Ballschrank
„Irgendwo in Niedersachsen“
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Irgendwo in Niedersachsen“ gewinnt der FC Bayern seine 18. Meisterschaft, vermeldet die taz heute ein offenbar wenig überraschendes und unspektakuläres Ereignis. In ihrer Bundesliga-Kolumne „Blutgrätsche“ berichtet die alternative Tageszeitung Junge Welt die Münchner Meisterschaft beiläufig und im letzten Satz versteckt: „Ach so: Bayern wurde mit einem Sieg über Wolfsburg zum 18. Mal Meister.“ So zu tun, als sei nichts passiert, ist eine Gratulationsstrategie unter vielen.
Eine andere ist diejenige Joachim Mölters (FAS), der einen bemerkenswerten Artikel über die Außendarstellung und Positionierung des deutschen Premiumprodukts Bayern geschrieben hat. „Die wahren Höchstleistungen der Münchner“, so Mölter, „sind weniger sportlicher Natur, sondern vielmehr sprachlicher.“ Lesen Sie im folgenden von einer Gesprächsrunde unter und mit Gratulanten aus der Fußballpresse, die so freilich nie stattfand. Es gibt nämlich doch einiges zu diskutieren. (Die üblichen Lobeshymnen entnehmen Sie bitte kicker und SAT1.)
Joachim Mölter (FAS). „Lange bevor diese Fußballsaison begann, war klar, daß sie nur mit einem Triumph des FC Bayern München enden kann. Denn bei der Auftaktpressekonferenz vor dem Bundesligastart stellte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge die Mannschaft mit den Worten vor: Wir haben den besten Bayern-Kader aller Zeiten. Ui, da staunte die nationale Konkurrenz. Die 17 anderen Bundesliga-Klubs ergaben sich, sie waren der rhetorischen Meisterschaft der Münchner erlegen. Der Mythos des unerschütterlich selbstbewußten FC Bayern gründet sich nämlich vor allem auf die sprachlichen Höchstleistungen, die allen Taten stets vorausgehen. Neben dem besten Kader aller Zeiten präsentierte der Rekordmeister selbstverständlich die meisten und spendabelsten Sponsoren, allen voran die Deutsche Telekom, Europas größtes Telekommunikationsunternehmen, wie sie gepriesen wurde. Mit dem neuen Partner öffnete der FC Bayern gleich ein sogenanntes Multi-Media-Portal, der modernste New-Media-Auftritt aller Fußball-Clubs weltweit, wie umgehend im Jahrbuch geschwärmt wurde. Das ist zwar erstaunlich, daß man das so schnell feststellen kann, aber so funktioniert der Dreiklang des FC Bayern nun mal: in Deutschland am erfolgreichsten, in Europa am größten, am besten weltweit. Mindestens.“
Zwischenruf: Es ist in der Tat immer wieder erstaunlich, wie es den Münchner Wortführern gelingt, ihre erwünschte Sichtweise in großen Teilen der Fußballöffentlichkeit durchzusetzen. Das Muster Bayer Leverkusen aus der Vorsaison vor Augen, wünschten sich Hoeneß und Beckenbauer nach dem titellosen Jahr 2002 nicht nur erfolgreichen, sondern auch schönen Fußball. Die Folge? Nach dem ersten Hackentrick von Scholl in der neuen Saison schrieben nicht nur Boulevardzeitungen und der kicker sogleich in vorauseilendem Gehorsam vom „weißen Ballett“, einer schmeichelhaften Politur. Nach dem Ausscheiden in Runde Eins der Champions League erinnerte die SZ schadenfroh an diese Vorschusslorbeeren für die vermeintlichen Wunderkicker vom anderen Stern, denen nachgesagt wurde, „ihre Freistöße wären wie Blitze, ihre Flanken wie Regenbögen, die Netze der Tore müssten aus Titan sein, um nicht unter der Gewalt ihrer Schüsse zu zerbersten.“
Roland Zorn (FAZ). „Hätten sie sich nur nicht zu Beginn dieser Spielzeit von fälschlichen Etiketten und dem falschen Superlativ ihres Vorstandsvorsitzenden beeindrucken lassen, diese Spielzeit hätte für den nationalen Rekordmeister auch international erfreulicher ausschauen können. So aber schlug die Stunde des Lordsiegelbewahrers alter Münchner Tugenden: Ottmar Hitzfeld. Der auf Titel geradezu programmierte Fußball-Lehrer nutzte den Mehrwert an Trainingszeit und kehrte mit seiner kurz verunsicherten Mannschaft zurück an die Basis aller Bayern-Triumphe. Mit meist schmucklosen Siegen setzten sich endlich wieder wie früher die Rationalität des Handelns und die Effektivität.“
Rückblick: Seit der Verpflichtung Ottmar Hitzfelds 1998 präsentiert sich der Verein ununterbrochen wie kein deutscher Klub zuvor konkurrenzfähig auf höchstem internationalen Niveau. Die Münchner begegnen den mit sündhaft teurem Personal ausgestatteten Klubs aus Spanien, Italien und England inzwischen mindestens auf Augenhöhe. Dank der auf individuellen Stärken (und Schwächen!) des Kaders zugeschnittenen Taktik Hitzfelds fürchtet man die Bayern in Madrid und Manchester als schwer bezwingbaren Gegner. Die SZ bezeichnete sie deswegen einmal „das Unterhaching Europas“, was durchaus als Kompliment gemeint war. Schließlich sind die Bayern verglichen mit den Königlichen von Real Madrid ein Underdog, und zwar ein anerkennenswert erfolgreicher. Daher sollte man die vierjährige Boomphase (1998-2002) eher als Überraschung zu deuten bereit sein als das diesjährige Scheitern in einer mit hochkarätigen Teams (AC Mailand und Deportivo La Coruna) besetzten Gruppe.
Dazu Joachim Mölter (FAS). „Selbst wenn etwas mißlingt, dann nicht einfach so, sondern ganz grandios. Das Ausscheiden in der ersten Runde der Champions League, das jedes Jahr 16 Mannschaften widerfährt, war nicht bloß schade; eine Schande war das, schimpfte Rummenigge die Spieler. Denn die werden von ihrem Trainer Hitzfeld, dem besten der Welt, nebenbei bemerkt, auf ihre Großtaten vorbereitet, und zwar unter besten Bedingungen auf dem Trainingsgelände an der Säbener Straße, wo alles vom Feinsten ist, wie im Jahrbuch nachzulesen ist. Und in naher Zukunft dürfen sie in der Allianz-Arena spielen. Das Stadion wird einmal das schönste auf der Welt, versichert Hoeneß, wahlweise das ungewöhnlichste der Welt, wenn man Präsident Beckenbauer glaubt. Zu den Auswärtsspielen werden sie wohl auch weiterhin im modernsten Reisebus Europas chauffiert, wie es in einer Pressemitteilung einst hieß.“
Stichwort Pressemitteilung: Wie kein zweiter Club schaffen es die Bayern immer wieder gekonnt, ihre eigene Sichtweise in der öffentlichen Diskussion wie bestellt zu platzieren. Aus einen klarem Elfmeter gegen die Münchner – so wie letzte Woche in Dortmund – wird bei „ran“ plötzlich ein „umstrittener“, dem Wortlaut Ottmar Hitzfelds gehorchend. Das entscheidende Tor nach einem umstrittenen indirekten Freistoß in einer sehr langen Nachspielzeit – nach jenem Saisonfinale 2001 in Hamburg sprach die taz beleidigt von „Auftragsarbeit für Dauerbegünstigte“– gereichte den Münchnern wie gewünscht zur langlebigen Legende von der Unbesiegbarkeit.
Roland Zorn (FAZ) erinnert an sportliche Fakten dieser Saison. „Beste Heim-, beste Auswärtsmannschaft, bester Torwart, bester Angriff, beste Abwehr, bester Mittelfeldspieler (Ballack): Wo immer es um die Nummer eins im ganzen wie im einzelnen ging, stets war der FC Bayern in mannschaftlicher Geschlossenheit und individueller Stärke zur Stelle.“
Zur sportlichen Überlegenheit gesellen die Münchner nahezu perfekt Deutungshoheit über sich und ihr Handeln. So funktioniert ihr „perfekter Lobbyismus“ – wie Michael Horeni (FAZ) urteilt –, ihre Nationalspieler zu protegieren. Im Vorfeld der WM 2002 unterstützten einflussreiche Medien den auf internationalem Niveau stets torungefährlichen Bayern-Stürmer Carsten Jancker, während der treffsichere, von Bild-Kolumnist TV-Kommentator Franz Beckenbauer (den das SZ-Magazin als „mächtigsten Mann Deutschlands“ beschrieb) allerdings ungeliebte Oliver Bierhoff, als Auslaufmodell verhöhnt wurde. Oder nehmen wir Oliver Kahn, dessen Privatleben an dieser Stelle niemals interessierte: Wer nach dem WM-Turnier in Fernost auch nur einen Hauch von Kritik üben wollte, konnte sich nicht nur von den Stammtischen Nachtreter und Besserwisser schimpfen lassen. Dabei waren die niedagewesenen Lobesarien auf ihn oft übertrieben, und es war keineswegs so, dass ihm erst im Finale gegen Brasiliens Rivaldo sein erster und einziger Fehler unterlaufen wäre. Im Achtelfinale beispielsweise gegen Paraguay offenbarte Kahn mangelnde Strafraumbeherrschung sowie Fangunsicherheit. Recht verstanden: Er spielte insgesamt ein sehr gutes Turnier, zeigte einige Weltklassereaktionen sowie physische und psychische Präsenz. Vermutlich wäre die deutsche Elf ohne ihn nicht ins Endspiel eingezogen. Letzteres kann man so ähnlich aber auch von Leverkusens Carsten Ramelow behaupten. Kahns Konkurrenten Jens Lehmann wäre ein Fehler in einer derart bedeutenden Situation (oder eine Leistung wie diejenige Kahns beim 1:5 gegen die Engländer in München) lange nachgetragen worden. Dahingegen haftet Kahn nach wie vor das Image an, zu Höhepunkten besonders leistungs- und nervenstark zu sein. Zufall, dass Kahn im Trikot der Münchner spielt und Lehman Dortmunder ist? Nebenbei: Dass das Ausland sich leicht tut, den deutschen Torwart zu loben ist nicht schwer zu erklären, heißt das doch gleichzeitig, dass der Rest der ungeliebten Stolperteutonen ohne ihren Keeper nicht viel zu Stande bringt.
Christian Eichler (FAZ) versteckte seine diesbezügliche Ansicht in der Sommerpause 2002 und zwischen den Zeilen. „Kahn kann ja nichts für seine Erhöhung, die zugleich die Herabsetzung der anderen ist, er tut nur seine Arbeit. Es zeigt aber die Mechanismen, mit denen die Öffentlichkeit mit ihren Helden umgeht. Meistens unsachlich. Sachlich betrachtet, profitiert Kahns Wirkung auch von seinem Stil. Wie anderswo im Berufsleben gibt es auch im Tor die anderen Typen, die ein Problem abwenden, bevor es andere merken, die den entscheidenden Schritt machen, bevor alle hinschauen, und bei denen der sichtbare Teil der Rettungsaktion dann ganz einfach aussieht. Kahn kann auch das, doch vorrangig ist er ein Vertreter der anderen Torwartschule, der spektakulären, deren Taten oft wie das Halten des Unhaltbaren aussehen.“
Hört, hört! Oliver Kahn ein „Schaumann“: kein Kompliment in der Torhütersprache.
Jan Christian Müller (FR) tut sich mit einer Gratulation an die Adresse des Titelhalters schwer. “Weil es also so ist, dass man einem Meister gratuliert, tun wir es hiermit ebenfalls, allerdings nicht, ohne ehrlich einzuräumen, dass sich unsere Begeisterung in engen Grenzen hält. Man muss nicht Trainer von Borussia Dortmund sein oder Fan von Schalke 04, um zugeben zu dürfen, dass man diesen Titelgewinn der Münchner ohne jedwedes Gefühl von Gänsehaut recht teilnahmslos aufgenommen hat. Das hat nichts mit Neid zu tun, den die Bayern so ungefähr jedem zwischen den Zeilen unterstellen, der keine Lust hat, in ihrer Bettwäsche zu übernachten.“
Stimmt! Neid werfen die Bayern samt ihrer Anhänger Kritikern gerne vor. So auch in der Sache Kirch-Geheimvertrag, der wahrhaften (und im Vergleich mit 14 Punkten Vorsprung im Klassement wesentlich wirkungsvolleren) Demütigung für ihre Konkurrenz der „K17“ (die kleinen 17). Abgesehen von den juristischen und moralischen Wertungen, war es für die Kollegen Meier (Dortmund), Assauer (Schalke) Co. ein Schlag ins Gesicht, dass um ihre Gunst nicht gebuhlt wurde. Nicht zufällig kooperierte der damalige Medienmogul mit dem nationalen Zugpferd und gewinnbringenden Allianzpartner schlechthin: dem FC Bayern. Dieser Vertragsschluss demonstrierte deutsche Fußballhierarchie nachdrücklich.
Noch mal Joachim Mölter (FAS). „Klar, daß die vom Kirch-Konzern für diverse Lobbyarbeit in Sachen Zentralvermarktung der Fernsehrechte in Aussicht gestellten 190 Millionen dem Manager Uli Hoeneß nur als Lappalie erschienen, und er nach der Aufdeckung des geheimgehaltenen Vertrags auch nur einen kleinen Verstoß gegen die guten Sitten des Ligaabkommens sah. Auch das hat man also in dieser Saison der Superlative erleben dürfen: die bescheidensten Bayern aller Zeiten.“
Fazit: Am Verdienst der Meisterschaft sowie an der Vorherrschaft der Münchner hierzulande gibt es folglich nicht den geringsten Zweifel. Also Gratulation! Die Bayern sind nicht nur sportlich ihrer Konkurrenz meilenweit voraus.
Thomas Klemm (FAS). „Was bleibt, ist am Ende nur der Titel als Beweis für die intensive Arbeit eines Trainers, für das konzentrierte Können einer Mannschaft und die hohe Professionalität der Administration.“
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