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Leverkusen entlässt Hörster und ersetzt ihn durch Klaus Augenthaler – Rudi Völler wird Meisterehrung vornehmen
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| Donnerstag, 25. März 2004
Mehr kühler Verstand, nüchterne Strategie und vor allem Teamwork
Roland Zorn (FAZ 14.5.) blickt skeptisch in die Leverkusener Zukunft. „Selbst wenn die Saison für Bayer glücklich endete und der erste Abstieg nach 24 Jahren Erste Bundesliga vermieden werden könnte, sollten sie sich in Leverkusen nicht zu ausgiebig feiern. Bayer bedarf zur neuen Spielzeit, sei es in der obersten oder in der zweithöchsten Spielklasse, dringend einer Reform von innen. Dazu müßten sich die Verantwortlichen der Bayer AG wie auch der verdienstvolle Geschäftsführer Calmund selbst einen Ruck geben. Mit der Besänftigungsformel, daß auch einem Calmund mal ein schwaches Jahr zustehe, ist es nicht getan. Calmund, Holzhäuser, Sprink, Kaenzig, Kohler, mit Abstand auch Lehnhoff und Kirsten – das ist der große Kreis derjenigen, die in diesem Jahr bei Bayer mitreden durften. Viele Männer, wenig Power und vorneweg ein rundum verzweifelter Rheinländer, der die Fußball-GmbH von Bayer 04 Leverkusen jahrelang quasi aus dem Bauch regierte. Die Zeit der maßgeblichen Bauchmenschen im Bayer-Werk aber neigt sich – ähnlich wie beim FC Schalke 04 mit dem Alleinherrscher Rudi Assauer an der Spitze – dem Ende zu. In Zukunft sind mehr kühler Verstand, nüchterne Strategie und vor allem Teamwork der Sache zuliebe gefragt. Sehr zum Wohle von Bayer 04 Leverkusen.“
Sonntagmorgensportfernsehstammtischprolet
Frank Ketterer (taz 14.5.) glossiert. „Auf dass keiner sage, sie seien nicht gnädig, auf anrührende Weise gar menschlich umgegangen mit ihrem Kurzzeittrainer. Hätte nämlich, wie es durchaus vorgesehen war, ein leider hinreichend bekannter Sonntagmorgensportfernsehstammtischprolet kürzlich den Job des Oberberaters beim Pillenclub aus Leverkusen übernommen, wäre der bemitleidenswerte Thomas Hörster nun viel mehr los als nur sein Traineramt. Udo Lattek jedenfalls hätte weit weniger Federlesen mit dem ehemaligen Amateur-Übungsleiter des Werkclubs betrieben, so jedenfalls teilte er das der Fußball-Nation mit. Noch am Sonntagmorgen ließ der Alttrainer in bewährt bierseeliger Runde wissen, wie er sich des Problems entledigen würde: Wenn ein Trainer so etwas sagt, beckenbauerte Lattek da, muss man ihn nicht entlassen, sondern erschießen. Jawoll! Legt an! Und Prost, Udo!“
Er hat den Test bestanden. Er ist raus.
Das Streiflicht (SZ 14.5.) reagiert ebenso kopfschüttelnd. „Also, jetzt muss aber wirklich mal was passieren am Arbeitsmarkt. Inzwischen ist die Lage so verzweifelt, dass selbst Menschen, die Arbeit haben, diese nicht mehr los werden. Früher hat es noch ausgereicht zu sagen, dass man aufgibt. Heute muss man offenbar erst einen Test bestehen, bevor man seinen Arbeitsplatz verlassen darf. Da hat am Wochenende zum Beispiel der Fußballtrainer Thomas Hörster versucht aufzugeben. Seine Mannschaft, Bayer Leverkusen, hatte wieder einmal verloren. Sie steht immer noch auf einem Abstiegsplatz, und es sind nur noch zwei Spiele bis Schluss. „Steigen Sie jetzt ab?“ fragten die Reporter. Hörster schaute traurig, dann sagte er: „Nach der Leistung heute, muss ich sagen, habe ich aufgegeben.“ So etwas, denkt man, müsste für eine fristlose Kündigung doch ausreichen. Aber nein. Auf einmal war Aufgeben nicht genug, man sollte es auch ehrlich meinen. Und genau das zweifelte der Manager des Vereins, Reiner Calmund, an. Deshalb unterzog er Hörster einem „Glaubenstest“. Es ist dies ein neues Verfahren, das Calmund entwickelt hat. Dabei schaut er seinem Trainer in die Augen und versucht zu erspüren, was für ein Gefühl dieser hat. Und nur, wenn dieses Gefühl tiefe und ehrliche Verzweiflung wäre, würde er ihn feuern. Nun, Hörster hatte Glück. Er hat den Test bestanden. Er ist raus.“
Philipp Selldorf (SZ 14.5.) kritisiert die Weigerung des gut bezahlten Kohler, das Traineramt interimistisch zu übernehmen. „Als besondere Koryphäe hat Calmund außerdem den Sportdirektor Jürgen Kohler ausgezeichnet, dem er attestierte, „ein Brett vor dem Kopf“ zu haben, weil er sich trotz stundenlangen Bittens der Vereinsbosse geweigert hatte, als Trainer für Hörster einzuspringen. Calmund erkennt zwar an, dass diese mit jährlich 600.000 Euro honorierte Verweigerungshaltung des Hospitanten diskutabel ist, doch sieht er lieber die gute Seite: „Gradlinig“ sei Kohler. Solche Mitarbeiter braucht ein Klub mit der Sehnsucht nach Untergang. Mit Augenthaler strebt Bayer 04 nun nach weiteren Höhepunkten der Tragikomik, die den Verein seit Jahren so zuverlässig begleiten wie der Manager Calmund an seinen Hungerkuren scheitert.“
Grüßt nun auch unterm Bayer-Kreuz das Murmeltier?
Christoph Biermann (SZ 14.5.) kann es nicht verstehen. „Es hat so viele Etappen der Krise auf dem beispiellosen Weg von Bayer Leverkusen zum Abgrund gegeben, dass die einzelnen Stationen in der Erinnerung ineinander zu verschwimmen beginnen. Gestern, bei der soundsovielten Pressekonferenz in dieser Saison in der BayArena, gab es dann den Moment endgültiger Verwirrung. „Ich habe es mir nie leicht gemacht und mich nie ins gemachte Nest gesetzt“, sagte Klaus Augenthaler bei seiner Vorstellung als neuer Trainer des taumelnden Erstligisten. An sich war das keine außerordentliche Auskunft, schließlich ist der ehemalige Verteidiger als Kämpfer bekannt und Leverkusen derzeit ein ziemlich zerzaustes Nest. Nur hatte sich vor sechs Wochen Jürgen Kohler mit genau demselben Wortlaut als Sportdirektor vorgestellt. Ist Augenthaler also Kohler oder umgekehrt? Grüßt nun auch unterm Bayer-Kreuz das Murmeltier?“
Zur Situation Augenthalers heißt es bei Erik Eggers (FTD 14.5.). „Der 45-jährige kann der Situation, so heikel sie ist, ja auch mit großer Gelassenheit begegnen. Steigt der Vizemeister ab, dann wird ihn keiner dafür verantwortlich machen. Bleibt die Mannschaft in der Liga, kann er sich als Wunderheiler eines Teams feiern lassen, das nach allgemeiner Ansicht nicht mehr zu heilen war. Verlieren kann er jedenfalls wenig in den letzten beiden Spielen, auch wenn sein vorzeitiger Wechsel in die Bundesligageschichte eingehen könnte. Augenthaler wäre dann der erste Trainer, der sozusagen mit zwei Klubs abstiege. Eines jedenfalls bewies Augenthaler sofort: Dass er die Rhetorik im Abstiegskampf weitaus besser beherrscht als sein Vorgänger. Wenn ich nicht denken würde, dass die Qualität der Mannschaft für sechs Punkte aus den letzten beiden Spielen reicht, so der Bayer, dann wäre ich nicht hier. Er habe auch als Spieler nie aufgegeben. Der absolute Wunschkandidat Jürgen Kohlers will nun erst einmal Ruhe in die Mannschaft einkehren lassen, Panikmache bringt nichts in einer solchen Situation. Und er will arbeiten. Vom Reden ist noch keiner besser geworden, sagt Augenthaler. Das ist nun ein Satz, der in Leverkusen wahrlich schon öfter zu hören war in dieser Spielzeit. Dass die schon notorisch gewordenen panischen Reaktionen in Leverkusen ausbleiben in den nächsten zehn Tagen, ist angesichts dieser Ruine von Fußballmannschaft, die Klaus Augenthaler nun zu betreuen hat, dennoch kaum denkbar.“
siehe auch Leserzuschriften zu diesem Thema
Schalendiebe
Philipp Selldorf (SZ 14.5.) begrüßt die Entscheidung der DFL, Teamchef Rudi Völler die Meisterehrung vollziehen zu lassen. „Unter den Fans von Schalke04 wird derzeit erbittert darüber diskutiert, ob man dem FC Bayern beim Heimspiel am letzten Spieltag Beifall für dessen 18. Meistertitel erweisen oder ihn lieber geschlossen mit Buhrufen eindecken soll – schließlich firmieren die Bayern dort seit dem Saisonfinale 2001 unter dem Namen „die Schalendiebe“. In München dagegen haben die Fans die Debatte beendet, ob sie bei der Übergabe der Meisterschale am Samstag im Olympiastadion nach dem Spiel gegen den VfB Stuttgart pfeifen oder klatschen sollen. Es gibt Applaus: Für den FCBayern – und für Rudi Völler, der die Trophäe an Oliver Kahn überreichen wird. Eine kluge Idee ist das, den beliebten Teamchef als Glücksboten einzusetzen anstelle der zuständigen Funktionäre der Deutschen Fußball Liga (DFL). DFL-Vorsitzender Werner Hackmann hat zwar Übung in der Zeremonie, aber die DFL hat sich bekanntlich bei den Freunden der Bayern nicht beliebt gemacht. Misstöne waren zu erwarten und getrübte Feierlichkeiten.“
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