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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Versöhnung

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Versöhnung

Versöhnung zwischen den – inzwischen – einsichtigen Verantwortlichen des FC Bayern und seinen kritischen Fans – FAZ-Interview mit Klaus Topmöller über Michael Ballack und Schönheit im Fußball – sehr lesenswertes Spiegel-Essay über die Krankheitsfälle Deisler und Simak sowie den Leistungsdruck im Profifußball u.v.m.

Wie wenig die Verantwortlichen des FC Bayern über ihre Fans wussten!

Eine im Lokalteil (fast) versteckte Meldung über das vermutliche Ende des Streits – mit ungleichen Mitteln – zwischen dem FC Bayern München und seinen kritischen und letztlich bestraften Fans: Markus Schäflein (SZ 3.12.) berichtet das Eingestehen der Bayern-Führung: „Es war ein schlimmer Sommer für Andi Brück. Er ist seit 1986 Fan des FC Bayern, seit 1990 hat er so gut wie alle Bundesliga-Spiele des Vereins besucht. Dass es so weit kommen würde, hatte er nicht geahnt. „Es war eine meiner schwärzesten Zeiten“, sagt er, „emotional war es sehr hart. So etwas darf nie wieder eintreten.“ Der FC Bayern München hatte einigen hundert Fans, anfangs wegen angeblichen „vereinsschädigenden Verhaltens“, später begleitet von öffentlichen Diffamierungen, die Dauerkarten entzogen. Inzwischen hat sich der Verein mehrmals entschuldigt, zuletzt haben Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf der Jahreshauptversammlung und Manager Uli Hoeneß bei einem Treffen des damals ausgeschlossenen Fanklubs Club Nr. 12 versöhnliche Reden gehalten. Es scheint, als hätten die Verantwortlichen des FC Bayern im Umgang mit den Fans dazugelernt. Sie haben Andi Brück als hauptberuflichen Mitarbeiter der Fanbetreuung angestellt. Jetzt ist auch der harte Kern der Fans im Verein repräsentiert, die so genannte Szene, die mit ihren vielen Strömungen und ihrem teilweise aggressiv wirkenden Verhalten von den Vereinschefs oft missverstanden wird – nicht nur beim FC Bayern. Außerdem wurde ein Fanrat gegründet, in dem auch die im Sommer ausgeschlossenen Fanklubs vertreten sind. Er soll sich vierteljährlich mit der Vereinsführung treffen. Im Fanrat sitzt auch der Südkurven-Trompeter Manfred Rögelein. Beim ersten Heimspiel der Saison wollten ihn die Verantwortlichen des FC Bayern noch in eine Blaskapelle einbauen, der harte Kern der Anhänger reagierte wütend. Die Blaskapelle kam nie wieder, mittlerweile kann Brück über die Geschichte schon lachen. Sie ist das beste Beispiel dafür, wie wenig die Verantwortlichen des FC Bayern über ihre Fans wussten. Der FC Bayern hat die Kritiker aus den eigenen Reihen nicht durch falsche Anschuldigungen loswerden können; nun versucht er, sie zu integrieren. Das ist der bessere Weg.“

Presse-Stimmen (Juli 2003) zur Diskussion um die Sanktionen des FC Bayern gegenüber ihren Fans

of Wie kommentieren eigentlich die Kettenhunde von Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer von der Sport-Bild diese neue Harmonie und die Entschuldigungen seitens der Bayern-Klubführung? Zur Erinnerung: damals warnten sie vor „Terror aus dem Fan-Block“!

Ballack würde glücklich, wenn er seine Position spielen könnte

FAZ-Interview mit Klaus Toppmöller über Bayern München, Michael Ballack und Schönheit im Fußball

Die Stimmung beim FC Bayern München ist angespannt. Nach dem enttäuschenden 2:2 gegen den 1. FC Köln ließ Manager Uli Hoeneß seinem Ärger in der Kabine freien Lauf, Präsident Franz Beckenbauer kritisiert die Mannschaft heftig. Im Mittelpunkt der sportlichen Kritik stand zuletzt immer wieder Nationalspieler Michael Ballack – der Lieblingsschüler von HSV-Trainer Klaus Toppmöller während der gemeinsamen erfolgreichen Zeit bei Bayer Leverkusen.

FAZ: Die Bayern haben aus Leverkusen Michael Ballack und Zé Roberto geholt, um den attraktiven Fußball von Bayer zu den Bayern zu importieren. Warum klappt das nicht?

KT: Die Bayern haben eine sehr gute Mannschaft, sie spielen erfolgsorientiert. Aber Ballack hat am liebsten zwei Spitzen und einen offensiven Mittelfeldspieler dahinter. Das wäre zwar risikoreicher als ihr jetziges Spiel – aber auch schöner.

FAZ: Schöner Fußball – Ihr Lieblingsthema.

KT: Ich bin da ein bißchen anders gepolt. Ich sehe die Zuschauer als Kunden. Die meisten gehen nur alle zwei Wochen ins Stadion und wollen ein schönes Spiel sehen. Da kann ich als Trainer nicht hingehen und neun oder zehn defensive Leute aufstellen. Das geht gegen meine Philosophie von Fußball. Ich will Fußball spielen, nicht Fußball verteidigen. Ich war zuletzt auch ziemlich überrascht, daß die Fernsehzuschauer in der Champions League lieber Stuttgart sehen wollten – und die mit 70 Prozent vor den Bayern lagen –, obwohl die Bayern Nummer eins in Deutschland sind und die meisten Fans haben. Das bestätigt mich in meiner Meinung, daß die Leute ins Stadion gehen und sich vor den Fernseher setzen, weil sie ein Topspiel sehen wollen.

FAZ: Die kennen sich doch so lange, also müssen sie zusammen spielen können. Aber sie laufen nicht, sie stehen nur herum, ich sehe keine Aufwand, kein Bemühen, keinerlei Bewegung, sagt Franz Beckenbauer jetzt über seine Bayern. Wollen Sie ihm widersprechen?

KT: Daß die Bayern auch super Fußball spielen können, haben sie auch schon gezeigt. Das ist gar nicht so lange her: Im letzten Jahr hat man vom weißen Ballett gesprochen. Die Bayern haben also bewiesen, daß sie es können.

FAZ: Ballack steht bei den Bayern am meisten in der Kritik – warum wird er in München nicht glücklich?

KT: Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Aber ich kenne ihn sehr gut. Ich glaube, daß er nur glücklich würde, wenn er seine Position spielen könnte. Ein Beispiel: Wenn man als Journalist über ein tolles Spiel schreiben kann, wird daraus ein super Artikel. Das ist doch etwas anderes als über ein trockenes Thema wie Fernsehverträge zu berichten – und das ist bei Fußballern genauso. Ich kann jedenfalls nur sagen, wie es mit Ballack damals bei mir war: Da hat er seine Topspiele gemacht. Jetzt kann ich das nur aus der Ferne beurteilen: Bei den Bayern hat er sein Top-Level in dieser Saison noch nicht erreicht – und auch Zé Roberto nicht. Er wurde schon vergangene Saison in Frage gestellt.

FAZ: Ballack müßte also offensiver spielen?

KT: Ja, dann wäre er meiner Meinung nach glücklicher.

Wie unmenschlich ist der Leistungsdruck im Profibetrieb?

Sehr lesenswert! Maik Großekathöfer Michael Wulzinger (Spiegel 1.12.) recherchieren die Hintergründe um die Krankheitsfälle Simak und Deisler: „Macht die Bundesliga die Seele krank? Wie schwer ist die Last, vor 80 000 Zuschauern auf dem Rasen funktionieren zu müssen; von Kritikern abgeurteilt zu werden; Rechenschaft abzulegen über verschossene Elfmeter, unterlaufene Flanken, den Wechsel der Lebenspartnerin oder Kneipenbesuche nach 22 Uhr? Mit dem Fall Simak kam in diesem Herbst – quasi als Kontrastprogramm zu den wilden, tatkräftigen und erfolgreichen Eleven des VfB Stuttgart – ein Thema hoch, das älter ist als die Bundesliga, aber nie wirklich aufgegriffen wurde. Denn dass bekannte Fußballer psychisch erkranken, ist kein neues Phänomen. Jupp Posipal etwa, einer der sagenumwobenen Helden von Bern, begab sich in den späten Jahren seiner Karriere wegen Depressionen in Therapie, was eingeweihte Weggefährten wie ein Staatsgeheimnis behandelten. Schließlich galt es bis in jüngster Zeit in der Leistungsgesellschaft des Fußballs als Unding, an etwas anderem als Zerrungen oder Knochenbrüchen zu laborieren. Seit vorvergangenem Freitag wird die Debatte, wie gravierend seelische Konflikte für Kicker sein können, mit nie erlebter Verve und Offenheit geführt (…) Es gibt verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen Sebastian Deisler und Jan Simak, die beide als technisch hochbegabte Kreativspieler geschätzt werden. In ihren Mannschaften galten sie, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, als isoliert. Aus dem seelischen Gleichgewicht gerieten sie ausgerechnet in einer Phase, in der sportlich alles bestens lief. Dennoch trennt die beiden sensiblen Kicker mehr, als sie eint (…): Kompliziert wurde das Leben für Simak, als er voriges Jahr zu Bayer Leverkusen ging. Dieser Wechsel gilt als traumatischer Karriereknick. Erstmals war Simak nicht automatisch der beste Mann seines Teams. Für die neuen Kollegen, fast durchweg Nationalspieler, war Simak nur ein lauffauler, defensivschwacher Zweitliga-Kicker, den sie im Training zuweilen übel foulten. Für diesen böhmischen Zuhälter, wütete ein deutscher Nationalspieler schon nach wenigen Wochen, laufe ich mir nicht die Füße platt. Trainer Klaus Toppmöller registrierte die Feindseligkeiten. Wiederholt bat er den Tschechen zu sich in die Kabine. Doch kaum war Jan in meinem Büro, hatte er einen Fuß schon wieder über der Türschwelle, erinnert sich der Coach. Mit seinen Augen hat er mich angeschaut, doch mit seinen Ohren hat er weggehört. Bevor sich Simak einem Problem stelle, bestätigt sein Berater Leutrum, haut er lieber ab (…) In der laufenden Debatte wird gern darüber räsoniert, wie unmenschlich der Leistungsdruck im Profibetrieb sei. Andererseits betonen fast alle Trainer, ein Kader von über 25 Spielern funktioniere nur über Druck. Doch welchen Druck hatte Sebastian Deisler eigentlich im Star-Ensemble des FC Bayern? Er musste 15 Verletzungen in fünf Jahren verarbeiten, die Trennung seiner Eltern, die mit Komplikationen behaftete Schwangerschaft seiner Freundin. Aber Druck, den der Arbeitgeber entwickelte, muss sich der FC Bayern kaum vorwerfen. Allenfalls die Einsilbigkeit, mit der Deisler um das Trainingszentrum schlich, wagten die Bayern-Bosse im Sommer kritisch anzusprechen. Sebastian glaubt, monierte Club-Chef Karl-Heinz Rummenigge, dass es reicht, wenn er trainiert und samstags spielt. Aber beim FC Bayern ist das nicht genug. Eine besondere Kostprobe seines Verständnisses von Öffentlichkeitsarbeit lieferte Deisler, der in drei Jahren zweimal den Berater austauschte, nach dem 0:0 der Nationalelf auf Island. Alles in Schwarz zu schreiben ist blöd, spielte er den blamablen Auftritt herunter. Und überhaupt: Morgen ist ein anderer Tag, und am Mittwoch ist ein anderes Spiel, und da werden wir es allen zeigen. Auf Nachfrage sagte er den Satz ein zweites Mal – den Journalisten kam es vor, als säße da ein Sprechautomat der Telekom auf der Bühne. Indes: Verstehen kann den introvertierten Ballkünstler nicht mal, wer täglich mit ihm arbeitet. Zu Kollegen pflegt er kaum Beziehungen. Leverkusens Manager Calmund wähnt in den Fällen Deisler und Simak die Spitze eines Eisbergs. Was aber zu tun ist, darüber herrscht in der Liga Ratlosigkeit. Es gibt Fälle wie den des ehemaligen Stürmers Guido Erhard. Als er beim VfL Wolfsburg 1996 ausgemustert wurde, fiel Erhard in eine erste Depression. Beim Zweitliga-Club Mainz 05 gewann er die Lust am Fußballspielen zurück, doch seine Krankheit wurde er nicht mehr los. Im Februar 2002 warf sich der Fußballer im Offenbacher Hauptbahnhof vor einen Zug.“

Jörg Marwedel (SZ 3.12.) berichtet von der Jahreshauptversammlung beim Hamburger SV: „Es ist schwer, Visionen zu vermitteln, wenn die Gegenwart so trist ist wie der derzeitige zwölfte Tabellenplatz des HSV in der Bundesliga. Vereinschef Bernd Hoffmanns Vision ist ein europäischer Spitzenklub, der seinen Mitgliedern gleichwohl das Gefühl einer „Heimat“ vermitteln soll. Und ein Weg dahin sei die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in den nächsten zwei Jahren, „um einmal richtig Geld auf dem Kapitalmarkt zu bekommen und auf Augenhöhe mit den Topklubs zu arbeiten“. „Wie Eintracht Frankfurt?“ wandte einer aus dem Auditorium spöttisch ein. Überzeugt hat er erst Wenige im konservativen Krawattenklub. Nicht einmal sein Hinweis, der HSV sei einer der letzten fünf Eingetragenen Vereine unter den 18 Erstligaklubs, schien die Traditionalisten zu beeindrucken. Eher schon die Rede des früheren Präsidenten Peter Krohn, der den Aufsichtsratsvorsitzenden Udo Bandow wegen fehlender Kontrolle attackierte. „Die Verluste“, rief Krohn und hob erregt die Stimme, „sind echte Substanzverluste, die Werte sind weg.“ Er erhielt den größten Beifall des Abends.“

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