Hirsch eine Handvoll Marketenderinnen gesichtet hatte und Bild die Sex-Nachricht schlagzeilte. Beckenbauer drohte Hirsch an den Hals zu gehen, Rummenigge verkündete den allgemeinen Presseboykott, ungerührt des Einwandes, dass nur aus jenem Verlagshaus so Unkeusches vermeldet wurde, bei dem er sich als Kolumnist ein Zubrot verdiente. Erst dem DFB-Delegationsleiter Egidius Braun war es nach intensiven Schlichtungsbemühungen inklusive eigenhändig zur Beruhigung intoniertem Klavierkonzert um Mitternacht zu verdanken, dass der Boykott zurückgenommen wurde (…) Halbfinale gegen Europameister Frankreich, der in einem mitreißenden Match Brasilien ausgeschaltet hatte. Wieder Frankreich, wie 1982 in Spanien. Wieder ein Sieg für die Deutschen. 2:0. Verdient, überzeugend aber gegen gehemmte Franzosen glanzlos. Beckenbauer war über den Berg. Seine durch Versagensängste genährte Aggression legte sich. Er näherte sich behutsam der Fähigkeit, zu differenzieren und sein Verhalten kritisch zu reflektieren. Dass da kaum Platz im Team für Ästhetik war, wurde ihm durch Erfolg erträglicher. Er wusste zu diesem Zeitpunkt sehr wohl, dass er dabei war, vieles zu lernen, von dem er nicht geahnte hatte, dass er es noch lernen muss.”

Dieter Hochgesand (FR 23.5.) erinnert sich an den Auftritt der Deutschen bei der WM 82. “Das 4:1 gegen Chile und selbst das als Nichtangriffspakt in die Annalen eingegangene 1:0 gegen Österreich, bei dem die Erzrivalen in der zweiten Halbzeit penetrant alles taten, um sich nicht weh zu tun und zu Lasten der belämmerten Algerier in die zweiten Finalrunde einzogen, setzte neue Energien frei: harscher Kritik wurde mit Hohn und Unverständnis begegnet, wütenden Fan-Protesten vor dem Hotel damit, dass Spieler von ganz oben mit gefüllten Plastiktüten warfen. Was nach überstandener Zwischenrunde folgte, war nicht nur für die DFB-Mannschaft der absolute Höhepunkt dieser WM: das Halbfinale in Sevilla gegen Frankreich. Mit seiner fast unerträglichen Spannung und Dramatik erreichte es den Erregungsgrad des Jahrhundertspiels bei der WM 1970 in Mexiko gegen Italien (3:4). Doch diesmal hatten die Deutschen das bessere Ende für sich. Französische Spielkunst gegen deutschen Kampfgeist ergaben einen höchst aufregenden Mix.”

Über die politischen Hintergründe der WM 78 berichtet Dieter Hochgesand (FR 22.5.). “Aus politischer Sicht war diese Weltmeisterschaft wohl die bedeutsamste. Eingepflanzt in eine Zeit, in der in Argentinien die Menschen von einer Militärjunta rücksichtslos unter Druck gestzt wurden, wo für Ansätze demokratischen Denkens und Handelns kein Platz war, wo Angst und Gewalt mit staatlich organisierter Folter und Mord dominierten, sollte nach dem Wunsch und dem Willen der Herreschenden der im Volk geliebte Fußball der Welt Normalität vortäuschen und den Beherrschten im gebeutelten Land ein Stück Lebensfreude als Beruhigungsmittel injiziert werden. Zumindest Letzteres gelang für eine Weile durch den enthusiastisch gefeierten argentinischen Titelgewinn (…) Während der WM schlugen dann die Wogen noch einmal hoch, bis hin in den Bundestag, als bekannt wurde, dass der ehemalige Nazi-Kampfflieger Oberst Rudel, damals noch bekennender und als solcher agierender Rechtsextremist, im deutschen Quartier zu Gast war. Die DFB-Offiziellen versuchten sich hinter der Behauptung zu verstecken, Rudel sei als Gast der argentinischen Luftwaffe aufgetaucht, die er Jahre zuvor hatte ausbilden helfen. So oder so blieb es eine immense politische Peinlichkeit, die weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus für Aufsehen sorgte.”

Dass Franz Beckenbauer schon in jungen Jahren ein „Grantel-Meister“ gewesen ist, belegt der Rückblick von Hans Eiberle (FR 18.5.) auf das legendäre Halbfinale der Deutschen gegen Italien bei der WM 1970: „Viel später erst war vom Spiel des Jahrhunderts die Rede. Wer das in die Welt gesetzt hat? Die Presse, steht in Franz Beckenbauers Buch Einer wie ich, ihr Urteil sei übertrieben, wie so oft. Weshalb schwärmen die Freunde des Fußballspiels noch 32 Jahre danach von diesem dramatischen Duell der Deutschen gegen die Italiener bis zum bitteren Ende im Semifinale der WM 1970 – und Beckenbauer nicht? Mag sein, dass der Perfektionist am Ball nicht begreifen mochte, wie zwei Dutzend der besten Fußballer in zwei Stunden mehr Fehler machen konnten als das ganze Jahr über. Vor allem aber: Ein Spiel ohne Beckenbauer – das beste des Jahrhunderts? So einen Blödsinn konnte nur einer der zahllosen ahnungslosen Journalisten erfunden haben. Ohne Beckenbauer? Der geniale Fußballkünstler, schon damals Inbegriff der Leichtigkeit des Seins auf dem Rasenrechteck, hat zwar mitgespielt, aber in der Verlängerung einer Schulterverletzung wegen mit am Körper fixiertem rechten Arm die Hand aufs Herz gelegt. Der Gentleman am Ball als Behinderter, grausam abgestraft vom Schicksal, das sich des Italieners Giacinto Facchetti bedient hatte. Fast tatenlos musste er mit ansehen, wie der Gegner immer noch eins drauf setzte.“

Der ehemalige TV-Kommentator (u.a. WM-Finals 1966 u. 1982) Rudi Michel (FR 17.5.) über die Verhältnisse bei der WM 66: “Mit dem Begriff Fairness sind andere auf dem Platz leichtfertig umgegangen. Fairplay schien ein Relikt aus einer anderen Zeit zu sein. Der Uruguayer Horacio Troche verpasste Uwe Seeler eine schallende Ohrfeige und musste deshalb vorzeitig in die Kabine. Der Argentinier Albrecht spielte Wolfgang Weber so übel mit, dass er ebenfalls früher zum Duschen durfte. Brutale Tritte der Portugiesen trafen Pelé, der schließlich mit einem Umhang als Robe am Spielfeldrand saß und sich schwor: Nie wieder Weltmeisterschaften. Das Aus für Pelé war gleichbedeutend mit dem Aus des Weltmeisters Brasilien. Tumulte gab es beim Spiel England – Argentinien (1:0), als der deutsche Schiedsrichter Kreitlein den Südamerikaner Antonio Rattin vom Platz schickte. Rattin verlangte nach einem Dolmetscher, weil er den Schwaben nicht verstand. Acht Minuten Zwangspause, Debatten in mindestens drei Sprachen. Londoner Bobbies geleiteten schließlich den Mann aus Buenos Aires in die Kabine; Taktvoll und mit Abstand, wie sich das gehörte.”

Rudi Michel (FR 16.5) beschreibt seine Eindrücke von der WM 62 in Chile: “Sportlich erlebte Südamerika ein Turnier der Taktiker – und Treter. Verstärkte Defensive lautete die Devise der Europäer. Schweizer Riegel und Italiens Catenaccio fanden auch bei den Deutschen lernfähige Nachahmer. Daraus resultierte schematischer Sicherheitsfußball, der die Schönheiten des technischen Spiels verdrängte (…) Zum Tiefpunkt des Turniers war die Treterei Chile – Italien

Rudi Michel (FR 15.5.) erinnert sich und uns an das Semifinale des WM-Turniers von 1958 zwischen Gastgeber Schweden und Deutschland sowie den Nachwirkungen: “18 Minuten vor Schluss verlor Erich Juskowiak beim Stand von 1:1 die Nerven, trat gegen Hamrin nach und flog vom Platz. Die Atmosphäre schien vergiftet, auf den Rängen rasten tobten die Zuschauer, auf dem Feld häuften sich die Fouls. Die 1:3-Niederlage der Deutschen war absehbar. Herberger ließ im Radio-Interview keinen Zweifel an der Berechtigung des Feldverweises und wurde danach von den Schweden als Gentleman-Trainer geachtet. Erst als das Mikrofon ausgeschaltet war, klagte er mir sein Leid im vertrauten Gespräch: Er hat mich um den Erfolg von vier Jahren Arbeit gebracht – in einer unbeherrschten Sekunde. Ressentiments führten nach dem Halbfinale zu einem bisher nicht gekannten Pressekrieg, der eskalierte, als die deutsche Expedition nach dem Spiel um den dritten Platz gegen Frankreich (3:6) sofort abreiste und auf das Fifa-Bankett verzichtete. Ein dunkler Punkt in der DFB-Chronik. Schwedische Medien sparten aber auch nicht mit Selbstkritik. Stockholm Tidningen schrieb entsetzt über ein Publikum, das überhitzt und überpatriotisch war durch einen planmäßig aufgeputschten Fanatismus. In Deutschland brach so etwas wie eine nationale Hysterie aus. Dümmlich und lächerlich die Reaktionen: Schwedenplatte von der Speisekarte gestrichen – Reifen von Autos mit schwedischen Kennzeichen zerstochen – Schwedens Fahne beim Reitturnier in Aachen zerfetzt (…) Fünf Jahre hat es gedauert, bis sich der deutsche und der schwedische Verband entschlossen, ein Länderspiel in Freundschaft auszutragen.”

Harald Maass (FR 13.5.) erinnert an die erste WM-Teilnahme Koreas 1954 in der Schweiz: “In ein paar Wochen beginnt in Korea und Japan die Fußball-WM. Zum ersten Mal wird das Turnier auf asiatischem Boden ausgetragen. Beide Länder haben Milliardenbeträge in die Veranstaltung investiert. Hochmoderne Fußballarenen erwarten die Sportler, für die Funktionäre und Journalisten stehen Luxushotels bereit. Zwischen den Spielstädten reisen die Teams mit Charterflugzeugen. Geschätzte 42 Milliarden Menschen werden das Spektakel im Fernsehen miterleben. Kaum einer davon wird sich vorstellen können, wie vor einem halben Jahrhundert Fußball in Asien aussah. Wir hatten kein Geld. Die Anzüge mussten wir auf Pump beim Schneider anfertigen lassen, erzählt Hong (damaliger Torwart des Teams, of) über die Reise in die Schweiz. Mehrere Tage waren sie unterwegs. In Kalkutta mussten sie einen Tag warten, bis der Propeller an dem Flugzeug repariert war. Als die Koreaner schließlich auf dem letzten Zwischenstopp in Rom landeten, waren sie bereits das Gesprächsthema der WM. Völlig erschöpft standen die jungen Asiaten in zerknitterten Anzügen da. Ob sie denn wüssten, wann die WM losgehe, fragte spöttisch ein italienischer Journalist. Sie wussten es nicht. Erst zehn Stunden vor dem Anpfiff ihres ersten Spiels erreichten die Koreaner Zürich.”

In der internen DFB-Geschichtsschreibung bezüglich der deutschen WM-Teilnahme 1938 vermisst Christoph Albrecht-Heider (FR 11.5.) kritische Töne: “Was in offiziellen DFB-Annalen wie auch noch in einem WM-Band von 1954, das ein Vorwort des Bundespräsidenten Theodor Heuss ziert, über die WM 1938 geschrieben ist, steht für die skandalöse Ignoranz, mit der im Nachkriegsdeutschland der Faschismus behandelt wurde. Nicht mal die Begriffe Faschismus, Nationalsozialismus oder NSDAP tauchen auf. Das faschistische Deutschland hatte sich Österreich 1938 einverleibt. Die Nazis befahlen daraufhin, dass in der deutschen Mannschaft bei der WM jeweils sechs Deutsche und fünf Österreicher spielen mussten. In besagtem WM-Buch werden die Nazifunktionäre nebulös mit parteigelenkten Kräften umschrieben. Fürs erste Spiel – die WM wurde im K.o.-System ausgetragen – gegen die Schweiz mischte Sepp Herberger, der 1936 Nerz als Reichstrainer abgelöst hatte, ein Sextett der berühmten Breslauer Elf mit einem Wiener Quintett. Der beste Österreicher seiner Zeit, Matthias der Papierne Sindelar, hatte sich geweigert, für die Nazis zu spielen. Er starb vor Ausbruch des Krieges zusammen mit seiner jüdischen Lebensgefährtin Camilla Castagnolla unter nie geklärten Umständen – Selbstmord oder sogar ein Verbrechen? Am 4. Juni 1938 bestritten die Deutschen im Pariser Prinzenparkstadion vor 40.000 Zuschauern ein Auswärtsspiel. Eier, Flaschen, Tomaten flogen aufs Feld, nachdem die spielenden Repräsentanten des verhassten Nazi-Deutschland vor dem Anpfiff mit Heil Hitler gegrüßt hatten.”

Rudi Michel (FR 14.5.) über die deutschen Aussichten im Vorfeld des WM-Turniers 1954: “Anekdoten müssen nicht immer der Realität entsprechen, aber diese tut es: Als die DFB-Expedition mit dem Schnellzug Karlsruhe – Basel – Bern die Grenze passierte, stellten deutsche Zöllner bei der Passkontrolle hämisch die Frage: Was wollt ihr denn bei der WM in der Schweiz ? Die Fußball-Nationalmannschaft hatte damals kaum Kredit im eigenen Land und bei den Londoner Buchmachern konnte man keinen Penny auf West-Germany setzen. Das Minimalziel lautete damals wie auch 2002 wieder: Die Vorrunde überstehen und dann weitersehen (Trainer Sepp Herberger). Qualifiziert hatte sich die DFB-Auswahl eigentlich problemlos, aber ohne Glanz und Gloria, gegen Norwegen und das autonome Saarland, das mit seinem Verband 1950 noch vor dem DFB als selbstständiges Fifa-Mitglied zugelassen worden war. Ein kleines Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.”

Stefan Behr (FR 18.4.) über das Spiel Deutschland-Polen (1:0) bei der WM 1974, welches wegen der sintflutartigen Regenströme im Vorfeld als “Wasserschlacht von Frankfurt” in die Annalen einging. Ein bisschen Kalter Krieg war auch dabei. “Es hatte nichts genutzt, dass die damalige Achse des Bösen – sprich der Warschauer Pakt – im Vorfeld des Spieles alles getan hatte, um den Klassenfeind in die Schranken zu weisen. DDR-Beratung für Polen? fragten sich die Gazetten unter Berufung auf höchst vertrauliche und dementsprechend unüberprüfbare Informationen aus Ost-Berlin. Es war davon die Rede, dass eine so genannte Beobachtergruppe aus Ostdeutschland dem polnischen Trainer Kazimierz Gorski ein Brevier überreicht haben sollte, das die Achilles-Fersen der westdeutschen Kicker schonungslos offen legte. Der Beweis für die Existenz eines solchen Breviers: der 1 0-Sieg der DDR-Elf gegen das BRD-Team – Jürgen Sparwasser hatte in der Vorrunde der Bundesrepublik eine Art fußballerischen Sputnik-Schock versetzt (…) Der kruden kommunistischen Verschwörung hatten die Kapitalisten-Kicker um Kapitän Beckenbauer einiges entgegen zu setzen, beispielsweise die berüchtigte Frankfurter Flügelzange Grabowski / Hölzenbein. Und das Wetter, das als natürlicher Verbündeter den perfiden Plan absaufen ließ: Wie die Westdeutschen im Wasserballett zu schlagen sind, stand wohl im DDR-Papier nicht drin.”

Karl Jocha (NZZ 30.3.) über den 75. Geburtstag der ungarischen Stürmerlegende. “Gefeiert wird an diesem Ostermontag jener Fußballer, der am 25. November 1953 im Wembley dank seiner brillanten Leistung und zwei herrlichen Toren zum 6:3-Sieg der ungarischen Wunder-Elf beitrug. Es war die erste Heimniederlage der englischen Auswahl seit 90 Jahren. Sie machte die Magyaren zu einem großen Favoriten an der Weltmeisterschaft in der Schweiz. Der Jubeltag gibt auch Anlass, zurückzudenken an diese für Ungarn schwere Epoche, als Puskás nach dem verlorenen WM-Endspiel von Bern 1954 und der tragischen ungarischen Revolution von 1956 fern der Heimat ein neues Lebens-Kapitel aufschlug.”

Anekdoten

Christian Eichler (FAS 2.6.) über die Medienevolution des Fußballs. „Irgendwie ist sie ziemlich kompliziert geworden, die Medienwelt, seit jener ersten WM 1930 in Montevideo, als Europa erst auf die Rückkehr von Herrn Langenus per Dampfschiff warten musste, ehe es Details zum Turnierverlauf erfuhr. Herr Langenus war Schiedsrichter des Endspiels und zugleich dessen Reporter. Er hatte wohl immer eine gute Presse. Und Fußball im Fernsehen brauchte kein Mensch.“

Ludger Schulze (SZ 25.5.). „Die längste Woche des Jahres: schon immer reine Nervensache. 1958 bei der WM in Schweden tauschte Bundestrainer Sepp Herberger kurzerhand die Zimmermädchen gegen männliches Personal aus, um seine Leute nicht in Versuchung zu führen. Vier Jahre später in Chile zertrümmerte Torwart Hans Tilkowski das Mobiliar seines Zimmers in einer Militärakademie, als er erfuhr, dass ihn der junge Wolfgang Fahrian im ersten Spiel ersetzen würde. 1974 vertrieben sich Franz Beckenbauer und Paul Breitner die Zeit in einem anhaltenden Prämienpoker, der die DFB-Funktionäre an den Rand des Wahnsinns brachte. Und 1982 übten die Spieler tagsüber Flachpass und Direktschuss, nächtens aber ertränkten sie ihre Kondition in spanischem Rotwein. Derlei Ausschweifungen muss Rudi Völler nicht fürchten. Verglichen mit früheren Generationen muten sie an wie ein Seminar von Klosterschülern. Brave Kerle mit erstklassiger Berufsauffassung.“

Jürgen Roth (FR 25.5.). “Toni Schumachers Selbstentlarvungswerk Anpfiff enthüllte Details, die keineswegs einen gerüttelten Anschiss von Trainer Prost, ich bin der Jupp Derwall provozierten. Ohne Konsequenzen blieben die wüsten Ausschweifungen unter der Schirmherrschaft des Leithammels Paul Breitner. Eike Immel pokerte schon wie ein Süchtiger, stöhnte Schumacher, andere bumsten bis zum Morgengrauen und kamen wie nasse Lappen zum Training gekrochen. Wieder andere gossen reichlich Whisky in sich rein, schlimmer als Quartalssäufer. Campingplatz-Exzesse unermesslichen Ausmaßes. Toni ermattet: Das ist das größte Chaos, das ich überhaupt je gesehen habe” (…) Das Unheil der 80er schritt voran, und 1994 in den USA hätte Spielerfrauenfeind Berti Vogts gut daran getan, einen Rat des Kölschtrinkers Schumacher aufzugreifen. Der empfahl dem DFB wegen der psychischen und sexuellen Kasernierung vor und während der Turniere, künftig käufliche Schöne, die unter medizinischer Kontrolle stehen, in der Hotellobby zu offerieren. Stefan Effenbergs Gattin wäre jener Direktive gemäß einfach daheim, das Nervenchaos aus- und uns die bulgarische Schmach erspart geblieben. So aber traf Effe erst seine Martina außerhalb des tristen Mannschaftshotels, dann schleppte er sie zum Mannschaftsessen an, dann ab, dann gab’s Stunk, und es folgte der entsprechende Finger. Fürchterlich, fürwahr.“

Eine „Geschichte des Verstummens“ erzählt Andreas Höll (Die Zeit 16.5.): „Zum ersten Mal seit 28 Jahren tritt die deutsche Nationalelf ohne eigenes Lied bei der Fußball-WM an. Mit der Bierzelthymne Fußball ist unser Leben war 1974 bei der ersten WM im eigenen Land, eine (west-)deutsche Tradition begründet worden. Dieser „Laienchor hoch bezahlter Profis“, darunter auch der bereits aus dem Jahre 1966 schlagererprobte Franz Beckenbauer (Gute Freunde kann niemand trennen), holte später den Pokal, für die Zukunft jedoch „wollte sich der Deutsche Fußball Bund nicht mehr allein auf die Sangeskraft seiner besten Spieler verlassen.“ Aber weder die Unterstützung von Udo Jürgens für die WM 1978 in Argentinien, noch die von Michael Schanze für die Spiele 1982 in Spanien und auch nicht die von Peter Alexander für die WM 1986 in Mexico brachte sportlichen Erfolg (… Im Jahr 2006) müsste auch Franz Beckenbauer wieder mitsingen, dieses Mal als Präsident des Organisationskomitees. Denn statistisch betrachtet spricht alles dafür, dass Deutschland mit dem singenden Franz Beckenbauer – wie 1974 und 1990 – wieder Weltmeister wird.“

Philipp Selldorf (SZ 14.5.) vergleicht das diesjährige – von Absenzen geprägte – Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft im Schwarzwald mit solchen aus der Vergangenheit: “Für ein derart holpriges Programm hätten sich Völlers Vorgänger Helmut Schön und Berti Vogts ganz sicher nicht begeistern können. Das geschlossene Trainingslager war Pflicht bis in die 90er Jahre hinein. Beim Stichwort Malente, Inbegriff deutscher Fußballkasernenkultur, schaudert es Völler noch heute; in Malente war er – damals noch aktiver Torjäger – 1994 vor dem Turnier in den USA zwei Wochen lang aufs Eintönigste mit dem Nationalteam eingesperrt. Schon wenn sie um acht Morgens zum Dauerlauf durch die holsteinische Landschaft starteten, standen stets dieselben Feriengäste am Straßenrand. Nichts passierte – außer dem, was immer passierte, und bald ging man sich gepflegt auf den Geist. Auf die Frage nach seiner Lieblingsepisode aus Malente antwortet Völler: „Das ist ja gerade das Problem: es gab keine Episoden in Malente.“ Zumindest kamen sie erst später heraus: Etwa, dass Franz Beckenbauer und Sepp Maier 1974 aus Malente nächtens ins Hamburger Nachtleben flüchteten, oder dass sich vor der WM 1982 unter Paul Breitners Führung der Schluchsee in Südbaden durch derbes Trinken der Fußballer den Namen „Schlucksee“ verdiente.”

Im sensiblen Sozialsystem Nationalmannschaft hat Michael Horeni (FAZ 18.5.) einen entscheidenden Wandel ausgemacht: „Die einst wohlgeordnete deutsche Fußball-Welt ist ziemlich durcheinandergeraten. Über Jahrzehnte hinweg standen Namen und Begriffe wie Malente oder WM-Trainingslager für eine äußerst freudlose bis asketische Zeit, in der die Tage und Wochen eines Fußballprofis von morgens um 7 bis zur Bettruhe klar geregelt waren. Da lebte eine Fußballfamilie zwangsweise unter einem Dach, und es schien, als wäre dieser Mikrokosmos ein Abbild der patriarchalischen Gesellschaft, in der Familie nur sein konnte, wo der Bundestrainer war und herrschte. Doch im Jahr 2002 unter Teamchef Rudi Völler, der seine leidvollen Erfahrungen mit dieser Vorbereitung alten Stils hinter sich hat (Ich bin auch Malente-geschädigt), erinnert die deutsche Nationalmannschaft vielmehr an eine neudeutsche Patchwork-Familie, in der Familie nur noch danach definiert wird, wo sich an Leib und Seele gesunde Fußballprofis befinden.“

Gewinnspiel für Experten

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Doping bringt nichts im Fußball

So lautete jahrelang das Urteil vieler Experten. Die Anforderungen an einen Fußballer seien zu komplex. Schließlich gesellen sich zu den physischen – wie Ausdauer, Kraft und Schnelligkeit – und den motorischen Komponenten solche, die Wahrnehmungs- und Willensleistungen betreffen. Mittlerweile jedoch ist das Thema nicht zuletzt wegen einiger Delikte in der italienischen Serie A auf der Agenda. Während der WM wird die Fifa zum ersten Mal Blutproben nehmen. Die spanische Tageszeitung El País hat dieser Problematik einen Schwerpunkt gewidmet.

„Es ist etwas Uninspiriertes im Land wie in seiner Mannschaft, etwas Leidenschaftsloses“ Holger Gertz (SZ 27.5.) sorgt sich um den Zustand Deutschlands und seinen Fußballrecken. Doch Dirk Schümer (FAS 26.5.) weiß auch: „Die Deutschen haben viel gelernt. Vor allem, dass sie nicht immer gewinnen müssen.“ Die bevorstehende WM könnte daher in der Tat ein Wendepunkt für den deutschen Fußball-Anhänger sein, bei der bezüglich künftiger Erwartungshaltungen die Weichen gestellt werden: Zuversicht oder Nostalgie?

Außerdem: von einer spektakulären Testspiel-Niederlage der Kroaten, die Wochenendhighlights aus Deutschlands Trainingslager, Vermittlungsversuchen irischer Poltitiker, WM-Börsenspielen, Fußballauktionen, dem „TV-Sender für WM-Beseelte“ (SZ) und einem neuen if-Gewinnspiel .

„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, scheint die Devise im irischen Lager zu sein. Nachdem Mick McCarthy noch definitiv ausgeschlossen hatte, sich mit Roy Keane zu versöhnen, berichtet die Irish Times (24.5.), dass die Rückholaktion Keane bereits auf vollen Touren läuft: „Premierminister Ahern bestätigte, dass er sich gegebenenfalls aus den Verhandlungen über eine neue Regierung zurückziehen werde, um über den irischen Kader zu verhandeln. Ein Regierungssprecher bestätigte weiterhin, dass Mr. Ahern bereits Kontakt zu Vertrauten von Roy Keane und Mick McCarthy aufgenommen und sich als Vermittlungspartner angeboten habe. Mr. Ahern bleibe jedoch auf alle Fälle neutral in diesem Konflikt. Die öffentlichen Sympathien sind hingegen klar auf Seiten von Mick McCarthy, der auch vom irischen Fußballverband volle Rückendeckung erfährt.“

Zweihundert japanische Kinder besiegten die kroatische Mannschaft erfahren wir aus der kroatischen Presse (Vecernji List 25.5.). „Das gestrige Training der kroatischen Mannschaft wurde zum wahren Spektakel. Zweihundert japanische Jungen und Mädchen werden diesen Tag für immer in Erinnerung behalten. Die Kinder durften zwanzig Minuten gegen die „Feurigen“ (Spitzname der kroatischen Mannschaft wegen der rot-weißen Trikots, Anm. d. Übers.) spielen. Anfangs spielten 120 Nachwuchskicker gegen 24 Kroaten. Nachdem die Japaner in Führung gingen, konnte Suker auf bemerkenswerte Weise ausgleichen. Prosinecki musste sich erst durch den gekonnt verbarrikadierten Raum der Gastgeber wühlen, bevor er mit einer manuell ausgeführten Flanke die Vorlage zu Sukers Kopfballtor lieferte. Die Japaner konnten sich von diesem Schock allerdings recht schnell erholen und gingen durch einen Elfmeter – bei dem Torhüter Butina ins falsche Eck geschickt wurde – erneut mit 2:1 in Führung. Der kroatische Trainer Mirko Jozic sah bereits das dicke Ende kommen und arrangierte zwei zusätzliche Spielbälle. Das sich darauf anschließende Dreiballspiel führte allerdings zu einer weit gehenden Zersplitterung des Spielflusses. Es blieb beim 2:1.“

Ludger Schulze (SZ 27.5.) vermeldet die Wochenendereignisse aus dem deutschen Trainingslager. „An weiteren wichtigen Erkenntnissen wäre lediglich zu vermelden, dass Teamchef Völler in der Nacht zuvor nur bis halb vier schlafen konnte. Der Jetlag. Zur Unterhaltung hat Völler den Fernseher eingeschaltet „und zum ersten mal in meinem Leben Grand Prix gesehen. Nicht die Formel 1, sondern die Sangeskunst, was mir in 42 Jahren noch nie gelungen ist“. Dort ist die deutsche Teilnehmerin 21. geworden. Rudi Völler uns seinen Leuten wünscht man eine etwas bessere Platzierung.“

Erik Eggers (Tsp 27.5.) war bei einer Fußballauktion. „Katalognummer 1003. „Spieler-Pass Nr. 391 712″, eine Spielberechtigung für die 1. Mannschaft des FC Bayern München, ausgestellt am 26. Mai 1964 vom Bayerischen Fußball-Verband – so die scheinbar gewöhnlichen Details des Exponats. Aber dieses graue, zehn mal fünfzehn Zentimeter kleine Dokument ohne Lichtbild ist eben mehr als nur ein Stück Pappe. Es ist, so weist ihn der Katalog aus, „Der Pass des Kaisers“, kein Geringerer als Franz Anton Beckenbauer hat ihn 18-jährig mit seiner krakeligen Unterschrift geadelt. Und wie erwartet kommt es zu einem wahren Bietergefecht zwischen zwei Gegnern – bei 950 Euro schließlich gibt einer entnervt auf.“

Philipp Selldorf (SZ 27.5.) über nicht zu beantwortende Fragen. „Die besonders Besessenen schauen seit einigen Wochen täglich fern – in die Vergangenheit. Der TV-Sender Eurosport, Zentralorgan für WM-Beseelte, blickt in stundenlangen Séancen auf alte Weltmeisterschaften zurück und ermöglicht nostalgische Begegnungen mit Heroen, die mittlerweile mehr Zigarren rauchen als Bälle schlagen. Notwendig wird der Betrachter an Diega Armando Maradonas Auftritte während der WM 1986 in Mexiko erinnert, und zwangsläufig entsteht die Frage: War er der Beste aller Zeiten? Oder ist Zinedine Zidane besser?“

Die SZ (27.5.) bemerkt zur Verletzung des französischen Spielmachers Zidane, von der man noch nicht weiß, ob sie ihn an der Teilnahme am Eröffnungsspiel gegen Senegal hindern wird. „Einen zumindest wird Zidanes Blessur freuen: In Senegal gibt es einen Zauberer, der seit Wochen sein Fehlen zum WM-Auftakt beschwört.“

„Nichts macht ein Turnier spannender als eine Wette auf dessen Ausgang“ beschreibt Hanno Beck (FAS 26.5.) die Faszination des Börsenspiels

El País über die Dopingproblematik

Deutsches Testspiel gegen eine japanische Jugendmannschaft (Tsp, FAZ, FR)

vier Pressestimmen (SZ, FAS, As) zum Image und Stil

vier Pressestimmen zum Thema Fußballboom in Asien

SZ(27.5.) über das Testspiel Kamerun – England 2:2

Interview (SZ 27.5.) mit Saudi-Arabiens Trainer Nasser Al Johar

Interview mit dem Internisten Tim Meyer (FR 27.5.) über das Trinkverhalten von Sportlern in fernöstlichem Klima

Interview (FAS 26.5.) mit Michael Ballack und Oliver Kahn (spon)

WM-News über Frankreich

Deislers Verletzung

Fußball und Ästhetik, Wettquoten, Werbung

Anekdoten

Neues aus der Wissenschaft und über Heimschiedsricher

Gewinnspiel für Experten

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„Nach dem Skandal ist vor dem Skandal“

sehr lesenswert! in Aachen ist „nach dem Skandal ist vor dem Skandal“ (Zeit) – Mini-Sender für Schiedsrichter? – „Ballspotting“, das Berliner Fußball-Film-Festival – Fußball nun auch auf dem Laufsteg – Monica Lierhaus, neu bei der ARD-Sportschau u.v.m.

Nach dem Skandal ist hier vor dem Skandal

Sehr lesenswert! „Seit dreieinhalb Jahrzehnten jagt Alemannia Aachen dem Traum vom Spitzenfußball hinterher. In dieser Saison könnte er endlich wahr werden“ schreibt Christoph Biermann (Zeit 29.1.): „Willi Landgraf setzt auf den Kulturschock. „Das kennen die nicht, damit müssen sie erst mal klar kommen“, sagt der Verteidiger von Alemannia Aachen und will durchaus nicht drohend klingen. Eher vergnügt malt er sich die erstaunten Gesichter der Profis von Bayern München aus, wenn sie am kommenden Mittwoch zum Pokalspiel in Aachen antreten müssen. Landgraf erzählt davon, wie eng und alt die Umkleidekabinen des Zweitligisten sind. Von dort geht es durch einen langen, engen Tunnel zum Spielfeld hinaus, dessen Boden tief sein wird und von 23000 fanatischen Zuschauern umstellt, die fast nach den Spielern greifen können. „Es ist super, da zu spielen“, sagt Landgraf, der nicht nur Profi geworden, sondern Fan geblieben ist. Nichts im Stadion ist modern, wo sich, von einer elektronischen Anzeigetafel abgesehen, seit den späten fünfziger Jahren kaum etwas geändert hat. Die Ränge drängen sich immer noch so nah an den Rasen, wie man das früher aus England kannte. Der mächtige, ungedeckte Würselener Wall, die nicht überdachte Stehtribüne, wirkt wie eine kleinere Ausgabe des legendären Kop in Liverpool, und gegenüber der Haupttribüne gibt es eine der letzten Stehhallen in Deutschland. Dort feuern die Fans ihre Mannschaft noch entlang der Seitenlinie, unter einem Tribünendach stehend, an. Fußball auf dem Aachener „Tivoli“ ist eine Zeitreise, und wenn der im Stile eines Großunternehmens geführte FC Bayern dort antritt, trifft die Zukunft des Fußballs seine Vergangenheit. Während durch die VIP-Lounges in den Arenen der Neuzeit die Unterschiede im Publikum zelebriert werden, ist das Stadion, der Tivoli, noch ein großer Gleichmacher. Es gibt zwar ein VIP-Zelt, doch weil dafür hinter der Sitzgeraden kein Platz war, ist die Idee von der Trennung der Welten schon zur Halbzeitpause aufgehoben. Dann ist es für die VIPs bis ins Zelt zu weit, und sie stellen sich hinter nicht ganz so wichtigen Personen am Würstchenstand an. Für die Spieler ist es mitreißend, dass die Zuschauer auf den teuren Plätzen sie kaum weniger fanatisch unterstützen als die auf den billigen (…) „Nach dem Skandal ist hier immer vor dem Skandal“, sagt Christoph Pauli, der als Sportchef der Aachener Zeitung in den letzten Jahren etliche davon hat aufschreiben müssen. Zu viele, wie er meint, „hier haben zu oft die Pestfahnen geweht, und deshalb ist eine gewisse Müdigkeit eingetreten“. Selbst im Zeitraffer ist die Chronique scandaleuse der neueren Vergangenheit so imposant wie die Auflistung der Schicksalsschläge bewegend. Seit dem Frühjahr 2002 kämpft der damals mit 4,5 Millionen Euro verschuldete Klub gegen Insolvenz und Lizenzentzug, nachdem zuvor das Geld mit vollen Händen verschleudert worden war. Noch 2001 war der Vereinsvorstand im Privatjet zu Auswärtsspielen geflogen, während der damalige Trainer Eugen Hach seiner Mannschaft „Demut und Bescheidenheit“ predigte. Am nächsten Tag war er mit seinem neuen Dienstwagen zur Arbeit gekommen, einem Mercedes für 200000 Mark. Bei einer Mannschaftsfeier erhoben sich die Spieler reihum und brachten einen Toast auf „Demut und Bescheidenheit“ aus. Hachs Nachfolger Jörg Berger wurden Ende 2001 noch neue Spieler und ein modernes Stadion ins Aussicht gestellt, „am Ende habe ich nur diesen Dienstwagen mit zwei Fernsehern übernommen“. Der Trainer glaubt, dass „andere Mannschaften angesichts solch chaotischer Begleiterscheinungen abgestiegen wären“. Immerhin mussten die Spieler auf insgesamt eine halbe Million Euro Gehälter verzichten. Zugleich liefen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen der so genannten Kofferaffäre. Ein Spielervermittler hatte den Verein mit fingierten Ablöseforderungen für zwei Profis aus Australien um rund 300000 Euro geprellt. Das Geld war in einem Koffer bar übergeben worden und verschwand dann. Im Zuge der Ermittlungen trat der Vorstand ab, Alemannias Schatzmeister kam in Untersuchungshaft, weil er angebliche Umsatzsteuerzahlungen des Klubs auf das Konto seiner Frau überwiesen hatte.“

Claus Dieterle (FAZ 29.1.) beäugt die Idee, Schiedsrichter mit Mini-Sender auszustatten: „Der Fußball steht schon immer in dem Ruf, im Grunde eine stockkonservative Sportart zu sein. Das macht sich nicht nur an Mode- und Textilfragen fest, sondern zeigt sich auch an der beharrlichen Ablehnung moderner Technik oder zeitgemäßer Konsumgewohnheiten. Den Fernsehbeweis im Stadion, im American Football längst üblich, gibt es immer noch nicht, und auch die Halbzeitpause ist noch bei weitem nicht den Erfordernissen des Zuschauers angepaßt. Da ist es schon erstaunlich, daß die Sportart Nummer eins jetzt doch endlich im Kommunikationszeitalter angekommen scheint. Was im Radsport, in der Formel 1 oder wiederum im American Football längst gang und gäbe ist, könnte jetzt auch im Fußball Einzug halten: der Knopf im Ohr, wie jener Minisender liebevoll genannt wird, der Sportler und Trainer im Eifer des Gefechts vertrauensvoll miteinander verbindet. Getestet haben sie die fußballtechnische Revolution schon, vor kurzem in der ersten belgischen Liga, und selbst der Internationale Fußballverband wird sich bei einer Regeländerungskonferenz Ende Februar mit der womöglich spielentscheidenden Innovation beschäftigen. Prominente Fürsprecher gibt es schon, zum Beispiel den höchsten aller Fußball-Schotten, Berti McVogts.“

Ballspotting

Christopher Buhl (Tsp 29.1.) mag Fußball-Filme: „Heinz Flohe ist sein Idol, der 1. FC Köln sein Lieblingsverein. Und nach eigener Aussage befindet sich Birger Schmidt auf der Vorstufe zum „Fußballverrücktsein“. Der Mann scheint wie gemacht für sein Amt. Er ist Diplom-Pädagoge in Diensten der Berliner Sportjugend und des British Council sowie Sprecher von „Brot Spiele“, dem Berliner Verein für Fußball und Kultur. Passend dazu: sein neues Projekt, das Filmfest „Ballspotting“, bei dem ab heute im Kino Central neun britische Fußballfilme gezeigt werden. Schmidts Augen leuchten, wenn er von den großen Zeiten des FC erzählt: „1964 ist mein Geburtsjahr, da ist der FC erster Bundesliga-Meister geworden.“ Ein Jahr später bestritten die Kölner im Europapokal der Landesmeister drei ihrer größten Spiele gegen den FC Liverpool. Den gebürtigen Fehmarner Schmidt hat die Verbindung zwischen Deutschland und England nicht losgelassen. Das zeigt auch „Ballspotting“. „Das sind Filme, die Fußball als Teil des Alltags verstehen“, erklärt Schmidt. Hier wird zum Beispiel die Geschichte von Manchesters Fußballlegende George Best mit allen Höhen und Tiefen erzählt („Best“), dort entscheidet sich das Mädchen Jess gegen die Traditionen ihrer indischen Familie und eifert lieber ihrem Idol nach („Kick it Like Beckham“).“

Anke Schipp (FAZ 26.1.) berichtet vom Laufsteg: „Ein Mann, der sich stets um sein Aussehen kümmert, einen extravaganten Geschmack hat und trotzdem nicht schwul ist, nennt man neuerdings nicht mehr soft, sondern metrosexuell. Das klingt interessant und läßt sich wunderbar vermarkten. In Hochglanzkampagnen wird dem Mann so hartnäckig weisgemacht, er brauche Tageslotion, Nachtcreme und Make-up, daß man den Trend zum Metrosexuellen für eine Erfindung der Kosmetikindustrie halten und schnell wieder vergessen könnte. Aber es gibt ihn wirklich. Zunächst war er nur eine Idee des englischen Journalisten Mark Simpson, der mit dieser ironisch gemeinten Bezeichnung den idealen männlichen Konsumenten definieren wollte. Knapp zehn Jahre später ist Fleisch und Blut aus ihm geworden. Nun müssen wir damit leben, daß ein begabter, aber eigentlich nicht besonders interessanter Fußballspieler, der sich Zöpfchen dreht, angeblich gerne Damenunterwäsche trägt und ansonsten vor allem clevere Imageberater hat, als die Stilikone unserer Zeit gilt. Das hat auch Auswirkungen auf den Laufsteg, der bekannt dafür ist, Abbilder von Kultfiguren rauf-, runter- und noch mal raufzuschicken. Wo allerdings sonst Steve McQueen oder David Bowie ihrer Wege gehen, dribbelt bei den Pariser Männerschauen, die auch am Montag noch Kollektionen für den nächsten Herbst zeigen, David Beckham entlang. Vorder- und hintergründig schießt der englische Fußballstar in den meisten Kollektionen seine Pässe. Der erste, der ihm freies Spiel läßt, ist John Galliano. Als Kreativdirektor des Modehauses Christian Dior sorgt der Brite seit sieben Jahren für fulminante und spektakuläre Defilees. Nun zeigte er seine erste Männerkollektion, Galliano Homme, und kündigte schon vorher im Figaro an, daß sich seine Mode an Männer wie Beckham richtet, die äußerst männlich sind und auf ihren Look achten. Tatsächlich treibt er das Männliche zunächst bis zum Äußersten. Er schickt wilde Kerle durch das Zirkuszelt am Bois de Boulogne. Sie tragen riesige Pelzmützen mit Fuchsschwänzen bis zur Hüfte und knappe T-Shirts über sechsfach gewellten Waschbrettbäuchen. Er betont den Mann durch festgezurrte Bänder an den männlichsten Stellen und transportiert den Lingerie-Stil aus der Damenmode auf den Herrn, indem er ihn Unterhosen tragen läßt, lang und kurz und superkurz. Gallianos Version vom Mann ist eine Mischung aus Boxer, Zuhälter und Cowboy, der allerdings seinen Daumen nicht machohaft in die Gürtelschlaufe, sondern in den Eingriff seiner Unterhose hängt. Den aggressiven Mann bricht Galliano – und an dieser Stelle wird’s metrosexuell – mit femininen Elementen, die wenig subtil sind. Er hängt ihm Hüfthalter um den Bauch und schneidet die Jeans am Bein in zwei Teile, um sie dann mit Strapsen wieder zu verbinden. Auch Röcke trägt der Beckham/Galliano-Mann, reich mit Blüten und Volants verziert.“

Lierhaus soll gezielt Zuschauerinnen ansprechen

Stefan Fischer (SZ 29.1.) begrüßt Monica Lierhaus in der ARD-Sportschau: „Juli 1997, Mallorca: Gotthilf Fischer, Chorleiter aller Chorleiter seit Jahrzehnten, dirigiert mehr als tausend Pauschaltouristen im Ballermann 6, dem Himmel der Hemmungslosen. Doch nicht „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ intonieren die seltsamen Chorknaben, sondern: „Ausziehen, ausziehen!“ Das gilt der Frau neben Fischer, Monica Lierhaus, damals Moderatorin des Boulevardmagazins Blitz, das auf der Insel Stimmung machte (…) Am Samstag wird sie erstmals die Sportschau präsentieren. Jene Sendung im Ersten, in der einst Männer wie Ernst Huberty, Joachim Rauschenbach oder Heribert Fassbender über Spieltage und Tore des Monats dozierten. Später kam Anne Will, doch da hatte die Sportschau die Fußballbilder an die Konkurrenz verloren. „Ich fühle mich gut gerüstet für den Job“, sagt Monica Lierhaus, „ich glaube, da wird’s keine bösen Überraschungen geben.“ Sie wusste sehr schnell, dass sie das Angebot der ARD annehmen würde. Und sie weiß auch, dass sie die erste bei den Privaten ausgebildete Frau ist, die im Öffentlich-Rechtlichen glänzen kann. ARD-Programmdirektor Günter Struve war es, der unbedingt eine Frau im Moderationsteam der Sportschau haben wollte; und er versicherte nach ihrer Verpflichtung, dass man „ein so schönes Gesicht“ nicht nur alle drei Wochen zeigen dürfe. Struve hat Pläne: Im Sommer wird Lierhaus von den Olympischen Spielen berichten, vielleicht kommt es zu Einsätzen bei der Fußball-EM und der Tour de France. Monica Lierhaus soll gezielt Zuschauerinnen ansprechen. Zwei Millionen Frauen sahen samstags in der Sportschau durchschnittlich die Bundesliga-Vorrunde. Die ARD-Manager sehen da noch Zuwachschancen. Schließlich wurden das deutsche Frauen-Nationalteam Weltmeister: Fußball, Frauen, Fernsehen als Trendthema.“

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Nachrufe auf Fritz Walter

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Jederzeit für eine denkwürdige Aufführung gut

Roland Zorn (FAZ 4.8.) sah ein abwechslungsreiches Spiel. „Für das größte deutsche Fußballderby ist es nie zu früh. Spielend widerlegten die Profis des FC Schalke 04 und des BV Borussia 09 Dortmund den Dortmunder Präsidenten Gerd Niebaum, der vor dem Bundesliga-Klassiker zum Saisonauftakt über die Spielplangestalter gelästert hatte: Bei einer Oper hört man doch auch nicht gleich zu Anfang die großen Arien. Richtig, und deshalb entwickelte sich auch das 122. Duell zwischen Königsblau und Schwarz-Gelb nach den dramaturgischen Gesetzen einer stimmig aufgebauten und inszenierten Oper. Am Ende umwehte den Schalker Heldentenor des Tages, den jungen Türken Hamit Altintop, ein Hauch von Tragik, während die Dortmunder wieder einmal die beglückende Erfahrung auskosteten, daß es für das größte deutsche Fußballderby nie zu spät ist. Amoroso gelang dank eines Querschlägers des zweifachen Torschützen Altintop doch noch der -Ausgleich. Er war nur deshalb möglich geworden, weil die Borussia ihren Hauptdarsteller in der 61. Minute gerade noch rechtzeitig auf die große Bühne geschickt hatte: Der erst am Mittwoch quasi aus dem Urlaub gekommene und vom spanischen Meister Real Madrid ausgeliehene Flavio Conceição kam, schaufelte einen Freistoß ins Schalker Netz und gab danach wie ein stoischer Baßbariton den Ton auf dem Platz an. Seine Körperhaltung und Körpersprache waren gewaltig, sagte der zum Bewundern sonst nicht neigende Dortmunder Trainer Matthias Sammer über den ersten Auftritt des 29 Jahre alten stoisch-gelassenen brasilianischen Ordnungshüters. Als der Berliner Schiedsrichter Lutz-Michael Fröhlich die Partie, in welcher er zum bösen Schluß für die Schalker auch noch Asamoah wegen Nachtretens vom Platz stellen mußte, abpfiff, waren sich 61.000 begeisterte oder entsetzte Zuschauer in der ausverkauften, brausenden Arena Auf Schalke insoweit einig: Diese Mutter aller Derbys ist jederzeit für eine denkwürdige Aufführung gut.“

Christoph Biermann (SZ 4.8.) kommentiert die Perspektiven der beiden Kontrahenten. „Trotz des hohen Wellengangs der Gefühle, die zum Revierderby zwischen Schalke und Dortmund stets dazugehören, kann man dessen 122. Ausgabe durchaus betriebswirtschaftlich beschreiben. Das klingt zwar enttäuschend nüchtern, aber die Vorlage dazu lieferten die Trainer. Matthias Sammer war der Ansicht, dass Borussia Dortmund in der ersten Halbzeit „daran gescheitert ist, dass wir zu wenig investiert haben“. Jupp Heynckes hingegen spricht dieser Tage ja sowieso mit solcher Ausdauer über die Ökonomie im Schalker Spiel, als hätte er gerade die Fortbildung auf einer Wirtschaftsakademie hinter sich. Die Schalker mussten sich fragen, ob sie die richtige Investitionspolitik in einer Partie betrieben hatten, die viel besser war, als man das hätte am ersten Spieltag erwarten können. Sie waren die Akteure, während sich ihr Gegner lange Zeit nur treiben ließ. Schalke riss das Spiel durch viel Engagement an sich, kombinierte geduldig und oft schon verblüffendgut (…) Was hingegen der Weg des großen Rivalen im Ruhrgebiet ist, darauf gab das Derby keine befriedigende Antwort. Matthias Sammer drosch wieder einmal alle an seine Mannschaft herangetragenen Ambitionen weg wie ein Vorstopper alter Schule. „Borussia Dortmund ist nicht für die Spannung der Nation verantwortlich“, sagte er. Dunkel dräuend kündigte der Coach gar an: „Es wird schwer in diesem Jahr.“ Sucht den Herausforderer der Bayern woanders, sollte das heißen, auch wenn das im Gegensatz zu den Ankündigungen während der Saisonvorbereitung stand. „Aber da mussten wir noch viele Dauerkarten verkaufen“, sagte Sammer. Torwart Jens Lehmann war auch noch nicht verkauft und die Kreuzbänder von Frings und Evanilson nicht gerissen. Dass sie nicht so leicht zu ersetzen sein werden, zeigte das Spiel in Schalke.“

Sehr gut funktionierendes Scoutingsystem

Felix Meininghaus (Tsp 4.8.) porträtiert den Mann des Tages. „Der neue Mann scheint die Zeiten kreativer Armut im Schalker Mittelfeld beenden zu können. Schon träumt Altintop davon, bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal für die Türkei aufzulaufen. Schon als Kind habe er sich dafür entschieden, für das Land seines Vaters zu spielen und nicht für Deutschland, berichtete Altintop. Seine Begründung: „Da gibt es mehr Leidenschaft.“ Für den deutschen Teamchef Rudi Völler bedeutet Altintops Entscheidung einen weiteren Verlust – denn auch Leverkusens Yildiray Bastürk oder Bremens Ümit Davala spielen lieber im Trikot mit dem Halbmond als im Dress mit dem Adler. Der türkische Fußballverband hat ein sehr gut funktionierendes Scoutingsystem aufgebaut, mit dessen Hilfe in Deutschland geborene Türken früh gesichtet und für das eigene Nationalteam verpflichtet werden.“

In der FAZ (4.8.) lesen wir über ihn. „Für die Gelsenkirchener Heimatschnulze wollte Hamit Altintop denn doch nicht Modell stehen. Von wegen einmal Schalker, immer Schalker. Der junge Türke ist zwar am 8. Dezember 1982 in Gelsenkirchen, auf Kohle, wie ein ortsansässiger Journalist jubilierte, geboren, doch deswegen war er als Kind noch lange kein Nordkurvenfan der Königsblauen. Der zu Saisonbeginn für 1,8 Millionen Euro vom benachbarten Regionalligaverein Wattenscheid 09 gekommene, überaus offensive Mittelfeldspieler bekennt sich unter Freunden sogar zu einem anderen Lieblingsklub in seinen Kindheitstagen. Gar zu Borussia Dortmund? Der Name bleibt geheim, beschied der 1,82 Meter große, im Zweifel freundlich lächelnde Mann des ersten Spieltages allzu neugierige Gemüter. Bekannt ist aber, daß er sich mit dem Blick auf seine internationale Karriere längst für sein Heimatland entschieden hat. Ich habe als Kind auch mit der deutschen Nationalmannschaft gefiebert, doch in der Türkei ist mehr Leidenschaft. Und deshalb kicken Hamit und sein zum 1. FC Kaiserslautern gewechselter Zwillingsbruder Halil Altintop heute noch für die U 21, morgen wohl auch für die A-Mannschaft der Türkei. Über seine ferne Vereinszukunft wollte Hamit Altintop deswegen noch lange nicht spekulieren. Da wollte doch jemand nach Altintops traumhaft-albtraumhafter Bundesliga-Premiere wissen, zu welchem türkischen Spitzenklub es ihn irgendwann einmal ziehen könne. Mit solchen Fragen beschäftige ich mich nicht, antwortete der über Nacht gefragte Saisonfrühaufsteiger verständlicherweise.“

Sammers Order zur taktischen Übervorsicht

Freddie Röckenhaus (SZ 2.8.) schildert Hintergründe und Stimmungen aus Dortmund. „Mit Spielern wie Rosicky, Amoroso, Ewerthon, Kehl und nun auch dem von Real Madrid geholten Super-Techniker Flavio Conceição erwartet man in Dortmund endlich auch ein wenig Spaß. Für den aber fühlt sich Matthias Sammer nicht wirklich zuständig. Als beispielsweise nach den endlich einmal halbwegs sehenswerten Kombinationen beim Ligapokal-Sieg gegen den VfL Bochum die Fans begeistert den Anbruch neuer Zeiten feiern wollten, rumpelte Sammer zornsprühend in offene Mikrophone: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Zirkus landen mit unserer Spielweise.“ Sammer spricht gern von den „Gesetzmäßigkeiten des Fußballs“ und gemahnt in solchen Momenten an einen, wenn auch rhetorisch stark aufgemotzten Berti Vogts. Das Ergebnis ist entscheidend, findet Sammer (…) Für den mit 35 Jahren jüngsten Bundesliga-Trainer Sammer baut sich erstmals persönlicher Druck auf. Dass der zweimalige Fußballer des Jahres bei der Wahl zum „Trainer des Jahres“ hinter Jürgen Klopp oder Willi Reimann landete, war ein weiteres Indiz dafür, dass man die von ihm selbst immer wieder apostrophierte „Lehrzeit“ nicht mehr verlängern will. In seiner bisweilen selbstzufriedenen Zuckertruppe rumort es ebenso, seit Sammer erhebliche Mitschuld am Ausscheiden aus der Champions League auf seine Kappe nehmen musste. In den Schlussminuten des besten Saisonspiels seiner Mannschaft, gegen Real Madrid 1:0 in Führung liegend, hatte Dortmunds Trainer zweimal falsch ausgewechselt. Bei nicht wenigen in der Mannschaft ist dieser folgenschwere Fauxpas unvergessen. Auch Sammers häufige Order zur taktischen Übervorsicht, zuletzt in der zweiten Halbzeit gegen Cottbus zu besichtigen, haben seinen Kredit bei den Spielern angenagt. Und Sammers Nibelungentreue zu formschwachen Leistungsträgern wird bisweilen ebenso kritisch registriert, wie sein umstrittenes Handling des letztjährigen Sorgenkindes Amoroso. „Fußball fängt immer mit der Basis an“, lautet eine von Sammers Alltags-Philosophien – oder: „Wir haben uns selber nicht für unsere Leistung belohnt.“ Das mag richtig sein, doch die junge Spieler-Generation, und erst recht, wenn sie aus Brasilien stammt, will öfter mal eine neue Platte hören.“

Auszüge aus einem FAZ-Interview mit Sammer (vor dem Saisonauftakt in Schalke)

FAZ: Nach der letzten Saison, die mit Platz drei zum Schluß enttäuschend endete, scheint ein gewisser Wertewandel im Team unverkennbar: Die Spieler präsentierten sich im Ligapokal konditionell in einem guten Zustand, und auch die Einstellung scheint – namentlich bei dem manchmal kapriziösen brasilianischen Stürmerstar Amoroso – deutlich verbessert.

MS: Der körperliche Zustand der einzelnen Spieler ist entschieden besser als zur selben Zeit im Vorjahr. Da hatten wir nach dem Urlaub im Sommer wie im Winter große Defizite. Wir hatten Ausgangswerte, die ich mit dem Wort Abstiegsplatz benennen möchte. Wären wir in der Verfassung, in der wir waren, noch Zweiter geworden, wäre das fast eine Sensation gewesen.

FAZ: Kam die Meisterschaft im Vorjahr für einige Spieler zu früh?

MS: Das ist gut möglich. In diesem Jahr sieht das besser aus. Amoroso zum Beispiel, der mit Tomas Rosicky sehr gut harmoniert, traue ich wieder eine starke Saison zu. Bei Tomas müssen wir aufpassen, daß er nicht glaubt, die ganze Last unseres Spiels allein tragen zu müssen. Marcio hat gute Zeichen gesetzt, wir haben im Moment einen guten Draht zueinander. Wie er jetzt arbeitet, wird er mit mir kein Problem haben.

FAZ: Schauen Sie gelegentlich etwas neidisch nach Schalke hinüber, wo zur Zeit bei dem ganzen Hype um den neuen Trainer Jupp Heynckes auch nach mäßigen Spielen wie zuletzt im UI-Cup niemand klagt und alle begeistert scheinen?

MS: Die haben im UI-Cup noch nicht so gut gespielt. Wäre Frank Neubarth dort noch Trainer, wären die Zuschauer so manches Mal schon ausgeflippt. So aber bringt der neue Trainer einen gewissen Bonus mit.

FAZ: Sie selbst sind anders als zu Beginn Ihrer Dortmunder Trainerjahre in der vergangenen Saison auch schon heftig kritisiert worden. Nagt das an Ihnen?

MS: Ich stand als Typ immer für den totalen Erfolg und habe das auch stets gepredigt. Wenn man dann auch mal selbst unter Druck gerät und Kritik einstecken muß, sollte man das ertragen können. Aus den sachlich gemeinten Kommentaren versuche ich zu lernen, die unsachlich gemeinten Äußerungen schüttle ich ab. Ich vergesse auch viele Dinge, weil ich im Leben nicht zurück, sondern nach vorn schauen möchte.

Auszüge aus einem FAS-Interview mit Rudi Assauer

FAS: Zum vierzigsten Geburtstag der Bundesliga sind viele romantische Rückblicke publiziert worden. Finden Sie auch, daß früher alles besser war?

RA: Das Spektakel ist natürlich wesentlich größer geworden. Früher konntest du am Mittwoch oder am Donnerstag in die Kneipe gehen und ein Bier trinken. Kein Mensch hat sich drüber aufgeregt. Machst du heute einen Kneipenbummel, hast du am nächsten Morgen, wenn dich einer verpfeift, die großen Schlagzeilen. Darum beneide ich die Jungs nicht. Sie müssen in jeder Lebenslage darauf achten, keinen Fehler zu machen.

FAS: Rechtfertigt das die exorbitanten Gehälter?

RA: Die Rechtfertigung sehe ich darin, daß die Spieler höhere Leistungen abrufen. Wir haben zu unserer Zeit auch Höchstleistungen erbracht, aber die sind nicht vergleichbar mit den heutigen. Gehen Sie mal nach einem Spiel in die Kabine und gucken sich die Gesichter an: Hohle Wangen, die Augen tief in den Höhlen drin, die Spieler müssen schon richtig ackern, dazu die nervliche Anspannung. Es gibt keine andere Sportart, in der jeden Samstag um 15.30 Uhr ein Wettkampf Wirtschaftsunternehmen gegen Wirtschaftsunternehmen angepfiffen wird, vor 60000 Zuschauern und vor laufenden Fernsehkameras. Wenn ich heute Ausschnitte sehe von unseren Spielen früher, dann frage ich mich, ob das die Zeitlupe ist. Wir haben falsch trainiert, wir haben uns falsch ernährt, es war alles falsch zu meiner Zeit.

FAS: Sie gelten als Macho. Hat Ihr Treppensturz, der viel schlimmer hätte ausgehen können, Ihnen ein wenig mehr Respekt vor dem Leben eingeflößt?

RA: Diese Geschichte hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich habe gemerkt, wie schnell man von der Bühne verschwinden kann, ich meine: von der Bühne des Lebens. Wenn du da unten liegst mit einem Matschauge und wenn sie dann im Krankenhaus untersuchen, ob der Schädel gebrochen ist, ob da ein Blutgerinnsel ist, dann denkst du auf einmal: Verdammte Hacke, es kann immer schnell zu Ende gehen.

Die vermutlich letzte große Herausforderung seiner Karriere

Richard Leipold (FAZ 2.8.) weiß, dass das Schalker Umfeld viel von Jupp Heynckes erwartet. “Die mediterranen Einflüsse der letzten Jahre äußern sich nicht nur in einem leichten spanischen Akzent des Rheinländers. Heynckes wirkt offener, souveräner als vor seinem Weggang. Er hat den Wert und die Macht des gesprochenen Wortes zu schätzen gelernt. Und er ziert sich nicht, es zuzugeben. Vor zehn Jahren habe ich den Medien nicht soviel Bedeutung beigemessen. Heute bin ich kommunikativer. Inzwischen nutzt Heynckes die Medien, um gewisse Dinge zu transportieren, um eine Stimmung zu erzeugen, die der Mannschaft nützlich ist. Wie einst Valdano, einer seiner Vorgänger bei Real Madrid. Dieser Trainer habe den Verein und den Fußball fabelhaft verkauft, sagt er. Valdano ist ein Poet. Heynckes ist eher ein prosaischer Typ. Aber die spanische Lebensart scheint eine Verkrampfung in ihm gelöst zu haben. Er verbreitet soviel Zuversicht wie kein anderer Bundesligatrainer, der neu in diesen Klub kam. Die Depressionen der vergangenen Saison sind auf skurrile Art in ein Hochgefühl umgeschlagen, an der Basis, aber auch in der Mannschaft. Die Spieler, zuletzt ein disziplinloser Haufen, folgen ihrem neuen Vorgesetzten, daß er selbst manchmal staunt, etwa vor der Abfahrt zum gemeinsamen Mittagessen. Wenn ich um dreizehn Uhr fünfzehn zum Bus komme, sitzen die Spieler schon drin. Heynckes legt fest, was die Profis zu tun und zu lassen haben, weil bestimmte Regeln für das Leben und Arbeiten in einer Gruppe unverzichtbar seien. Verstöße gegen die Ordnung zu ahnden überläßt er der Mannschaft. Die Spieler regeln das untereinander, sagt er (…) Heynckes vermittelt seine Lehre charmanter als früher. Der unflexibel wirkende Prinzipienreiter ist irgendwo in Spanien auf der Strecke geblieben. Ich kann mich besser in Spieler hineinversetzen, sagt Heynckes, auch in sensible Naturen aus anderen Kulturkreisen. Heynckes spürt, daß die Fans und der Verein viel von ihm erwarten, vielleicht zu viel, aber das macht ihm nichts mehr aus. Ich bin immun gegen Euphorie und gegen Enttäuschungen, behauptet er. Vielleicht geht er deshalb so offensiv an die vermutlich letzte große Herausforderung seiner Karriere heran.“

Der Klub mag einen harten Mann gesucht haben, bekommen hat Schalke vor allem einen Fußballlehrer

Christoph Biermann (SZ 2.8.) teilt dazu mit. „Verblüffend viel Vorschuss hat Heynckes beim Publikum bekommen, seit er vor fünf Wochen als neuer Trainer vorgestellt wurde. Bei seinem ersten Auftritt in der Arena AufSchalke wurde er am vergangenen Samstag mit Ovationen gefeiert, doch immer noch ist seine Mannschaft eine Baustelle. Die Verletzungsprobleme des vergangenen Spieljahres setzten sich auch in der Vorbereitung auf die neue Saison fort. Gegen Dortmund werden Mpenza, Böhme, Oude-Kamphuis und Van Hoogdalem auf jeden Fall fehlen, eine Reihe weiterer Spieler konnte nicht das komplette Trainingsprogramm absolvieren. „Der Mannschaft muss man Zeit lassen“, sagt Assauer und wird wissen, dass dieses Argument für das Spiel gegen den größten Rivalen außer Kraft gesetzt ist. Allerdings ist das neue Schalke in Umrissen zu erkennen, am Mittwoch etwa, beim Spiel im UI-Cup gegen Slovan Liberec, das Schalke spät mit 2:1 gewann. Heynckes ging dabei ein großes Risiko ein, als er Spieler testete, die gegen Dortmund kaum auf dem Platz stehen werden. Trotzdem wurde deutlich, um was es ihm geht, als er die Leistung kommentierte. Immer wieder sprach Heynckes von der Ökonomie im Spiel, als wäre er angestellt, um bei Schalke die Energieverschwendung einzudämmen. Der Trainer beklagte, dass sich die Stürmer Ebbe Sand und Mike Hanke zu viele halbhohe Bälle zugespielt hätten, die schwierig zu verarbeiten sind und die die Leichtgängigkeit der Kombinationen behindern. Insgesamt hätte seiner Mannschaft die „innere Ruhe“ gefehlt: „Man kann nicht Fußball spielen, wenn man schon an den zweiten Schritt denkt bevor man den ersten erledigt hat.“ Als Beispiel galt ihm Christian Poulsen, Defensivspieler im Mittelfeld, der sich zu aufgedreht in die Zweikämpfe gestürzt hätte. Einen „ruhigen, klaren“ Spielfluss will Heynckes herstellen, also kultivierten Fußball (…) Selbst zuletzt noch hatte Assauer davon gesprochen, dass er auf der Suche nach einem Trainer war, der die Disziplin der im Vorjahr aus dem Ruder gelaufenen Mannschaft wiederherstellen sollte. So konnte man leicht auf die Idee kommen, dass der neue Coach vor allem den strengen Zuchtmeister geben würde, aber das hat sich als Missverständnis erwiesen. Der Klub mag einen harten Mann gesucht haben, bekommen hat Schalke vor allem einen Fußballlehrer. Von Disziplinierungen ist jedenfalls kaum noch die Rede nach dem zunächst mit großem Brimborium eingeführten Acht-Stunden-Tag bei Schalke.“

Philipp Selldorf (SZ 4.8.) glossiert. „Im zivilen Leben ist Tomasz Hajto eine liebenswerte Persönlichkeit, obwohl man sich ganz schön erschreckt, wenn er mittags des Weges kommt und mit dröhnender Stimme „Mahlzeit“ wünscht. Hajto, 31, seit 1997 Bundesligaprofi und in der vierten Saison eine Abwehrgröße beim FC Schalke 04, strahlt eine Ruhe aus, die einem dunklen Tümpel gleicht: tief und friedlich oder undurchsichtig und gefährlich. Kenner halten ihn für fähig, einen Transporter mit Nitroglyzerin über felsige Gebirgspisten zu steuern: im Unterhemd, vor sich hin singend und mit brennender Zigarette im Mundwinkel (mit dem Tabak hatte er allerdings zuletzt seine Not, weil er zuhause ein paar Stangen ohne Steuerzeichen verwahrt hatte, was ihm die Polizei als Schmuggel auslegte). Hajto verfügt also über eine Erscheinung und eine innere Balance, die ihn für seinen Posten im harten Alltag der Bundesliga prädestiniert. Was aber niemand weiß: Tomasz Hajto pflegt ein nettes, kleines Hobby. Mit Leidenschaft sammelt er Gelbe Karten und ist dabei auch sehr erfolgreich. In 166 Spielen konnte er bereits 61 Stück einstecken. Ehrensache, dass er sich wie in der vergangenen Saison auch diesmal Schalkes Premierenkarte sicherte. Mit einem Foul an Amoroso, das seinem geradlinigen Stil beispielhaft gerecht wurde: einem kraftvollen Rempler, in den sich gar nicht subtil ein böser Tritt mischte. Die Gelbe Karte des Spielleiters nahm Hajto, den Tatort sofort verlassend, mit komplett ausdrucksloser Miene zur Kenntnis. Alte Schule nennt man so was in Treterkreisen.“

Bayer Leverkusen – SC Freiburg 4:1

„Lucio nicht mehr alleinverantwortlich für brasilianische Momente“, schreibt Richard Leipold (FAZ 4.8.). “Es gibt sie doch, die brasilianischen Momente im Leben der Leverkusener Fußballgemeinde, und neuerdings nicht mehr nur, wenn Lucio mit Elan und Esprit das Publikum bezaubert. Der Abwehrstratege mit dem oft unwiderstehlichen Drang nach vorn hatte sich sogar im Abstiegskampf der vergangenen Saison als rettender Engel in Stollenschuhen bewährt. Kaum ist der Albtraum zu Ende, ist Lucio nicht mehr allein auf weiter Flur. Beim 4:1 über den SC Freiburg schwangen sich seine drei Landsleute in der Mannschaft dazu auf, den Primus als kongeniale Partner zu unterstützen und die Depressionen unterm Bayer-Kreuz zu vertreiben. Ihr Rezept, nicht ganz frei von Risiken, aber letztlich ohne Nebenwirkungen, war Fußball pur, so hochdosiert wie an diesem Ort seit mehr als einem Jahr nicht (…) Während Franca nach einem frustrierenden Jahr der Eingewöhnungszeit offenbar in Leverkusen angekommen ist, profitiert Ponte offenbar von seinem zweijährigen Zwischenaufenthalt in Wolfsburg. Dort habe er viel gelernt, sagt der italienische Brasilianer, dessen erster Versuch in Leverkusen grandios gescheitert war. Ob die Wolfsburger seine Lauffreude geweckt haben? Oder war es doch Klaus Augenthaler? Der Übungsleiter hatte ihm in der Woche bedeutet, es dürfe, ja müsse schon ein wenig mehr sein. Wer immer ihn zu neuen Taten animiert hat, Ponte interpretierte Fußball, trotz hochsommerlicher Hitze, auch als Laufspiel. Und der Trainer hob den pädagogischen Wert des Auftritts heraus. Wie ich trainiere, so spiele ich auch. Falls diese Gleichung stimmt und die Leverkusener die von Augenthaler bemängelte Feinabstimmung in der Abwehr im Training verbessern, könnte Bayer sein Niveau stabilisieren oder gar steigern. Wenn die Freiburger ihr zuweilen gefälliges Paßspiel aufzogen, fehlte es den durch und durch brasilianisch angehauchten Rheinländern noch an deutscher Gründlichkeit. So bekamen die Breisgauer die Gelegenheit, ihrem verpatzten Auftakt noch etwas Gutes abzugewinnen. Im Spiel nach vorne haben wir Bundesliganiveau, sagte Trainer Volker Finke. Die Freiburger Abwehr indes hat noch mehr Arbeit vor sich als die Defensive der Leverkusener.“

Erik Eggers (Tsp 4.8.). „Der Trainer verkörpert eine Unaufgeregtheit, die mittlerweile alle Verantwortlichen ergriffen hat, selbst dem sonst so rhetorisch hochtourigen Manager Reiner Calmund, dem am Sonnabend lediglich ein „ich bin glücklich“ zu entlocken war. Überhaupt: Die Einstellung des ganzen Teams jedenfalls vermittelte den Eindruck, als würde es vom ersten Spieltag gegen den Abstieg spielen. Womöglich hat nicht nur Rückkehrer Ponte einen Lernprozess hinter sich.“

Christoph Kieslich (taz 2.8.) heißt die Freiburger im Oberhaus willkommen. „Blühender und glänzender denn je kommt er zurück von der Ehrenrunde über Lübeck und Burghausen. Zum zweiten Mal nach 1998 haben zuverlässige Techniker einen Betriebsunfall Abstieg sauber repariert und dabei noch den Kostenvoranschlag eingehalten. Chapeau. Selbst die große Dürre dieses Sommers haben sie im Breisgau ohne Schaden überstanden. Satt ist das Grün in Mösle- und Dreisamstadion dank Greenkeeper Albert Melcher, einer der wertvollsten Personalakquisitionen der vergangenen Jahre (ablösefrei von Bayer Leverkusen). Und während die Saison dräute, haben es die Freiburger so gehalten, wie sie es immer gemacht haben seit 1993, als das Wunder Bundesliga geschah. Sie ducken sich ein bisschen hinter den anderen und machen sich kleiner, als sie eigentlich sind. Einfach nur Klassenerhalt, sagt Achim Stocker, seit 1972 Vorsitzender des Sport-Club und so etwas wie der Verfechter des Minimalismus. Es ist Unsinn zu sagen, wir stehen vom ersten Tag an im Abstiegskampf, widerspricht Volker Finke. Der ist seit 1991 SC-Trainer, aber kein Freiburger, sondern Niedersachse, und unterliegt schon qua Herkunft nicht dem badischen Skeptizismus: In der Bundesliga gibt es für sieben, acht, vielleicht sogar zehn Mannschaften keine Garantien. Ein unglücklicher Start, Verletzte, ein paar knappe Spiele, die allesamt schief gehen – schon hat man den Salat.“

1. FC Kaiserslautern – 1860 München 0:1

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 4.8.) sorgt sich um Lauterer Gemüter. „Jetzt geht das wieder los! Auf der Tribüne des Fritz-Walter-Stadions wurde dieser Satz, der nur selten in Frageform variiert wurde, zum geflügelten Wort. Dabei waren die meisten Anhänger des 1. FC Kaiserslautern doch als Optimisten hinauf auf den Betzenberg gepilgert. Nach dem 0:1 zum Bundesliga-Auftakt gegen den TSV München 1860 schlug die Stunde der Pessimisten. Sie wollten mit ihrem FCK fiebern, aber nicht schon wieder um ihn zittern müssen. Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben mit Blick auf die übers Wochenende beträchtlich gestiegene Hypothek, die auf der Mannschaft lastet. Zum nicht wie geplant auf Anhieb getilgten Abzug von drei Punkten wegen Verstößen gegen Lizenzierungsauflagen kommt der akute personelle Engpaß im Abwehrverbund. Innerhalb von gut zwanzig Minuten verloren die Lauterer Bill Tchato per Platzverweis, Kapitän Aleksander Knavs durch Mittelhandbruch, Hany Ramzy gar mit einem Kreuzbandanriß. Weil Miroslav Klose beim Foulelfmeter den Ball an den Pfosten setzte, Marian Hristow ebenfalls den Außenpfosten traf, dem Münchner Markus Schroth aber kurz vor dem Halbzeitpfiff der Treffer des Tages gelang, verloren die Pfälzer auch noch die Partie. Es muß ihnen vorgekommen sein, als hätten sich die Fußballmächte mal wieder gegen sie verschworen. Dieses Gefühl kennen sie doch noch vom Vorjahr zur Genüge. Es ist dieses Gespinst aus Erinnerungen, das sie bannen wollen.“

Die äußeren Bedingungen waren unmenschlich

Bei fast 40 Grad litt Christian Zaschke (SZ 4.8.) mit. „Die Spieler haben später nichts davon gesagt, vielleicht waren sie zu erschöpft. Vielleicht war es auch auf dem Fußballplatz im Fritz-Walter-Stadion – da ja das Wetter immer unberechenbarer wird – aus unerfindlichen Gründen kühler als im Rest von Kaiserslautern an diesem Samstagnachmittag. Es waren die Trainer, die sich überboten in Beschreibungen des Wetters. Während der Lauterer Erik Gerets eine „unmenschliche Hitze“ ausmachte, erging es Falko Götz so: „Du machst keine Bewegung, und es läuft trotzdem runter.“ Dann war es Götz, der analysierte: „Die äußeren Bedingungen waren unmenschlich.“ Gerets teilte mit, er habe „noch nie so geschwitzt“. Einig waren sich beide darin, dass die Temperatur bei „über 50 Grad“ gelegen haben musste. 50 Grad Celsius ist in etwa die Temperatur der klassischen Dampfsauna (über die bereits 430 v. Chr. Herodot in einem Text über die Badegewohnheiten der Skythen berichtete). Es wird empfohlen sich darin 15 bis 20 Minuten aufzuhalten, keinesfalls länger, da sonst der Kreislauf zu sehr belastet wird. Die Verteidigung des 1. FC Kaiserslautern folgte diesem Rat weitgehend, noch vor Ablauf der ersten Halbzeit hatten drei von vier Abwehrspielern den Platz verlassen (siehe nebenstehenden Bericht). Der TSV 1860 hingegen schlug alle althergebrachten medizinischen Warnungen in die stehende Luft und rannte und kämpfte, als könne man durch eifriges Rennen und Kämpfen den Körper kühlen. Und da auch der FCK eine kämpfende Mannschaft ist, erlebten die knapp 36000 schwitzenden Zuschauer auf dem Betzenberg zwar kein sonderlich gutes Fußballspiel, aber rennende, schwitzende Männer am Rande der Erschöpfung, denen sitzende, schwitzende Männer Kommandos zuriefen, 90 Minuten lang. Ein Spektakel. Sehr gut kam bei den Sechzigern der hoch gehandelte Zugang mit der Hitze zurecht, der Finne Janne Saarinen. Sicherlich hat er eine gewisse Vorbildung in Sachen Hitze, da die finnische Sauna auf 80 bis 100 Grad erwärmt wird, dies allerdings bei sehr trockener Luft.“

Bayern München – Eintracht Frankfurt 3:1

Philipp Selldorf (SZ 4.8.) sah einen dominanten Meister. „Traurig sah er aus, melancholisch. Wie er mit schlurfenden Schritten über die Laufbahn schlich, dem Spielfeld den Rücken zukehrend, die Schultern gedrückt, den Kopf gesenkt, als ob große Sorgen ihn beschwerten. Um ihn herum tobten die Leute vor lauter Vergnügen am zauberhaften Spiel der Bayern, nur Bazi, das Münchner Maskottchen, behielt seine ins Kostüm eingewobene Rolle als stiller Mahner bei. Die seltsame Figur mit dem viel zu großen Kopf, eine Hinterlassenschaft aus Zeiten, als die Spaßindustrie im Stadion noch mit einfachsten Mitteln arbeitete, wirkt in ihrer Trübseligkeit immer noch wie eine Erinnerung daran, dass jedes Spiel und das ganze Leben zwei Seiten hat. Die andere Seite verkörperten die Spieler von Eintracht Frankfurt, die einem während der ersten Halbzeit Leid tun konnten, weil sie dem Favoriten so unterlegen waren. Ihr albanischer Mittelfelddirigent Ervin Skela bemühte sich hinterher, deutlich zu machen, dass er und seine Mitspieler tatsächlich versucht hatten, Zweikämpfe mit den Münchnern auszutragen. „Aber die sind so schnell“, klagte er, „den Zé Roberto kriegst du nicht mal zum Foulen.“ Auch Münchens Dauerläufer Hasan Salihamidzic, von seinem zweiten Kreuzbandriss offenbar folgenlos genesen, musste etwas klar stellen: „Das war auf jeden Fall ein Bundesligaspiel.“ Die Vergeblichkeit des Frankfurter Versuchs illustrierte zwischenzeitlich die Anzeigetafel, die unverlangt einblendete, dass die Bayern am 25. Januar 1975 das letzte Mal nach einer 2:0-Führung ein Heimspiel verloren hatten. Bald darauf stand es 3:0, weshalb die Frankfurter Spieler später reihum gefragt wurden, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden seien, was sie keineswegs als Beleidigung zurückgewiesen haben. Die Bayern waren natürlich nicht (ganz) zufrieden. Die zweite Halbzeit, so monierte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, habe zu wünschen übrig gelassen. „Wär’ schöner, wenn sie durchgespielt hätten“, meinte er, nachdem die Mannschaft sich in der zweiten Halbzeit damit begnügt hatte, ihre Führung zu verwalten. Aber andernfalls wäre es auch nicht der echte FC Bayern gewesen, der diese Gewohnheit schon immer gerne vertreten hat: Während der ersten Halbzeit überfahren sie den Gegner mit Karacho, in der zweiten rollen sie gemächlich heimwärts.“

Hamburger SV – Hannover 96 0:3

Frank Heike (FAZ 4.8.) erkennt Überheblichkeit als Ursache der Hamburger Niederlage. “Tänzerisch, ballettartig, leichtfüßig, so wollte der HSV den Gegner an diesem glühendheißen Samstagnachmittag vorführen. Ein halbes Dutzend Mal war die Hacke im Spiel, dann wurde der Ball kunstvoll mit dem Außenrist über den Rasen gestreichelt, Minuten später paßten Cardoso und Beinlich sich die Kugel in Kopfhöhe zu. Das konnte nicht gutgehen. Mit einem Hauch von Arroganz im Spiel und viel zu selbstgefällig verlor der HSV. Wieder einmal hatte sich gezeigt, daß eine meisterliche Vorbereitung mit Siegen gegen die Großen der Liga zwar die Grundlage für eine gute Saison sein kann, jeder Sieg in der ausgeglichenen Bundesliga aber vor allem erkämpft werden muß. Keine Rede war mehr vom Bayern-Jäger. Ehrlicherweise muß man sagen, daß alle Kraftausdrücke der neuen Hamburger Stärke vor allem Ideen der lokalen Tageszeitungen gewesen waren, während Jara und Sportchef Beiersdorfer vor dem schwersten, dem ersten Gegner gewarnt hatten. Nüchtern bewertete Beiersdorfer dann auch die Niederlage. Er hofft wohl, genau wie Jara, daß der HSV eines der Spiele, in denen gar nichts läuft und die jede Mannschaft irgendwann einmal durchleiden muß, gleich zu Beginn hinter sich gebracht hat. Natürlich waren alle Hamburger Profis schuld an der ersten Heimniederlage seit 15 Spielen, aber Lars Jacobsen und Christian Rahn vielleicht noch ein bißchen mehr als der Rest. Jacobsen gegen Mohammadou Idrissou und Rahn gegen Jirí Stajner, das war wie Oberliga gegen Bundesliga. Rahn, auch ein Sieger des Sommers, tummelte sich zumeist auf vorderen Plätzen, ließ den erstaunlich laufstarken Stajner gewähren und zum Mann des Tages werden, Jacobsen hatte irgendwann gar keine Lust mehr, gegen den schnellen, zielstrebigen Idrissou zu spielen: Er blieb einfach stehen.“

Selbstsicherheit allein garantiert nicht Erfolg

Im Gegensatz zu den zurückgebundenen Hamburgern können die Hannoveraner, laut Jörg Marwedel (SZ 4.8.), zufrieden sein. „Es war eine Woche, die den Marketingstrategen vom Hamburger SV noch lange in Erinnerung bleiben wird. Erstmals seit 16 Jahren war mit dem Gewinn des Ligapokals ein neuer Titel dazugekommen, eine feine Sache für Briefkopf und Akquise. Die lokalen Medien kündigten Großes an: Dieser HSV, trommelten sie, könne „Meister werden“, zumindest aber „Bayern-Jäger Nummer eins“. Ein neuer Trikotsponsor wurde vorgestellt, der 25000. Dauerkartenbesitzer beschenkt. Und das geliftete Stadionmagazin „HSVLive“ wies mit dem modisch aufgemotzten Zugang Stefan Beinlich den Weg in die Zukunft. Was fehlte zu dieser perfekten Inszenierung, war nur noch ein Sieg zum Bundesliga-Auftakt gegen Hannover 96; alles andere käme, so HSV-Chef Bernd Hoffmann, einem „Desaster“ gleich. Und dann ist es eingetreten, das Desaster. Es war die erste Heimniederlage der Hamburger seit fast einem Jahr und der größte anzunehmende Unfall. Einer, der die Glaubwürdigkeit der wunderbaren PR-Botschaften gleich aufs Heftigste erschütterte. 53000 Augenzeugen hatten gesehen, dass Werbung und Wahrheit im Fußball oft auseinander klaffen wie Vorbereitungszauber und Bundesliga-Alltag. Und vor allem: dass Selbstsicherheit allein Erfolg nicht garantiert (…) Simak, das in Leverkusen verzweifelte Genie, scheint sein Glück in jenem „hässlichen Hannover“ wiedergefunden zu haben, als das er die Stadt vor anderthalb Jahren beschimpfte, um seine Freigabe zu provozieren. Knapp 10000 mitgereiste Fans bereiteten ihm Ovationen. Sie haben ihm längst verziehen, denn „im Grunde“, so Rangnick, „haben sie ihn immer geliebt“. Der Trainer wiederum drückte seine Freude über den „Reifeprozess“ seines Teams und den Beitrag des Heimkehrers und seines kongenialen Landsmannes Stajner etwas verquast-pädagogisch aus: „Wenn ich sehe, wie die Jungs miteinander umgehen, hat die Binnenstruktur keinen Schaden genommen.“ So bleibt vorerst nur ein Problem: das eisige Verhältnis zwischen Präsident Martin Kind und den Anhängern, die weiter gegen die drastisch erhöhten Eintrittspreise in Hannover rebellieren und deshalb von Kind hören mussten, es gebe in Hannover „keine Fankultur“. Diesmal hielten sie ein Plakat hoch mit der Botschaft: „Ein Präsident, der uns verachtet, hat unsern ganzen Hass gepachtet.““

Selten war die Arbeitsaufteilung so eindeutig beim HSV

Frank Heike (FAZ 2.8.) lobt die HSV-Führung. „Die positive Grundstimmung haben zuvorderst die neuen Verantwortlichen mit ihrer akribischen Arbeit geschaffen. Sie erzeugen die Rahmenbedingungen für erfolgreiches sportliches Arbeiten. Manchmal kalt bis ans Herz haben Hoffmann und vor allem der nach außen so smarte, in Wirklichkeit aber knallharte Beiersdorfer den Kader ausgedünnt. Publikumslieblinge wie Erik Meijer oder Martin Groth mußten gehen, teure Fehlgriffe wie Marek Heinz, Cristian Ledesma oder Marcel Ketelaer ebenfalls. Auch die Österreicher Kitzbichler und Baur, die Trainer Kurt Jara vor einem Jahr in einer Anwandlung von landsmannschaftlicher Verbundenheit mitbrachte, fielen durchs Rost der Sparkommissare. Der Kader ist nun kleiner und besser zu trainieren. Zugänge wurden allein gemäß der Vorgabe billig und entwicklungsfähig verpflichtet. Die Linie von Trainer Jara, der vor allem auf fertige Spieler setzt, die den Kern seiner Elf bilden (Hoogma, Cardoso, Barbarez), setzte sich nur einmal durch – die Verpflichtung Stefan Beinlichs war der ausdrückliche Wunsch des Trainers. Andere Risiken ging der HSV nicht ein. Das darf er auch nicht. Es geht nämlich einzig und allein darum: Den HSV zu sanieren. Mehr als 14 Millionen Euro Schulden stehen zu Buche – trotz der Champions-League-Teilnahme 1999/2000, trotz eines herausragenden Zuschauerschnitts. Sparen, sparen, sparen heißt es beim HSV. Als die Profis im ersten Trainingslager auf Amrum allergisch auf das Thema Prämienkürzungen reagierten und auch spätere Verhandlungsrunden wenig Einsicht hervorbrachten – die Spieler hatten das Gefühl, im administrativen Umfeld werde Geld ausgegeben (durch die Einstellung des vierten Vorstandsmitglieds Katja Kraus etwa), welches bei ihnen eingespart werden sollte –, gingen die Verantwortlichen mit gutem Beispiel voran: Sie verzichteten auf acht Prozent ihrer Gehälter. Im Gegenzug wird der HSV seinen Profis bis zum Winter keine Prämien zahlen. Nach dem erheblichen Bilanzverlust dreht der HSV kräftig an der Kostenschraube(…) Selten war die Arbeitsaufteilung so eindeutig beim HSV: Denn Jara kümmert sich überhaupt nicht um Administratives, nur um den Sport. Hoffmann wiederum läßt Trainer und Sportchef Freiräume, wobei Beiersdorfer in der klassischen Rolle des modernen Fußball-Managers agiert. Er ist sehr nah an der Mannschaft, kennt aber die wirtschaftlichen Zwänge. Hoffmann, der spröde und wenig volksnah wirkt, hat sich den vielen HSV-Fans im Norden durch ein populäres Vorhaben angenähert – er möchte das Trainingsgelände der Profis vom Ochsenzoll in die Nähe der AOL-Arena verlegen. Stadion, Übungsstätte, Fanrestaurant und Fanshop auf einem Areal, das fehlt dem HSV noch. Gespräche mit der Stadt haben schon stattgefunden. Es ist wichtig, bei allen Verhandlungen um Gehaltskürzungen und neue Sponsoren die Fans nicht zu vergessen. Das ist Hoffmanns Vorgänger Hackmann weniger gut gelungen.“

Hertha Berlin – Werder Bremen 0:3

Spielerische Qualität kann nicht herbeigepredigt werden

Christian Ewers (FAZ 4.8.) fällt ein hartes Urteil über die ambitionierten Berliner. “Als Andreas Neuendorf an der Kabinentür angekommen war, drehte er sich kurz zur Seite, hob beide Arme wie ein Angeklagter vor Gericht und rief in das Knäuel der wartenden Journalisten: Ich sag‘ nix, ich sag‘ nix! Mal abgesehen davon, daß niemand etwas wissen wollte von Neuendorf, weil er neunzig Minuten auf der Ersatzbank gesessen hatte, muß das selbstauferlegte Schweigegebot als kluge Entscheidung gewertet werden. Viele von Neuendorfs Kollegen im Team von Hertha BSC waren nämlich übermannt worden von diesem ersten Saisonspiel in der Fußball-Bundesliga, das 0:3 gegen Werder Bremen verlorengegangen war. Wir haben heute nur Rotz gespielt, schnaubte Fredi Bobic, der Stürmer. Das war ganz großer Mist, stammelte Michael Hartmann, der Flügelspieler. Und Niko Kovac, der Mittelfeldspieler, sagte leise: Es lief einfach beschissen, von der ersten bis zur letzten Minute. So arbeitete Hertha BSC Berlin seinen mißlungenen Start in die neue Saison auf: schimpfend, fluchend und kopfschüttelnd. Fassungslosigkeit machte sich breit (…) Anspruch und Leistungsfähigkeit liegen bei Hertha im Moment so weit voneinander entfernt, daß die nahe Zukunft ungemütlich werden dürfte. Von der Champions League, wie bei dem einen oder anderen während der Einstimmung auf die Saison, ist vorerst jedenfalls keine Rede mehr. Die Partie gegen Bremen hat gezeigt, daß Hertha ein strukturelles Problem belastet, das nicht innerhalb von wenigen Tagen gelöst werden kann. Die Abwehr um Dick van Burik stellt den größten Schwachpunkt im Berliner Spiel da, die Zuständigkeiten sind nicht eindeutig verteilt, und für einige Jobs gibt es im Moment schlicht kein Personal. Der Bremer Stürmer Ailton zum Beispiel rannte der Berliner Innenverteidigung auf seinen kurzen Beinen einfach davon. Resigniert stellte Niko Kovac fest: Bremen hat uns heute nicht niedergekämpft, sondern niedergespielt. Diese Einsicht ist besonders schmerzhaft für eine international ambitionierte Mannschaft wie Hertha BSC Berlin. Kampf und Leidenschaft wären mit einer flammenden Rede schnell zu wecken – spielerische Qualität jedoch kann nicht herbeigepredigt werden.“

VfL Wolfsburg – VfL Bochum 3:2

Javier Cáceres (SZ 4.8.) ist vom spektakulären Wolfsburger Neuzugang angetan. „Die Vollendung seiner letzten Aktion, das Siegtor zum, bekam Andrés D’Alessandro, nicht mit, denn der neue Regisseur des VfL Wolfsburg krümmte sich am Boden. Er hatte laboba zur Aufführung gebracht, einen Trick, der darin besteht, den Ball unter der Sohle hin- und herzuschieben, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen (und den ein früherer Mitspieler D’Alessandros bei River Plate deshalb „die Dumme“ getauft hatte, weil das Opfer vergleichsweise dämlich dasteht). Bochums defensiver Mittelfeldmann Thomas Zdebel vergolt es dem Argentinier mit einem Tritt an den Knöchel, als der Ball schon längst woanders war und der Spielzug seinen unvermeidlichen Lauf genommen hatte. Stürmer Diego Klimowicz hatte D’ Alessandros Eingebung verstanden und den Ball zum Kollegen Martin Petrov weitergepasst. Dem Bulgaren war es ein Leichtes, einzuschießen, auch weil der Referee seine Abseitsstellung übersah, wie Bochums Coach Peter Neururer zu Recht beklagte. Kaum 120 Sekunden später, nach 76 Minuten, durfte D’Alessandro seinen ersten Bundesliga-Arbeitstag beenden, und es gab einige unter den 15976 Gästen in der Wolfsburger Arena, die sich von ihren Plätzen erhoben, um ihm zu applaudieren. Auch mamá Gladys, die aus Buenos Aires herbeigeeilt war und, wie die Welt am Sonntag beobachtet haben will, auf der Tribüne ganze „Ströme an Tränen“ vergoss. Ganz so rührend war der D’Alessandros Auftritt zwar nicht, der teuerste Neuzugang der laufenden Bundesliga-Transferperiode (neun Millionen Euro) deutete aber an, dass ihm sein vorzüglicher Ruf nicht grundlos vorauseilt.“

Achim Lierchert (FAZ 4.8.). „In Zeiten, in denen die Schauplätze der Bundesliga nicht mehr Stadion, sondern Arena heißen, scheint es bis zum Auftritt eines Stiers nicht mehr weit. So geschehen in Wolfsburg, im neuen, Volkswagen Arena getauften Prunkpalast des VfL. Peter Madsen, Stürmer der dort am Samstag zum Saisonauftakt angetretenen Mannschaft des VfL Bochum, jedenfalls machte sein Treffer zum zwischenzeitlichen 1:2 so richtig wild. Wie von einem roten Tuch gereizt, rannte der Däne danach zur Bank des VfL Wolfsburg und formte dort vor Trainer Röber die Hand vor der Stirn zu zwei Hörnern. Aber warum nur? Auf Geheiß von Jürgen Röber war Madsens Leihvertrag beim VfL Wolfsburg im Sommer nicht in einen festen Vierjahreskontrakt umgewandelt worden. Der Verschmähte schied im Zorn, heuerte beim VfL Bochum an und zeigte es nun seinem ehemaligen Arbeitgeber. Am Ende dieser ausgeglichenen Partie VfL gegen VfL freilich triumphierte Wolfsburg, wenn auch mit Hilfe des Ergoldinger Schiedsrichters Stark, der dem entscheidenden Treffer von Martin Petrov zum 3:2 trotz Abseits nicht die Anerkennung verwehrte. Die Wolfsburger hatten zwar gewonnen, aber noch lange nicht geglänzt. Das galt auch für den neuen Star, Andres D‘Alessandro.“

taz-Spielbericht

„Stürmer Martin Max muss sich wieder einmal beweisen – nun in Rostock“BLZ

Hansa Rostock – VfB Stuttgart 0:2

Martin Hägele (NZZ 4.8.) über den Matchwinner. „Von Szabics, von Sturm Graz ins Schwabenland gekommen, hatten die VfB-Fans bisher noch nicht viel gehört und gesehen, in der Vorbereitungsphase hatte sich der gleichfalls 22-jährige Cacau als erste Wahl im Angriff aufgedrängt. Doch nur eine Viertelstunde nach seinem Bundesliga-Début schrieb dieser Szabics das erste Erfolgskapitel der Stuttgarter in der Saison 2003/04. Innerhalb von 80 Sekunden machte er mit einem Kopfball und dann per Solo den Sieg perfekt. Zu beiden Toren hatte übrigens der für dieses Match als Balakow- Nachfolger vorgesehene Altinternationale Heldt die Vorlagen geliefert; beide Male sah Hansa- Keeper Schober, im Vorjahr noch der “Mister Zuverlässig” von Rostock, nicht besonders gut aus. Aus den Gesten und Tönen am Spielfeldrand lassen sich jedoch erste Hochrechnungen ableiten. Die Art und Weise, wie Teamchef Magath nach den Treffern seines eingewechselten Stürmers die Faust ballte, lässt darauf schliessen, dass weder die Überraschungsmannschaft der letzten Runde noch der «Trainer des Jahres» schon satt geworden sind von all dem vielen Lob und den ganzen Ehrungen. Es scheint doch noch einiges an Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft im jüngsten aller Bundesligateams zu stecken. Was Rostock betrifft, machen sich die Fans aber Sorgen, dass es heuer auch die letzte Bundesligamannschaft aus der ehemaligen DDR erwischen könnte. Die Zuschauer pfiffen jedenfalls kräftig, auch weil sie sich mit dem unattraktiven Stil, den ihr Team gerade bei Heimspielen pflegt, schon im vergangenen Jahr nicht identifizieren konnten. Viele solcher Vorführungen darf sich Trainer Veh im Ostsee-Stadion nicht mehr leisten. So schön die Kulisse durch den Umbau geworden ist, umso gefährlicher kann sich die Atmosphäre dort entwickeln.“

zur Lage der Liga

am Dienstag auf indirekter-freistoss: mehr über die Sonntagsspiele

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Vom Blaumann der Geschichte gestreift

22. Spieltag im Pressespiegel „Bremer Aktien steigen“ (FAS); ValérienIsmaël „weicher Akzent, harter Schuss“ (FTD); „Bremens Kampf dem Zauberfußball“ (Tagesspiegel) – „Es gibt Bälle, die sogar Oliver Kahn hält“ (FAZ) – „Stuttgarter Fastenwochen“ (FAZ); „Stuttgarts Lähmung im Kopf“ (SZ); VfL Bochum, „vom Blaumann der Geschichte gestreift“ (SZ) – „über Bayer Leverkusen wundert sich niemand mehr“ (SZ) u.v.m.

Werder Bremen – Borussia Dortmund 2:0

Ein Profi, dem das Team am Herzen liegt

Frank Heike (FAZ 1.3.) stellt uns den Mann des Tages vor: „ValérienIsmaël spricht besser Deutsch als Ailton (fünf Jahre in Bremen) und viel besser als Micoud (anderthalb Jahre in Bremen). Bremen ist mein Arbeitgeber, ich lebe in Deutschland, da muß ich die Sprache können, sagt Ismaël. Allofs hat den Ausleihvertrag gerade in einen regulären Kontrakt bis 2007 verwandelt. Der Abwehrchef ist ein Spieler mit großem Selbstbewußtsein, ein Profi, dem das Team am Herzen liegt: Keiner in der Mannschaft spricht so viel mit den anderen wie der 28 Jahre alte Franzose. Er baut auf, er kritisiert, er staucht zusammen, er ist von Minute eins an präsent. Und er versteht die hohe Schule der Einschüchterung. Ein Führungsspieler eben, einer, der Bremen lange gefehlt hat. Ismaël hat in allen französischen Auswahlmannschaften bis auf das A-Team gespielt. Der ganz großen Laufbahn standen seine Hitzköpfigkeit und der manchmal übertriebene Drang zur Mitsprache im Weg: Bei Straßburg hatte er sich mit Trainer Ivan Hasek angelegt und war auf die Tribüne verbannt worden. In Bremen nimmt Thomas Schaaf gern den Rat seines Profis an (oder hört einfach mal weg).“

Erweiterung des taktischen Repertoires

Jörg Marwedel (SZ 1.3.) berichtet Bremer Zuversicht: „„Bei Werder Bremen, da wackelt die Wand, der Deutsche Meister kommt vom Weserstrand.“ Die Melodie ist dem Gassenhauer „An der Nordseeküste“ entlehnt, und die Menschen haben inbrünstig eingestimmt. Sie lieben dieses Lied, das bei den Titelgewinnen Werders 1988 und 1993 zur Bremer Hymne wurde. Zuweilen haben sie es auch in dunkleren Zeiten zur Aufmunterung gefordert. Nun aber läutete es sozusagen die Festwochen anno 2004 ein, die Saisonphase, in der sie ihr Team auf der Zielgeraden zur vierten Deutschen Meisterschaft sehen. Und wer geglaubt hatte, diese Euphorie würde dem Werder-Trainer Thomas Schaaf arg missfallen, der durfte sich wundern. „Ist doch schön“, sagte Schaaf, „die Mannschaft darf sich dadurch nur nicht ablenken lassen.“ Dann fügte er mit hintergründigem Lächeln an: „Wenn ich mir jetzt auch noch über die Musikauswahl Gedanken machen muss . . .“ Schaaf wirkte bei diesen Worten gelassen und in sich ruhend, er scheint nun selbst an den Triumph zu glauben. Die Mannschaft des Tabellenführers hatte dafür weitere Gründe geliefert. Sie hatte nicht schön gespielt, schon gar nicht so hinreißend wie in der Hinrunde, als man mit rauschhaftem Offensivfußball Tor um Tor erzielte. Aber sie hatte abermals den Beleg für einen womöglich entscheidenden Wandel geliefert – die Erweiterung ihres taktischen Repertoires, die sich schon in den ersten Spielen nach der Winterpause andeutete. Nicht mehr verspielt und intuitiv, dafür kühl, konzentriert, berechnend tritt Werder nun auf – mit der Folge, dass die lernbegierige Mannschaft in der Rückrunde erst ein Gegentor hinnehmen musste.“

Frank Heike (FAZ 1.3.) ergänzt: „In Bremen, wo die Fans immer noch unsicher sind, ob aus dem Traum tatsächlich Wirklichkeit wird, interpretiert man gern alles als Symbol des baldigen Niedergangs. Der Hang zum Fatalismus konnte am Samstag prächtig ausgelebt werden, als sich Stammtorwart Andreas Reinke am Rücken verletzte und ausgewechselt werden mußte. Für ihn kam Pascal Borel. Borel ist der Vater aller Bremer Torwartdiskussionen in den Zeiten nach Oliver Reck. Aber Borel bekam gar nichts aufs Tor. Und hier kommen wir zum Kern der Geschichte, zum wichtigsten Ertrag des Spiels neben den drei Punkten: Werder steht seit Wochen vollkommen sicher in der Abwehr. In den vergangenen sieben Spielen hat Werder nur ein Gegentor bekommen. Noch in der Hinrunde waren die Bremer gut für ein 5:3, ein 3:2, für Zauberfußball mit einem überragenden Johan Micoud. Inzwischen haben die Arbeiter im Team das Sagen, Valérien Ismaël etwa, Fabian Ernst oder Ümit Davala. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive holt Titel, heißt es im Fußball. Insofern muß Bremen sich keine Sorgen machen.“

Frank Ketterer (taz 1.3.) reibt sich die Hände: „Jeder Spieltag, an dem Borussia verliert, ist ein guter Spieltag! Borussia ist ab sofort nur noch widerlich! Daran kann selbst die Tatsache nichts ändern, dass die Deutsche Presse Agentur den BvB gerade zum größten Sorgenfall des deutschen Fußballs erklärt hat. Dafür gibt es guten Grund, weil ganz schlechte Zahlen, wie letzten Freitag bekannt wurde. Da veröffentlichte Borussia, die übrigens kein Fußballverein mehr ist, sondern eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, ihre Halbjahreszahlen. Ergebnis: Allein für den Zeitraum von Juli bis Dezember letzten Jahres hat Borussia 29,4 Millionen Euro Miese gemacht. Ein Bundesliga-Rekorddefizit, wie erneut dpa wusste. Findige Finanzexperten rechneten sogleich hoch auf den Rest des Geschäftsjahrs. Endergebnis: Bis Sommer könnte das Defizit auf 60 Millionen klettern. Nun ist es ja so, dass man als taz schon aus reinem Prinzip für die Armen und Notleidenden sein muss, ein bisschen ist man da wie Robin Hood. Bei Borussia aber muss eine Ausnahme gemacht werden. Denn Borussia ist nicht nur ein Sozialfall, sondern vor allem: eine besonders dreiste Art der Wettbewerbsverzerrung. Denn teure Spieler kaufen ohne das dafür nötige Großgeld in der Tasche zu haben, um damit dann jene Vereine nieder zu halten, die genau das nicht tun, bzw. in gemäßigterem Stil, kann jeder. So gesehen ist jede Niederlage der Borussia ein Sieg für die Gerechtigkeit.“

Bayern München – VfL Wolfsburg 2:0

Triumphgeste au dem Circus Maximus

Philipp Selldorf (SZ 1.3.) berichtet nichts neues bei den Bayern: „Lange nach dem Spiel war Jürgen Röber immer noch sehr aufgeregt. Er rang zum Zeichen der Verzweiflung die Hände, sein ganzer Körper wogte hin und her im Sturm seiner Argumente, und sein Mienenspiel spiegelte eine biblische Mischung aus Kämpfen, Leiden und Trauern. Die beiden verbliebenen Zuhörer aus Wolfsburg, an die sich der Trainer des VfL mit seiner Klage im Presseraum richtete, ergaben sich wortlos und wie gefesselt seinem Redeschwall. „Na ja“, seufzte Röber endlich, vermutlich bloß, um Luft zu holen, aber sein Publikum nutzte die Pause gleich als Gelegenheit zur Verabschiedung. Ein Mensch voller Leidenschaft wie Jürgen Röber mag über die Vergeblichkeit der Wolfsburger Anstrengungen Reden wie Fidel Castro führen wollen (die letzte dauerte übrigens von 20.30 Uhr bis zwei Uhr nachts). Man könnte es auch kürzer sagen: In Wolfsburgs Elf findet sich viel Talent. Aber wenig Überzeugung, dieses Talent zum Sieg zu nutzen. Ein erfahrener Fußballer wie Hasan Salihamidzic etwa hat sich wohl selten in seiner Karriere so chancenlos ausspielen lassen müssen wie durch Andres d’ Alessandro. Gelegentlich spielten die kreativen Wolfsburger rückwärts Doppelpass im Strafraum der Bayern, und hätten sie auf diese beeindruckende Weise nach zwanzig Minuten ihre beste Möglichkeit durch Klimowicz genutzt, wer weiß, ob Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge auch dann noch sein Loblied auf die erstarkten Münchner gesungen hätte („sehr verdient gewonnen, sehr gut und sehr konzentriert gespielt“). Oliver Kahn verhinderte das 1:1, indem er sich zweimal in die Schüsse des argentinischen Mittelstürmers warf. Nachdem ihm dies gelungen war, er im nächsten Moment außerdem eine Flanke ins Aus abgewehrt hatte, ballte er die Fäuste zur Triumphgeste, als ob er im Circus Maximus mit bloßen Händen drei Löwen bezwungen hätte. Für Kahn bedeutete die geglückte Parade sicherlich eine innere Befreiung nach all dem Gerede der vergangenen Tage (Bild hatte ihm sogar das Zitronensiegel „Pannen-Olli“ verliehen), aber im Grunde war sie nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit [of: Die ARD zeigt diese Allerweltsparade sogar in der Tagesschau und eine weitere Aktion Kahns, die jedem anderen Torhüter dieser Welt als Unsicherheit ausgelegt worden wäre. Für Rubenbauer, Beckmann Co. ist das Spiel gegen Wolfsburg jedoch die Rehabilitation ihres Protegés. Wie wär’s mit einem Brennpunkt, wenn Kahn den nächsten Ball hält?], die sich außerdem in den üblichen Ablauf durchschnittlicher Bayern-Heimspiele fügte. Die Begegnung mit Wolfsburg folgte exakt dem Muster, nach dem die Münchner ihre Punkte zu sammeln pflegen: Frühe Führung, augenblickliches Nachlassen mit der Konsequenz heikler Torszenen, die Kahn entschärft, und zur Pause ein Donnerwetter von Ottmar Hitzfeld. Danach Aufdrehen bis zum 2:0, und die Partie sanft ausklingen lassen wie auf dem Minigolfplatz. Wolfsburg ergab sich derweil lethargisch seinem Schicksal. Normalerweise werden solche Tage durch Punktverluste des Hauptkonkurrenten gekrönt.“

Michael Horeni (FAZ 1.3.) wirft ein, dass es noch andere gibt als Oliver Kahn: “Es gibt Bälle, die sogar Oliver Kahn hält. Dutzende von Kameras haben dies am Samstag aber offensichtlich schon nicht mehr glauben wollen und daher jede Bewegung des Torwarts im Olympiastadion ins Visier genommen. Aber als die 90 Alltagsminuten der Bayern gegen den VfL Wolfsburg vorbei waren, Kahn bei diesem 2:0-Sieg in seinem Job kaum gefordert wurde und seine kleineren Aufgaben wie gewöhnlich erledigt hatte, wuchs eine Banalität zur Gurken-Nachricht des Tages: Einer der besten Torhüter der Welt kann Bälle halten. So ist das eben, wenn die Medien einen Trend zu erspüren meinen. Dann muß zusammenpassen, was nicht zusammengehört. Wenn sich jedoch auf der einäugigen Spurensuche von der vermeintlichen Metamorphose eines Torwartgotts zum Fliegenfänger keine sachdienlichen Hinweise entdecken oder konstruieren lassen, dann muß eben diese selbstgemachte Überraschung als Nachricht herhalten.“

Die taz zitiert den bayerischen Superlativ: „Heute hat er bewiesen, dass er nach wie vor der beste Torwart der Welt ist.“ (O. Hitzfeld, weltbester Trainer des weltbesten Zweiten der weltbesten Liga)

Eintracht Frankfurt – Borussia Mönchengladbach 3:1

Herr Gerster ist ein fürchterlicher Schmutzfink, ein ganz, ganz dummer Mensch

Ingo Durstewitz (SZ 1.3.) erlebt Willi Reimanns Ärger und Wut: “ Reimann ballt die Fäuste, sein Körper vibriert, der Trainer der Frankfurter Eintracht wippt mit dem Kopf wie ein Headbanger in Reihe eins beim Metallica-Konzert; sein Blick ist entrückt, der Mund weit aufgerissen; Willi Reimann, die Mensch gewordene Exaltation. So sieht es also aus, wenn Totgesagte auferstanden sind. 20 Minuten später ist der Spuk vorüber, erstaunlich ist die schlechte Laune des Frankfurter Fußballlehrers, der im kleinen, stickigen Pressecontainer auf dem Podium sitzt und aussieht, als müsse er in dürren Worten erklären, weshalb die Eintracht zum dritten Mal in die Zweite Bundesliga absteigen muss. Er beobachtet die Fragesteller mit einer Mischung aus Misstrauen und Argwohn. Die Fragen prasseln auf ihn ein: Ob er stolz sei auf seine Elf, beeindruckt von dieser wahnsinnigen Serie? „Wir haben uns diese Ergebnisse durch harte Arbeit erkämpft.“ Na gut, aber Genugtuung wenigstens? „Genugtuung? Weshalb?“ Weil alle die Eintracht abgeschrieben, als ins Obergeschoss verirrten zweitklassigen Eindringling tituliert haben? „Nein, wir haben immer an uns geglaubt.“ Bei so viel Realismus klingen die Zahlen wie Hohn. Die Fakten weisen Eintracht Frankfurt als Mannschaft der Stunde aus, die Hessen haben erstmals seit Anfang November einen Abstiegsplatz verlassen, haben in den fünf Spielen nach der Winterpause fast so viele Punkte (elf) geholt wie in den gesamten 17 der Hinserie (zwölf), stellen hinter den gigantischen Bremern das zweitbeste Team der Rückrunde. (…) Reimann ist noch einmal fuchsteufelswild geworden, weil er sich so wahnsinnig über Klaus Gerster geärgert hat. Der Berater von Andreas Möller, der bei Reimann nur noch in den letzten vier, fünf Minuten eine Rolle spielt, hatte in einem Interview schwere Anschuldigungen erhoben: „Reimann begegnet Möller nicht mit Respekt, sein Verhalten ist eine Unverschämtheit.“ Reimann, so Gerster, dulde „keinen Topmann, keine Götter neben sich“. Jetzt, Tage später, schlägt Reimann zurück, mit dem verbalen Dampfhammer. „Dieser Herr Gerster ist ein fürchterlicher Schmutzfink, ein ganz, ganz dummer Mensch.“ Er, Reimann, könne es nicht verstehen, dass „solchen Arschlöchern der rote Teppich ausgerollt, eine Plattform geboten wird“. Die Äußerungen von Gerster seien eine bodenlose Unverschämtheit. „Solche Leute gehören vom Hof gejagt, und zwar geteert und gefedert.“ So ist das bei der Eintracht in Frankfurt: Wer keine Probleme hat, macht sich welche.“

VfB Stuttgart – Schalke 04 0:0

Martin Hägele (SZ 1.3.) reibt sich den Schlaf aus den Augen: „Um die Leistung von Frank Rost, Rudi Völlers Nummer drei im Tor, zu beschreiben, bleiben nur zwei Szenen. Einmal köpfelte ihm Kuranyi den Ball in die Hände, und in der 78. Minute schob ihm der Schweizer Marco Streller die Kugel gegen das rechte Bein, anstatt richtig draufzuhauen oder mit einem sauberen Pass das fast sichere 1:0 einzuleiten. Auf der anderen Seite musste Timo Hildebrand, in der derzeit kräftig debattierten Torhüter-Hierarchie auf dem Rang hinter Rost platziert, überhaupt keinen einzigen Ball parieren. Schon deshalb passte Rudi Assauers Spruch, es sei noch nie so leicht gewesen, in Stuttgart zu gewinnen, nicht unbedingt zu den sportlichen Kräfteverhältnissen. Der Manager hätte liebend gern an jener Stätte einen Erfolg gefeiert, wo er mittlerweile als Staatsfeind gilt. Dass sich weder Trainer Felix Magath noch die zwei Jungnationalspieler Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi von ihm unter das Dach der Schalker Arena locken ließen und VfB-Abwehrchef Marcelo Bordon wohl erst ab Sommer 2005 dort seine vier Millionen Euro pro Jahr abholen kann, hat Assauers Selbstbewusstsein stark zugesetzt. Seither mosert er, wann immer er kann, am Stuttgarter Modell und der Rolle des Teammanagers Magath herum. „Sie werden schnell erleben, dass diese Kiste schief geht.“ Felix Magath ließ sich von den Provokationen in einem Interview am Spieltag nicht provozieren: „Wenn ich auf die Tabelle schaue, stehen wir klar vor Schalke; und das, obwohl die einen sehr guten Trainer und einen Manager haben.““

1. FC Köln – 1860 München 1:3

Kreuzverhör im Stil von Staatsanwälten

Christian Zaschke (SZ 1.3.) beschreibt Kölner Klugscheißer: „Es gab vor über zehn Jahren eine Sendung namens „Der heiße Stuhl“. Es war eine sehr schlechte Sendung, die auf Krawall aus war, und die Menschen, die freiwillig auf diesem Stuhl Platz genommen hatten, waren anfangs ziemlich überrascht, als der Moderator sie nicht befragte, sondern fortwährend anklagte. Sie mussten irgendwelche Thesen vertreten (etwa „Volksmusik ist Volksverdummung“), die ihnen dann vom Moderator und einem aufgeheizten Studiopublikum um die Ohren gehauen wurden. Die Sendung wurde abgeschafft, weil der Radau auch den größten Freunden von Radau zu blöd wurde. Am Samstag gab es unverhofft eine weitere, wenn auch inoffizielle Folge der Sendung. FC-Trainer Marcel Koller hatte auf dem Stuhl Platz genommen. Seine These: „Ich habe mit drei Stürmern gespielt.“ Die Reporter der Kölner Zeitungen trauten ihren Ohren nicht. Koller sagte: „Wieso? Wir hatten den Christian Springer mit vorne und den Albert Streit auf dem Flügel. Das ist seine Lieblingsposition.“ Erst fragten die Kölner Reporter beharrlich nach den Stürmern, dann fragten sie etwas aufgebrachter, schließlich gingen sie Koller offensiv an. Das seien nun wirklich keine Stürmer, Streit und Springer, wie man überhaupt so aufstellen könne, das ginge nicht, überhaupt nicht, und außerdem sei die Einkaufspolitik in der Winterpause verfehlt gewesen. Die versammelte Kölner Presse warf Marcel Koller in rauem Ton vor, alles falsch gemacht zu haben, und der Schweizer Trainer antwortete den immer neuen Anklagen mit immer leiser werdender Stimme, er rechtfertigte sich. Falko Götz, Trainer des TSV 1860 München, saß derweil drei Meter weiter auf einem Stuhl, der heiß war wie der Südpol: Niemand stellte ihm eine Frage. So hatte Götz Zeit, sich das Schauspiel in Köln ganz genau zu betrachten. Manchmal wirkte er erstaunt über die Härte der Kritik, bald schaute er überrascht, dass sein Kollege Koller so geduldig antwortete und versuchte, die katastrophale Leistung der Kölner Mannschaft in der ersten Halbzeit zu erklären. Schließlich verabschiedete sich Götz vorzeitig, weil er zum Flugzeug musste, und Marcel Koller blieb allein zurück auf seinem Stuhl, als Trainer des Tabellenletzten, ohne Erklärung, ohne Hoffnung, deprimiert. Im Stile von Staatsanwälten, die ihr Ziel im Kreuzverhör erreicht haben, stellten die Kölner Journalisten keine weiteren Fragen.“

Jörg Stratmann (FAZ 1.3.) ergänzt: „Rettende Hilfe müßte nun schon wundersame Formen annehmen. Also setzen die engsten Vereinsfreunde alle Hoffnung auf diesen Montag. Wird die einstige Fußballgröße Wolfgang Overath das Angebot des schlingernden Vereins endlich annehmen und Vizepräsident werden? Oder beläßt er es dabei, wie er es über die Jahre gehalten hat, seit er die aktive Laufbahn aufgab? Zwar bei jedem Heimspiel auf seinem Stammplatz zugegen, hin und wieder auch mit Anregungen zu vernehmen, doch niemals in der Verantwortung? An diesem Montag tagt der Verwaltungsrat. Und dessen Vorsitzender Helmut Haumann und FC-Präsident Albert Caspers erwarten, daß sich der 81malige Nationalspieler endlich wieder aktiv zum Verein bekennt. Wobei Overath selbst, als ballverliebter Solist und Kritiker der Kollegen bei Spielen seiner Traditionsmannschaft immer noch berüchtigt, offenbar bereit wäre, wenn er sein eigenes kölsches Team mitbringen könnte. Dazu sollen neben Hannes Löhr, dem einstigen Torjäger, der lange die U 21-Nationalmannschaft betreute, auch Jürgen Glowacz, derzeit Leiter einer Fußballschule, und Stephan Engels gehören, der nach seiner Profikarriere auch schon mal Übergangstrainer des FC war. Sie allen sollen Berater werden. Und ohne sie, so soll Overath, Weltmeister von 1974, gesagt haben, mach‘ ich es nicht. Selbst mit solch geballter Fußballkompetenz, mit dem Idol als sportlichem Generalbevollmächtigten und seiner späteren Beförderung zum allmächtigen Präsidenten wäre natürlich der Abstieg keinesfalls automatisch vermieden. Doch die rheinische Lebensphilosophie sieht für schwere Zeiten auch Selbstreinigungskraft vor. Das Glaubensbekenntnis Es hätt noch ewwer jotjejange hat zwar gerade im Fußball über die letzten Jahre sehr gelitten. Doch diesmal wird es kurzerhand uminterpretiert in ein Wort, mit dem auf dem Boulevard ein anonymer Freund Overaths zitiert wird: Es sei doch, heißt es da, ein himmelweiter Unterschied, ob Herr Caspers vor der Mannschaft steht oder ein ehemaliger Nationalspieler, vor dem die Spieler Respekt haben. So jedenfalls könne man vielleicht noch einige Prozent mehr an Einsatz herauskitzeln. Man muß wahrscheinlich mit den Unwägbarkeiten kölschen Fußballs aufgewachsen sein, um selbst für diesen Fall darauf zu hoffen, daß die Saison noch glimpflich ausgehen könnte. Dem unvoreingenommenen Beobachter der abermaligen Niederlage bot sich dagegen das Bild einer zweitklassigen Mannschaft.“

Hamburger SV – Bayer Leverkusen 3:1

SZ (1.3.): „Über Bayer Leverkusen wundert sich schon seit Jahren niemand mehr, seitdem diese Mannschaft selbst in überaus erfolgreichen Spielzeiten beharrlich Titelgewinne verweigert, dabei manchmal sogar den schönsten Fußball seit Dekaden aufführt – um im Jahr darauf beinahe abzusteigen. Diese Saison überrascht das Werksteam mit einer neuen Variante des Scheiterns, indem es nach einer durchaus gelungenen Hinserie mit Beginn der Rückrunde einfach den Dienst einstellt. Nur ein kümmerliches Pünktchen steht auch zu Buche, kein Team weist nach fünf Partien im Jahr 2004 eine schlechtere Bilanz aus. In Hamburg führte dies dazu, dass einige Dutzend Bayer-Fans die Abreise der Mannschaft verhinderten. Dabei hatten sich die Leverkusener Profis und ihre besseren Hälften ziemlich schick gemacht für einen Musical-Besuch am Abend in Hamburg. Erst nachdem Kapitän Jens Nowotny und der gewöhnlich eher unbeschäftigte Sportdirektor Jürgen Kohler der pöbelnden Kundschaft gut zugeredet hatten, konnte der Bus die Sperren passieren. Eine massive Leistungsblockade hatte zuvor verhindert, dass Bayer seinen jähen Absturz hätte stoppen können.“

VfL Bochum – Hansa Rostock 0:0

Vom Blaumann der Geschichte gestreift

Christoph Biermann (SZ 1.3.) fordert die Bochumer zu gewohntem Teamgeist auf: „Waren die Bochumer in den letzten Wochen leicht wie im Tüllkleid über die Plätze getanzt, wurden sie am Samstag vom Blaumann der Geschichte gestreift. Als hätten die Spieler des VfL Bochum genagelte Arbeitsschuhe mit Stahlkappen an den Füßen, bollerten sie den Ball über den Rasen. Ohne Präzision, ohne Zusammenhang gelang ihnen nicht ein zusammenhängender Spielzug. Die wenigen Torgelegenheiten wurden mit schwerem Gerät eher herausgewuchtet als herausgespielt und selbstverständlich vergeben. (…) „Der Schiedsrichter wollte der wichtigste Mann auf dem Platz sein“, sagte Bochums Trainer Neururer. Der Referee pfiff sich wirklich seine eigene kleine Welt zusammen und musste froh sein, dass Martin Max in der ersten Hälfte einen Strafstoß für Rostock vergab, der aus keinem Blickwinkel einer war. Weiner verwandelte das Spiel durch zu viele Freistöße in einen Stop-and-go-Verkehr und zeigte mit sieben Verwarnungen für Bochum deren einige zu viel. Es zeigte sich an anderer Stelle, dass die Bochumer Spaßgesellschaft aus den Fugen geraten war. „Der ein oder andere Spieler ist mit einem Spieler in Kommunikation getreten, den man reglementieren will“, beschrieb Neururer kryptisch eine Szene kurz vor Anpfiff der zweiten Halbzeit. Da gerieten Sunday Oliseh und Vahid Hashemian derart handgreiflich aneinander, dass sie von ihren Kollegen getrennt werden mussten. (…) Dafür bot sich Hansa Rostock als Kandidat für den nächsten Hype der Bundesliga an. Taktisch geschickt stellte das Team fast immer Überzahl auf dem Platz her und kompensierte problemlos sogar die halbstündige Unterzahl. Hansa war weder vom kurzfristigen Fehlen des Stammtorwarts Schober noch vom vergebenen Elfmeter zu beeindrucken. „Ich muss die Mannschaft loben, sie hat echten Teamgeist gezeigt“, sagte Trainer Juri Schlünz stolz. War das nicht ein Satz, den zuletzt Neururer und die Bochumer gepachtet hatten?“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ

Ballschrank

Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt

Fußball ist ‚in’ unter Jugendlichen, Trainer-Experten sind selten – Kritik an Fabio Capello, der Freigabe für Doping fordert – Chievo Verona muss die Verschwendung anderer ausbaden – zur Lage in Polen u.v.m.

Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt

Peter Heß (FAZ 18.11.) berichtet hoffnungsvoll über die Nachwuchsarbeit in Deutschland: “Es existiert keine grundsätzliche Krise im deutschen Nachwuchsfußball. Fußball ist in wie noch nie zuvor unter deutschen Kindergarten- und Grundschulkindern. Über 1,3 Millionen Mitglieder hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 2003 in der Altersklasse bis 14 Jahren registriert. Das sind zweieinhalb Mal so viel wie vor 20 Jahren. Die Vereine werden dem Andrang kaum Herr. Und dadurch entsteht ein Problem: die Qualität der Übungsleiter und Betreuer. Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt, die für Gotteslohn zwei- bis dreimal die Woche ihre Freizeit opfern, einer Rasselbande von Sechsjährigen die Grundzüge des Spiels beizubringen. So nehmen die Klubs auch Trainer in Anspruch, die sich nur deshalb zur Aufgabe berufen fühlen, damit ihr übergewichtiger Sohn einen Stammplatz im Bambiniteam sicher hat. Es gibt sie zuhauf, die nichts von Fußball verstehen und wenig von Kindererziehung. Deren Spieler auch nach einem Jahr Training noch wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen dem Ball hinterherrennen, weil der einzige Laufweg, der ihnen vermittelt wurde, der zur Heckklappe des Kombis führt, wo der Fußballehrer nach dem Spiel zur Belohnung Süßigkeiten verteilt, weil sie ausnahmsweise nur 1:5 verloren und sie seinen Sohn alle Abschläge ausführen ließen. Solche Mannschaften zerfallen schnell, und der DFB und die Landesverbände haben ein Konzept entwickelt, um diese Entwicklung durch eine Schulung der ehrenamtlichen Trainer abzuschwächen. In den vergangenen Monaten ist eine dezentrale Übungsleiter-Fortbildung an den 387 Stützpunkten angelaufen, an denen bisher lediglich den Kindern ein zusätzliches Training angeboten worden ist. Mit dieser Begabtenförderung durch kompetente Fußballehrer, darunter einige frühere Profis, reagierten die Verbände auf die Unsitte einiger Jugendbetreuer, auch spielerisch talentierte Teenager in ihr ergebnisorientierten System einzupferchen. Nur den Ball weg, Hauptsache hinten dicht.“

sid meldet: „Es ist Zeit für das deutsche Szenario, fordert das Algemeen Dagblad vor dem entscheidenden Qualifikationsduell gegen Schottland in Amsterdam, das Holland mit zwei Toren Differenz gewinnen muss. Andernfalls findet nach der WM 2002 auch die Europameisterschaft 2004 in Portugal ohne den zweimaligen WM-Zweiten statt. Die Tageszeitung bemüht die Geschichte und wird in der größten Not ausgerechnet beim Erzrivalen Deutschland fündig. Die Routiniers der Mannschaft sollen es machen wie Franz Beckenbauer 1974. Der hatte bei der WM im eigenen Land in der Krisennacht von Malente nach dem 0:1 gegen die DDR Trainer Helmut Schön die Taktik für die zweite Finalrunde vorgegeben. Deutschland wurde später durch ein 2:1 im Finale gegen die Niederlande Weltmeister. Der Hinweis auf eine der schwärzesten Stunden des niederländischen Fußball-Verbandes sagt wohl verklausuliert: Spieler, nehmt die Sache selbst in die Hand.“

Gäbe der Sport den Kampf auf, er gäbe sich in seinen Grundfesten auf

Markus Völker (BLZ 18.11.) kritisiert Fabio Capello, Trainer von AS Roma, der eine Freigabe für Doping fordert: „Wer Doping freigeben möchte, untergräbt die moralische Integrität des fairen Sports. Das klingt schwülstig, aber es ist nun einmal so, dass Verboten und Tabus ein rigider Pathos innewohnt, der in Bereichen des Alltags auch mal lächerlich wirken kann. Im Bereich des Dopings geht’s aber nicht um weiche Moral, sondern um sehr viel mehr, manchmal sogar um Leben und Tod. Was sakrosankt war, der Missbrauch also, soll aus Gründen der Sinnlosigkeit des Hase-und-Igel-Spiels, das Fahnder und Dopern treiben, aufgegeben werden – weil es gerade zupass kommt; weil die Öffentlichkeit desillusioniert ist und nicht mehr an die Lauterkeit des Athleten glaubt. Gäbe aber der Sport den Kampf auf, er gäbe sich in seinen Grundfesten auf. Der Sport beruht auf strengen Regeln. So wie Kampf gegen Doping.“

Ultimatives Alarmzeichen

Peter Hartmann (NZZ 18.11.) hält fest, dass die Finanzkrise in Italien zunächst die Falschen –die Kleinen – trifft: „Chievo, die Märchenmannschaft der Serie A aus einer Vorstadt Veronas, beendigte drei der letzten Spiele in Unterzahl. Zuletzt, in Siena, standen noch neun Mann auf dem Platz, 40 Minuten lang, und Chievo hat trotzdem gewonnen. Am kommenden Sonntag probt Trainer Luigi Del Neri vielleicht sogar die Null-Formation: Es könnte sein, dass er gegen Milan überhaupt keinen Spieler aufs Feld schickt. Dabei handelt es sich um eine Art Meuterei zur Selbstverteidigung. Wenn der Panettone-Fabrikant Luca Campedelli, Urheber des Wunders von Chievo und letzter unternehmerischer Musterknabe der Serie A, mit der Skandalnudel Luciano Gaucci, in Perugia kurzzeitig auch Arbeitgeber des gedopten Wüstensohns Al-Saadi Ghadhafi, gemeinsame Sache macht, dann muss der Fussball endgültig ein Irrenhaus geworden sein. Diesen Schluss zieht die rosarote «Gazzetta dello Sport» aus der Drohung der fünf Präsidenten von Chievo, Perugia, Ancona, Brescia und Empoli, die 10.Meisterschaftsrunde am Wochenende zu bestreiken, weil sie vom Pay-TV-Sender Gioco Calcio noch keinen Euro gesehen haben. Ob die rebellierenden Klubdirigenten ihre Verweigerungshaltung durchstehen oder durch irgendwelche Versprechungen zur Räson gebracht werden, bleibt in der Schwebe (…) Dass nun selbst der haushälterische Aussenseiter Chievo in der dritten Serie-A-Saison aus der Balance geworfen wird, weil ihm das Betriebskapital aus den Fernsehgeldern fehlt, ist ein ultimatives Alarmzeichen. Jedes Jahr spielt Chievo mit neuen Gesichtern und behält doch das ursprüngliche Profil: mitreissendes Angriffsspiel und gleichzeitig beeindruckende taktische Disziplin. Die Mannschaft stückeln Trainer Del Neri und der Technische Direktor Giovanni Sartori als Architekten des Projekts aus Versatzstücken des Marktes zusammen.“

Thomas Roser (NZZ 18.11.) schildert die Lage in Polen: “Kummer ist Polens leidgeprüfte Fussballgemeinde gewohnt. Nach dem missglückten WM-Ausflug nach Südkorea hat die Nationalequipe mit missratenen Auftritten frühzeitig das EM- Ticket verspielt. Niveauarme Spiele in halb leeren Stadionruinen, Hooligan-Ausschreitungen und Bestechungsskandale pflegen den ernüchternden Alltag in der von Finanzproblemen geplagten Liga zu bestimmen. Seitdem der Pay-TV-Sender Canal+ im letzten Jahr seine Zahlungen kräftig reduziert hat, taumelt der Grossteil der Vereine am Rande des Bankrotts. Die schwindenden Gehälter haben den Aderlass in der ausgebluteten „Ekstraklasa“ noch beschleunigt. Selbst Klubs in Ländern wie Ukraine, Israel oder Zypern sind für Polens Söldner inzwischen ein begehrtes Ziel (…) Grösstes Aufsehen hat in dieser Saison indes Groclin Dyskobolia Grodzisk im Uefa-Cup gemacht. Erst warf der Verein mit dem Diskuswerfer im Wappen Hertha BSC Berlin aus dem Wettbewerb. Auch gegen das Starensemble von Manchester City könnte den Hoffnungsträgern des polnischen Fussballs eine Überraschung gelingen. Im Hinspiel in Manchester kam die millionenschwere Equipe von Kevin Keegan gegen den Aussenseiter über ein 1:1 nicht hinaus. Seinen Höhenflug hat der Verein vor allem seinem grosszügigen Sponsor zu verdanken. Der Wohltäter heisst seit 1993 Zbigniew Drzymala, dessen börsennotiertes Unternehmen Inter Groclin Autohersteller in ganz Europa mit Sitzschalen beliefert: Zwei Prozent von Polens gesamtem Export werden von dem 3500-Mitarbeiter-Konzern in Grodzisk erwirtschaftet. Das Sponsern eines Fussballklubs koste seine Firma auch nicht viel mehr als teure Werbekampagnen, begründet Vereinspräsident Drzymala sein Mäzenatentum: Mit einem Jahresbudget von 21 Millionen Zloty (7,2 Millionen Franken) ist Grodzisk derzeit denn auch der am besten gepolsterte Verein der Liga. Dank dem kapitalkräftigen Sponsor gelang dem 1922 gegründeten Traditionsverein in Windeseile der Durchmarsch von der Kreisklasse in die erste Liga.“

Deutschland hat nicht mehr diese Siegertypen wie Matthäus, Völler und Möller

Die FR interviewt, offenbar ohne Anlass, Hristo Stoitchkow, ehemaliger Nationalspieler Bulgariens

FR: Herr Stoitchkow, seit vier Jahren spielen Sie jetzt in den USA. An das Land haben Sie gute Erinnerungen: Bei der WM 1994 wurden Sie zum besten Spieler gewählt, Torschützenkönig…HS: …und habe die Deutschen aus dem Turnier geschossen. Ganz Deutschland hat geweint, und ich war sehr glücklich.

FR: War das einer Ihrer größten Siege?

HS: Es war ein Spiel wie jedes andere. Zwei Monate danach haben wir Deutschland noch einmal geschlagen – 3:2 in Bulgarien. Es wurde zur Gewohnheit, dass wir sie schlagen.

FR: Nach der Weltmeisterschaft waren bulgarische Spieler wie Balakow, Letchkow und Kostadinow in Deutschland sehr begehrt. Warum haben Sie nie in Deutschland gespielt?

HS: Ich habe den deutschen Fußball nie gemocht, der italienische und spanische lag mir mehr.

FR: Und jetzt spielen Sie in den USA. Wie ist das Niveau?

HS: Man kann es nicht mit Europa vergleichen, aber es gibt Fortschritte. Das ist auch der Grund für die gute WM der US-Nationalmannschaft im vergangenen Jahr. Sie hatte Deutschland am Rande einer Niederlage.

FR: Sie spielen in den USA, Deutsche wie Effenberg und Basler lieber in Katar. Hatten Sie kein Angebot?

HS: Sie spielen nur für Geld. Ihnen ist der Sport egal. Wer ist Effenberg? Für mich ist er ein Niemand, ein normaler Spieler. Er hätte dem Nationalteam viel geben können, wenn er seine Möglichkeiten ausgenutzt hätte.

FR: Wie lange wollen Sie denn noch solche Erfahrungen als Spieler machen?

HS: Es ist mein Leben. Ich liebe diesen Sport einfach. Das ist auch der Grund, warum ich einer der Besten in der Welt war. Aber ich hatte auch Glück, dass ich mit dem besten bulgarischen Jahrgang in der Nationalmannschaft und den besten Spielern der Welt bei Barcelona zusammenspielen durfte.

FR: Jetzt spielen die Besten der Welt nicht mehr bei Barca, sondern bei Real Madrid.

HS: Das ist doch nur noch Geschäft. Es geht nur noch um Kommerz, Fernsehen und Merchandising. Madrid bezahlt diesen Spielern zu viel Geld, um ihre Trikots zu verkaufen, aber die Trikots spielen nicht. Als ich bei Barcelona war, hat niemand über Real Madrid gesprochen. Real war eine kleine normale Mannschaft. Barcelona war eine echte Traummannschaft.

FR: Wer sind Ihre Favoriten für die Europameisterschaft im nächsten Jahr?

HS: Italien und Frankreich.

FR: Und die deutsche Mannschaft?

HS: Es ist nicht einfach für Völler, ein Spieler, der Weltmeister war, diese Qualität an sein Team weiterzugeben. Die heutige Generation spielt für Geld anstatt für den Sport. Sie sind nicht motiviert genug, nicht hungrig. Deutschland hat nicht mehr diese Siegertypen wie Matthäus, Völler und Möller.

Im Feuilleton der FAZ (17.11.) vernehmen wir Aufmunterung: „Ach Bochum, du nicht ganz unbesungenes, aber erst jetzt, als Reformhauptstadt, so recht verstandenes Bochum! Dein Wandel ist der Wandel, den ganz Deutschland jetzt beginnt. Heraus aus der schwer lastenden Gewohnheit, hinein in die Innovationskultur, die Olaf Scholz jetzt im Leitantrag dir und uns verkündet. Wenn du, Bochum, dich ändern kannst, dann können es alle. Und endlich widerfährt dir Gerechtigkeit, du vermeintlich graue Maus, wenn nicht soziale, so doch Chancengerechtigkeit. Jeder hat die Chance, Bochumer zu werden, jeder kann Erfolg haben, wenn er nur die Risiken des Lebens, der Marktwirtschaft positiv begreift. Dein Fußballverein macht es vor. Nur ein paar Meter hinüberblicken zum Ruhrstadion müssen die Reformdelegierten der SPD, wenn sie heute nebenan in die RuhrCongress-Halle strömen und das Wichtige tun. Hinüber zum Ruhrstadion, in dem dein großer Sohn Wolfgang Clement dir noch unlängst zurief: Der VfL ist ein Verein, mit dem man auch leiden können muß. Aber gerade der Kampf um den Auf- und Abstieg, momentan wieder um den Aufstieg, meine ich, macht doch gerade Spaß. Das ist die Einstellung, um die es geht. Von dir, Bochum, soll das Land jetzt nicht mehr liegen, sondern vorangehen lernen. Mit dem Doppelpaß oder sonstwie, nur voran.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Gewinnspiel für Experten

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Vertragsverlängerung Ottmar Hitzfelds

Zur bevorstehenden Vertragsverlängerung Ottmar Hitzfelds meint Ralf Wiegand (SZ 1.4.). „„Wir wollen dokumentieren, dass wir mit der Arbeit beider Trainer zurzeit sehr zufrieden sind“, sagt Uli Hoeneß. Zu einer anderen Zeit, die noch gar nicht so lange zurück liegt, war das überhaupt nicht so. Noch im Herbst vergangenen Jahres, als die Mannschaft sich bereits in der Vorrunde aus der Champions League verabschiedet hatte, schien Hitzfeld keine Perspektive mehr in München zu haben. Mit dem größten finanziellen Aufwand der Vereinsgeschichte hatte der Vorstand ihm alle Wünsche für die Mannschaft erfüllt, Michael Ballack, Zé Roberto und Sebastian Deisler verpflichtet – heraus kam die größte Demütigung im europäischen Wettbewerb seit Menschengedenken. Der Klub-Vorstand hielt sich in seinem Zorn darüber kaum zurück, versorgte die nationale Presse sogar selbst mit den Argumenten, die eine baldige Trennung von Hitzfeld – spätestens zum Ende dieser Saison – vorbereiten sollten. Hitzfeld setze zu wenig auf die eigene Jugend, verlange stets nur nach neuen, teuren Spielern, führe die Mannschaft nicht streng genug. Der fundamentalste Vorwurf: Spieler, die zum FC Bayern München kämen, würden eher schlechter als besser. „Ottmar Hitzfeld würde das im persönlichen Gespräch natürlich nie zugeben“, sagt Uli Hoeneß heute, „aber ich glaube schon, dass er seine Arbeit verändert hat.“ Hitzfeld wurde strenger, private Fehltritte der Spieler (Kahns lange Diskonacht), jede Art von angeblich Unruhe stiftender Aussage (Pizarro), sogar fundierte taktische Kritik (Ballack) führten umgehend zu Geldstrafen. Gleichzeitig nutzte Hitzfeld die Ruhe ohne Europacup, um wie gefordert junge Spieler ins Team einzubauen, was Vorstand Rummenigge jüngst dazu veranlasste, den FC Bayern als geradezu vorbildlich in dieser Hinsicht für die gesamte Liga darzustellen: „Kein anderer Verein hat so viele junge Spieler rausgebracht wie der FC Bayern.““ (eine dieser Hoeneßschen Wahrheiten, of)

Basisdemokratie auf Schalke

Richard Leipold (FAS 30.3.) porträtiert den neuen Schalke-Trainer und erkennt Vorzüge gegenüber seinem Vorgänger. „Wilmots verkörpert die Vorzüge, die dem entlassenen Fußball-Lehrer von Anfang an gefehlt haben: Volksnähe und ein Gespür für das Seelenleben in diesem modernisierten, aber noch immer emotionsgesteuerten Traditionsklub. Was ihm an fachlicher Kompetenz fehlt, will der frühere Nationalspieler mit den Erfahrungen kompensieren, die er als Profi unter siebzehn verschiedenen Trainern gesammelt hat. Neubarth hatte irrtümlich angenommen, Schalke mit hanseatischer Kühle erobern zu können oder es vielleicht gar nicht nötig zu haben, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Was der technokratisch wirkende Hamburger bei der Ausbildung zum Fußball-Lehrer nicht gelernt hat, ist dem Laientrainer Wilmots von Natur aus gegeben: das Zusammenspiel mit der Basis und mit einem Manager, der sich als Volkstribun geriert. Schalke 04 gehört den Fans, hat Rudi Assauer einmal gesagt. Er selbst sieht sich gewissermaßen als Verwalter des volkseigenen westfälischen Fußballbetriebs. Wilmots hat diese populistische Botschaft von Anfang an verstanden. Von den Fans zum Kampfschwein geadelt, stieg er vor Jahren schon zum Günstling des Managers auf. Neubarth hat dieseBindungen geflissentlich übersehen und die noch immer konservativ geprägten Schalker Verhältnisse mit dem Abstand eines Außenstehenden zu ignorieren versucht. Dem Gescheiterten ist nicht fehlendes Fachwissen zum Verhängnis geworden, sondern in erster Linie ein Mangel an emotionaler Intelligenz (…) Wilmots besitzt keine vertieften Kenntnisse in moderner Trainingslehre und anderen Details seines neuen Jobs, aber seine Umfragewerte im königsblauen Fußballrevier sind gut, ja hervorragend. Und darauf kommt es in einer Basisdemokratie a la Schalke schließlich an, nicht nur, weil Wilmots einen Tag nach der vorletzten Bundesligarunde für den belgischen Senat kandidiert. Als Assauer die wesentlichen Gründe für seine populistische Personalentscheidung aufzählen sollte, nannte er als erstes die Beliebtheit und den Charakter des kantigen Belgiers.“

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Berti-Vogts-Internat für bodenständige Fußballtalente

Matti Lieske (taz 7.6.). “Ein Zufall ist es nicht, dass Berti Vogts ausgerechnet in Schottland landete. Schon in seinen glorreichen Zeiten als Bundestrainer fühlte er sich stets den Bravehearts verbunden, die all das verkörpern,was der einstige Rasenterrier an Fußballern schätzt. Kampfkräftige, robuste Kerle ohne jeden Hang zu Glamour und Selbstdarstellung; keine Künstler, sondern Haudegen, die bis zum Schlusspfiff alles aus sich herausholen, egal, gegen wen und worum es geht. Zum Beispiel 1992, als sie bei der EM in Schweden schon ausgeschieden waren, aber trotzdem die Russen niederkämpften und damit das deutsche Team ins Halbfinale brachten. Bertis Elogen wollten damals kein Ende nehmen. Seit eh und je sind die Schotten auch als hervorragende Verlierer bekannt, eine Eigenschaft, die Vogts vielleicht besonders bewundert, weil sie ihm komplett abgeht. Ein pikanter Winkelzug der Geschichte, dass es Vogts heute genau mit der Mannschaft zu tun bekommt, die er immer gern gehabt hätte. Während seines gesamten Daseins als Bundestrainer musste er sich mit selbst ernannten Lautsprechern wie Matthäus, Effenberg oder Basler herumärgern, mit sensiblen Diven wie Möller oder Häßler, mit aufgeblasenen Möchtegern-Weltstars wie Illgner oder Berthold. Einsamer Fels in der Brandung war kein anderer als Rudi Völler, der populäre Rackerer mit Tordrang, ein geradezu schottenhafter Typ. Er sollte Bertis bester Schüler werden und hat nun als dessen Erbe im Überfluss das Glück, welches dem Kleinenbroicher meist versagt blieb. Die alten Störenfriede sind in die Wüste, nach Belgrad oder in die Weltliteratur geflüchtet, der zahlreiche Nachwuchs präsentiert sich durchweg so, als sei er im Berti-Vogts-Internat für bodenständige Fußballtalente groß geworden.“

Berti Bombproof

Philipp Selldorf (SZ 7.6.). „Berti Vogts, so hört man es hier von den schottischen Journalisten, sei argwöhnisch und misstrauisch und bringe immer die gleichen Klagen vor. Sie sagen, man könne ihn nicht zitieren, weil er so schlecht englisch spreche. Sie sagen, er mache schreckliche Witze. Sie sagen, sie könnten nicht begreifen, wie es Deutschland – das Kraftwerk des europäischen Fußballs – acht Jahre mit dem Bundestrainer Berti Vogts ausgehalten habe. Und schließlich sagen sie, dass Berti Vogts keine Schuld an den schlechten Resultaten seines Teams trage – weil die schottische Nationalmannschaft niemals so schlecht gewesen sei wie heute. Die Pressekonferenz fand wie üblich im „Rock Bowling Club“ in der Nähe von Glasgow statt, herrlich gelegen unterhalb der historischen Dumbarton Burg, die auf einem Felsen über dem weitläufigen Delta des River Clyde thront. Die schottische Presse macht Witze über diesen Ort, schreckliche Witze. Im Namen Dumbarton verbirgt sich das Wort dumb, das bedeutet dumm; der Witz lautet, dass dieser Ort wie geschaffen sei für Vogts (…) Alles in allem ist es, wie immer, ein bisschen traurig mit Berti Vogts. Gern möchte er Sportsgeist und Respekt vermitteln und jedermanns Freund sein. Den Deutschen berichtet er: „Die Schotten lieben die Deutschen!“ Den Schotten erzählt er: „Schottland hat einen großen Namen in Deutschland!“ Sein eigener Name in Schottland lautet seit Freitag „Berti Bombproof“ – Berti Bombensicher, weil Verbandschef Taylor mitgeteilt hatte, er werde Vogts auch bei einer Niederlage nicht entlassen. Umso größer waren die Schlagzeilen in den schottischen Blättern, nachdem DFB-Chef Mayer-Vorfelder erklärt hatte, er habe nichts gegen eine Rückkehr Vogts’ zum DFB. „Wir nehmen Euch Berti ab“, meldete der Daily Record. Zwischen den Zeilen stand: Seid so gut und macht es!“

Tragische Geschichte

Christof Kneer (BLZ 7.6.). “Zur tragischen Geschichte des Berti Vogts gehört, dass bis heute keiner wirklich weiß, ob der Mann immer nur gegen die Umstände verloren hat oder doch gegen sich selbst. Man weiß nicht, ob er etwas dafür konnte, dass Berti-Bashing eine Art Nationalsport gewesen ist. Man weiß nicht mehr, ob Vogts erst komisch war und dann der Spott kam, oder ob sie ihn unverschuldet solange als Comicfigur besetzt haben, bis alle glaubten, dass er eine ist. Die Wahrheit ist wohl, dass beides stimmt. Nein, Vogts kann nichts dafür, dass er nach 166 Zentimetern das Wachstum eingestellt hat, und es ist ihm auch nicht anzulasten, dass er ausgerechnet aus Kleinenbroich stammt. Aber ja, er konnte etwas dafür, dass er auch sachliche Kritik immer so verbissen nachgetragen hat, dass seine Kritiker ihn weiter freudig missverstanden. Ja, er konnte etwas dafür, dass er seinen bekannt kampfstarken schottischen Spielern einen Brief schrieb, indem er sie pathetisch zu verschärftem Kampfesmut aufrief. Vermutlich ist dies die Lebenstragik des Berti Vogts: Immer hat er rührend versucht, allen alles recht zu machen, und oft hat er dabei alles rührend falsch gemacht. Nun lauern seine Kritiker auf den nächsten Fehltritt: Bei den englischen Buchmachern stehen die Wetten auf 5:1, dass Vogts an diesem Sonnabend aus Versehen beide Hymnen mitsingt.“

Was machen wir nur mit Dir, mein kleines Nervenbündel?

Jan Christian Müller (FR 7.6.). „Fragt man sie drinnen im Bowling Club nach Vogts, senken sich die Blicke betreten zu Boden. Sie nennen ihn allesamt Bördi, weil sie Berti nicht aussprechen können, und Vieles, was er macht, verstehen sie nicht. Sie verstehen nicht, warum er wegen der Kritik zweier Ex-Internationaler ein Interviewboykott für BSkyB erließ, was für Schlagzeilen sorgte, weil der Bezahlsender dem schottischen Verband rund 27 Millionen Pfund für einen Vierjahresvertrag zahlt. Vor allem aber will es ihnen nicht in den Kopf, wieso Vogts bisweilen Linksfüßer rechts verteidigen lässt, zentrale Abwehrspieler links und Linksverteidiger ins zentrale Mittelfeld schickt. Deutsche, hat der einstige Außenverteidiger (links wie rechts) auf Nachfrage einfühlsam erläutert, seien vielseitig und könnten auf verschiedenen Posten ihren Mann stehen, Schotten, das habe er inzwischen gelernt, spielen nur eine Position. So was so zu formulieren, ist natürlich nicht sonderlich geschickt. Aber so ist er nun mal, der Bördi. Sie nennen ihn bisweilen den winzigen Bördi, obwohl das natürlich nicht fair ist. Aber es ist einfach, kleine Menschen nicht ganz ernst zu nehmen. Gerade, weil sie besonders ernst genommen werden wollen. Manche Schotten sagen, es gäbe keinen unangenehmeren Job, als Team-Manager ihrer Fußball-Nationalmannschaft zu sein. Wie ein Gärtner auf einem Eisberg, sagt einer und erntet bald heftigen Widerspruch. Es gäbe kaum Leichteres, sagen andere: Niemand erwarte etwa von der schottischen Mannschaft gegen Deutschland einen Punkt, aber eine performance, eine gediegene Mannschaftsleistung also, die erwartet die Nation schon (…)Seine optimistischen Prognosen aus der Vorwoche hat er inzwischen aber relativiert – was ihm prompt die nächste Breitseite einschlägiger Boulevardpostillen bescherte. OH BERTI, Berti, Berti, schreibt Bill Leckie, der Sun-Sportjournalist des Jahres in seiner gefürchteten Kolumne, was machen wir nur mit Dir, mein kleines Nervenbündel? Der Respekt könnte größer sein. Es gibt gar Stimmen in den Leserbriefspalten, die nach Rainer Bonhof rufen, Vogts altem Spezi, der einst für die schlichtesten Halbzeit-Analysen der deutschen Fernseh-Historie stand, mittlerweile aber über veritable Englischkenntnisse verfügt und mit Schottlands U 21 eine weit bessere Bilanz vorzuweisen hat als der kleine Freund mit dem rund erneuerten A-Team.“

The little german

Michael Horeni (FAZ 7.6.) referiert die eigenwillige Informationspolitik von Berti Vogts. “Der ehemalige Bundestrainer erteilt den Auftrag, deutsche Journalisten aus den beiden Pressekonferenzen, die er für die schottischen Medien gibt, zu verweisen. Es kommt zu Protesten. Vogts wird später behaupten, diese Trennung sei in Schottland üblich. Das ist sie jedoch nicht, wie sollte sie es auch sein, da die Schotten in über 100 Jahren immer nur einen der ihren zum Nationaltrainer gemacht haben. Aber Vogts, so wird gemunkelt, wolle wohl nicht, daß man ihn englisch sprechend in Deutschland vorführe. Deswegen gibt er am Tag vor dem Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft zwischen Schottland und Deutschland drei Pressekonferenzen. Eine für schottische Fernseh- und Rundfunkanstalten, eine für die schottische Presse (auch da: Zutritt für Deutsche verboten) und dann eine für die gesamten deutschen Medien. Die Aussperrung führt zu absurden Szenen. Als Kameras von außen durch die Fenster filmen wollen, werden die Vorhänge zugezogen. Als Vogts endlich allein unter Schotten ist, läuft im Raum nebenan ein Fernseher mit einer Livesendung von Skysports. Dort wird die Pressekonferenz live übertragen. An die Lautsprecher des Fernsehens halten deutsche Anstalten ihre Mikrofone, um Berti Vogts, der keine zwanzig Meter entfernt sitzt, in der Sprache seiner neuen sportlichen Heimat zu hören. Vogts bringt die Pressekonferenz auf englisch sicher und routiniert hinter sich. Die schottischen Medien, in denen er sich oft als the little german bezeichnen lassen muß, scherzen mit ihm. Irgendwann muß auch er lachen, als er gefragt wird, ob er der Lehrer von Rudi Völler sei, denn er war ja schon früh der Trainer des Weltmeisters und jetzigen Teamchefs. Nein, das sei er sicher nicht, sagt Vogts. Sich als Lehrer von Völler aufzuspielen, das ging ihm doch zu weit.“

Mit einem kommunistischen Mannschaftsprinzip kann ich nichts anfangen

Auszüge aus einem FAZ-Interview (7.6.) mit Oliver Kahn:

FAZ: Wenn Sie im Training 90 Minuten hart an sich arbeiten und sehen dann andere, die es ganz locker angehen lassen, was geht dann in Ihnen vor?

OK: Nichts mehr.

FAZ: Was ging mal in Ihnen vor?

OK: Früher konnte ich es nicht begreifen. Ich war der Meinung, wer viel trainiert, wird sich immer verbessern. Heute weiß ich, daß ich mein Denken nicht auf andere Menschen übertragen kann. Ich kann nicht von anderen erwarten, daß sie so sind wie ich. Das führt nur zu Frustrationen. Ich muß auch tolerieren, wie andere zum Erfolg kommen wollen. Ich kann nur Anregungen geben: Du kannst hier mal ein bißchen mehr machen oder das mal etwas verfeinern. Aber ich bin keiner mehr, der sich darüber aufregt. Jeder hat es selbst in der Hand, jeder kann erfolgreich sein, jeder kann viel Geld verdienen. Aber dafür muß man etwas tun. Ich hätte mit normalem Aufwand ein guter Torwart werden können. Ich wollte aber ein Super-Torwart werden. Ich wollte immer mehr. Dementsprechend habe ich gearbeitet. Das kann man von anderen nicht verlangen, das müssen sie selbst erkennen.FAZ: Es gibt zwei Reaktionen unter den Kollegen auf Ihren besonderen Leistungsethos. Die eine ist die öffentliche: ungeteilte Anerkennung. Die andere ist heimliches Kopfschütteln nach dem Motto: Warum macht der das, es geht doch auch einfacher?

OK: Nein. Man kann es nicht einfacher haben. Man kann es nur einfacher haben, wenn man Durchschnitt sein will. Alle erfolgreichen Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, sind Leute, die hart dafür gearbeitet haben. Nach außen hat es manchmal eine gewisse Leichtigkeit. Aber wenn man hinter die Kulissen blickt, sieht man nur eins: harte Arbeit. Jeder große Pianist muß jeden Tag sein Programm durcharbeiten. Genauso ist es bei mir auch. Wenn ich aufhöre konsequent zu arbeiten, beginnt ein langsamer, schleichender Prozeß des Abstiegs.

(…)

FAZ: Gehören zur Extraklasse auch Sonderrechte?

OK: Ich bin zehn Jahre bei Bayern München und der Nationalmannschaft. Da ist es doch völlig normal, daß man das ein oder andere Zugeständnis bekommt. Es ist total lächerlich, darüber auch nur im Ansatz zu diskutieren.

FAZ: Mit anderen Worten: Wenn alle Spieler gleichbehandelt werden, ist das auch nicht gerecht?OK: Mit einem kommunistischen Mannschaftsprinzip kann ich nichts anfangen. Alle großen Trainer, die ich bisher hatte, hielten überhaupt nichts davon, jeden Spieler exakt gleich zu behandeln. Sie haben immer Strukturen und Hierarchien in einer Mannschaft geschaffen, damit eine Mannschaft besser funktioniert. Aber dieses kommunistische Prinzip: Jeder muß das gleiche Hemd anhaben, die gleiche Hose, 8.30 Uhr pünktlich Frühstück, 11.30 Uhr pünktlich dies, 15 Uhr pünktlich das – damit kann ich nichts anfangen.

Christian Eichler (FAZ 7.6.). „Diesen Samstag wird man es hoffentlich im schottischen Tor zappeln hören: das Leder. Das Leder ist natürlich schon lange kein Leder mehr. Es ist ein kugelförmiges Polyurethangebilde mit Zwischenschicht aus polysyntaktischem Schaum. Nur wäre diese korrekte Umschreibung des Wortes Ball am Mikrofon eher unpraktisch. Ehe sie beim Mittelfeldgeplänkel komplett ausgesprochen wäre, läge ihr Gegenstand womöglich schon längst im Tor. Deshalb ziehen Rundfunkreporter immer noch gern vom Leder. Nur ein Pedant wird das bemäkeln und für das behördenhaft klingende Spielgerät plädieren. Das Leder hat auch deshalb seine sprachliche Berechtigung, weil es die Erinnerung an mehr als hundert Jahre Fußball mit Naturmaterial wachhält. Der gute alte Lederball, dessen Nähte sich der Stirn des Kopfballspielers einprägten, der sich bei Regen vollsog, bis er wie Blei am Fuß lag, so daß es einen Kraftathleten verlangte, um ihn wie Helmut Rahn 1954 aus der Distanz ins Tor zu wuchten. Wer ihn je trat, weiß noch, wie ein solcher Ball sich anfühlt, verändert, ja lebt. Und wie er riecht. Denn Fußball sprach einmal nicht nur Auge und Ohr an, auch die Nase. Bald aber wird wohl nicht mal das Gras mehr duften. Denn die Zukunft des Profifußballs soll der Kunstrasen sein. Der ist so perfekt plan wie der Kunstball rund. Und genauso geruchlos.“

Vor dem Spiel Schweiz gegen Russland NZZ

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Leverkusens Aufschwung

Franca stehe stellvertretende für Leverkusens Aufschwung, teilt Roland Zorn (FAZ 18.8.) mit. „França, gestern noch ein Stürmer im Stau, heute ein Ideenproduzent und Torlieferant für die möglichen Erfolge von morgen, kam im vergangenen Sommer für die Leverkusener Rekordablöse von 9,5 Millionen Euro vom brasilianischen Großverein FC São Paulo. Jahrelang hatten ihn die Späher vom Bayer-Werk beobachtet, ehe sie sicher waren: Mit França kann der Klub keinen Fehler machen. Wer mehr als 150 Tore für São Paulo schießt, in der Selecão neben Ronaldo stürmt und nur wegen einer Verletzung die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2002 verpaßte, taugt auch zum Heldentum in der Bundesliga. Ein Fehlschluß. França tauchte in den Wirrungen und Irrungen der Leverkusener Horrorsaison unter, erzielte in 18 Spielen lediglich einen Treffer, saß oft genug nur auf der Tribüne und schämte sich. Ich war sehr berühmt in Brasilien und in Leverkusen sehr traurig, erinnerte sich der sensible und leise Brasilianer am Samstag seiner schwärzesten Tage in Deutschland. Doch França vermied jenes Selbstmitleid, mit dem sein Dortmunder Landsmann Amoroso seine Vorjahrskrise ummäntelte. Immer wieder bedeutete er den Verantwortlichen bei Bayer, daß er bleiben und sich durchsetzen wolle. Als dann gerade noch rechtzeitig Augenthaler kam und die Nachfolge der in der Saison 2002/03 überforderten Vorgänger Klaus Toppmöller und Thomas Hörster antrat, nahte das Ende von Franças Leidenszeit. An der Rettungsaktion Klassenverbleib war er noch so gut wie unbeteiligt, doch den Wiederaufschwung zurück an die Bundesligaspitze hat der Brasilianer bisher mitgeprägt (…) França blüht auch wegen zweier Mitstreiter auf, die am eigenen Leib das Auf und Ab der Leverkusener Verhältnisse zu spüren bekommen haben: Oliver Neuville, im Vorjahr ein Stürmer ohne Fortüne, und Robson Ponte, vor ein paar Jahren wegen unsicherer Perspektiven von Bayer nach Wolfsburg ausgeliehen. Alle drei profitieren davon, daß Augenthaler nicht nur einen Mentalitätswandel in seiner Mannschaft herbeigeführt hat, sondern auch einen Systemwechsel. Bayer Leverkusen, in der Zeit vor Augenthaler meist nur mit einer Spitze und drei Zuarbeitern aus der zweiten Reihe agierend, stürmt heute mit zwei Spitzen – França und Neuville – und einem dritten Mann, Robson Ponte, gleich dahinter. Wächst da etwa ein neues magisches Dreieck heran? Zumindest bündeln sich in diesem Trio brasilianische Spielkunst und deutsche Zielstrebigkeit zu einem launigen Versprechen an die Fans: In Leverkusen wird wieder Fußball zelebriert.“

Angenehmer Gegner

Christoph Biermann (SZ 18.8.) sieht das ähnlich, zweifelt jedoch an der Leverkusener Stärke. „Die große Leistung des Brasilianers war am Samstag nur Teil einer Wiederauferstehung als Massenphänomen. Oliver Neuville, im Vorjahr zumeist ein Knappe von der traurigen Gestalt, traf zwei Mal. Diego Placente, im Vorjahr ein wandelndes Sicherheitsrisiko, war so präzise wie konsequent in der Defensive und stark im Spielaufbau. Marko Babic, im Vorjahr eher ein Mitläufer, setzte auf der linken Außenbahn viele Akzente. Juan stand in der Abwehrmitte so sicher wie in seinen besten Tagen und Lucio war in der Defensive und bei seinen Vorstößen phänomenal. Das fügte sich zum besten Saisonbeginn, den es in Leverkusen je gab. Drei Auftaktsiege sind Bayer in der Bundesliga noch nie gelungen. „Einen zweifellos sehr guten Start in die Saison“ mochte Mannschaftskapitän Carsten Ramelow nicht abstreiten, „aber es ist gefährlich, denn jetzt kommen die Schulterklopfer.“ Klaus Augenthaler dürfte es jedoch nicht sonderlich schwer fallen, sie zu verscheuchen. Denn Bayer spielte nicht annähernd so gut wie das Ergebnis und eine Fülle brillanter Momente nahe legte. Problemlos könnte der Trainer die kommende Woche mit Videostudien füllen und seinen Spielern dabei eine Reihe von Fehlern vorführen. Bemerkenswert dumm hatten sie sich etwa gegen Hannovers Abseitsfalle angestellt, die radikalste der Bundesliga. Statt den Weg über die Außen zu suchen, stürzten seine Angreifer immer wieder durch die Mitte ins Abseits. Zwischenzeitlich ließ die Konzentration nach und machte sich eine gewisse Sorglosigkeit breit. Augenthaler stellte zu Recht die Frage, „was losgewesen wäre, wenn Hannover beim Stand von 2:0 der Anschlusstreffer gelungen wäre.“ Gelegenheiten dazu gab es für Hannover kurz vor und nach der Pause durchaus. „Dieses Jahr spielen wir sehr guten Fußball“, fand dennoch Oliver Neuville. Wie gut er wirklich ist, wurde in den bisherigen Spielen allerdings noch nicht überprüft. Nach zwei Siegen über Aufsteiger wurde mit dem Erfolg über Hannover zwar „der erste richtige Test“ (Neuville) bestanden. „Aber wir sollten die Kirche weiterhin im Dorf lassen“, sagte Augenthaler, der während des Spiels oft genug fluchend am Seitenrand herumgesprungen war. Nicht so häufig wird Bayer zudem auf einen Gegner treffen, dessen Spielweise der Mannschaft so angenehm entgegen kommt.“

Hertha Berlin – SC Freiburg 0:0

Christian Eichler (FAZ 18.8.) bedauert die Berliner. „Zum erstenmal seit 16 Jahren wurde am Wochenende wieder richtiges Bier im Berliner Olympiastadion ausgeschenkt. Vorbei die Zeit der dünnen Light-Getränke, die Fans des Fußball-Bundesligaklubs Hertha BSC dürfen sich endlich erwachsen fühlen. Herthas Manager Dieter Hoeneß meint nämlich, daß die meisten Zuschauer verantwortungsvoll mit Vollbier umgehen können. Den 32000 Fans, die zur Partie gegen den SC Freiburg gekommen waren, hätte Hertha am Samstag statt Vollbier ruhig Limonade in die Becher gießen können – das Publikum fühlte sich auch mit null Promille wie beschwipst. Was sich da im Freiburger Strafraum abspielte, konnte nur eine rauschhafte Sinnestäuschung sein: Exakt 53mal (stimmt diese Statistik tatsächlich?, 53 Torschüsse in einem Spiel?! of) schossen die Herthaner auf das Tor von Schlußmann Richard Golz. Und exakt 53mal kamen sie nicht an ihr Ziel.“

Zur Situation des Fußballsports in der Hauptstadt heißt es bei Javier Cáceres (SZ 18.8.). „In Konturen ist der große Fußball in Berlin durchaus erkennbar, das Gerüst steht schon. Zwanzig Meter hoch wird er werden, der vom österreichischen Multikünstler André Heller entworfene, gigantische Ball, der bald als Blickfang vor dem Brandenburger Tor ruhen und Vorfreude auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wecken soll. Anders gesagt: Illusionen nähren soll. Die Berliner Fußballbranche versteht sich darauf schon seit einigen Jahren prächtig, ebenso gut aber auch darauf, Wunschvorstellungen wieder zu zerstören. Zurzeit in bemerkenswerter Eile und fataler Koinzidenz. Beim selbst ernannten Champions-League-Kandidaten Hertha BSC haben dieses Mal 270 Minuten Bundesliga, drei Spiele ohne Tor ausgereicht, um die eh’ nicht heimelige Atmosphäre im Olympiastadion zu vergiften. Die Forderung nach einem Trainer-Wechsel („Stevens raus!“) dient dem Boulevard bereits zum grellen Aufmacher. Beim seinerseits von Erstligaträumen beseelten Zweitliga-Nachbarn 1.FC Union schaut’s noch bitterer aus. Nach drei Runden hat Union zwar zwei Tore erzielt, aber (anders als Hertha) keine Punkte auf dem Konto. Dazu kommt bei Union nun ein Fan-Problem. Nach der Niederlage bei Erzgebirge Aue randalierten am Freitag Union-Anhänger, ein Mitarbeiter des TV-Senders Premiere wurde verletzt, der Sender will klagen (handelt es sich bei dem Geprügelten um Jörg Dahlmann? meinen Segen hätten die Schläger; und mein Verständnis, of). Klare Wege aus der Krise vermag in der Hauptstadt zurzeit niemand zu Weisen.“

Netter Ausflug nach Berlin

Frank Ketterer (taz 18.8.) gratuliert den Gästen. „So ein Fußballspiel darf man sich ja immer auch als netten Ausflug vorstellen. Ein paar junge Männer treffen sich, steigen zu Hause ein in den Bus, ein paar hundert Kilometer weiter wieder aus, und dazwischen dreschen sie Karten, schauen Video oder dösen einfach vor sich hin. Horden von Kegelclubs machen das so, Gesangvereine nicht minder – und natürlich Schulklassen. Dann geht es in erster Linie um die Weiterbildung, und der Herr Lehrer wacht mit gestrengem Blick darüber, dass alle schön mitmachen und lernen. Volker Finke hat am Samstag gar nicht streng dreingeschaut, sondern eher gut gelaunt, noch mehr aber: ziemlich zufrieden. Die Exkursion nach Berlin war für ihn und seine Klasse ja auch nicht schlecht verlaufen, ganz im Gegenteil: Wir haben ganz geschickt gespielt und ganz gut zusammengearbeitet, beurteilte der Freiburger Fußballlehrer das Ergebnis der Studienfahrt in die Hauptstadt, in Zahlen ausgedrückt ergab das ein 0:0 zwischen dem SC Freiburg und der Berliner Hertha. Damit können wir leben, fand Finke, schließlich ist Freiburg Aufsteiger und Berlin selbst erklärter Champions-League-Kandidat. Neben diesem Umstand am meisten Freude dürfte dem 55-Jährigen bereitet haben, dass diesmal auch am Ende die Null stand – und zwar auf der richtigen Seite. In den ersten beiden Saisonspielen hatten die Freiburger ja gleich sechs Treffer kassiert, was deutlich zu viel war – und auch im Breisgau Schelte nach sich zieht. Es gibt einen Umstellungsprozess nach dem Aufstieg, aber ich bin guter Dinge, dass dieser ganz schnell abgeschlossen sein kann, hatte Finke deshalb auf vorschnelle Kritiken entgegnet, am Samstag durfte er sich bestätigt sehen. Der SC hat schnell gelernt.“

Bayern München – VfL Bochum 2:0

Elisabeth Schlammerl (FAZ 18.8.) kritisiert den ökonomischen Stil des Meisters. „Der deutsche Rekordmeister geizte gegen Bochum wie auch schon in den ersten beiden Partien dieser Saison, gegen Eintracht Frankfurt und Hannover 96, mit Kreativität und Ästhetik. Nur eine Viertelstunde lang zeigten die Münchner am Samstag nachmittag schönen Kombinationsfußball mit einem Hauch von Genialität. Nachdem aber zunächst Claudio Pizarro mit seinem dritten Saisontreffer und fünf Minuten später Deisler für das beruhigende 2:0 gesorgt hatten, stellte der Meister das Offensivspiel weitgehend ein. Er überließ den braven Bochumern, bei denen allein Nationalspieler Paul Freier überzeugen konnte, das Feld. Wenigstens kam so Bayern-Torhüter Oliver Kahn im dritten Spiel zu seiner ersten Glanzparade der Saison, zuvor hatte der Kapitän bei vier Schüssen auf sein Tor vier Gegentreffer kassiert. In der zweiten Halbzeit haben wir zu wenig gemacht, kritisierte Rummenigge – und reichte eine Erklärung nach, die eher nach Ausrede klang. Es hängt sicher auch damit zusammen, daß es heute sehr heiß war. Oder damit, daß die Bayern ihrer Zeit manchmal etwas voraus sein wollen. Sie traten gegen die Bochumer jedenfalls so auf, als ob sie schon mittendrin in der Champions-League-Saison wären. Dabei beginnt die erst in gut vier Wochen. Ob die Bayern dafür schon üben? Ihr Spiel jedenfalls ist schon wieder geprägt von jener Ökonomie, mit der es die Mannschaft jahrelang geschafft hat, international und national Spitze zu sein. Nur zu Beginn der vergangenen Saison hat sie den ergebnisorientierten Erfolgsfußball vermissen lassen und sich statt dessen in der Bundesliga am eigenen glänzenden Spiel berauscht. Was folgte, ist bekannt: Die Münchner schieden früh aus der Champions League aus. Dieses Jahr wird wieder von Anfang an für den internationalen Fußball geprobt.“

In der Mixed Zone des FC Bayern hat das große Gähnen begonnen

Thomas Becker (FR 18.8.) vermisst bayerische Großmäuler. „Makaay wird vor allem auf dem Feld Schlagzeilen machen, sich danach brav vor die Mikros stellen und in etwa so reden wie die Kollegen Deisler, Linke, Jeremies: sterbenslangweilig. In der Mixed Zone des FC Bayern hat das große Gähnen begonnen: vorbei die Zeit der Zornesblitzblicke von Effenberg, der Grotesktiraden von Laber-Lothar, der Stammtisch-Späße von Basler. Die Ausbrüche von Uli Hoeneß werden auch seltener, Scholl ist meist verletzt, Kahn hat andere Dinge im Kopf, und dem lustigen Giovane ist die gute Laune erst mal vergangen. Vom Schweiger Ze Roberto und den beiden Franzosen kommt sowieso nix. Dem FC Bayern gehen die Typen aus. So vernünftig wie die Chefetage ein- und verkauft, so rational arbeiten die Spieler auf dem Rasen, schalteten wie gegen Frankfurt nach zwei frühen Toren ein paar Gänge zurück und entließen die in Feierlaune angereisten 63 000 Fans zwiegespalten. Den erkennbar schnellen, aber noch lange nicht integrierten Neuen (Makaay) hatten sie noch in der Blasmusikphase eine halbe Stunde vor Spielbeginn mit einem sehr warmen Applaus begrüßt, über den anderen Neuen (Deisler) eine gute halbe Stunde lang gestaunt und mit dem eingewechselten Alten (Elber) mitgelitten, als dessen total verkorkstes Solo auf dem Hosenboden endete. Danach musste sich Makaay viele Zahlen anhören: nur zehn Ballkontakte, nur ein Torschuss, nur fünf Pässe, aber drei Mal abseits in der ersten Viertelstunde. Ein Trost: Gerd Müller traf erst im dritten Spiel.“

Nicht, dass da nicht etwa ein verirrter Holzschuhschnitzer auf der Wiese steht!

Klaus Hoeltzenbein (SZ 18.8.) suchte vergeblich nach Erkenntnissen beim Makaay-Debüt. „Manchmal ist es informativer, über ein Fußballspiel all das zu erzählen, was nicht passiert ist. Es hat zum Beispiel keinen Caravan-Stau gegeben auf der A9 zwischen Nürnberg und München, wie es ein Fernsehsender befürchtet hatte. Auf ihrem Weg ins Zillertal oder an die Adria haben sich die rollenden Fertighäuser mit den gelben Nummernschildern am Samstag nicht irritieren lassen und den Großraum ums Olympiastadion weiträumig umfahren. Auch hat die Abendzeitung keinen Farbtonwechsel beim FC Bayern herbeischreiben können – deren erste Sportseite leuchtete zwar in Orange, der Farbe des niederländischen Königshauses, in der Arena aber dominierte wie immer Rot und Weiß. In Orange, in ihren Plastikwesten, taten nur die Ordner Dienst, und Dariusz Wosz vom VfL Bochum trug eine orange Kapitänsbinde. Warum nicht? Nicht zornbebend vor die Presse getreten ist zudem Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern. Hoeneß hat auch nicht erklärt, dass es nur noch einen Weg gebe, mit Augusto Lendoiro, dem bösen Präsidenten von Deportivo La Coruña, fertig zu werden, nämlich den, ihn vor den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne zu zerren. Das wäre zu erwarten gewesen. Denn Roy Makaay, jener Wunderstürmer, den Lendoiro den Bayern für eine Rekordsumme (18,75 Millionen Euro plus Extras) überlassen hatte, tat nicht, was nicht nur die Abendzeitung von ihm erwartet hatte: „Hup Roy, schiet je doelpunt, schiet je doelpunt!“ Nix Hup, nix Tor, Makaay hat bei seiner Premiere nicht getroffen. Und Uli Hoeneß ging nach Hause. Ohne im Stadion ein einziges Wort zu hinterlassen. Ein Profi eben, dieser Hoeneß. Wusste er doch, was gefolgt wäre. Dass ganz bestimmt die nicht nur scherzhaft gemeinte Frage gefallen wäre, ob sie nicht den Falschen gekauft haben? Oder ob ihnen Lendoiro, dieser Halunke, für ihr gutes Geld nicht einen Doppelgänger geschickt hat, weshalb er jetzt vor einen Richter gehöre. So abwegig ist das alles gar nicht, auch die Bayern haben früher schon Spieler verpflichtet, in denen sie später nicht mehr jene erkannten, die sie zuvor gesichtet hatten. Einen gewissen Bernardo etwa, der 1991 im Transferpaket mit Mazinho aus Brasilien kam. Bernardo konnte, wie sich bald heraus stellte, sehr gut Samba und Gitarre. Roy Rudolphus Anton Makaay ist zuallererst ein Stürmer, und zweifelsfrei einer aus der Güteklasse A. Aber selbst den Experten im neuen Klub hat er es nicht leicht gemacht zu erkennen, dass da nicht etwa ein verirrter Holzschuhschnitzer auf der Wiese steht.“

Hansa Rostock – Eintracht Frankfurt 3:0

Ralf Weitbrecht (FAZ 18.8.) sah einen Klassenunterschied. „Lange dauerte es nicht, dann stimmte das Gros der 20 000 Fußballfans in den Chor ein: Zweite Liga – Eintracht ist dabei. Aus der zweiten Liga sind sie gerade erst gekommen, die Last-Minute-Aufsteiger aus Frankfurt. Und nun soll es schon wieder zurückgehen? Die Saison ist noch jung, drei Spiele erst sind absolviert. Doch die hämischen Gesänge aus dem Rostocker Ostseestadion sollte man durchaus ernst nehmen. So wie sich der an Harmlosigkeit kaum zu überbietende Aufsteiger an der Ostseeküste präsentierte, sind große Zweifel an der Erstligareife der Eintracht angebracht. Leicht und locker, fast wie im Training, spielten die Profis des FC Hansa mit den Hessen Katz und Maus. Hier ein Schnörkel, dort ein Haken – und zum Abschluß die große Martin-Max-Show. Drei Tore erzielte der Mann des Tages, bescherte seinem neuen Arbeitgeber nicht nur ein souveränes 3:0 gegen die überforderten Frankfurter, sondern auch jenes Glücksgefühl, das sich Hansa redlich verdient hatte: Rostock scheint das Zeug dazu zu haben, sich endlich einmal früher als sonst in den vergangenen zehn Jahren aus dem Routinegeschäft Abstiegskampf zu verabschieden. Heute haben wir ein komplettes Spiel gezeigt. Alles hat gepaßt. So macht Fußball Spaß, freute sich Armin Veh, der Trainer des FC Hansa. Macht auch der Fußball Spaß, den die Eintracht zeigt? Hat er überhaupt eine erstklassige Zukunft? Das Spiel der Hessen, vom altgedienten Uwe Bindewald präzise auf den Punkt gebracht, war eine einzige Katastrophe. Nichts hat gepaßt.“

Fußballwelten voneinander entfernt

Ingo Durstewitz (FR 18.8.) auch. “So wie am Samstag in Rostock muss es aussehen, wenn Mannschaften zwar in einer Liga spielen, aber doch Fußballwelten voneinander entfernt sind. Selbst die Spieler der Mecklenburger konnten sich, im Wissen, ihre eigene Leistung zu schmälern, nicht daran erinnern, wann jemals ein Opponent an der Ostseeküste aufgetaucht war und sich dergestalt ohne Gegenwehr in sein Schicksal ergab wie Eintracht Frankfurt. Jochen Kientz etwa, vor zehn Jahren einmal für Frankfurt in der Bundesliga am Ball und heute rustikaler Schienbeinpolierer in Rostock, resümierte: Das wird ganz schwer für die Eintracht. Der Klassenneuling, der schon nach 270 Minuten Bundesligafußball all jene Grantler befriedigt hat, die die Hessen schon vor dem ersten Anstoß als Absteiger verspotteten, ist von Hansa Rostock, einer Mannschaft, die zwischen Sylt und dem Bodensee selten für schlotternde Knie sorgt, der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Die Eintracht, da waren sich hinterher alle einig, hatte kein Bundesliga-Niveau, indes: Mit dieser Leistung hätte sie auch nicht gegen viele Mannschaften aus der zweiten Klasse einen Blumentopf gewonnen. Die Profis fielen umher, als seien sie am Abend zuvor mit den Kumpels Jack Daniel’s, Jonny Walker und Jim Beam in der Hotelbar versackt. Trainer Willi Reimann setzte nach der Demontage eine Süßsauermiene auf und garnierte seine Ausführungen dann und wann mit einem spöttischen Lachen: Wir waren nicht zweikampf- und nicht laufstark genug. Im Mittelfeld ideenlos und vorne ohne Durchschlagskraft. Es fehlte die Leidenschaft und die Kampfkraft, der Wille und die Einsatzbereitschaft. Da bleibt dann nicht mehr viel.“

Matthias Wolf (FAZ 18.8.) beglückwünscht Martin Max zu drei Treffern. “Es ist lange her, daß ein Spieler vom hanseatischen Publikum in Rostock so gefeiert wurde wie Max, der alle Tore beim 3:0-Sieg des FC Hansa über die Frankfurter Eintracht erzielte. Vielleicht sogar schon vier Jahre, als mit Oliver Neuville letztmals ein Stürmer an der Küste eine zweistellige Torquote erreichte (damals 14). Max hat nun schon viermal getroffen. Das führte dazu, daß eine Frage immer wieder gestellt wurde: Wird es klappen mit dem dritten Titel des Torschützenkönigs in der Bundesliga, nach 2000 und 2002? Der Umjubelte jedoch kokettierte mit seinem Alter. Laßt die Kirche im Dorf, sagte der 35 Jahre alte Angreifer, ich bin ja nicht mehr der Jüngste. In meinem Alter wünsche ich mir vor allem Gesundheit. Opa Max und die Kraft aus der Rheumadecke? Die Konkurrenz lächelte milde, weil Hansa vor lauter Torschußpanik (in den letzten drei Spielzeiten gelangen nie mehr als 35 Treffer) einen Fußball-Rentner holte. Nun erweist es sich als klug, daß Armin Veh über seinen Schatten gesprungen ist. Eigentlich traut der Trainer keinem Spieler über dreißig. Bei Max machte er eine Ausnahme.“

Kein Fußballer gleicht so sehr dem Ritter von der traurigen Gestalt

Christian Zaschke (SZ 18.8.) referiert Reaktionen aus Max´ Ex-Klub. „Die Freude war sehr groß in München, als die Kunde von Maxens drei vorzüglichen Treffern überbracht wurde. Max trifft jetzt für Hansa Rostock, und 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser, am Flughafen von der frohen Botschaft überrascht, sagte gleich: „Ich habe es ja immer gesagt“, und das stimmt natürlich nicht, hat er nicht, ach was, nie, aber macht nichts. Die Sechziger haben ihn ziehen lassen, kein Geld, sagten sie, aber eigentlich dachte der Präsident, Max könne nicht mehr laufen, man verriete das nur nicht, damit er noch Chancen habe auf dem Markt. Ein geschicktes Manöver, auf das Hansa Rostock prompt hereinfiel und nun gar nicht weiß, wohin mit all den Toren. Man hätte es vielleicht – nur vielleicht – ahnen können, Max war bereits zweimal Torschützenkönig. Ach, den Mann musste man kaufen, man denke bloß an diese Geschichte: Nach seinem ersten und zugleich letzten Länderspiel, vergangenes Jahr gegen Argentinien, fuhr Max von Stuttgart, dem Spielort, zurück nach München. Bei Gruibingen, nachts um halb eins, ergriff ihn ein großer Hunger, und so steuerte er seinen Wagen an den Rastplatz, ging in den Shop, nahm sich Chips und Orangenlimo und stellte sich in die Schlange an der Kasse. Lauter Argentinier standen da, bald erkannten sie Max und fotografierten, was die Filme hergaben, und so gibt es jetzt ganz viele Fotos: Argentinier und Max, Trainingsanzug, Chips mit Limo, kleiner Kopf. Kein Fußballer gleicht so sehr dem Ritter von der traurigen Gestalt, dem Don Quijote, und wenn sie jetzt in Rostock clever sind, dann schaffen sie einen Moment des Glücks und verpflichten dem Don noch einen Gefährten, den Sancho Pansa des Fußballs alias Thomas Häßler.“

Borussia Mönchengladbach – VfB Stuttgart 0:1

Ulrich Hartmann (SZ 18.8.) sah „junge wilde Blockierer“. „Die schwäbische Viererkette mit Hinkel, Meira, Bordon und Gerber ist nach eineinhalbjähriger Dauerbeschäftigung mittlerweile ein Musterbeispiel in punkto Kommunikation und Kombination. „Wir sind eingespielt“, sagt der Nationalspieler Andreas Hinkel: „Wir verstehen uns gut, verschieben gut und sprechen viel miteinander.“ Das hat nun dazu geführt, dass die Stuttgarter nach drei Spielen noch ohne Gegentor sind. Auch die Gladbacher erspielten sich trotz Überlegenheit im Mittelfeld so wenige Torchancen, dass ihr Trainer Ewald Lienen nach dem Spiel druckreif diktierte: „Wir haben es nicht verstanden, unsere Stürmer gegen die massierte Abwehr des VfB in Position zu bringen.“ Mehr muss man dazu nicht sagen. Höchstens noch, dass die Stuttgarter trotz destruktiver Spielkultur auch verdient gewannen, weil der 22-jährige Cacau, der vom 1.FC Nürnberg gekommen war, sein erstes Tor für den VfB erzielte. Der schönste Satz, den je ein Reporter gesagt hat über den locker trabenden Stürmer vor seiner Einwechslung, lautete einst in Nürnberg: „Cacau macht sich warm.“ Solche Bemerkungen mit der Assoziation von selbsterhitzenden Schokogetränken könnten sich in Stuttgart jedoch erübrigen, weil Magath den Brasilianer von Beginn an gebracht hatte und Spielpartner Kevin Kuranyi bestätigte, dass das Zusammenspiel durchaus fruchtbar sei. Die Vorlage, die er dem Brasilianer in der 33. Minute zum 1:0 gegeben hatte, nannte Kuranyi jedenfalls wichtig fürs eigene Selbstvertrauen. Von diesem dürfte in den kommenden Wochen unter anderem abhängen, ob die Stuttgarter wieder zurückfinden zur flotten Verwirrung gegnerischer Defensivlinien, oder ob sie lieber die Sechserkette in der eigenen Abwehr etablieren. Dass Trainer Felix Magath die erstere Lösung bevorzugt, zeigt sich vielleicht auch daran, dass ein weiterer Abwehrspieler, Claudio Morel Rodriguez, nun doch nicht verpflichtet wurde. Der paraguayanische Nationalspieler ist heim geflogen nach Südamerika, weil man sich nicht einigen konnte. Nun sucht Magath nach einer anderen Verstärkung. In Mönchengladbach dürfte er gesehen haben, wo Bedarf ist.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 18.8.) beschreibt die Szene des Spiels. „Auf die Situation angesprochen, die zum Foulelfmeter führte, stellte Timo Hildebrand einen Satz voran: Es war keiner! Das war sein Prolog zur Erläuterung der Schlüsselszene des Spiels. Ohne das Bravourstück des Torhüters, den Strafstoß abzuwehren, wäre es schließlich nicht beim 1:0 für den VfB Stuttgart geblieben. Als Geschenk durfte die Borussia zu diesem Zeitpunkt diese Geste empfinden, als der Spielleiter auf den Elfmeterpunkt zeigte. Er ist dann mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch zurück auf die Torlinie. Dies sei normalerweise nicht hilfreich Auge in Auge mit dem Elfmeterschützen, stellte er fest. Hildebrand hat sich dann eine Ecke ausgeguckt, nämlich die rechte, und lag damit richtig. Igor Demo zielte genau dorthin. Hildebrand ist keiner dieser Torhüter, die mit breiter Brust daherkommen. Gestählt im Kraftstudio und vom Ego. Von der Statur her ein Hänfling in Torwartkluft, bleibt der Stuttgarter Schlußmann eher unauffällig. Am Samstag aber genoß er die Genugtuung, der Gerechtigkeit auf die Sprünge geholfen zu haben. Die Mannschaft kam gratulieren, die Fans ließen ihn hochleben. Hildebrand stand im Mittelpunkt und nicht der Torschütze des Tages. Beim VfB feierten sie somit eine Rettungstat statt die Offensive. Die hat sich mit den drei Toren in den 270 Minuten dieser Saison noch nicht sonderlich hervorgetan, dafür aber das Abwehrbollwerk. Keinen einzigen Treffer haben die um Marcelo José Bordon gruppierten Aufräumposten zugelassen. Sie stehen clever und kompakt, wie der Gladbacher Trainer Ewald Lienen befand. Der VfB agierte am Bökelberg so abgeklärt, daß seine Aktionen fast schon betulich wirkten neben all der Betriebsamkeit, die von der Borussia entfacht wurde. Mit vielen Flüchtigkeitsfehlern ohne Not. Zerfahren und verfahren in der ersten Halbzeit, besser im zweiten Durchgang, aber ohne die große Linie und damit den großen Wurf.“

Borussia Dortmund – 1860 München 3:1

Christian Zaschke (SZ 18.8.). „Matthias Sammer hatte es eben bereits in die Mikrofone des Fernsehens gesagt: „Wir haben den Fehler gemacht, dass wir das Spielfeld viel zu groß hatten.“ Was war da los mit dem Spielfeld? Nun saß er in der offiziellen Pressekonferenz und erläuterte: „Wir hatten ein Spielfeld, das war teilweise 50, 60 Meter groß, da rennst du dich kaputt in der Mitte, das kannste nicht schaffen.“ Hatte das Spielfeld im Dortmunder Westfalenstadion sich eigenmächtig vergrößert? Hatte es dabei gar gegen DFB-Regeln verstoßen (Länge: mindestens 90 m, höchstens 120m, Breite: mindestens 45 m, höchstens 90 m)? Seit wann, das ist zu fragen, ändern Spielfelder scheinbar grundlos und ohne Aufforderung ihre Größe? So heiß war es doch gar nicht. Sammer beschrieb mit diesen Worten die zweite Hälfte der ersten Halbzeit, als die Münchner allmählich die Initiative im Westfalenstadion übernahmen. Sie hatten die Anfangsoffensive der Dortmunder abgewettert, nun standen sie sicher in der Abwehr und zogen ein gefälliges Konterspiel auf. Was aber hatte das Spielfeld damit zu tun? Sammer erläuterte: „Die Abwehrspieler waren hinten, und die Stürmer waren vorn.“ Das ist, für sich genommen, keine schlechte Sache, so soll es ja sein. Sammer meinte, dass im modernen Fußball das Spielfeld tatsächlich beweglich ist, er meinte die genutzte Spielfläche. Die meiste Zeit über finden Fußballspiele auf recht kleinem Raum statt, die Mannschaften stehen sich – so heißt es gern – kompakt gegenüber. Gegen Ende der ersten Halbzeit war das anders, die Sechziger liefen Konter über das gesamte Feld, die Dortmunder konnten die Lücken zwischen Abwehr und Angriff nicht schnell genug schließen. In ihrem Mittelfeld klaffte ein großes Loch, so weit war der Platz, dass Sammer die spontane Spielfeldvergrößerung erkannte (…) Es waren 15 Minuten, die den Unterschied zwischen beiden Teams exemplarisch offen legten. Der BVB spielte nach gutem Beginn nicht mehr sonderlich einfallsreich, er operierte mit vielen weit geschlagenen Bällen auf Koller im Sturmzentrum, der meist mit dem Kopf ablegte. Doch Dortmund überstand das Drängen der Sechziger vor der Halbzeit und nutzte anschließend die kurze Konzentrationsschwäche des Gegners konsequent. „Gegen einen solchen Gegner kannst du dir nicht die kleinste Nachlässigkeit erlauben“, sagte Götz, „insofern haben wir hier eine Lehrstunde bekommen.“ Und zwar in Effektivität, Dortmund ist die besser besetzte und die reifere Mannschaft. Es waren Kleinigkeiten, die das Spiel entschieden, und dennoch war der Sieg der Dortmunder vollauf verdient.“

1. FC Kaiserslautern – Werder Bremen 0:1

Martin Hägele (SZ 18.8.) sorgt sich um die Zukunft Kaiserslauterns. „Man muss Angst haben um den 1. FC Kaiserslautern. Nicht nur wegen der Pfiffe, die es nach dem zweiten 0:1 vor eigenem Publikum gab, oder weil dies so depressiv guckte, als die Blitz-Tabelle auf die Videowand gespielt wurde. Null Punkte, Platz 16. Auch, weil Trainer Eric Gerets nach der Niederlage gegen Bremen den „hundertprozentigen Fehlstart“ konstatierte und nach dem dritten Spieltag nicht mehr zu wissen scheint, wie er von seinem Team eine ordentliche Leistung abrufen soll: „Wir können uns jetzt zwei Tage lang ausweinen, und dann müssen wir wieder versuchen, eine ordentliche Mannschaft zu sein.“ Kein großer Trost ist das. Der Belgier, an dessen Moral und Willen sich die „Roten Teufel“ in der vergangenen Saison immer wieder hochgezogen hatten, sah nicht aus, als würde er an die eigenen Worte glauben. Die schlechte Lage in der kleinsten Bundesliga-Stadt verschlimmert sich noch, wenn einigen der Hauptdarsteller die Kritikfähigkeit abgeht. Steffen Freund, den Gerets vor zehn Tagen verpflichtet hatte für die nach Sforzas langwieriger Verletzung verwaiste Schalthebel-Stelle im Mittelfeld, entpuppte sich keinesfalls als jene Führungskraft, welche die strategischen Defizite in der Mannschaft behebt und Fehler gezielt anspricht. Der Früh-Pensionär aus der Premier League war offensichtlich überfordert, nach drei Jahren bei den Tottenham Hotspurs dem Tempo der Bundesliga zu folgen. Und dann auch noch beleidigt, weil einige Journalisten sein abstruses Resümee nicht widerspruchslos hinnahmen. Von wegen Freund und Kollegen hätten das Spiel nicht kontrolliert: „Bis zum Gegentor hatte ich nie das Gefühl, dass wir dieses Spiel verlieren könnten“. Ein Hoffnungsträger redet jedenfalls anders (…) Personalfragen kann sich der 1. FC Kaiserslautern im Augenblick nicht leisten – die Personaldebatte beschädigt automatisch das Retter-Image von Gerets und Klubchef Jäggi. Denn wenn in den nächsten Wochen die jüngste Vergangenheit mit Klagen und Anzeigen, mal vorm Zivilgericht, vielleicht auch vor Strafkammern, verhandelt wird, dann geraten sportliche und wirtschaftliche Rechtfertigungen in einen Topf. Und da man den Pfälzern großes Temperament nachsagt, könnten in der Südwest-Metropole schnell Emotionen die Debatten beherrschen und die Parteien unversöhnlich zueinander stehen. Eingefleischte FCKler werden es kaum zulassen, wenn ihr Nationaldenkmal Hans-Peter Briegel in den Dreck gezogen wird, weil er im Aufsichtsrat ein Modell mitgetragen hat, das Profis beim Steuer hinterziehen half. Und mit welchen Mitteln werden sich die Lokalmatadore Jürgen Friedrich, Robert Wieschemann und der ehemalige Geschäftsführer Herzog wehren, wenn sie ihre FCK-Sünden mit dem Privatvermögen büßen müssen? Die Sanierer Jäggi und Gerets haben bislang nicht viel falsch gemacht und sehr viel Kredit gewonnen. Doch eine Pfälzer Schlammschlacht können der Schweizer Manager und sein belgischer Fußballexperte nur überstehen, wenn die Mannschaft Erfolg hat und es nicht zum Kampf an zwei Fronten kommt.“

Wir haben das Spielfeld nicht klein genug gemacht

Jan Christian Müller (FR 18.8.). “Es hat fast ein halbes Jahr gedauert, bis Erik Gerets den Profis des 1. FC Kaiserslautern eingebimst hatte, dass sie den Abstieg nur mit einer modernen Viererkette verhindern könnten. Irgendwann hatte es auch der letzte kapiert, und weil in der Winterpause für die linken Seite der Kameruner Bill Tchato gefunden worden war, ließen sich die Vorstellungen des Kaiserslauterer Fußballlehrers plötzlich recht problemlos umsetzen. Irgendwann unter der Woche, vor dem 0:1 gegen Werder Bremen, muss Gerets dann die absonderliche Idee gekommen sein, es gegen die launischen Bremer mal wieder mit der altbackenen Variante zu versuchen. Weil Tchato, der nächste Woche wieder mitmachen darf, noch gesperrt war, ließ Gerets so verteidigen, wie man es im modernen Fußball schon seit geraumer Zeit nicht mehr tut: zwei Manndecker und dahinter ein Libero. Aus Respekt vor den schnellen Bremer Stürmer Ailton und Charisteas habe er seinen Ausputzern Knavs und Lembi noch einen Spieler dazu gestellt. Das war nicht gut, gab Gerets nach dem misslungenen Rückschritt in die Steinzeit kleinlaut zu. Dabei spricht es allemal für den Belgier, dass er zu seinen Fehlern steht. Denn dafür, dass wir das Spielfeld nicht klein genug gemacht haben und der letzte Abwehrspieler Thomas Hengen vom vorderen Angreifer Miroslav Klose regelmäßig 80 Meter entfernt agierte, wie Gerets kritisch anmerkte, war der Trainer ja auch selbst mitverantwortlich.“

Peter Penders (FAZ 18.8.). „Wunder geschehen nicht jedes Jahr, sagte Eric Gerets und spielte auf die gelungene Aufholjagd in der vergangenen Saison nach einer in allen Bereichen mißlungenen Hinrunde an. Sollte aber seine Mannschaft so weiterspielen wie beim 0:1 gegen Werder Bremen, wäre es kein Wunder, befände sie sich an Weihnachten wieder in einer ähnlich mißlichen Ausgangslage. Zwei Heimspiele, zwei Niederlagen – die Bundesliga ist derzeit mal wieder gern zu Gast im einst doch so gefürchteten Fritz-Walter-Stadion. Werder Bremen mußte sich nicht einmal über alle Maßen bemühen, um zum ersten Sieg in 40 Jahren Bundesliga am Betzenberg zu kommen – auch wenn sich die Norddeutschen die eigene Leistung hinterher arg schönredeten. So wie wir hier aufgetreten sind, können wir zuversichtlich in die Spielzeit gehen, meinte Sportdirektor Klaus Allofs. Soviel Optimismus überraschte, taten die Werder-Profis doch lange Zeit nicht viel mehr, als den einfallslosen Kollegen möglichst wenig Torchancen zu erlauben. Daß ausgerechnet Micoud nach 66 Minuten den Siegtreffer erzielte, paßte zur Partie. Der selten leidenschaftlich mitspielende Franzose hatte zuvor so wenig Aufmerksamkeit erregt, daß ihn die Pfälzer im Strafraum komplett übersehen hatten.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Nach dem 1:0-Sieg bei Manchester City hat West Ham United wieder Hoffnung auf den Klassenerhalt.

Nach dem 1:0-Sieg bei Manchester City hat West Ham United wieder Hoffnung auf den Klassenerhalt. Martin Pütter (NZZ30.4.) berichtet die Stimmung in London. „Ein Fall von West Ham würde in England viele schmerzen. Der Klub ist überdurchschnittlich beliebt. Ein Grund hierfür ist der gute Ruf der Jugendabteilung, aus der viele Spieler hervorgegangen sind. Der ehemalige englische Internationale Paul Ince und der gegenwärtige englische Nationalverteidiger Rio Ferdinand sind nur zwei Beispiele. Dann standen regelmässige charismatische Figuren im Nationalteam – etwa Bobby Moore oder Trevor Brooking. Letzterer ist nun kurzfristig eingestiegen, um seinen Verein vor dem Abstieg zu bewahren. Denn am Ostermontag war Manager Glenn Roeder nach dem 1:0-Heimsieg gegen Middlesbrough zusammengebrochen und mit Brustschmerzen ins Spital eingeliefert worden. In der Untersuchung stellte sich heraus, dass Roeder einen leichten Schlaganfall erlitten hatte. Weil die Vereinsführung keinen Aussenstehenden für die letzten drei Spiele verpflichten wollte, traten sie an Brooking heran, der „stiller“ Direktor im Verein ist (…) Am Samstag bekam Brooking an der Maine Road 90 Minuten fast alle Gründe dafür zu sehen, weshalb sein Team so weit unten klassiert ist. Der bis Ende Saison leihweise verpflichtete Les Ferdinand verletzte sich bei einem Zusammenstoss mit City-Hüter Peter Schmeichel schwer. Dann standen ihm einige Male die Haare zu Berge, als der Torhüter David James (alias „Calamity James“) mit Eskapaden beinahe Gegentreffer verursacht hatte. Neben den Verletzungen wichtiger Spieler sowie Schwächen in der Verteidigung kamen aber auch noch Unruhen in der Mannschaft hinzu. Sie wurden durch Paolo Di Canio ausgelöst, der sich mit Glenn Roeder angelegt hatte. Der 34-jährige Italiener, der zuvor mit spektakulären Toren Spiele beinahe im Alleingang entscheiden konnte, hatte angeblich unter anderem eine Stammplatz-Garantie verlangt. Daran trug aber auch Roeder Mitschuld. Gemäss einhelligem Urteil der Medien sei der Manager ein netter Kerl – solche hätten aber nur selten Erfolg in diesem Metier. Eine Spur Skrupellosigkeit ist Mindestanforderung für einen Manager. Deshalb wird sich West Ham United eine neue Lösung einfallen lassen müssen.“

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