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Leistung der deutschen Mannschaft

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Leistung der deutschen Mannschaft

Wie erwartet geht die heimische Presse weit gehend kritisch mit der Leistung der deutschen Mannschaft ins Gericht. Von „Behördenfußball“ spricht die FR, von „Hausmannskost“ die FAZ. Die SZ findet daher: „Mit solch einer Leistung das Halbfinale einer WM erreicht zu haben, dürfte noch wenigen Teams gelungen sein.“ Begeistert ist man alleine von der Leistung Oliver Kahns, der „besten Einer-Kette der Welt“ (SZ).

Jedoch kann die FAZ dem 1:0-Erfolg auch Gutes abgewinnen: „ein Ergebnis von Völlers kluger Teamleitung, ein Resultat des in dieser manchmal nur mittelmäßigen Mannschaft überragenden Teamgeistes und ein Verdienst von Oliver Kahn.“ Die Ursachen für den Erfolg findet man dort (außer an Kahn noch) in der Winnermentalität Michael Ballack: „In den entscheidenden Momenten, wenn von den besten acht Mannschaften nur noch vier übrig bleiben können, machten die Stars wieder einmal den Unterschied“ (FAZ).

Es verwundert, dass der starken Darbietung der US-Amerikanern in der Berichterstattung wenig Aufmerksamkeit eingeräumt wird und stattdessen die massive Kritik am deutschen Spiel im Vordergrund steht; ein Indiz dafür, dass man von der eigenen Beurteilung noch wenig überzeugt zu sein scheint, wonach die Kleinen im Weltfußball deutlich aufgeholt hätten. Gegen Mannschaften wie die USA erwarten die Experten offenbar nach wie vor nicht nur einen Sieg, sondern auch einen überzeugenden.

Das Ausland reagiert nahezu angewidert. In Italien ist von „den Schlechtesten“ die Rede, in Spanien geißelt man den „vulgären“ Umgang der Deutschen mit dem Spielgerät (übrigens dieselben Tageszeitungen, die vor Monatsfrist den glückhaften Champions-League-Erfolg einer ihren Gegnern aus Leverkusen spielerisch unterlegenen sowie rein auf Konterfußball ausgerichteten Mannschaft von Real Madrid mit Lobeshymnen besungen). Die NZZ sah ein „absolut unansehnliches und erdauertes 1:0-Gewürge“ und weiter: „Man kann sich nicht erinnern, wann man letztmals seit 1986 (damals die Deutschen in Mexiko) eine spielerisch derart schlechte Equipe in ein WM-Halbfinale hat vorstoßen sehen.“

Zur Schiedsrichterleistung kommentiert die NZZ: „Ein weiterer Skandal an dieser WM“ und erkannte im Handspiel Frings einen deutlichen Elfmeter. Auch in Italien stieß man sich an dieser Entscheidung besonders.

Über die Ursachen des deutschen Erfolgs schreibt Michael Horeni (FAZ 22.6.). „Erste Chance, erstes Tor – dies ist ein klassischer deutscher Standard auch dann, wenn Spiele zunächst erschreckend anders laufen als erhofft. Doch Michael Ballacks Kopfball kurz vor der Pause ließ auf der Videotafel ganz nüchtern den Unterschied zwischen spielfreudigen Amerikanern und deutschen Ergebnisfußballern aufleuchten: 1:0. Mehr muss nicht sein. Auch die genaue amerikanische Kenntnis über die Stärke des Leverkusener Mittelfeldspielers – das Kopfballspiel in Standardsituationen – konnte die sportliche Wendung, die viele als ungerecht beklagen mögen, nicht verhindern. Mit Kahn im Tor und Ballack am richtigen Platz ließen sich so vom Ergebnis viele Mängel zwar nicht überspielen; aber sie hatten keinen Einfluss mehr auf die Schlussabrechnung.“

Ludger Schulze (SZ 22.6.) äußert sich zum Spiel. „In 90 Minuten war nur wenig von dem zu sehen, was im Fußball gemeinhin als Primärtugend gilt. Neben dem einsam über allen thronenden Oliver Kahn überzeugten noch der dynamische Torsten Frings, der technisch bestechende Bernd Schneider in der ersten Hälfte und der flinke Stürmer Oliver Neuville, der den Amerikanern immer wieder Kopfzerbrechen bereitet. Das Team ist offensichtlich nicht in der Lage, ein kreatives Spiel aufzuziehen. Bewundernswert immerhin ist die Leidenschaft, der Siegeswille, mit dem es seine bisherigen Aufgaben gelöst hat. Es wäre allerdings ein Armutszeugnis, wenn das schon ausreichte, um das WM-Endspiel zu erreichen (…) Nach dem Schlusspfiff aber konnte man das Resultat eigentlich nur noch als grotesk bezeichnen. Denn aus der Kabine waren die Amerikaner mit der wilden Entschlossenheit ihrer Vorfahren gekommen, die schließlich den Wilden Westen erobert haben. 45 Minuten berannten sie den Strafraum der Deutschen, Angriffswelle auf Angriffswelle schwappte gegen das Tor

Eine Spielanalyse von Roland Zorn (FAZ 22.6.). „Dass sich die bisher nicht als Kombinationsweltmeister bekannten Amerikaner immer wieder bis zur deutschen Grundlinie durchspielen konnten, hatte mit den Defiziten der Abwehrarbeit auf den Flügeln zu tun, und da in der Mitte der von Völler erstmals als Abwehrchef eingesetzte Kehl auch nicht für Ordnung sorgte, schien das Abenteuer Viertelfinale schon früh zu einer wackligen Angelegenheit zu werden (…) Immerhin: Wenn es um den Fußball auf flugtechnisch hohem Niveau ging, überzeugte das Team des Teamchefs. Und die Amerikaner wussten zur Pause nur zu genau, dass ein deutsches Nationalteam den Fußballfreund nicht verwöhnen muss, um trotzdem erfolgreich abzuschneiden (…) Mit dieser Mannschaft so weit gekommen zu sein, das ist für den Teamchef Rudi Völler wie seine lange unterschätzten Profis ein beachtlicher, wenn auch kein tief beeindruckender Erfolg. Dafür müsste das Team gegen Spanien oder Südkorea vielleicht auch einmal ein richtig gutes Spiel hinlegen.“

Die möglichen Signalwirkungen des deutschen Halbfinaleinzugs fasst Philipp Selldorf (SZ 22.6.) zusammen. „Zu wenig, um ernsthaft erwarten zu wollen, dass die Welt applaudiert und voller Bewunderung anerkennt, dass die alte Großmacht zurückgekehrt ist. Auf den Beifall der Anderen sind die Deutschen zwar nicht angewiesen, aber gewinnen als Selbstzweck wird irgendwann zu einer peinlichen Methode, und leider drängt sich dieser Gedanke vor der grandiosen Tatsache in den Vordergrund, dass es die Nationalelf tatsächlich geschafft hat, unter die letzten Vier zu kommen. Wie kann es sein, dass man sich als Zeuge dieses Spiels nicht in der Lage sieht, diese junge, durch etliche Verluste auf zentralen Positionen gebeutelte Mannschaft vor allem dafür zu loben, was sie erreicht hat? Dass man stattdessen über das ängstliche Konzept schimpfen möchte, das Teamchef Rudi Völler in der zweiten Halbzeit zu Hilfe nahm, als ob der Gegner nicht die zwar leidlich begabten und athletisch starken, aber beim besten Willen nicht hochklassigen Amerikaner gewesen wären, sondern ein unwiderstehliches Team von Spitzenkönnern. Und dass man zuerst den Mangel an Phantasie und spielerischer Qualität beklagt, anstatt den Einsatz und die guten Momente zu würdigen.“

Jan Christian Müller (FR 22.6.). „Es war die Überlegenheit im Kopfballspiel und ein überragender Torwart Oliver Kahn, der dem DFB-Team eine Führung bescherte, die allemal schmeichelhaft war und dies bis zum Schluss auch blieb. Nach Vorbild der wuseligen Koreaner bearbeiteten auch die US-Amerikaner den jeweils Ballführenden regelmäßig im Doppelpack und scheuten sich auch nicht vor dem ein oder anderen unsauberen Tackling.“

Mark Schilling (NZZ 22.6.). „Eines konnte man den Deutschen nach dem Schlusspfiff sicherlich nicht vorwerfen: mangelnde Selbstkritik. Selbst in der Chefetage wurden keine verbalen Nebelgranaten geschleudert, um in der Stunde des Erfolgs der Halbfinalqualifikation auf einmal spielerische Qualitäten der DFB-Auswahl unter die Nase reiben zu wollen, die alles andere als existent sind (…) Torhüter Oliver Kahn ist derzeit dermaßen vom Leistungsniveau seiner Teamkollegen entrückt, dass gar nicht mehr solche Floskeln bemüht werden wie jene, der Sieg sei immer das Produkt eines ganzen Teams. Vielmehr wird im deutschen Lager der 33-Jährige allenthalben als Heilsbringer explizit hervorgehoben.“

Frank Ketterer (taz 22.6.). „Der Zweck heiligt ja Mittel, und ganz bestimmt werden sie in den nächsten Tagen, wenn es darum geht, zu erklären, warum die deutsche Mannschaft im Halbfinale dieser Fußballweltmeisterschaft steht, diese Phrase des Öfteren bemühen müssen. Denn noch im Lichte der Arena von Ulsan betrachtet, gab es keinen wirklichen Grund dafür, dass Deutschland die USA mit 1:0 geschlagen hatte in diesem Viertelfinale. Außer einem natürlich, dem zwischen den Pfosten.“

Christian Zaschke (SZ 22.6.) porträtiert Deutschlands Teamstütze. „Es gibt wohl niemanden, der bezweifelt, dass Oliver Kahn der beste Torhüter dieses Weltturniers ist. Er ist zudem der erste Torwart, der ein Turnier auf diese Weise dominiert. Manchmal ist es so, dass ein großer Spieler ein solches Turnier prägt, oder wie der Argentinier Diego Maradona 1986 im Alleingang gewinnt, buchstäblich. Aber ein Torwart? „Der Matchwinner“ haben ihn die Kommentatoren im Fernsehen genannt, weil er Paraden zeigt, die niemand sonst vollbringen kann. Weil man sieht, wie die Stürmer Angst bekommen, wenn sie auf ihn zulaufen. Doch Kahn ist mehr als der Sieger eines Spiels. Er ist Kapitän dieser Mannschaft, und er ist ihre Mitte.“

Zu den Reaktionen der deutschen Spieler nach dem Spiel heißt es in der SZ (22.6.). „Mehr als ein Spiel gewonnen, hatten die Deutschen eine wichtige Partie nicht verloren. Gegen die Amerikaner auszuscheiden, wäre ihnen peinlich gewesen, allen Predigten zum Trotz, dass die Welt des Fußballs kleiner geworden ist. Man hat bei diesem Turnier bisher Pflichtaufgabe an Pflichtaufgabe gereiht (…) Fast wirkte es, als hätten die Sieger ein schlechtes Gewissen, jetzt unter den letzten Vier zu stehen, nach einem Spiel, das alle ein wenig verschämt zurückließ. Auf dieser Grundlage konnten sich die Deutschen Selbstkritik auf hohem Niveau leisten. Für die unschuldige Freude, ein fantastisches Ziel erreicht zu haben, blieb irgendwie kein Platz.“

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