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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Themen

Themen: ist ein Elber-Transfer für die Bayern ratsam? – Bochum will keine Maus sein – Diskussion um Ausländerquote – Nachruf auf Helmut Rahn, “Deutschlands bedeutendsten Fußballer” (Zeit) u.v.m.

Thomas Kistner (SZ 21.8.) wundert sich. „Makaay, Elber, Pizarro – das könnte ein infernalisch rotierendes Trio werden in der neuen Saison, die für die Bayern ja wieder ständige Samstag-Mittwoch-Rhythmen parat hält. Nun verwundert die Personalpolitik des Hauses: Elber soll gehen. Genauer, er darf gehen, aber die Sprachrituale der Branche zu Grunde gelegt, läuft das eine auf das andere hinaus. Ob das klug ist? Ohne Elber bedarf es nur einer winzigen Wadenverhärtung – bei Pizarro oder Makaay – und die Bayern werden von den Problemen der Vergangenheit eingeholt. Faktisch haben sie nur diese drei, die übrigen Kombattanten mit der Dienstbezeichnung Stürmer sind Dauerpatient beim Klubarzt oder in den angeschlossenen Reha-Stationen: Scholl, Zickler, Santa Cruz. Da erstaunt, dass sich der sportliche Leiter nicht gegen die Entwicklung stemmt. Ein Spitzenstürmer in Reserve gibt ja nicht nur gewisse Garantie gegen ständig drohendes Verletzungspech, er gibt dem Trainer auch ein wichtiges Druckpotenzial in die Hand – wer soll dem Duo Makaay/Pizarro Beine machen, sobald es zu Schlendrian oder Verschleiß kommt? Und was, wenn die Anpassung des Konterstürmers Makaay an die breitere Bayern-Spielweise ein paar Wochen länger dauert, als es die flotte Champions League verträgt? Für Elbers Verbleib plädiert nur Aufsichtsratschef Beckenbauer, der ja nicht immer die Stimme der Vernunft gibt. Oder müssen ob des Makaay-Transfers nun ein paar Millionen in die Kasse zurück fließen? Auf dem Papier haben sich die Bayern nie verrechnet, auf dem Rasen manchmal schon. Wenn’s schief geht, wollen wir diesmal keine Klagen hören.“

Klein, fein, anfassbar

„In Bochum entsteht ein modernes Stadioncenter, und der Fußballclub versucht, sein mausgraues Image abzustreifen“, schreibt Jan Christian Müller (FR 21.8.). „Der VfL Bochum weiht morgen sein sieben Millionen Euro teures Stadioncenter ein. Der Revierclub will sich als Marke in der Nische zwischen den übermächtigen Nachbarn Schalke 04 und Borussia Dortmund und den unterklassigen Traditionsclubs aus Wattenscheid, Essen und Oberhausen etablieren. Künftig kann er statt 150 VIPs nun 600 bevorzugten Gästen auf einer gläsernen Brücke zwischen Stadioncenter und Tribüne gehobenen Komfort bieten (…) Seit Ende März kümmert sich Dieter Meinhold beim Fußball-Bundesligisten darum, dass der überregional kaum wahrgenommene Verein sein Image aufpoliert. Meinhold (48) kennt sich in der Branche aus. Sieben Jahre lang war er Leiter der Sponsoring-Kommunikation bei Opel, dem langjährigen Partner des FC Bayern München. Bayern und Bochum – das sind Welten, sagt Meinhold, an dessen Seite im Vorstand neben VfL-Finanzchef Ansgar Schwenken gerade mal 15 Mitarbeiter auf der neuen Geschäftsstelle im zweiten Stock des Stadioncenters arbeiten. Zum Vergleich: Bei den Großen der Szene sind es mehr als hundert Angestellte. Die Bochumer sind deshalb auch nicht so vermessen, die Traditionsclubs Borussia Dortmund mit seinem bald 83 000 Menschen fassenden Westfalenstadion oder Schalke 04 mit seiner über 60 000 Zuschauer fassenden Arena ins Visier zu nehmen. Das 33 000 Zuschauer fassende Ruhrstadion ist selten ausverkauft, in der laufenden Saison planen die Bochumer mit einem Zuschauerschnitt von 18 000. Lediglich Hansa Rostock (15 000) und der VfL Wolfsburg (16 000) sind in ihren Erwartungen noch bescheidener. Klein, fein, anfassbar, nennt Meinhold als Motto für die einst Unabsteigbaren, ein Attribut, das in der öffentlichen Wahrnehmung längst von Fahrstuhlclub abgelöst wurde. Viermal in den vergangenen sieben Jahren sind die Bochumer ab- und wieder aufgestiegen. Das soll ein Ende haben. Nicht nur den zahlungskräftigen Gästen, auch dem einfachen Fan und den Profis wird im neuen Stadioncenter mehr Komfort geboten. Statt in 35 Quadratmeter großen Kabinen dürfen sich Dariusz Wosz und Kollegen künftig in doppelt so großen Umkleideräumen im Untergeschoss umziehen, derweil sich die VfL-Anhänger über ihnen auf 163 Quadratmeter bewirten lassen können. Die Fans sollen sich länger im Stadion aufhalten, so Meinhold. Höhere Aufenthaltsqualität bedingt höhere Umsätze.“

Wolfgang Hettfleisch (FR 21.8.) lehnt Mayer-Vorfelders Vorschlag ab., eine beschränkende Ausländerquote einzuführen „Längst wurde in exemplarischen Verfahren an diversen europäischen Arbeitsgerichten geklärt, dass auch Profifußballer nichts anderes sind als Arbeitnehmer; und dass sie als solche dasselbe Recht auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes haben wie alle anderen abhängig Beschäftigten auch. Bei allem Anlass für Mayer-Vorfelders Lamento, Spieler ohne deutschen Pass, und das sind weit mehr als die Hälfte der Bundesligaprofis, schnappten den potenziellen Nationalspielern von morgen die Stammplätze weg: Eine Deutschen-Quote ist nicht nur realitätsfern, sie wäre obendrein keine Lösung des Problems. Dass der deutsche Fußballnachwuchs in den Proficlubs nicht recht zum Zuge kommt, ist primär einem Mangel an Hochbegabten geschuldet. Was wiederum viel mit dem Wandel zu tun hat, dem das Freizeitverhalten in einer stark individualisierten und medial dominierten Gesellschaft unterliegt. Die aktuellen Vorbilder unserer Kinder treten nicht Bälle ins Tor, sie trällern vor laufender Kamera olle Kamellen ins Mikro und werden dafür, wenn es die Privatsender-Industrie so will, zu Stars hochgejazzt. Im Fußball wird zum Star, wer viele Jahre seines Lebens darauf hingearbeitet hat. Für einen Zehnjährigen heutzutage keine verlockende Aussicht.“ Anerkennung im Karriereherbst

Über die erfolgreiche Rückkehr des Torhüters Reinke lesen wir von Jörg Marwedel (SZ 21.8.). „Reinke ist heimgekehrt in die Bundesliga. Dorthin, wo er bis vor drei Jahren beim 1.FC Kaiserslautern im Tor stand, Pokalsieger und Meister wurde, ehe ihn plötzlich niemand mehr haben wollte. 34 Jahre alt ist Reinke jetzt und bei Werder Bremen gelandet. Besser noch: Er ist dort auf Anhieb zur großen Stütze geworden. Ein lautstarker Abwehrdirigent, nur einmal überwunden in drei Bundesligaspielen, weshalb Werder weit oben steht in der Tabelle. Manchmal staunt Andreas Reinke selbst über die Anerkennung, die ihm im Karriereherbst entgegen gebracht wird. In Bremen rühmen sie ihn wegen seiner Ausstrahlung und der Art, „wie er sich die leichtsinnigen Burschen in der Abwehr packt“ (Sportdirektor Klaus Allofs). Oder wegen seiner „Erfahrung und offenen Art“ (Trainer Thomas Schaaf). Die neuen Kollegen wählten ihn sofort in den Mannschaftsrat. „Es ist“, sagt Andreas Reinke, „als hätten wir uns gesucht und gefunden.“ Dabei ist es ein kleines Wunder, dass sie sich überhaupt gefunden haben, die Bremer und der bullige Kerl aus dem mecklenburgischen Güstrow. „Wir haben alles abgeklopft in der Bundesliga, da geht nichts mehr mit 34 Jahren“, hatte ihm sein Berater im Frühjahr mitgeteilt. Und als Allofs nach einem Konkurrenten für den zuweilen überforderten Pascal Borel Ausschau hielt, ist er von Angeboten so überflutet worden, „dass ich damit mein Büro und die Nachbarzimmer hätte tapezieren können“. Doch er entschied sich für Reinke, der immer, wenn ihn ein Bremer Abgesandter beobachtete, „einfach keinen Ball reinließ“ und – vor allem – keine überzogenen Forderungen stellte. Die glückliche Fügung hat Andreas Reinke sich also erarbeitet, denn Fußball ist für ihn immer auch Lebensschule gewesen. Zuletzt, während seiner drei Jahre im Ausland, hat er besonders viel gelernt. Manche sagen sogar, er sei ein anderer Mensch geworden. Früher galt der gelernte DDR-Bürger als mundfauler Typ, dem es an Selbstvertrauen mangele. Das Tor, das 1996 Kaiserslauterns Abstieg besiegelte, haben sie prompt ihm angekreidet, was ihn bis heute wurmt. Richtig, er hatte den Ball nicht weit genug Richtung Außenlinie gefaustet. Aber war er wirklich allein schuld, „können die Kollegen in dem Moment Fernsehen gucken, oder was?“ Das hat ihm so wenig gepasst wie zwei Jahre später der Spott, der FCK wäre ohne Torwart Meister geworden. Weil es natürlich nicht stimmte, trotz einiger Patzer, die ihm heute wohl nicht mehr unterlaufen würden. Damals hatte Andreas Reinke längst gelernt, dass „Profifußball nichts mit Gemeinschaft zu tun hat“ und man sich letztlich allein durchschlagen muss.“

SpOn-Interview mit René Tretschok, arbeitsloser Profi

Den Reporter einer Boulevardzeitung haben sie weggeschickt

Richard Leipold (FAZ 21.8.) war auf der Trauerfeier zu Ehren Helmut Rahns. “In der Friesenstube sitzen ein paar ältere Männer an der Theke und schütteln den Kopf. Den Reporter einer Boulevardzeitung haben sie schon weggeschickt. Sie lehnen es ab, Geschichten und Anekdoten über Helmut Rahn zu erzählen. Wir sagen nichts. Die Freunde aus der Stammkneipe im Arbeiterstadtteil Essen-Frohnhausen wollen den Tod des legendären Fußballspielers buchstäblich in aller Stille begehen. Der Boß, wie ein ganzes Volk ihn nennt, hätte den Rummel nicht gewollt, finden sie. Wir fallen dem Helmut nicht in den Rücken. Er habe sich vor Jahren schon ins Privatleben zurückgezogen und die Öffentlichkeit seitdem gescheut. Die Freunde und Nachbarn des Verstorbenen drücken auf ihre Art in etwa das aus, was der Ministerpräsident später vor Millionen Fernsehzuschauern formulieren wird. Helmut Rahn hat sich nicht auf dem medialen Tanzboden inszeniert. Die Männer am Tresen bezweifeln, ob es im Sinne des Verstorbenen sei, aus der Trauerfeier so eine große Veranstaltung zu machen. Das Seelenamt in der Pfarrkirche St. Elisabeth wird original im Fernsehen übertragen – eine Ehre, die sonst nur gekrönten Häuptern und hochrangigen Staatspolitikern zuteil wird.“

Helmut Rahn war der bedeutendste deutsche Fußballer

„Keiner konnte dribbeln wie er, keiner konnte schweigen wie er. Helmut Rahn war der bedeutendste deutsche Fußballer.“ Christof Siemes (Zeit 21.8.) schreibt einen Nachruf. „Stellen Sie sich vor, Franz Beckenbauer brächte die Kraft auf, die nächsten 20 Jahre den Mund zu halten. Keine Werbung für Telefone, Schrauben, Bier mehr, keine halb garen Kommentare und gefühlsduseligen Rückblicke, kein „Schaun mer mal“ mehr. Ohrenbetäubend würde das Schweigen sein. Das Schweigen von Helmut Rahn war noch ohrenbetäubender. Weil er der bedeutendere Spieler ist. Der Kaiser hat das Land mit seiner Spielkunst bloß unterhalten, der Boss hat es verändert. Und begehrte irgendwann, nicht mehr darüber Auskunft geben zu müssen. Er wollte nicht mehr sprechen über die vielleicht größte Sportsensation des 20. Jahrhunderts, die er, der Bergmannssohn aus Essen-Katernberg, möglich gemacht hatte an jenem 4. Juli 1954. Sein Treffer zum 3:2 gegen Ungarn machte Deutschland erstmals zum Fußballweltmeister, und nicht wenige behaupten, dass die Bundesrepublik erst in diesem Moment wirklich gegründet wurde. Weil es der erste Sieg war, auf den dieser aus der größten Niederlage aller Zeiten entstandene Staat stolz sein konnte. Weil er ohne fremde Hilfe zustande gekommen war, errungen von ein paar bodenständigen Kerlen, die sich wie so viele Deutsche schlecht und recht durch Nationalsozialismus und Krieg gewunden hatten. Weil es das Wunder war, auf das die Deutschen in den zwölf braunen Jahren nach menschlichem Ermessen jeden Anspruch verloren hatten (…) Der Unterhaltungskünstler Rahn, der prädestiniert zu sein scheint für das Showbusiness, zu dem der Fußball nach und nach wird, macht nicht mehr mit. Vielleicht ahnt er, dass er – anders als auffem Platz – bei diesem Spiel die Kontrolle nicht wird behalten können. Während der sensible Fritz Walter, Rahns Zimmergenosse während vieler Länderspielreisen, bis ins hohe Alter bereitwillig den Vorzeigehelden gibt, verkauft der Boss zusammen mit seinem Bruder gebrauchte Autos und zieht sich zurück in die Anonymität eines Mietshauses in Essen-Frohnhausen. Aus dem Helden von Bern ist der Jerome D. Salinger, der große Verschollene, des deutschen Fußballs geworden.“

Nachrufe auf Lothar Emmerich und Helmut Rahn

Christoph Biermann (taz 21.8.) bleibt Fußball-Traditionalist. „Wie eine Springflut des Irrsinns sind Maskottchen über den Fußball gekommen. Hennes VII. vom 1. FC Köln sei hier ausdrücklich ausgenommen, handelt es sich doch um einen real existierenden Geißbock. Die wahre Pestilenz ist aus Plüsch oder Pappmaché und hüpft während der Spiele blöd herum, um sich anschließend winkend und dumm grinsend bei Interviews ins Bild zu schummeln. Dabei sind die Maskottchen so schlecht ausgedacht, dass sich wahrscheinlich selbst die Zielgruppe der 5- bis 7-Jährigen beleidigt fühlt. Warum etwa gibt es beim VfB Stuttgart das Krokodil Fritzle? Leben diese Großreptilien im Neckar? Dass bei den Löwen von 1860 in München ein Löwe herumläuft und bei den Zebras des MSV Duisburg ein Zebra, geschenkt. Beeindruckend ist allerdings die Indolenz bei Herthinho, dem bärenartigen Maskottchen von Hertha BSC. Herthinho soll brasilianisches Flair nahe legen, und das hat sich bestimmt eine Top-Werbeagentur ausgedacht. Die sollte nun schnell mal in Wolfsburg anrufen, wo man Wölfi infolge der argentinischen Entwicklungen dringend überarbeiten müsste. Die Vorschläge Wolgaucho und Wolfaucho seien hiermit kostenfrei zur Verfügung gestellt. Der Herthinho-Darsteller übrigens tritt gerne zurück, gibt also keine Interviews, damit man nicht ihn, sondern das Maskottchen wahrnimmt. Das Werk soll größer als der Mensch dahinter sein. Die richtige Einstellung ist das, sie überwiegt aber nicht durchgehend. Immer häufiger werden Maskottchen nicht nur zur Bedrohung für die geistige Verfassung des Publikums, sondern für den Spielbetrieb. Nachdem vor Jahren der Grotifant in der Grotenburg-Kampfbahn suspendiert werden musste, weil er den Linienrichter attackiert hatte, geschah im letzten Winter bei Union Berlin ähnliches. Dort lief Ritter Eisenbart nach einem Treffer für die Gastgeber auf den Platz, um den Torschützen Michael Molata zu umarmen. Wahrscheinlich hatte er ähnliche Probleme wie Kumpel Erwin bei Schalke 04, in dessen Kopf ein Ventilator für Belüftung sorgt, bei dem die Batterien aber nach einer Stunde schon leer sind und die Gefahr größter Hitzköpfigkeit besteht. In Wirklichkeit kann sich jeder Verein glücklich schätzen, der von einem Maskottchen verschont geblieben ist.“

Wieso kapiert von den Werbefritzen keiner, dass der Fußball seine Geschichten selber schreibt?

Freistößler David Kluge schreibt über die neue kicker-Werbung: „Ich dachte ja, die Zeiten von RAN wären vorbei, wo es nur so wimmelte von schlüpfrigen Anspielungen und menschelnden Soap-Stories, Gefasel über Frisuren, Modeaccessoires und Liebesgeschichten – alles mit dem verkrampften Ziel, bügelnde Ehefrauen und Bravo lesende Freundinnen am wegzappen zu hindern. Und dann diese Kicker-Werbung! Welcher irgendwie auch nur ansatzweise fußballinteressierte Mensch steht kurz (oder auch länger) nach einem Bundesligaspieltag im Fan-Dress neben (augenscheinlich völlig ahnungslosen) Papi und fragt nach Ergebnissen? Und kauft sich dann Montag den Kicker, um diese zu erfahren???? Total witzig das Ganze – allerdings nur für Fußball-Banausen! Die Fans hassen so etwas. Wieso kapiert von den Werbefritzen keiner, dass der Fußball seine Geschichten selber schreibt, seine Sogkraft ganz alleine entwickelt, und die Bekehrung Uninteressierter zum Fantum nie und nimmer durch behämmerte Werbespots ausgelöst werden kann?“

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