Ball und Buchstabe
Der falsche Meinungsführer
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| Donnerstag, 14. Dezember 2006Der Pakt der Schalker mit Putins Gasprom, der Rauswurf der Journalisten auf der Hamburger Mitgliederversammlung, der Schalker Presseboykott – drei Ereignisse, drei Anlässe, über den Ruf von Sportjournalisten und ihren Fixstern Bild-Zeitung zu diskutieren
Schalke bekommt ab 2007 von einem Unternehmen, Gasprom, Millionen, das dem politischen Willen Wladimir Putins unterstellt ist – einem Autokraten, dem der Economist, wahrlich kein Blatt des Alarmismus, faschistische Tendenz nachsagt. Putin hat den Mord an der Regime-Kritikerin Anna Politkowskaja mit keinem Wort des Bedauerns kommentiert, sondern nur mit der verräterischen und kühlen Verteidigung, ihr Tod schade seiner Regierung mehr als daß er ihr nütze; ähnlich reagiert er auf die Vergiftung Alexander Litwinenkos. Prinzipiell, wenn wir Putin recht verstehen, ist also gegen diese Taten nichts einzuwenden – und Putins Schergen auch zuzutrauen. Oder gibt es einen Experten internationaler Politik (oder auch nur einen interessierten Beobachter), der die Verwicklung des Kreml in die zwei jüngsten Mordfälle kategorisch ausschließen möchte?
Jürgen Roth, Publizist und Experte in internationaler Kriminalistik, sieht im 11-Freunde-Interview schwarz für Schalke und den Fußball. In dunkelsten Tönen warnt er vor Gasprom: „Der Schalke-Deal, ist eine billig erkaufte PR-Maßnahme für ein Unternehmen mit zweifelhaftem Ruf. Gasprom will dieses negative Image für seine Expansion auf dem westeuropäischen Markt polieren. Gasprom ist der größte Energiekonzern der Welt, er verfügt gleichzeitig über unglaubliche Macht. Entsprechend verhält sich das Unternehmen: Gasprom handelt erpresserisch – etwa, wenn wegen der orangenen Revolution der Ukraine den Gashahn zudreht. Oder im Fall Georgien, wo auf einmal der Gaspreis um 100 Prozent erhöht wird. Und es bestehen seltsame Verbindungen zu kriminellen Strukturen.“ Daß Schlake die Millionen von den Russen angenommen hat, läßt Roth nicht durchgehen: „Ein Verein, der noch ansatzweise rechtsstaatliche und demokratische Werte als Unternehmenspolitik verfolgt, muß so eine Offerte kategorisch ablehnen.“ Woraus die Immunität vieler Fußballfunktionäre gegen diese Kritik resultiere? Roth antwortet mit der Höchststufe des Kulturpessimismus: „Sie ist eine Folge der zunehmenden wilden Kapitalisierung des Sports. Fußball wird zu einer Ware, die nur derjenige erhält, der am besten zahlt.“
Die Russenmafia verdient mit
Roth bekräftigt die Warnung vieler Experten an Staatskritiker, die sich in Rußland bewegen: „Wer kritisch über das Unternehmen oder Machenschaften des Kreml – was im Grund das gleiche ist – berichtet, sollte sich möglichst fünf kugelsichere Westen anlegen. Sicher ist jedenfalls, daß für die massive Einschränkung der Pressefreiheit in den letzten Jahren Gasprom eine wichtige Rolle spielte.“
Uli Hoeneß sei recht zu geben, der eine „Rußlandisierung“ des europäischen Fußballs beklagt: „Ein kluger Satz. Den klassischen Sport aus Leidenschaft wird es nicht mehr geben, sondern nur noch den gnadenlosen Wettbewerb zwischen Superreichen, die sich darin messen, wer über die größte Macht und Finanzmittel verfügt. Für sie ist alles käuflich, wirklich alles. Das genau haben sie ja bereits perfekt in ihren Heimatländern praktiziert. Ich bin Skeptiker und sage, daß das Geschäft mit dem Sport, ob Fußball oder andere Sportarten eine magnetische Anziehungskraft für kriminelle Organisationen und ihre Strohleute hat. Wir sollten uns daran gewöhnen, daß organisierte Kriminalität in allen Lebensbereichen immer mehr an Einfluß gewinnt. So wie jeder Bürger wissen sollte, daß die Russenmafia auf verschlungenen Wegen irgendwie mitverdient, wenn er zuhause Energie verbraucht, werden Fußballfans in Zukunft wohl auch in Kauf nehmen müssen, daß die Mafia bei Spielen mitkassiert. Und das ist noch das harmloseste Szenarium.
Keine Solidarität mit der Kollegin Politkowskaja?
Olaf Sundermeyer (rund-magazin.de) fügt hinzu: „Ach ja, und dann verliert Schalke noch viele Fans in Polen, wo Schalke lange Zeit der beliebteste deutsche Klub war, und in anderen osteuropäischen Staaten zwischen Moskau und Berlin. Denn hier tritt Gasprom als Vertreter imperialer russischer Interessen auf, der mit seiner Energiepolitik diejenigen erpreßt, die nicht nach der Pfeife des Kremls tanzen wollen. Daher hat Gasprom ein mieses Image, das man sich nun in der Ruhr rein waschen möchte.“ Günter Nooke, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, hat in einem Spiegel-Interview darüber geklagt, daß eine Kooperation mit Gasprom zur Imagepflege eines undemokratischen Staates beitrage.
Außer den 11 Freunden, Rund und dem Spiegel hat noch die SZ auf die Verwerflichkeit des Schalke-Deals hingewiesen (siehe if v. 11.10.06, 10.10.06, 18.10.06). Doch der große Aufschrei in der deutschen Sportpresse bleibt aus. Die Bild-Zeitung, angeblich der Meinungsführer unter Sportjournalisten, beißt lieber in Thomas Dolls Waden (seitdem Mirko Slomka ein Spiel nach dem anderen gewinnt), und den TV-Sendern fällt auch nichts besseres ein als nach der Zukunft des Trainers von Verein X und Y zu fragen. Das soll dann wohl investigative Arbeit sein. Doch wo bleiben die kritischen Nachfragen über den Zusammenhang zwischen Politik und Fußball? Empfinden deutsche Sportjournalisten keine Solidarität mit ihrer Kollegin Politkowskaja? Warum lesen wir keine Schalker Geigerzähler-Glossen? Ein Blick in den Politikteil des eigenen Hauses, statt in das Tittenblatt, würde ausreichend über den „lupenreinen Demokraten“ informieren. Es gibt nämlich keine Zeitung, egal welcher Couleur, das die Sorge einer weiteren Entdemokratisierung Rußlands unter Putin nicht teilt.
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