indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

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Die schlimmste aller Fußballphrasen

Über die Reaktionen des Berliner Managers liest man von Frank Heike (FAZ 5.5.). „Dieter Hoeneß flüchtete sich in die schlimmste aller Fußballphrasen. Wir müssen jetzt wieder von Spiel zu Spiel denken, sagte der Manager von Hertha BSC Berlin nach dem 2:4 bei Werder Bremen. Einmal dabei, die umstehenden Reporter mit Floskeln zu versorgen, legte Hoeneß nach: Nach dem nächsten Spiel ergibt sich automatisch eine neue Konstellation. Aha. Hoeneß wirkte nach der deutlichen Niederlage der bis dahin besten Mannschaft der Rückrunde bei den daheim zuletzt von fast jedem Abstiegskandidaten besiegten Bremern äußerlich gut gelaunt, er scherzte, er grinste, aber wie sehr ihn der Verlust der Punkte in Tateinheit mit neunzigminütiger Unterlegenheit störte, merkte man an der Wahl seiner Worte.“

Eine Art reisendes Straflager

Jörg Marwedel (SZ 5.5.) meint dazu. „Irgendwann am Samstag gegen halb sechs hat sich Marcelinho davongeschlichen in seinen organge-leuchtenden Fußballschuhen. Elegant wie er ist, hat der Brasilianer in Diensten von Hertha BSC alle Fragesteller umdribbelt und fluchtartig die Gästekabine im Weserstadion angesteuert. Doch auch die war in diesem Moment kein angenehmer Ort. Vielmehr begann dort Trainer Huub Stevens umgehend mit der Fehleranalyse. Und das klang, wie Ohrenzeugen raunten, nicht so gütig wie die Ankündigung von Manager Dieter Hoeneß, man müsse in dieser Woche „mal reden und in die Spieler hineinhorchen“, um den Gründen für ihr Versagen auf die Spur zu kommen und weshalb „die Bremer uns einfach überrannt haben“. Eigentlich hatte der Manager nach dem Spiel in Bremen über etwas ganz anderes reden wollen. Erstmals sollte, ganz offiziell, das Ziel Champions League ausgerufen werden, es sollte um „Big Points“ (Hoeneß’ Lieblingsbegriff) gehen und um schöne Geschäfte. Nun wollte der Manager über Tabellenplätze gar nicht mehr spekulieren, sondern sagte: „Die Diskussion über die Champions League ist müßig, weil wir mit so einer Einstellung nur im UI-Cup spielen.“ Womit der nette Herr Hoeneß doch noch eine schreckliche Drohung ausgesprochen hatte, gelten doch diese Sommerrunden im heißen Europa bei Fußballprofis als eine Art reisendes Straflager.“

Hertha war nicht konkret genug

Christof Kneer (BLZ 5.5.) ergänzt. “Man hat dem Fußball schon oft Unrecht getan. Zum Beispiel ist er noch nie gelobt worden für die Verdienste, die er sich um die deutsche Sprache erworben hat. Man muss es dem Fußball hoch anrechnen, dass er zum Beispiel die Nickligkeiten (Adjektiv: nickelig) in die Welt gebracht hat. Man kann das nicht in Gebrauchsdeutsch übersetzen, aber gewiss ist, dass die Welt ohne dieses Wort ärmer wäre. Auch das schöne Wort Führungsspieler hat der Fußball erfunden, und vor kurzem hat der Trainer Sammer in Form von Galligkeit eine weitere Perle zum Sprachgebrauch beigesteuert. Man lernt also nie aus, und im Laufe der Woche ist auch Dieter Hoeneß, dem Manager von Hertha BSC Berlin, eine neue Formulierung zugelaufen. Leider kam es so, dass er diese Formulierung gleich am Wochenende gut gebrauchen konnte. Ich habe Oliver Bierhoff im Fernsehen sagen hören, dass eine Mannschaft nicht konkret genug gespielt habe, sagt Hoeneß, leider trifft das genau auf unseren Auftritt vom Wochenende zu. Hertha war nicht konkret genug, so kann man das sagen.“

Toni, der Denker

Paul von Engeln (FR 5.5.) befasst sich mit den Siegern. „Ailton war restlos bedient. Nach seiner Auswechslung in der 84. Minute setzte sich Werders Torjäger auf eine Werbebande und sah dem Treiben der Kollegen zu. Es war ihm, wieder mal, rein gar nichts geglückt in diesem so wichtigen Spiel. Dreimal stand er frei vor dem Berliner Keeper Kiraly. Dreimal verhaspelte sich Toni. Dabei will er doch Torschützenkönig werden. Aber so wie er den Ball am Fuß hat, mutmaßte Sportdirektor Klaus Allofs, sind Elber und Christiansen in seinem Kopf. Die schärfsten Konkurrenten im Kampf um die Torjägerkrone. Denken ist nicht gut für einen Stürmer vor dem Tor, sagte Werder-Trainer Thomas Schaaf. Toni, der Denker, drosch in der 74. Minute frustriert den Ball weg, fing sich damit seine fünfte gelbe Karte ein, ist nun gesperrt und wird ob dieser Undiszipliniertheit vom Verein bestraft werden. Trotzig sagte er: In den letzten beiden Spielen schieße ich vier Tore. Das kann gut sein. Denn das Überraschungsmoment gehört in diesem Jahr zu Werder wie die Stadtmusikanten nach Bremen (…) Dann drückten zwei Kicker dem Spiel ihren Stempel auf, die den Fans zuletzt viel Kummer bereitet hatten: Johan Micoud und Angelos Charisteas. Der französische Mittelfeld-Star, der in der Rückrunde mehr durch Lustlosigkeit, heikle Interviews, rote Karten und eine Ohrfeige für einen Reporter aufgefallen war, zauberte, dass manch einer dachte: Ja, er ist doch ein Weser-Zidane. Der griechische Stürmer traf zweimal und bot ebenfalls Fußballkunst, die Spaß bereitete. Trainer Schaaf hatte ihn zuletzt trotz schwacher Leistungen aufgestellt. Der junge Grieche bedankte sich für diese Geduld.“

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Zur Diskussion um die WM-Leistung von Oliver Kahn – über die Vorliebe der Bundesliga für Südamerikaner – Saisonvorbereitung in Kaiserslautern und auf Schalke u.a.

Das Sponsoring beim Liga-Dritten kommentiert Detlef Dresslein (Tsp 29.7.). „Bei der Saisoneröffnungs-Pressekonferenz der Münchner waren die Prioritäten klar verteilt: Erst sind alle Sponsoren zu bedienen. Jeder darf sein Reklame-Filmchen vorführen, und erst als anschließend die beiden Vertreter der Telekom ihre vorgefertigten Antworten auf die vorgefertigten Fragen hatten vortragen dürfen, erst dann kamen ein paar lapidare sportliche Fragen an Oliver Kahn (Wer wird Deutscher Meister?) und Neuzugang Michael Ballack. Das war’s. Keine Rückfragen, keine Nachfragen. Es blieb ein schaler Nachgeschmack. Und irgendwie war man hernach ganz erschlagen von Gelb und Magenta, von Autos und Telefonen. Schöne neue Welt? Oder fragt sich selbst der ergebenste Bayern-Fan doch irgendwann: „Wo bitte bleibt der Fußball?“ Gibt es überhaupt ein Zuviel beim Fußball-Kommerz? Und ist das bereits erreicht?“

Der Vorliebe der Bundesligavereine für Südamerikaner widmet Uwe Marx (FAS 28.7.) seine Aufmerksamkeit. „Das Interesse an einer Zusammenarbeit ist auf beiden Seiten größer denn je. In Deutschland ist es zwar kälter als in Spanien oder Italien, außerdem wird eine schwer zu lernende Sprache gesprochen. Allerdings gibt es einen angenehmen Vorteil, der monatlich auf dem Kontoauszug abzulesen ist: Das Gehalt wird pünktlich überwiesen (…) Von Umstellungsproblemen der Spieler lässt sich ohnehin keine der beiden Vertragsparteien mehr abhalten. Dass die Form der Wärme gewöhnten Neuen von der Außentemperatur abhängt, ist zur Ausnahe geworden.“

Zur Diskussion um die Bewertung der WM-Leistung von Oliver Kahn bemerkt Christian Eichler (FAZ 13.7.). „Er kann ja nichts für seine Erhöhung, die zugleich die Herabsetzung der anderen ist, er tut nur seine Arbeit. Es zeigt aber die Mechanismen, mit denen die Öffentlichkeit mit ihren Helden umgeht. Meistens unsachlich, im Positiven, das Kahn nun erlebt, wie Negativen, das er jahrelang von Idioten erfuhr, die ihn mit Bananen bewarfen. Sachlich betrachtet, profitiert Kahns Wirkung auch von seinem Stil. Wie anderswo im Berufsleben gibt es auch im Tor die anderen Typen, die ein Problem abwenden, bevor es andere merken, die den entscheidenden Schritt machen, bevor alle hinschauen, und bei denen der sichtbare Teil der Rettungsaktion dann ganz einfach aussieht. Kahn kann auch das, doch vorrangig ist er ein Vertreter der anderen Torwartschule, der spektakulären, deren Taten oft wie das Halten des Unhaltbaren aussehen.“

Zur Lage beim 1. FC Kaiserslautern meint Oliver Trust (Tsp 29.7.). „Vielen dämmert nun, dass es wohl eine saubere Lösung gewesen wäre, sich von Brehme und Stumpf schon zum Ende der vorigen Saison zu trennen, als der FCK den Platz im internationalen Geschäft verspielte. Stattdessen verlängerte man die Verträge bis 2004. Brehme wird inzwischen von den Spielern nur noch selten ernst genommen (…) Für viele ist es nur noch ein sich etwas hinziehender Abschied. Für andere ist Andreas Brehme als Trainer schlicht „untauglich“.“

Die Situation beim FC Schalke 04 beschreibt Richard Leipold (FAS 28.7.). „Nicht Mangel an Erfahrung oder Akzeptanz, auch nicht die Erfolge seines Vorgängers Huub Stevens – drei Titel in sechs Jahren – machen Frank Neubarths Anfang so schwer. Es fehlt ihm schlicht an Spielern. „Einige Positionen sind nicht doppelt besetzt“, sagt er. Wenn bestimmte Spieler ausfielen oder das hohe Niveau früherer Jahre nicht halten könnten, seien „Leistungseinbußen“ möglich.“

Zu den Vorstandsquerelen beim Hamburger SV schreibt Frank Heike (FAZ 29.7.). „Spätestens seit Freitag Nachmittag muss man sich mit Meldungen vom HSV, die ja dem Faktischen verhaftet sein sollten, sehr vorsehen. Da nämlich trat Werner Hackmann vor die Presse. Er verlas mit zittriger Stimme eine Erklärung. Jeder erwartete seinen Rücktritt, denn der 55 Jahre alte ehemalige Innensenator sieht sich vom Aufsichtsrat brüskiert, weil dieser den Vertrag mit dem noch amtierenden Sportchef Holger Hieronymus, einem Hackmann-Freund, nicht verlängert hatte. Also die Demission? Nein! Hackmann trug vor, dass er Rätechef Bandow die vorzeitige Vertragsverlängerung angeboten habe. Bandow sei dafür gewesen, habe Hackmann aber gebeten, den Raum zu verlassen, um in einer raschen Telefonumfrage die anderen Räte zu befragen. So wird also ein Verein geführt, der sich immer als mittelständisches Unternehmen bezeichnet, bei dem Argumente den Vorzug vor Emotionen haben sollen: Mal eben anrufen! Ob der Vorstand bleibt, der dem Vernehmen nach 500.000 Euro im Jahr verdient.“

Über den Transfer des Weltmeisters Rivaldo zum AC Milan heißt es bei Birgit Schönau (SZ 29.7.). „Für Silvio Berlusconi, der nach dem neuen Gesetz zur Regelung von Interessenkonflikten eigentlich als Präsident von Milan zurücktreten müsste, ist die Verpflichtung des Weltstars aus Brasilien ein gelungener Schachzug zur Aufpolierung seines Images. Rivaldo ist der einzige Weltklassekicker, der in diesem Sommer von einem Klub der maroden Serie A angeheuert wird – auf dem Transfermarkt bewegt sich sonst nichts. So hat Berlusconi die Schlagzeilen der Sportpresse für sich allein – die Gazzetta feiert ihn als ersten Fan im Land, der neben seinen Regierungsgeschäften auch die Bedürfnisse der einfachen Tifosi nicht vergisst. „Trotz seiner vielfältigen Pflichten als Ministerpräsident und Außenminister war er in ständigem Kontakt mit Galliani“, vermeldet das Mailänder Blatt.“

Zur Situation im Radsport heißt es bei Michael Reinsch (FAZ 29.7.). „Was Armstrong auf die Palme bringt, ist, dass er noch so sehr strampeln kann und dennoch die Unschuldsvermutung, wie sie für jeden Menschen vor dem Gesetz gilt, im Hochleistungssport nicht etablieren kann. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen außergewöhnliche athletische Leistungen als Ausdruck eines außergewöhnlich guten, ja vorbildlichen Charakters interpretiert wurden. Heute lösen Wunder Zweifel aus. Der Sport ist in der paradoxen Situation, diese Zweifel dadurch zu nähren, dass er einerseits ein immer komplexeres und immer teureres System von Kontrollen betreibt, mit dem er andererseits versucht, soviel Unschuld wie möglich nachzuweisen.“

Sebastian Moll (taz 29.7.) über den texanischen Tour-Sieger. „Ob Armstrong jedoch auch den Geist und die Kultur der Tour versteht, bezweifeln nicht wenige. Am Mont Ventoux, jener steinernen Metapher für den mythischen Kern der Tour, hatte Armstrong seinen Gegnern um das gelbe Trikot kühl rund zwei Minuten aufgebrummt, jedoch nicht mehr Richard Virenque eingeholt, der heißblütig und bis zum letzten Körnchen Kraft darum kämpfte, an der Legende Ventoux selbst zu einer solchen zu werden. Selbst diesem kahlen Berg zu huldigen, indem er dort alles gibt und siegt, passt nicht in Armstrongs Kalkül. „Ich reibe meine Mannschaft nicht für einen Etappensieg auf“, sagte er fast schon despektierlich. Bei einer derart technokratischen Regentschaft waren die Franzosen für Virenque und seinen ritterlichen Bruder im Geiste, Laurent Jalabert, dankbar. Sie trösteten die Radsportnation über die ungeliebte Fremdherrschaft hinweg.“

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Verschnaufen für den Rekordmeister

„Es war ein Jahr zum Verschnaufen für den Rekordmeister, der mit den neuen Spielern Michael Ballack, Sebastian Deisler und vielleicht Zé Roberto im nächsten Jahr vom ersten Tag an angreifen wird, wie Hoeneß erklärte, denn auf Dauer kann ich es nicht ertragen, die Meisterschale in den Händen anderer zu sehen. Der Umbruch auf höchstem Niveau sei geschafft mit Platz drei, dem Erreichen des DFB-Pokal-Halbfinales und des Champions-League-Viertelfinales, meinte Hoeneß. In der neuen Saison gehe es nun darum, dass die Fans nicht mehr so viele schlechte Spiele sehen müssen von uns. Wir werden die Mannschaft unter Druck setzen und keine Ausreden mehr akzeptieren. Die magere Bilanz dieser Saison, in der dem erfolgsverwöhnten FC Bayern der Weltpokal als einziger Titel bleibt, macht jetzt ohnehin alle wieder hungrig, versprach Kahn. Ich könnte mir gut vorstellen, sagte der Torwart, dass wir im nächsten Jahr relativ klar deutscher Meister werden. Die Schale, da sind sich die Münchner mit dem Selbstverständnis der deutschen Nummer eins sicher, ist nur eine einjährige Leihgabe an Borussia Dortmund.“ (Volltext)

Daniel Pontzen (Tsp 06.05.02) über die verpasste Meisterschaft:

„Es war ein seltsames Gefühl, das die Spieler des FC Bayern beschlich, so, als hätte der Erfolg die Scheidung eingereicht. Seit einigen Jahren hatte er einen unzertrennlichen Bund mit dem Rekordmeister geschlossen, stand in aussichtslosen Momenten zu ihm, doch zuletzt hatte der FC Bayern zu wenig für die Beziehung getan. Und beim letzten Versuch, sich aufzuraffen, hatte man sich schon zu sehr auseinander gelebt. Sie kamen sich ein wenig verlassen vor, die Münchner, nach diesem unseligen Sonnabendnachmittag, dem letzten Spieltag, der in den letzten Jahren verlässlich Auslöser rot-blauer Jubelarien gewesen war.“ (Volltext)

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Viertelfinaleinzug Englands

Zum Viertelfinaleinzug Englands meint Peter Heß (FAZ 17.6.). „3:0, das klingt deutlich. Aber das Ergebnis wird von kuriosem statistischem Material begleitet. Zu fast zwei Dritteln der Zeit besaßen nämlich die Dänen den Ball. Die Engländer dominierten in keiner Phase das Spiel. Aber sie gerieten auch nicht mehr in Gefahr. Cool, pragmatisch, wie die Italiener und die Deutschen es früher vormachten und heute nicht mehr können, verwalteten sie die Führung (…) In einem Turnier, in dem die Kleinen die Großen erst zur Verzweiflung und dann nach Hause treiben, tut es gut, sich noch an einen Favoriten klammern zu können. Um England wäre es besonders schade gewesen, mehr noch als um Frankreich oder Argentinien. England, das ist in diesen Tagen im Fußball, was Ferrari für die Formel 1 bedeutet: das Team, das alle Fans integriert, die Mannschaft, die die meisten lieben, nach der eigenen natürlich. Japaner, Koreaner, Australier, ja sogar Deutsche schlüpfen in das Trikot mit den drei Löwen und gebärden sich wie wild. Sie wollen dazugehören zu den 15.000 Fußballverrückten aus Großbritannien, die durch friedliche Demonstrationen ihrer Fankultur diese Weltmeisterschaft so bereichern.“

Ronald Reng (SZ 17.6.) zum selben Spiel. „Die geradezu gelangweilte Professionalität, mit der die Engländer die Skandinavier als Tanzbären vorführten, bestätigte fürs erste die Befürchtung, dass nun bei dieser WM generell Schluss mit lustig ist. Nachdem in der Vorrunde Überraschungen zur Norm wurden, Teams wie eben Dänemark reihenweise Favoriten wie Frankreich rauswarfen, kam mit all den Außenseitern im Achtelfinale auch die Frage auf:Können es Irland, Japan, Schweden sogar bis ins Endspiel schaffen? Vermutlich nicht, lautet die erste Erkenntnis aus Niigata. Die Form eines Sportlers kommt und geht, aber Klasse bleibt für immer, und so wird sich in den drei K.o.-Runden bis zum Finale wohl die höhere Klasse Englands, Italiens oder Brasiliens durchsetzen.

Martin Hägele (NZZaS 16.6.) sah beim 3:0-Sieg Englands über Dänemark eine Begegnung, „in der der englischen Mannschaft praktisch alles gelang. Bei den Dänen dagegen endete praktisch jede vielversprechende Aktion mit irgendeinem Missgeschick, sei es dass der Goalgetter Tomasson vor dem leeren Tor der Engländer den Torschuss eines Kollegen blockierte (66.) oder dass der äußerst souveräne Referee Merk bei seinem einzigen Fehler einer dänischen Angriffsstafette im Weg stand. Dabei zeigten die Tomasson, Gronkjaer, Sand und Gravesen deutlich, dass die englische Defensive durchaus ihre Macken hat – nur, sie konnten sie nicht richtig ausnutzen, was vermutlich mit der Chronologie der Partie zusammenhängt und der Art und Weise, wie sich die englischen Tore auf die Psyche der Gegner auswirkten (…) Aber in welche Kategorie die Engländer, die nun auf einmal ganz hoch gewettet werden als WM-Favorit, wirklich gehören, und auch wie es sich um den sagenhaften Status Beckhams unter harten Kriterien wirklich verhält, darüber dürfte die Fußballwelt schon am kommenden Freitag mehr erfahren. Falls keine weitere Sensation passiert, trifft das Team mit den drei Löwen auf der Brust dann mit Brasilien zusammen – ein ausgesprochen „heißer“ Viertelfinal.“

Peter Heß (FAS 16.6.). „Das eigentliche Ereignis fand auf den Rängen statt. 15.000 Briten machten auf den Tribünen ihrer Freude Luft. Nach all den Jahren zuvor, in denen aufkeimende Hoffnungen auf größere Triumphe schnell in Verzweiflung umschlugen, glauben sie nun an die neue Stärke eines neuen Teams. Die Anhänger präsentierten auf den Tribünen das gesamte Repertoire ihrer Sangeskunst und ihrer Sprechchöre, perfekt eingestimmt durch eine Marching-Band.“

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Zweite Liga

In einem sehr lesenswerten Artikel berichtet Bernd Müllender (taz 12.2.) das Remis zwischen dem 1. FC Köln und Alemannia Aachen im Montagsspiel der Zweiten Liga. „Das 3:3 zwischen Erstem und Sechstem war ein Fußballspiel, wie man es selten erlebt. Aachens Kapitän Kalla Pflipsen staunte nach immerhin 14 Profijahren: Im Fußball gibt es schon komische Geschichten, immer wieder neu, immer wieder schön. Die spielstarken Aachener waren lange klar spielbestimmend (Kölns Dirk Lottner), respektive sehr stark (Trainer Friedhelm Funkel). Aber die Tore schossen die Kölner. Vor zwei Wochen, in der Kneipe beim Bier, hatten Funkel und sein Manager Andreas Rettig eine Todsünde begangen. Sie spielten das Spiel Fußball als Wunschkonzert. Unter welchen Umständen der FC, rein theoretisch, dem Nachbarn den Sieg schenken würde? Funkel bockte: Ich will immer gewinnen. Rettig war einverstanden, wenn sein Club in Duisburg nicht verlieren würde und die Bayern im Pokal nach Elfmeterschießen rauswerfen würde. Dann darf Alemannia in Köln gewinnen. So ist der Kölner: Man muss auch jönne könne. Das Spiel in Duisburg wurde zwar nicht verloren (Spielausfall), aber in München, beim 0:8, fehlten acht eigene Tore zumindest zum Erreichen der Verlängerung. Funkel hatte da gesagt: Eine solche Niederlage kann einer Mannschaft einen Knacks geben, aber nicht uns. Nach dem 3:3 waren er und Rettig mit Leichenbittermiene vom Felde gestapft, grellig diskutierend. Funkel sagte dann empört: Nein, das Spiel hatte mit dem 0:8 nichts zu tun. Wahrscheinlich hatte es das doch, und der Spielverlauf war schlimmer, als es eine unglückliche Niederlage hätte sein können. Das Rheinland-Derby mitten in der närrischen Jahreszeit war auch ein musikalischer Abend. Die 5.000 Aachener gaben vorher laute 8:0-Choräle. Als es 3:0 für den FC stand, schwenkten sie auf Zukunftsperspektive um: Nur ein Jahr, dann seid ihr wieder da. Die Kölner forderten derweil von der prächtigen neuen Südtribüne glückselig und selbstbesoffen 8:0 – und nach dem 3:1 immerhin noch 8:1. Nachher ging man schweigend heim. Und sauer. Nicht mal für das selbstironische Wir sind nur ein Karnevalsverein reichte es. Weil es eben mal nicht joot jejange war. Reihenweise hat der 1. FC Köln in dieser Saison schon Spiele wie das gegen Aachen abgeliefert: defensives Versteckspiel nach Funkels Philosophie. Kaum Initiative, kaum Spielwitz. Motto: Abwarten und auf Fehler lauern. Mit viel Dusel und Leuten wie Lottner oder Scherz, deren Abgeklärtheit immer für ein Tor gut ist. Der FC spielt, wie Funkel redet: ohne jeden Schnörkel, humorlos. Ein fußballerisches Herr-und-Hund-Syndrom. Die Fans sind befriedet nur durch die knappen Siege und den Tabellenstand. Manche sagten nachher: Gut so. Vielleicht denken sie mal über ihre Auftritte nach. Wird Köln dennoch aufsteigen? Sieben Punkte Vorsprung und ihre ökonomische Spielweise sprechen dafür.“

In der FAZ (12.2.) lesen wir dazu. „Binnen zwanzig Minuten war aus einem Spitzenspiel zweiter Klasse die One-Man-Show einer Entdeckung geworden. Herzlichen Glückwunsch! Seine Kollegen, die ihn nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Wack innig umarmten, gratulierten Krontiris knapp zwei Stunden später gleich noch einmal. Auf der Rückfahrt nach Aachen wurde der von den Amateuren der Dortmunder Borussia bis zum 31. Dezember ausgeliehene Stürmer 20 Jahre alt. Die Mitternachtszugabe rundete einen unvergeßlichen Tag für ein Talent ab, das sie beim deutschen Meister mangels höherer Perspektiven fürs erste gehen ließen. Krontiris war nach seinem großen Auftritt verständlicherweise nicht imstande, lang und breit zu analysieren, warum er nach ein paar Trainingseinheiten am Tivoli auf Anhieb derart eindrucksvoll auf sich aufmerksam machen konnte. Ich war einfach geil drauf, sagte der frühere deutsche Jugendnationalspieler mit griechischen Familienbanden, das war so ein Tag, an dem alles klappte. Zum Leidwesen des Kölner Torwarts Alexander Bade, der die präzisen Schüsse von Krontiris nicht zu fassen bekam. Ich habe immer richtig gestanden und einfach nur draufgehalten, lautete die ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung des Schützen für seine Glücksmomente. Zwei Tage nachdem in der Ersten Bundesliga dem ähnlich unbekümmerten, 22 Jahre alten hannoverschen Kameruner Mohammadou Idrissou der erste Hattrick der Saison gelungen war, schlug eine Liga tiefer die Stunde eines Debütanten. In Dortmund durfte der Vertragsamateur dreimal bei den Großen mitkicken. Doch zu einem Treffer hatte es bei diesen Kurzeinsätzen nicht gereicht. Verläßlicher erfüllte Stürmer Krontiris seinen Auftrag in der vom früheren Nationalspieler Horst Köppel betreuten Regionalligamannschaft des BVB: Elf Tore in zwanzig Spielen, das war eine Quote, die für die Aachener Alemannia das entscheidende Argument war, Krontiris zu verpflichten.“

„Managersuche bei Eintracht Frankfurt gerät zur Machtprobe“ FR

Stange verlässt Irak

Karim El-Gawhary (taz 14.2.) kommentiert die Ausreise Bernd Stanges aus dem Irak. “In den deutschen Medien war Stange seit seinem Amtsantritt in Bagdad letzten Oktober immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sich vor den Karren Saddam Husseins spannen zu lassen. Aber er sei in all den Monaten von irakischer Seite nie aufgefordert worden, sich politisch zu äußern. Ohnehin, sagt Stange, sei er für die strikte Trennung von Politik und Sport. Erklären sie einmal einem Fan in Schalke oder Dortmund, dass es Schröders und nicht Völlers Verdienst ist, dass die Deutschen Vizeweltmeister sind, sagt er. Schon zwei Mal hat die Politik Stanges Fußballträumen ein Ende bereitet. Die DDR-Olympiaauswahl, die sich 1984 für die Spiele in Los Angeles qualifiziert hatte, musste zu Hause bleiben, als der oberste Sowjet, Leonid Breschnew, und der Staatsratsvorsitzende Honecker beschlossen hatten, die Spiele in den USA zu boykottieren. Zwei Jahre hartes Training waren mit einem Federstrich dahin, erinnert sich Stange. Jetzt kann seine irakische Mannschaft wahrscheinlich die Olympiaqualifikation gegen Vietnam vergessen. Dazwischen liegen zwanzig Jahre, in denen die Welt nichts dazugelernt hat, stellt Stange fest. Dann steht er auf und verabschiedet sich freundlich. Er muss los, um seine Mannschaft noch ein letztes Mal beim Mittagessen zu sehen – und um sich zu verabschieden. Er hat für jeden Spieler einen Brief vorbereitet, in dem er dessen Fortschritte anpreist. Am Ende des Briefes heißt es: Ich bete zu meinem Gott, dass er euch und eure Familien schützt.”

Sport und Politik(er)

Über das Engagement des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck beim 1. FC Kaiserslautern schreibt Eckhart Kauntz (FAZ 13.2.). „Nur Siege zählen. In der Politik ebenso wie beim Fußball. Kurt Beck ist ein Sieger-Typ. Als Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz haben ihn die Wähler schon zweimal in seinem Amt bestätigt. Das hängt auch mit Becks Liebe zum Sport zusammen. Denn überall dort, wo Erfolg eine Mannschaft oder auch einen Einzelkämpfer adelt, da ist auch mit dem Ministerpräsidenten zu rechnen. Er sitzt in Schifferstadt bei der besten Ringermannschaft Deutschlands; er erweist den Tischtennis-Spielern von Grenzau oder der Formel 1 beim Grand Prix auf dem Nürburgring die Ehre. Der Sportverein Vorderweidenthal erinnert sich noch gerne seines Gastes beim Schlachtfest. Die Rad-Erlebnistage Happy Mosel begleitet Kurt Beck mit eigener Muskelkraft, die Volleyballspieler von Mendig oder die Fechter aus Koblenz dürfen mit Becks temperamentvollen Anfeuerungen rechnen. Aber nur im Kaiserslauterer Fritz-Walter-Stadion läuft der Ministerpräsident gelegentlich Gefahr, sein Innerstes nach außen zu kehren und aus Wut oder aus Freude die Contenance zu verlieren. Hier, auf dem Hügel oberhalb der Stadt, nämlich schlägt sein Herz (…) Auch in Trier oder Mainz wird guter Fußball gespielt; beide Mannschaften gehören derzeit der Zweiten Bundesliga an. Und auch deshalb fürchtet Beck den drohenden Abstieg der Erstligaspieler vom 1. Fußballclub Kaiserslautern. Als dieses Schicksal seinen FCK im Sommer 1996 für eine Saison traf, geriet das gefühlsgeleitete Koordinatensystem des Kurt Beck in Unordnung. Als Mainzer Ministerpräsident warf er sich beim Zusammentreffen von Mainz 05 und dem FCK gleich die Schals beider Vereine um den Hals und demonstrierte so gleichermaßen pflichtgemäße und innige Verbundenheit. Aber der neuerliche Verdruß des Kurt Beck über die von einer finanziellen wie sportlichen Pleite gleichermaßen bedrohten Kaiserslauterer Kicker bezieht sich auf Vorgänge in einer ganz anderen Dimension. Am 5. November noch hatte der Ministerpräsident sich vor den FCK gestellt, die letzte Mitgliederversammlung seines bereits in den Grundfesten erschütterten Vereins in bravouröser Manier geleitet und so den drohenden Eklat vermieden. Ob dieses Engagement des einfachen FCKlers Kurt Beck richtig war? Nun geht es beim Verein um Steuernachforderungen in Höhe von 12,9 Millionen Euro, um den Verdacht krimineller Praktiken des früheren Vorstandes, um Überschuldung und um die Zukunft eines im Umbau befindlichen Stadions, das als Austragungsort für die Fußballweltmeisterschaft 2006 angemeldet und auserkoren wurde und dessen einziger Dauernutzer in seiner Existenz bedroht ist. Den Beck holt es jetzt schrecklich ein, sagt Rüdiger Sterzenbach, der Chef des Landessportbundes. Denn nicht nur die Opposition im Mainzer Landtag fragt nun: Was wußte Beck? Die Verbindungen von Politik und Sport sind zum Thema geworden in Rheinland-Pfalz.“

Torwartdiskussion in Bremen

Jörg Marwedel (SZ 13.2.) beschreibt die Situation des in der Kritik stehenden Bremer Torhüters Pascal Borel. „Gern würde Schaaf an Borel festhalten, so wie es damals Otto Rehhagel getan hat mit dessen Vor-Vorgänger Oliver Reck, 37. Auch dem waren regelmäßig kuriose Fehlgriffe unterlaufen, weshalb man ihn „Pannen-Olli“ taufte. Trotzdem zögert Schaaf mit der Entscheidung, ob er Borel am Samstag in Nürnberg einsetzt oder den wenig geschätzten Konkurrenten Jakub Wierzchowski. Ginge es nach Reck, müsste Borel spielen. Denn Reck, im letzten Profijahr Standby- Keeper bei Schalke 04, hatten die Tiefschläge und der Spott irgendwann so gestählt, dass er sogar Nationaltorwart wurde. Jetzt sagt er: „Borel muss kämpfen, er ist doch Sportler, das ist sein Beruf.” Andernfalls käme im Sommer eben ein Neuer. Da helfe „kein Lamentieren“. Tatsächlich halten sie in Bremen längst Ausschau nach einem Keeper, „der schon weiter ist als Pascal“, wie Al-lofs formuliert. So ein Mann wäre Simon Jentzsch von 1860 München, der ein neues Vertragsangebot der Löwen noch nicht unterschrieben hat. Oder Roman Weidenfeller, zweiter Mann bei Borussia Dortmund, den man schon im Vorjahr aus Kaiserslautern holen wollte, während Robert Enke beim damaligen Beobachter Mirko Votava durchfiel und von Benfica Lissabon zum Dorfverein FC Barcelona ging. Thomas Schaaf sagt: „Es war kein Torhüter auf dem Markt, der wirtschaftlich vertretbar gewesen wäre.“ Die Kritiker aber werfen ihm und Allofs vor, nach dem Weggang des Nationalspielers Frank Rost am falschen Ende gespart zu haben. Und es entbehrt nicht der Pikanterie, dass zu diesen Meinungsführern die Senatoren Hattig und Willi Lemke, früher Werder-Manager, zählen – Freunde des Torwarttrainers Dieter Burdenski, der seinerseits via Bild wissen ließ, er sei „enttäuscht“ von Borel. Anders als Reck, der gleich in seinem ersten Jahr Meister wurde, hat Borel nach erst 20 Bundesliga-Spielen kaum Kredit.“

Millionengehälter

Angesichts der neuerlichen Debatte um Fußballergehälter fragt Christian Zaschke (SZ13.2.). „Was in der Welt des Fußballs mit dem Geld geschieht, hat mit uns lange schon nichts mehr zu tun. Aber wer will das wissen? Spielt es eine Rolle? Der Fußball ist sein eigener Kosmos mit seinem eigenen Geld. Auf eigenartige Weise lassen uns die Meldungen von der Verschwendung des Geldes mittlerweile relativ kalt.“

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Neue Facette der Ikonographie als Phänomen der Sport- und Popkultur

Paul Ingendaay (FAZ 3.7.) legt aus. „Beckham ist etwas anderes. Um das zu begreifen, genügt ein einziger Blick. Der Brite trägt die Rückennummer 23, die mythische Ziffer des amerikanischen Basketballspielers und Werbekönigs Michael Jordan. Damit entsteht in der internationalen Sportwelt eine neue Symbolik, ein disziplinen- und länderübergreifendes Universum der Stars. Ehrenpräsident Alfredo di Stéfano, der die größte Epoche in der Geschichte Real Madrids verkörpert, hat Beckham wenige Minuten zuvor das neue Trikot überreicht. Becks soll wissen, was es bedeutet, im Klub von Gento, Netzer, Butragueño, Raúl und Zidane zu spielen – oder mit den aktuellen Stars Raúl, Figo und Zidane. Und er weiß es. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, sagt er dem Fernsehsender Real Madrid TV. Mein einziger Wunsch ist, mit all diesen großartigen Spielern in einer Mannschaft zu stehen. Am Vortag hat der englische Nationalspieler eine medizinische Untersuchung überstanden (Kein Gramm Fett, lautete das ärztliche Urteil, der Junge ist wie neu) und einen Vierjahresvertrag unterschrieben, der ihm 25 Millionen Euro garantiert. Als der ehemalige Publikumsliebling von Manchester United den Rasen überquert, die Zuschauer gegrüßt und ein wenig mit dem Ball gezaubert hat, schlüpft plötzlich ein Junge unter der Absperrung hindurch und läuft auf sein Idol zu. Beckham zögert nicht und schließt ihn in die Arme. Der Junge weint: Er trägt kein Hemd. Vor unseren Augen findet die Begegnung zweier Welten statt. Der Fußballer wehrt die Sicherheitsleute ab, geht mit dem jungen Fan über den Platz und streift ihm ein Trikot über, das neue Beckham-Produkt mit der Nummer 23, das am Tag darauf in den Läden zu kaufen sein wird. Lasset die Kinder zu mir kommen: Der bestverdienende Fußballprofi des Planeten fügt seiner eigenen Ikonographie als Phänomen der Sport- und Popkultur eine neue Facette hinzu.“

Es war eine perfekte Vorstellung

“In Madrid ist der reale Wahnsinn ausgebrochen“, lesen wir von Ralf Itzel (SZ 3.7.). „Sollte irgend ein Marketing-Superhirn auch das inszeniert haben, dann gebührt ihm ein Preis. Als David Beckham auf Real Madrids Trainingsplatz zwei für die Fotografen jonglierte, stürmte plötzlich ein kleiner Junge, bekleidet nur mit kurzen Hose und ohne Hemd, auf den Fußballer zu. Er hatte sich unter dem Zaun durchgezwängt. Bei den Sicherheitsleuten schrillten die Alarmglocken, aber Beckham beschwichtigte sie, schloss den aufgeregten Knirps lange in die Arme, schenkte ihm ein Trikot und streifte es ihm auch noch eigenhändig über. Lady Diana hätte es nicht einfühlsamer machen können. Englands Prinzessin der Herzen hat einen männlichen Nachfolger gefunden. Durch diese Geste eroberte der Brite die Spanier schon am Tag seiner offiziellen Präsentation. Und dass seine Frau Victoria, früher Sängerin der Kapelle Spice Girls, das weiße Kätzchen mit dem Klub-Halsband, das ihr irgendjemand hinstreckte, so zärtlich streichelte, ist auch niemandem entgangen. Es war eine perfekte Vorstellung.“

Symbol der Postmoderne

Markus Jakob (NZZ 3.7.) berichtet. „Um 12.11 Uhr hielt Beckham – himmelblauer Anzug, weisses Kavalierstuch – unter den Klängen der Klubhymne seinen Einzug, flankiert von Florentino Pérez und Alfredo di Stéfano. Mit Beckham, so führte der Präsident aus, habe er sehr wohl „eine globale Ikone, ein Symbol der Postmoderne“ nach Madrid geholt; er, Pérez, sehe in ihm aber vor allem den „phantastischen Fussballer“. Auch wenn diese Aussage nicht ganz zum Nennwert zu nehmen ist, passt sie doch zu seinem Entscheid, mehrere hundert akkreditierungsbegierige Vertreter der Regenbogenpresse draussen zu lassen. Es lässt sich nicht behaupten, sie hätten viel verpasst. Um 12.16 Uhr überreichte di Stéfano dem Spieler sein neues Trikot – die Stunde der Zahlenmystiker: Weder trug es die Nummer 7 (die Beckham als Cantona-Nachfolger in Manchester getragen hatte, die in Madrid aber Raúl vorbehalten bleibt) noch die 11 (mit der man gerechnet hatte, obwohl sie letzte Saison Ronaldos Rücken zierte, der dann seinerseits Morientes‘ 9 hätte übernehmen können), sondern die 23. Allgemeine Verblüffung, bis klar wurde, dass das die Rückennummer des bisher rentabelsten aller Sportler war: die des Basketballstars Michael Jordan. Da also geht es lang. Um 13.30 Uhr waren bereits über zweihundert Hemdchen mit der betreffenden Nummer zum Preis von 78 Euro über den Ladentisch gegangen. (…) Allfällige Fragen aus den Mündern der Medienvertreter waren nicht vorgesehen. Sie waren wohl auch nicht nötig, zumal diese ja schon alles ausfindig gemacht hatten, was es herauszufinden gab: den Preis von Beckhams Suite im Hotel Fénix, den der Brillanten (rhomboidal) an seinen Ohrläppchen und den der Schule, die Brooklyn, der ältere seiner beiden Söhne, in Madrid besuchen wird. Im einzigen Interview auf spanischem Boden, das er Real Madrid TV gewährte, hatte Beckham lobende Worte für seine neuen Compañeros übrig, namentlich für Figo, dieses „grosse Fussball-Gehirn“.“

Manuel Meyer (BLZ 3.7.) blickt voraus. “Madrid, die Drei-Millionen-Stadt, hat aber nicht nur als Einkaufs-Hochburg, sondern auch für Davids Beckhams Aktionsdrang einiges zu bieten. Vielleicht nimmt ihn der portugiesische Weltfußballer Figo ja mal zum Golfen mit. Figo ist nämlich Stammgast des Madrider Golfclub. Und wenn Becks wirklich Ruhe haben will? Das Familienleben, das die Beckhams so schätzen, dürfte in Madrid idyllisch werden. Den Zuschlag gaben sie nämlich einer Villa im Nobelvorort La Moraleja, obwohl sie zunächst eigentlich für 3,5 Millionen Euro den Marmorpalast La Murta in der Nachbarschaft des spanischen Königs Juan Carlos ersteigern wollten. Der Vorteil des Domizils von La Moraleja: Das Haus liegt in der Nähe der englischen Schule, die Sohn Brooklyn besuchen wird. Außerdem lebt dort die Hälfte von Beckhams neuen Kollegen von Real Madrid. Und in ihrer Freizeit – bei Kindergeburtstagen etwa, Nachbarschaftsfeiern und auf dem Spielplatz – treffen sich Spieler wie Zidane, Raul und Beckhams Landsmann Steve McManaman. Was aber, wenn das alles nicht reichen sollte? Schon jetzt befürchten spanische Zeitungen, die Beckhams könnten im lebensfrohen, aber braven Madrid den Esprit Londons vermissen. Madrid ist schließlich vor allem eine Stadt, in der sich das Leben auf der Straße und auf den Plätzen abspielt. Im Altstadtviertel auf der Plaza Mayor, auf der Puerta del Sol und auf der Gran Via, Spaniens Broadway, spielt die Musik. Ob den Beckhams die Nähe zum spanischen Normalverbraucher gefallen wird? Ob sie das unschlagbare Kulturangebot Madrids mit Prado, Reina Sofia und Thyssen-Museum zu würdigen wissen?“

Michael Jordan muss sich im Grab umdrehen

Bayernmanager Uli Hoeneß, der den Fans in der letzten Saison stolz Teenie-Schwarm Michael Ballack präsentierte, kommentiert. Das war ein Affentheater, wie ich es noch nie gesehen habe. Ich habe das im Urlaub im Liegestuhl köstlich verfolgt, ich sehe Real Madrid auf der Entwicklung vom Fußballclub zum Zirkus. Das ist gut für uns. Da sieht man, wie man es nicht macht. Das wird sich auf lange Sicht auch auf das Spiel auswirken.“ Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft wird wie Basketball-Legende Michael Jordan die Rückennummer 23 tragen, was Hoeneß zu folgender Stilblüte veranlasst: Michael Jordan muss sich im Grab umdrehen.

Ist Jordan denn gestorben? (of)

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Leistung der deutschen Mannschaft

Wie erwartet geht die heimische Presse weit gehend kritisch mit der Leistung der deutschen Mannschaft ins Gericht. Von „Behördenfußball“ spricht die FR, von „Hausmannskost“ die FAZ. Die SZ findet daher: „Mit solch einer Leistung das Halbfinale einer WM erreicht zu haben, dürfte noch wenigen Teams gelungen sein.“ Begeistert ist man alleine von der Leistung Oliver Kahns, der „besten Einer-Kette der Welt“ (SZ).

Jedoch kann die FAZ dem 1:0-Erfolg auch Gutes abgewinnen: „ein Ergebnis von Völlers kluger Teamleitung, ein Resultat des in dieser manchmal nur mittelmäßigen Mannschaft überragenden Teamgeistes und ein Verdienst von Oliver Kahn.“ Die Ursachen für den Erfolg findet man dort (außer an Kahn noch) in der Winnermentalität Michael Ballack: „In den entscheidenden Momenten, wenn von den besten acht Mannschaften nur noch vier übrig bleiben können, machten die Stars wieder einmal den Unterschied“ (FAZ).

Es verwundert, dass der starken Darbietung der US-Amerikanern in der Berichterstattung wenig Aufmerksamkeit eingeräumt wird und stattdessen die massive Kritik am deutschen Spiel im Vordergrund steht; ein Indiz dafür, dass man von der eigenen Beurteilung noch wenig überzeugt zu sein scheint, wonach die Kleinen im Weltfußball deutlich aufgeholt hätten. Gegen Mannschaften wie die USA erwarten die Experten offenbar nach wie vor nicht nur einen Sieg, sondern auch einen überzeugenden.

Das Ausland reagiert nahezu angewidert. In Italien ist von „den Schlechtesten“ die Rede, in Spanien geißelt man den „vulgären“ Umgang der Deutschen mit dem Spielgerät (übrigens dieselben Tageszeitungen, die vor Monatsfrist den glückhaften Champions-League-Erfolg einer ihren Gegnern aus Leverkusen spielerisch unterlegenen sowie rein auf Konterfußball ausgerichteten Mannschaft von Real Madrid mit Lobeshymnen besungen). Die NZZ sah ein „absolut unansehnliches und erdauertes 1:0-Gewürge“ und weiter: „Man kann sich nicht erinnern, wann man letztmals seit 1986 (damals die Deutschen in Mexiko) eine spielerisch derart schlechte Equipe in ein WM-Halbfinale hat vorstoßen sehen.“

Zur Schiedsrichterleistung kommentiert die NZZ: „Ein weiterer Skandal an dieser WM“ und erkannte im Handspiel Frings einen deutlichen Elfmeter. Auch in Italien stieß man sich an dieser Entscheidung besonders.

Über die Ursachen des deutschen Erfolgs schreibt Michael Horeni (FAZ 22.6.). „Erste Chance, erstes Tor – dies ist ein klassischer deutscher Standard auch dann, wenn Spiele zunächst erschreckend anders laufen als erhofft. Doch Michael Ballacks Kopfball kurz vor der Pause ließ auf der Videotafel ganz nüchtern den Unterschied zwischen spielfreudigen Amerikanern und deutschen Ergebnisfußballern aufleuchten: 1:0. Mehr muss nicht sein. Auch die genaue amerikanische Kenntnis über die Stärke des Leverkusener Mittelfeldspielers – das Kopfballspiel in Standardsituationen – konnte die sportliche Wendung, die viele als ungerecht beklagen mögen, nicht verhindern. Mit Kahn im Tor und Ballack am richtigen Platz ließen sich so vom Ergebnis viele Mängel zwar nicht überspielen; aber sie hatten keinen Einfluss mehr auf die Schlussabrechnung.“

Ludger Schulze (SZ 22.6.) äußert sich zum Spiel. „In 90 Minuten war nur wenig von dem zu sehen, was im Fußball gemeinhin als Primärtugend gilt. Neben dem einsam über allen thronenden Oliver Kahn überzeugten noch der dynamische Torsten Frings, der technisch bestechende Bernd Schneider in der ersten Hälfte und der flinke Stürmer Oliver Neuville, der den Amerikanern immer wieder Kopfzerbrechen bereitet. Das Team ist offensichtlich nicht in der Lage, ein kreatives Spiel aufzuziehen. Bewundernswert immerhin ist die Leidenschaft, der Siegeswille, mit dem es seine bisherigen Aufgaben gelöst hat. Es wäre allerdings ein Armutszeugnis, wenn das schon ausreichte, um das WM-Endspiel zu erreichen (…) Nach dem Schlusspfiff aber konnte man das Resultat eigentlich nur noch als grotesk bezeichnen. Denn aus der Kabine waren die Amerikaner mit der wilden Entschlossenheit ihrer Vorfahren gekommen, die schließlich den Wilden Westen erobert haben. 45 Minuten berannten sie den Strafraum der Deutschen, Angriffswelle auf Angriffswelle schwappte gegen das Tor

Eine Spielanalyse von Roland Zorn (FAZ 22.6.). „Dass sich die bisher nicht als Kombinationsweltmeister bekannten Amerikaner immer wieder bis zur deutschen Grundlinie durchspielen konnten, hatte mit den Defiziten der Abwehrarbeit auf den Flügeln zu tun, und da in der Mitte der von Völler erstmals als Abwehrchef eingesetzte Kehl auch nicht für Ordnung sorgte, schien das Abenteuer Viertelfinale schon früh zu einer wackligen Angelegenheit zu werden (…) Immerhin: Wenn es um den Fußball auf flugtechnisch hohem Niveau ging, überzeugte das Team des Teamchefs. Und die Amerikaner wussten zur Pause nur zu genau, dass ein deutsches Nationalteam den Fußballfreund nicht verwöhnen muss, um trotzdem erfolgreich abzuschneiden (…) Mit dieser Mannschaft so weit gekommen zu sein, das ist für den Teamchef Rudi Völler wie seine lange unterschätzten Profis ein beachtlicher, wenn auch kein tief beeindruckender Erfolg. Dafür müsste das Team gegen Spanien oder Südkorea vielleicht auch einmal ein richtig gutes Spiel hinlegen.“

Die möglichen Signalwirkungen des deutschen Halbfinaleinzugs fasst Philipp Selldorf (SZ 22.6.) zusammen. „Zu wenig, um ernsthaft erwarten zu wollen, dass die Welt applaudiert und voller Bewunderung anerkennt, dass die alte Großmacht zurückgekehrt ist. Auf den Beifall der Anderen sind die Deutschen zwar nicht angewiesen, aber gewinnen als Selbstzweck wird irgendwann zu einer peinlichen Methode, und leider drängt sich dieser Gedanke vor der grandiosen Tatsache in den Vordergrund, dass es die Nationalelf tatsächlich geschafft hat, unter die letzten Vier zu kommen. Wie kann es sein, dass man sich als Zeuge dieses Spiels nicht in der Lage sieht, diese junge, durch etliche Verluste auf zentralen Positionen gebeutelte Mannschaft vor allem dafür zu loben, was sie erreicht hat? Dass man stattdessen über das ängstliche Konzept schimpfen möchte, das Teamchef Rudi Völler in der zweiten Halbzeit zu Hilfe nahm, als ob der Gegner nicht die zwar leidlich begabten und athletisch starken, aber beim besten Willen nicht hochklassigen Amerikaner gewesen wären, sondern ein unwiderstehliches Team von Spitzenkönnern. Und dass man zuerst den Mangel an Phantasie und spielerischer Qualität beklagt, anstatt den Einsatz und die guten Momente zu würdigen.“

Jan Christian Müller (FR 22.6.). „Es war die Überlegenheit im Kopfballspiel und ein überragender Torwart Oliver Kahn, der dem DFB-Team eine Führung bescherte, die allemal schmeichelhaft war und dies bis zum Schluss auch blieb. Nach Vorbild der wuseligen Koreaner bearbeiteten auch die US-Amerikaner den jeweils Ballführenden regelmäßig im Doppelpack und scheuten sich auch nicht vor dem ein oder anderen unsauberen Tackling.“

Mark Schilling (NZZ 22.6.). „Eines konnte man den Deutschen nach dem Schlusspfiff sicherlich nicht vorwerfen: mangelnde Selbstkritik. Selbst in der Chefetage wurden keine verbalen Nebelgranaten geschleudert, um in der Stunde des Erfolgs der Halbfinalqualifikation auf einmal spielerische Qualitäten der DFB-Auswahl unter die Nase reiben zu wollen, die alles andere als existent sind (…) Torhüter Oliver Kahn ist derzeit dermaßen vom Leistungsniveau seiner Teamkollegen entrückt, dass gar nicht mehr solche Floskeln bemüht werden wie jene, der Sieg sei immer das Produkt eines ganzen Teams. Vielmehr wird im deutschen Lager der 33-Jährige allenthalben als Heilsbringer explizit hervorgehoben.“

Frank Ketterer (taz 22.6.). „Der Zweck heiligt ja Mittel, und ganz bestimmt werden sie in den nächsten Tagen, wenn es darum geht, zu erklären, warum die deutsche Mannschaft im Halbfinale dieser Fußballweltmeisterschaft steht, diese Phrase des Öfteren bemühen müssen. Denn noch im Lichte der Arena von Ulsan betrachtet, gab es keinen wirklichen Grund dafür, dass Deutschland die USA mit 1:0 geschlagen hatte in diesem Viertelfinale. Außer einem natürlich, dem zwischen den Pfosten.“

Christian Zaschke (SZ 22.6.) porträtiert Deutschlands Teamstütze. „Es gibt wohl niemanden, der bezweifelt, dass Oliver Kahn der beste Torhüter dieses Weltturniers ist. Er ist zudem der erste Torwart, der ein Turnier auf diese Weise dominiert. Manchmal ist es so, dass ein großer Spieler ein solches Turnier prägt, oder wie der Argentinier Diego Maradona 1986 im Alleingang gewinnt, buchstäblich. Aber ein Torwart? „Der Matchwinner“ haben ihn die Kommentatoren im Fernsehen genannt, weil er Paraden zeigt, die niemand sonst vollbringen kann. Weil man sieht, wie die Stürmer Angst bekommen, wenn sie auf ihn zulaufen. Doch Kahn ist mehr als der Sieger eines Spiels. Er ist Kapitän dieser Mannschaft, und er ist ihre Mitte.“

Zu den Reaktionen der deutschen Spieler nach dem Spiel heißt es in der SZ (22.6.). „Mehr als ein Spiel gewonnen, hatten die Deutschen eine wichtige Partie nicht verloren. Gegen die Amerikaner auszuscheiden, wäre ihnen peinlich gewesen, allen Predigten zum Trotz, dass die Welt des Fußballs kleiner geworden ist. Man hat bei diesem Turnier bisher Pflichtaufgabe an Pflichtaufgabe gereiht (…) Fast wirkte es, als hätten die Sieger ein schlechtes Gewissen, jetzt unter den letzten Vier zu stehen, nach einem Spiel, das alle ein wenig verschämt zurückließ. Auf dieser Grundlage konnten sich die Deutschen Selbstkritik auf hohem Niveau leisten. Für die unschuldige Freude, ein fantastisches Ziel erreicht zu haben, blieb irgendwie kein Platz.“

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Einzelkritik der deutschen Spieler SZ

Stimmen zum Spiel SZ FR

Pressestimmen aus Italien und Spanien

weitere Pressestimmen Tsp

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FAS-Interview mit Rudi Assauer über seine Einkaufspolitik – auf der Jahreshauptversammlung der Bayern geht’s gemütlich zu – SpOn-Interview mit Ewald Lienen über sich, sein Bild in der Öffentlichkeit und sein Verhältnis zu den Medien

Wie kann dieser Popelverein das modernste Stadion der Welt bauen?

FAS-Interview mit Rudi Assauer

FAS: Trainer Jupp Heynckes hat dezent, aber vernehmlich angemerkt, die Schalker Mannschaft besitze nicht die erwartete Qualität. Haben Sie ihm zuviel versprochen?

RA:Wir haben ihm nichts vorgemacht. Und Jupp hat sich bei mir auch nicht beschwert. Wir haben ihm gesagt, welche Spieler wir haben. Wir wußten allerdings nicht, daß fünf wichtige Profis monatelang ausfallen würden. Als wir mit Jupp gesprochen haben, standen Sven Kmetsch, Marco van Hoogdalem, Niels Oude Kamphuis, Jörg Böhme und Emile Mpenza noch auf der Liste der Stammspieler. Sie sind alle weggebrochen. Wiedergekommen ist bisher nur Oude Kamphuis. Bei den anderen weiß man nicht, ob sie je wieder an ihre alte Leistungsstärke anknüpfen können. Deshalb müssen wir überlegen: Was machen wir?

FAS: Was machen Sie?

RA:Wir müssen die Mannschaft so verstärken, daß sie ein Gerippe bekommt, das drei, vier Jahre durchspielen kann und nur punktuell ergänzt werden muß. Wir wollen eine Truppe aus jungen und aus erfahrenen Spielern aufbauen. Junge Leute haben wir mittlerweile genug. Und sie spielen bei uns auch.

FAS:Zwei Stars aus Bremen haben Sie schon verpflichtet. Folgen nun Kuranyi und Hinkel vom VfB Stuttgart?

RA:Alles dummes Zeug. Wenn wir einen neuen Spieler unter Vertrag haben, geben wir frühzeitig Bescheid, wie bei Ailton und Krstajic geschehen.

FAS:Schalke steht in dem Ruf, besonders hohe Gehälter zu zahlen. Kann der Klub sich das überhaupt leisten?

RA:Wir wollen unsere Personalkosten von etwa vierzig Millionen Euro aus dem laufenden Jahr nicht überschreiten, eingeschlossen die Leute, die noch kommen. Es laufen ja auch einige Verträge aus. Mit unserem Gehaltsrahmen stehen wir in der Liga an fünfter Stelle. Wir wollen auch in den nächsten Jahren versuchen, uns in diesem Rahmen zu bewegen.

FAS:Mit einem Jahresgehalt von angeblich vier Millionen Euro wird Ailton zu den Spitzenverdienern in Schalke gehören. Ist es nicht riskant, einen Dreißigjährigen für vier Jahre zu solchen Konditionen unter Vertag zu nehmen?

RAie Medien hätten es gerne, daß solche Zahlen aufgerufen werden, aber sie kennen die Zahlen doch gar nicht.

FAS:Ein Berater Ailtons hat gesagt, es stehe eine Vier vor dem Komma einer Millionensumme. Warum sollte er lügen? Oder kann der Mann nicht bis vier zählen?

RA:Sie wissen doch, wie wichtig sich diese Spielerberater nehmen. Die wollen sich damit brüsten, was sie alles Großartiges geleistet haben für ihren Klienten. Ich kann nur sagen: Die Zahl stimmt nicht.

FAS:Wundern Sie sich über die vielen Kritiker, die behaupten, Schalke betreibe unlauteren Wettbewerb und verderbe obendrein die Preise?

RA:Jetzt schimpfen alle auf Schalke 04, was für Verbrecher wir sind. Wie auch sonst in der Gesellschaft steckt viel an Neid und Mißgunst dahinter. Schalke polarisiert nun mal. Die einen lieben den Klub, die anderen sagen, wir seien ein Chaotenverein. Die gönnen uns nicht, was wir aufgebaut haben. Nach dem Motto: Wie kann dieser Popelverein, der lange für Skandale und Theater stand, das modernste Stadion der Welt bauen? Und jetzt holen sie auch noch die besten Spieler von anderen Vereinen, das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber warum können wir das? Weil wir ein hartes und breites Fundament geschaffen haben mit dem Stadion,mit unserer Unabhängigkeit. Wenn wir keine großen Fehler machen, wird dieser Verein in den nächsten Jahren so stabil werden wie kaum ein anderer in Deutschland.

Vielleicht weil es wieder da war, das Kribbeln

Elisabeth Schlammerl (FAZ 17.11.) amüsiert sich auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern: „Jahreshauptversammlungen sind meist eine ganz ernsthafte Angelegenheit, in Wirtschaftsunternehmen und Sportvereinen gleichermaßen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. Beim FC Bayern München bietet diese Veranstaltung allerdings stets mehr als nackte Zahlen, dröge Berichte und alle drei Jahre eine Präsidiumswahl. Verantwortlich dafür ist – neben den oft schon kabarett-tauglichen Beiträgen der Fans zum Abschluß unter dem Punkt Verschiedenes – der Präsident persönlich. Manchmal ist seine launige Moderation unfreiwillig komisch, manchmal sind die Worte bewußt gewählt. Bei dieser Versammlung, die erstmals in einem großen Saal der Münchner Messe stattfand, wurde schon der erste Satz von Franz Beckenbauer von den 1302 Mitgliedern beklatscht, dabei hatte er lediglich die anfänglich schlechte Akustik mit Auwei, das war in der Olympiahalle besser kommentiert. Vermutlich kam auch an diesem Freitag abend ein Großteil der Mitglieder in erster Linie wieder wegen des Kaisers und seinen Bonmots – und natürlich wegen des Freibiers am Ende der Versammlung. Beckenbauer erzählte dann von einem Flug über die Stadionbaustelle im Münchner Norden, bei dem er seit langem wieder einmal das Kribbeln verspürt hat. Ich meine, im Fußball, sonst habe ich das schon noch. Natürlich zog sich das Kribbeln des Kaisers durch die gesamte Versammlung beinahe wie ein roter Faden. Auch der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge nahm das Thema als Einstieg für seinen Bericht dankbar auf. Ich glaube, Franz, du hast zum letzten Mal ein Kribbeln vor neun Monaten gehabt, sagte er als Hinweis auf die erst vor ein paar Wochen geborene Tochter des Präsidenten. Nach Ende der Versammlung hörte die Volksnähe des Präsidenten aber auf. Während Hoeneß und Rummenigge noch eifrig Autogramme schrieben, entschwand Beckenbauer flugs. Vielleicht weil es wieder da war, das Kribbeln.“

Claudio Catuogno (SZ 17.11.) auch: “Es gibt Erfreuliches zu berichten: Den Kunstturnern des FC Bayern ist der Aufstieg in die Bundesliga gelungen, die Handballabteilung hat erfolgreich den fehlenden Hallenkapazitäten getrotzt, und der Vorstand der Kegelabteilung wurde wiedergewählt, was als Ausdruck seiner hervorragenden Arbeit gewertet werden kann. Aber was ist all das wert, die kleinen Mühen eines ganzen Jahres, wenn die Fußballer des FC Bayern demnächst in Glasgow aus der Champions League ausscheiden? Wenn sie wieder in 90 Minuten ein Millionenloch in die Bilanzen reißen? Was sollen sie dann sagen, Beckenbauer, Präsident des FC Bayern München e.V., und Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG? Dass in der Tischtennisabteilung alles prima vorangeht? Neue Messe München-Riem, Saal 14, Jahreshauptversammlung. Eine Pflichtveranstaltung für jeden eingetragenen Verein, egal ob er fünf Mitglieder hat oder 96 440. Doch beim FC Bayern erhält eine Jahreshauptversammlung fast automatisch eine besonders skurrile Note. Schon an der Autobahn ist die Veranstaltung angeschrieben, das Podium ist durchgestylt wie eine Wetten-Dass-Kulisse – und dann schwappt doch immer wieder dieser Hauch von Provinz und Vereinstümelei in den schicken Saal hinüber. Weil sie alle da sitzen, Beckenbauer, Hoeneß, Scherer, Rummenigge, zwischen Blumengebinden und Meisterschale, und die Erfolge der Kegelabteilung würdigen müssen (…) Das größte Konfliktpotential hatte Rummenigge schon vorab abgewendet: In einem persönlichen Gespräch mit den Vorsitzenden von vier Münchner Fanklubs entschuldigte er sich für das Verhalten des Vereins im Sommer. Damals hatte der Klub vielen Anhängern wegen angeblich „vereinsschädigenden Verhaltens“ die Mitgliedschaft entzogen und die Dauerkarten gestrichen. Da habe man „überreagiert“, entschuldigte sich Rummenigge am Freitag auch öffentlich.”

Es gab sicherlich Zeiten, in denen ich zu bissig war

Sehr lesenswert! SpOn-Interview mit Ewald Lienen

SpOn: Was ärgert Sie besonders am Umgang mit den Trainern?

EL: Es wird alles auf Punkte und Tabellenplatz reduziert. Der Trainer muss für alles herhalten. Wir schauen zu und lassen das mit uns machen. Wenn du drei- oder viermal verlierst, bist du ein schlechter Trainer. Wenn das so weitergeht, sind wir bald nur noch Manövriermasse, und jeder darf auf den Trainer eintreten, wie er möchte. Leute, die Jahrzehnte im Geschäft sind, müssen sich von Vereinen nicht alles gefallen lassen. Wir müssen uns auch nicht vor irgendwelchen Jungmoderatoren rechtfertigen, die sich erdreisten, gemäß dem Zeitgeist, mit bestimmten Fragen, die Reputation eines Bundesligatrainers zu unterminieren. Diese Respektlosigkeit ist unerträglich und bald schon peinlich.

SpOn: Hören wir da wieder den alten Medienschreck?

EL: Das ist eine verkürzte Sichtweise. Es gab sicherlich Zeiten, in denen ich zu bissig war. Ich war nicht immer pflegeleicht im Umgang mit den Medien, das war aber auch nie meine Aufgabe. Oft bringt man Beispiele aus absoluten Stressphasen. Beim 1. FC Köln wurde ich ein halbes Jahr lang täglich aufs Übelste beschimpft. Ich fahre lieber aus der Haut und bleibe mir selbst treu, als alles in mich hinein zu fressen und ein Magengeschwür zu bekommen. Auch wenn mich einige danach für verrückt halten. Gegen Skrupellosigkeiten und Hetzjagden muss man sich zur Wehr setzen.

SpOn: Gehört es nicht zum Beruf eines Trainers dazu, kritisiert zu werden?

EL: Natürlich, aber wenn ein Trainer sich über bestimmte Medien beschwert oder Kritik äußert, wird er zum Feindbild. Mittlerweile scheint es so, dass diejenigen, die die Meldungen produzieren, wichtiger werden, als die, die für die Nachrichten sorgen. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Ich weiß aber auch, wie Teile unserer Medienlandschaft funktionieren. Der Verfall von Sitten und Moral ist mehr als offensichtlich. Ich war immer jemand, der auf eben solche Werte gepocht hat. Das werde ich auch beibehalten, weil es für mich zum Menschsein dazu gehört. Da lasse ich mich auch gerne als Moralapostel und Prediger titulieren.

SpOn: Ist Verweigerung, gar Schweigen die Lösung?

EL: Wenn ich respektvoll und vernünftig behandelt werde, bin ich jederzeit bereit, ganz offen Auskunft zu geben. Dass mir eine gewisse Form von Journalismus einfach nicht gefällt, wissen die Leute, die es wissen müssen. Die Kritik an meiner Person kommt aus einer ganz bestimmten Richtung. Ich gehe keinen Handel mit der Boulevardpresse ein, nach dem Motto: Sie sagen mir heute schon Ihre Aufstellung für morgen und ich behandele Sie dafür fair. Das geht mit mir nicht. Ich muss noch in den Spiegel schauen können, ohne dass mir schlecht wird.

SpOn: Ihnen wird nachgesagt, ein Disziplinfanatiker zu sein. Sehen Sie sich selbst auch so?

EL: Fußball funktioniert nicht ohne Disziplin – und kein Trainer sieht das anders. Ich kann nicht als Profisportler bis 3 Uhr morgens in der Disco tanzen, wenn ich zwei Tage später ein Spiel habe. Jeder der etwas anderes erzählt, kennt sich mit der Materie nicht aus. Natürlich entwickelt man sich als Trainer. Anfangs habe ich Phasen gehabt, in denen ich meine Spieler zu sehr mit Vorgaben konfrontiert habe, etwa gesunde Ernährung, vernünftige Lebensweise und was weiß ich nicht alles. Wenn ich heute Obst in die Kabine stellen lasse, können Sie dabei zusehen, wie plötzlich der Korb leerer wird. Ich halte ja den Spielern nicht den Mund auf und stopfe denen die Vitamine rein. In Gladbach habe ich genau einmal einen Experten über richtige Ernährung sprechen lassen. Die Spieler, die meine Ratschläge angenommen haben, sind meist die, die über eine gewisse Intelligenz verfügen.

SpOn: Kann Ihre Fürsorge nicht auch als Bevormundung gesehen werden?

EL: Wenn ein Mittelfeldspieler zwei Packungen Zigaretten am Tag raucht und nach 50 Minuten raus muss, da er nicht mehr laufen kann, muss es erlaubt sein zu fragen, ob der Spieler richtig lebt. Ich muss mich bei Misserfolg dann aber noch entschuldigen, dass ich das angesprochen habe und angeblich jemanden bevormunde. Das ist doch völlig lächerlich.

„Die Bundesliga reagiert auch nach der Vorführung durch Frankreich gelassen auf den Zustand der Nationalmannschaft“ SZ

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Real Madrid wird spanischer Meister, feiert aber nicht – FC Kopenhagen dänischer Meister

Themen: Real Madrid wird spanischer Meister, feiert aber nicht, entlässt statt dessen Trainer und Kapitän – FC Kopenhagen dänischer Meister (mehr …)

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Die Zukunft Deislers ist ungewiss

Sympathieträger SC Freiburg ist wieder in der Bundesliga – zu den Perspektiven von Borussia Mönchengladbach – Rivalität zwischen den beiden Dortmunder Torhütern – die Zukunft Deislers ist ungewiss – BLZ-Interview mit Jupp Heynckes – Bayern München plant medialen Alleingang (mehr …)

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Andere Länder, andere Kommentatoren

Sie als Zuschauer haben sich während der WM über die verkorksten Kommentare von Heribert Faßbender geärgert? So wie es scheint, sind die Deutschen nicht die Einzigen, die dem Phänomen der nur vereinzelt durchdachten Äußerungen ausgeliefert sind: Auch der kroatische Spielberichterstatter Bozo Susec kann in dieser Liga durchaus mithalten. Hier einige, ausgewählte Beispiele: Vor der Ausführung eines Einwurfs: Panucci entscheidet sich, den Ball aus dem Seitenaus mit den Händen zurück ins Spielfeld zu befördern. Im von Schiedsrichterfehlentscheidungen geprägten Spiel Italien-Kroatien beschrieb der kroatische Kommentator die Ereignisse nach dem zweiten, aberkannten Tor der Italiener folgendermaßen: Freuen Sie sich nicht, meine Damen und Herren, es ist kein Tor! Der Schiedsrichter entscheidet auf Elfmeter! Nein – vielleicht ein Abseits?! Nein, kein Elfmeter! (in diesem Moment zeigt das TV-Bild den Schiedsrichter, der einen Freistoß für Kroatien pfeift) Der Schiedsrichter entscheidet auf Abseits! Auch Susec sah sich mit dem Problemm konfrontiert, dass mehrere Spieler den selben Namen tragen. Im Falle der beiden Schweden Svensson unterschied er sie durch Zuweisung der Attribute der Hübsche und der Robuste. Bei der Vorstellung der Südkoreaner hieß es dagegen: Welch ein Glück für einen Kommentator – es gibt nur zwei Kims in der Startaufstellung heute. Sonst sind es immer so fünf bis sechs. Etwas mehr Licht in den Kommentatorenalltag brachte hingegen Zeljko Vela, der das langatmige Spiel Slowenien-Südafrika als so interessant, wie eine frisch gestrichene Wand trocknen zu sehen umschrieb. Auch das Spiel Argentinien-Schweden empfand er offenbar als langweilig: das Spiel ist so spannend wie eine Live-Übertragung von Flut und Ebbe. Auch wusste er, die Zuschauer durch den vereinzelten Einsatz von Stereotypen zu unterhalten: Dieser Japaner sind wirklich fortschrittlich. Neulich haben sie das kleinste Fernsehgerät der Welt entwickelt. Aber warum mussten sie ausgerechnet meine Übertragungskabine damit ausstatten?

Michael Hanfeld (FAZ 12.6.) hat den 2:0-Sieg Deutschlands am Fernsehen verfolgt. „ZIEGE! brüllt es irgendwann aus Johannes B. Kerner heraus. Als Fußballkommentator und damit bei seinem alten Leisten ist er vor jener Selbstüberschätzung ein wenig gefeit, die er unter der Woche beim abendlichen Marathontalk nicht immer verleugnen kann. Er redet das Spiel zwar ein bisschen zu schön und hat einen fatalen Hang zum tödlichen Pathos-Pass – „Oliver Kahn hat ein Gesicht aus Stein“ –, doch den gleicht er in der Aufregung aus durch Stilblüten, zu denen Heribert Faßbender einfach das Format fehlt. „Das ist bitter für die Zukunft“, hören wir Kerner sagen, als Carsten Ramelow die Rote Karte bekommt, „wenn es überhaupt eine Zukunft gibt.“ Als Bode zum 1:0 trifft, ist für Kerner nicht nur die fünfzigste, sondern „die pünktlichste Spielminute“ angebrochen, die es überhaupt geben kann.“

Christoph Keil (SZ 11.6.) glotzt TV. „Faßbender sieht schon lange nicht mehr jedes Foul, und Mohren ist sprachlich in den frühen 80ern hängen geblieben. Rethy wird immer an der eigenen, falschen Einschätzung festhalten, auch nach der dritten Zeitlupe. Und Kerner redet und redet und findet dann so ein Spiel wie das der Engländer gegen die Argentinier mittelmäßig, weil er sich was auch immer davon versprochen habe (…) Vor seiner Verwandlung in JBK war Kerner ein öffentlich-rechtlich sozialisiertes Talent vom Sender Freies Berlin. Wieviele Talente gibt es noch? Wirklich so wenige, dass die ARD ihre Bellheims nach Japan und Südkorea schicken musste?“

In dem unübersichtlichen Wust von TV-Expertenrunden hat Gerda Wurzenberger (NZZ 10.6.) eine Perle gefunden. Es handelt sich um die dreiminütige Vorschau von Arte (täglich 19.45h), in der Fußballtrainer Arsène Wenger und Politiker Daniel Cohn-Bendit mit historischen, politischen und gesellschaftlichen Hintergründen über die beteiligten Nationen der jeweiligen Spiele des nächsten Tages vertraut machen. „Unter den vielen Bemühungen, Fußball zu intellektualisieren, gehören diese kurzen Beiträge zu den wirklich überzeugenden. Da wird für einmal nicht mehr versprochen, als geboten wird, da wird nicht gequasselt, sondern Stimmung uns Wissen fernsehgerecht vermittelt und werden Fragen so gestellt, dass sie über das pure WM-Geschehen hinaus nachwirken. Wer das nicht gesehen hat, hat ein echtes Highlight dieser Fußball-Weltmeisterschaft verpasst.“

Michael Horeni (FAZ 8.6.) beschreibt die selbst ernannte Aufgabe von Deutschlands größter Boulevardzeitung. „Bei Bild ist noch Jubelstimmung gefragt. Aus der Redaktion in Hamburg kommt die Nachricht, das Fernsehen versage in seiner Rolle als Stimmungsmacher. ARD und ZDF dürfen die deutschen Tore nur am Spieltag zeigen, viele Begegnungen sind nur im Bezahlfernsehen zu sehen, die WM-Zusammenfassung auf Sat.1 läuft zu spät, die Quoten sind lausig. Das Defizit des Fernsehens will Bild ausgleichen (…) Doch der Ruhm ist vergänglich, oftmals über Nacht, und mitunter kennt niemand außer Bild die Gründe dafür. Das 1:1 gegen Irland hat den Trend noch nicht gewendet, wir warten auf Kamerun, das Endspiel der Vorrunde. Die deutschen Nationalspieler sind mit den extremen Zyklen der Pressebeobachtung bestens vertraut. Vor zwei Jahren hatte Bild die Mannschaft mit guten Wünschen zur Europameisterschaft verabschiedet. Als charakterlose Rumpelfüßler wurden die Spieler heimgeholt – aber nicht alle. Die Herabsetzung verlief nach einem fein austarierten System: Bild schützt seine langjährigen Freunde und Informanten in Nationalteam auch in Krisenzeiten. Die, die nicht plaudern, bekommen dafür um so mehr ab, von den Gegnern des Blattes gar nicht zu reden. Dessen Vorzeigespieler war zuletzt Lothar Matthäus, was dazu führte, dass Bild beim letzten großen Fußballturnier eine publizistische Parallelwelt hervorbrachte, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte (…) In Japan ist das Bild-Team unabhängiger als damals. Trends und Stimmungen in der Nationalelf werden ohne falsche Rücksichtnahme aufgespürt. Zudem geht mit Rudi Völler ein Teamchef voran, der nicht nur für den deutschen Fußball ein Glücksfall ist, sondern auch für Bild. Das kolportierte sportliche Urgesetz des Blattes – Fußball ist gut für Bild, Beckenbauer ist gut für den Fußball, Beckenbauer ist gut für Bild –, dieser Dreisatz über den seit Jahren dem Blatt dienenden Kolumnisten, gilt auch für den Sympathieträger Völler.“

Reinhard Lüke (FR 7.6.) bewertet das TV-Programm der Öffentlich-Rechtlichen. „Mit einem einzigen Fußballspiel rund fünf Stunden Programm bestreiten zu müssen, ist kein Zuckerschlecken. Dabei geben sich die Verantwortlichen von ARD und ZDF angesichts der massiven verweisen darauf, dass die Rechtslage doch seit einem halben Jahr bekannt sei. Der Vertrag mit KirchMedia erlaube ihnen nunmal nur das eine Spiel pro Tag. Schon richtig. Doch das Problem liegt nicht in dem, was sie nicht senden (dürfen), sondern in dem, was sie senden. Genauer gesagt in diesem Gestus, mit dem sie fortwährend so tun, als hätten sie über diese 90 Minuten hinaus irgendetwas Sehenswertes zu bieten. Was sie definitiv nicht haben.“

Jürgen Roth (FR 5.6.) vergleicht das TV-Angebot. “Während die Öffentlich-Rechtlichen, die täglich lediglich ein Topspiel übertragen dürfen, ein erbärmliches Schauspiel an Maßlosigkeit bieten, das heißt unangemessene, völlig aus dem Ruder gelaufene Rand- und Rundumberichterstattung, ja eine diabolisch aufgeblasene Trinität aus Delling-Netzer- oder Poschmann-Rehhagel-Duetten, Schaltungen und (zum Teil sehr lustigen) Filmen ins Werk richten, konzentriert sich das Nischenprogramm Premiere bei vollem Fußballprogramm – gezwungenermaßen – auf die Sache selbst.”

TV-Konsument Michael Hanfeld (FAZ 4.6.) meldet. „Wo in der ARD vor allem Gerhard Delling und Günter Netzer vor furioser Fußballkulisse mit acht Toren farblos wie zwei Staubsaugerverkäufer herumstehen, die in der Halbzeit gerade mal ein Tor zeigen können, damit sie den Rest mit Werbung für ihre sonstigen Produkte vollpumpen können, da beweisen Breitner und Welke, dass Fußball zwar die wichtigste, aber selbst bei einer Weltmeisterschaft wie dieser immer noch nicht bis ins Letzte ernstzunehmende Nebensache in dieser Welt ist. Oliver Welke – soviel lässt sich nach dem WM-Auftakt schon sagen – wird zum Miroslav Klose unter den hiesigen Moderatoren avancieren. Er ist kompetent, er ist witzig, er ist schlagfertig, er ist unterhaltsam, und allein deswegen ist er eine Ausnahmeerscheinung unter den Sportmoderatoren. Wir sind fast geneigt, ihm Kultpotenzial zu unterstellen.“

Herbert Riehl-Heyse (SZ 4.6.) schaut sich die WM bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten an. „Ich konzediere also, dass zum Fußball das einschlägige Gelaber gehört; aber doch nicht so, dass damit stundelang wertvolle Sendezeit vernichtet wird, mit minutenlangen Sat1-lichen Ausführungen über die Schweißflecken im Hemd des spanischen Trainers. Zum Rekord-Laber-Duo der ARD muss nur deshalb nichts weiter gesagt werden (…) Delling und Netzer – zwei Grimme-Preisträger, wo ich noch nie kapiert habe.“

Die Organisation “Reporter ohne Grenzen” hat unter den WM-Teilnehmerländern eine Liste erstellt, in denen Journalisten es besonders schwer haben, ihrer Arbeit nachzugehen. Matti Lieske (taz 1.6.) dazu. “Zu den Predators of press freedom gehört zum Beispiel Prinz Abdullah Ibn al-Saud, der in Saudi-Arabien eine strenge Zensur des Internets sowie der gesamten Medien des Landes betreibt und missliebige Journalisten streng disziplinieren lässt. Ein weiterer Predator ist Chinas Staatschef Jiang Zemin, in dessen Land es zuletzt wieder ein Welle der Repression gegen kritische Journalisten gegeben hat. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin steht auf der Liste. Nicht nur in Tschetschenien sind Restriktionen gegen Medienvertreter, die systematische Einflussnahme des Staates auf Presseorgane sowie physische Angriffe bis zum Mord an der Tagesordnung. Tunesiens Präsident Ben Ali gehört ebenfalls zur illustren Gesellschaft. Die Presse des nordafrikanischen Landes ist praktisch gleichgeschaltet, wer sich nicht fügt, wird ins Exil getrieben oder verhaftet.“

Fernsehzuschauer Benjamin Henrichs (SZ 3.6.) über den WM-Auftakt. „Diese Weltmeisterschaft hat ja ziemlich originell begonnen, das Erste Programm aber hat diesen schönen Anfang böse zerschnarcht. Mit einer monotonen Darbietung des Reporters Wilfried Mohren (Frankreich gegen Senegal) und mit Heribert Faßbender, bei dessen kreuzbiederen und fanatisch temperamentlosen Kommentaren zum Deutschlandspiel die Veronkelung der Fußballreportage ihrer Vollendung rüstig entgegenschritt. So viele Tore sind gefallen, oder auch „Törchen“, wie Faßbender gern sagt. Doch unsere liebe alte ARD – sie war bei ihrer WM-Premiere der graue Kanal.“

Jürgen Roth (FR 02.04.02) über den DSF-Fußballstammtisch Doppelpass:

“Das Deutsche Sportfernsehen hält allsonntäglich den berüchtigten, semi-parodistischen Warsteiner-Fußballstammtisch Doppelpass ab, eine zweistündig voll und ganz nichtige Versammlung von mehrheitlich solchen Fachjournalisten, deren rhetorische Debakel illustrieren, weshalb sie genau so schreiben, wie es im kicker nachzulesen ist (…) eine Veranstaltung, die des Scheins der journalistischen Seriosität bedarf, um den Konsumenten, den Fußballfan, am Schirm zu halten. Der Fußballfan nämlich verachtet nichts mehr denn jenen, der seine Sache, den Fußball, nicht ernst nimmt.”

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

„Moral und Fußball“

Aufgrund Mangel an sportlicher Dramatik in der Bundesliga debattieren Beteiligte und Beobachter derzeit auf zwei Nebenschauplätzen. Zum ersten rückt wieder einmal das Thema „Moral und Fußball“ in den Vordergrund. „Es ist wirklich erstaunlich, dass in diesen Tagen vor allem Trainerwechsel und Geldstrafen den Kickern Beine machen, dass es also äußerlicher Reize bedarf, damit die innere Einstellung zum Beruf wieder stimmt“, schreibt die FAS, während die taz die Abmahnung für den Karneval feiernden Herthaner Marcelinho, dieses Wochenende wieder Matchwinner, kritisiert. „Sie sind schon arm dran, die Brasilianer in deutschen Landen. Läuft es gut, liegt ihnen alles zu Füßen, wenn nicht, geben sie die idealen Sündenböcke ab.“

Zum zweiten stehen zwei Stile der Fußballberichterstattung auf dem Prüfstand: die der seriösen Presse sowie der Boulevard, wobei die Bild-Zeitung manche Ohrfeige auch von den Fans einzustecken hat. In München solidarisierten sich am Wochenende die Anhänger demonstrativ mit dem sich ob der Dauerpräsenz in den Schlagzeilen „wie ein Mörder und Vergewaltiger verfolgt“ (O-Ton) fühlender Oliver Kahn. In Mönchengladbach konnten die Vertreter der Regenbogenpresse auf einigen Transparenten in der Fankurve lesen, was man dort von deren Bulletins über Ex-Trainer Hans Meyer hält: Man empfand sie als Exekutierung. Auf diese Kritik angesprochen – die Internetseiten des Vereins und der Gladbacher Fanclubs verzeichneten in der vergangenen Woche pro Tag mehr als hundert Bild-kritische Zuschriften –, hatte der verantwortliche Sportchef Bernd Weber in einem Interview mit derSZ letzte Woche alle Masken fallen lassen und seine menschenfeindliche Geisteshaltung offenbart, indem er persönliche Abneigung gegenüber Meyer gestand („Ich kann ihn einfach nicht leiden“), während er gleichzeitig Nachfolger Lienen drohte: „Wenn er wie in Köln Urinproben entnehmen lässt, um zu prüfen, ob einer Zigaretten geraucht hat, dann wird er erleben, dass er auch dort in der zweiten Phase seines Schaffens auf die Schnauze fällt“.

Auch im gestrigen Doppelpass (DSF) trafen zwei Protagonisten beider Lager aufeinander: Wilfried Pastors (BamS) und Roland Zorn (FAZ), letzterer mit den besseren Argumenten und der Zuschauergunst auf seiner Seite. Seinem Credo ist zuzustimmen: Sportreporter sollten sich zu Lasten des Privaten auf den „Kernbereich“ des Fußballgeschehens konzentrieren, welcher unterhaltsam und „bunt“ genug sei. Selten ist der Fußballstammtisch derart sehenswert gewesen. Allerdings sieht die SZ in diesem Zusammenhang vor allem die Vereine in der Verantwortung und richtet sich an Bayern-Manager Uli Hoeneß, der angesichts der Kahn-Affäre „perverse“ und „voyeuristische“ Tendenzen innerhalb der gesamten Gesellschaft festgestellt haben will: „Wenn der Fußball nun ein Problem erkennt mit dem engen Umfeld, das er kreiert hat und von dem er lebt, dann liegt es an ihm selbst, die Umgangsregeln zu ändern“ (SZ).

Fußball wurde freilich auch gespielt, wobei zwei Trainer erfolgreiche Einstände feierten. „Vielleicht niemals zuvor hat die Bundesliga in ihren nun fast vier Jahrzehnten einen Trainerwechsel im Laufe einer Saison erlebt, der so naht- und übergangslos wirkte wie der von Meyer zu Lienen“, liest man in der SZ über das 1:0 der Gladbacher gegen Meister Dortmund. Und: Mit Trainer Röber und dem 3:2 gegen Cottbus „kehrt die Hoffnung nach Wolfsburg zurück“ (FTD). Außerdem: In einer erneut „ereignisarmen Partie“(FAZ) besiegte Bayern München erneut Bayer Leverkusen mühelos mit 3:0. „Erstaunlich, wie nett vor allem die Rheinländer auftraten: häufiger in Ballbesitz als die abwartenden Münchner, dafür so gut wie nie in Tornähe gesichtet.“ (FAZ).

Themen des Tages

Thomas Kistner (SZ 8.3.) wehrt sich gegen den Rundumschlag von Hoeneß und warnt vor Scheinheiligkeit. „Der Fußball hat seine eigenen Anstandsregeln, leider reichen sie nur bis zur Eckfahne. Hier mal zu schweigen von diskreten Kirch-Deals, den bekannten und den noch unbekannten, zu schweigen auch von Klub- und Verbandschefs, die der Fiskus oder der Staatsanwalt jagt: Packt ein Torwart auf dem Rasen einen Kicker am Schlafittchen, ist das schlecht (und teuer: 10.000 Euro Strafe). Rückt einem Spieler indes die Polizei ins Haus, weil sie ihn in einem Schmugglerring wähnt, wird das vom Verein bagatellisiert. Feiert einer zu oft Fasching, wird er mit Bußgeld belegt. Verprügelt einer seine Frau, bis die Polizei eingreift, ist das für den Verein kein Problem, so lange nur die fußballerische Leistung stimmt. Bleibt die aus, fliegt er raus. Lauterkeit ist Interpretationssache im Fußballgeschäft, schon lange blickt der Normalbürger staunend auf dieses Freigehege. Wer hier ausbrechen und sich eine öffentliche Rolle mit zusätzlichen Millionen aufwiegen lassen will, wechselt auf das Terrain eines Boulevards, den sich die Branche selbst gezüchtet hat. Also muss er wissen, dass er dort mit Kampfhunden spielt. Es ist die Sache von Oliver Kahn, ob er sich bei Wetten dass neben Jennifer Lopez aufs Sofa setzt. Es ist aber nicht mehr Sache des Sportjournalismus, darüber zu berichten. Das übernehmen Bild, Bunte, aktuelle und all die schrillen Blättchen, die bekanntlich auch überall dort auf der Lauer liegen, wo sich der Torwart jüngst mit seinem letzten Fang präsentierte. Was dann passiert, weiß heute jedes Kind. Deshalb ist es weit am Tor vorbei geschossen, für eines der üblichen Gemetzel in der Privatsphäre gleich die ganze Gesellschaft in Haftung zu nehmen – oder den seriösen Teil der Medien.“

Michael Ashelm (FAZ 10.3.) schaut nach unten. „Gut zu wissen, daß auch Verlierer Sympathien abbekommen. Die Küblböcks der Liga haben da ihre Chance. Der ausgebuffte Bremer Sturmführer Ailton trifft wieder das Tor und sorgt dafür, daß seine Mannschaft nach einer deprimierenden Serie von sechs verlorenen Partien in Folge nach Luft schnappen kann. Sein erblondeter brasilianischer Landsmann Marcelinho, der zuletzt mehr neben dem Sportfeld für Aufsehen sorgte, bringt die Berliner Hertha mit seinen Kabinettstückchen wieder auf bessere Gedanken. Auch im Kleinen fern des Rampenlichts darf man sich freuen. Siehe Mönchengladbach oder Wolfsburg. Neue Trainer geben den Spielern neue Frische. Wie lange die vorhält, weiß keiner. Eine Langzeitgarantie für große Momente gibt es ja im Fußball nicht; dennoch sollte die Gunst der Stunde für das Gewinnen neuen Selbstbewußtseins genutzt werden. Unter dem inzwischen von seinen Aufgaben entbundenen Wolfsburger Trainer Wolfgang Wolf war die Ersatzbank schon lange der Einsatzort für Roy Präger. Und was ein bißchen aufgebautes Vertrauen ausmacht, konnte man am Samstag nachmittag beispielhaft auf dem Fußballplatz erleben. Der empfindsame Stürmer schoß gegen Energie Cottbus sein erstes Saisontor. Ein Superstar ist er deswegen noch lange nicht. Aber uns bleibt ja vorerst Alexander.“

Ralf Wiegand (SZ 10.3.) skizziert die Erwartungshaltung an einen Fußballtrainer. „Die meisten erwerben sich Charisma im Umgang mit Siegen und Niederlagen, mit Schmähungen und Überhöhungen – und manchmal durch Arbeitslosigkeit. Ein Jahr Pause haben ein Bewusstsein für die Besonderheit von Jürgen Röber geweckt, die der in seinen Berliner Jahren erlangt hatte. Ohne ihn herrschte auf dem Jobmarkt ein Defizit an anständigem Eifer, aufrichtiger Besessenheit, grundseriösem Auftreten. Wolfsburg wollte das alles. Kein Charisma haben: Peter Pacult, Thomas Hörster, Frank Neubarth. Woher auch? Sie arbeiten zum ersten Mal als Profitrainer, man kannte sie als Spieler, wo ihre Fähigkeiten auf dem Platz entscheidend waren. Ihre Persönlichkeit kannte man nicht. Alle drei gehen durch erste Krisen, sie haben jetzt schon keine Antworten mehr darauf. Schalkes Manager Rudi Assauer muss Neubarth decken, für Hörster spricht sein Leverkusener Chef Reiner Calmund Klartext, und während Pacult die Tabelle eigenwillig interpretiert („Ist ja noch nicht viel passiert“), zeigt 1860-Boss Karl-Heinz Wildmoser mit dem Finger auf dessen Hilflosigkeit: „Fragen Sie den Trainer.“ Ein richtiger Trainer ist man erst, heißt ein Credo der Branche, wenn man einmal rausgeflogen ist. Es scheint, als würden diese drei bald richtige Trainer werden.“

Borussia Mönchengladbach – Borussia Dortmund 1:0

Bernd Müllender (FTD 10.3.) gratuliert zu Lienens Einstand. „Exspieler Lienen war mit Heimatgefühlen und in gediegenem dunkelblauem Zweireiher zurückgekehrt, schritt mit gewollt gesetzter Feldherrngeste über den Platz und war ansonsten auffallend nervös. Abwechselnd fuhr er sich durch die Haare oder zurrte seinen hässlichen Clubschlips nach oben, als wäre der eine Nummer zu groß. Nur seine berühmten Zettel gaben den Händen Sinn. 90 Minuten lang gab er nur selten den Ewaldschen Rumpelstilzchen-Mix aus Standhüpfer, Wutstampfer und Gestikulierer. Dem Tor allerdings folgte ein ekstatischer mehrfacher Toeloop. Vor dem Spiel waren alle alten Reflexthemen zum Thema Lienen (Ernährung, Friedenspolitik, Zettelwirtschaft, Rauchen) abgearbeitet. Folgenlos war der vorgebliche Abstinenzler von der taz als Teilzeitalkoholiker geoutet worden, der einmal beim Genuss mehrerer Kölsch (2) erwischt worden war. Jetzt muss Lienen sogar für eine Biermarke, Borussias Hauptsponsor, am Reverskragen Reklame laufen. Und seine Rheinlandfähigkeit hat der fälschlich für humorarm gehaltene Ostwestfale schon in Köln durch Besuch des Rosenmontagszuges bewiesen (…) Verloren (Spiel und letzte illusiorische Titelhoffnungen) hatte an diesem Samstag nicht nur der Gegner, sondern auch die Bild-Zeitung. Deren Schreiberlinge hatten Hans Meyer mürbe intrigiert. Mit Folgen: Bei Erwähnung des Namens Bild, die am Bökelberg die Zwischenergebnisse aus den anderen Stadien eigenwerbend liefert, setzte es jedesmal ein gellendes Pfeifkonzert. Von all dem war auf dem Fernseh-Boulevard, bei den Springerblattfreunden von ran, nichts zu sehen. Stattdessen trat Bernd Weber, NRW-Sportchef bei Bild, noch einmal nach: Ich kann zynische Leute nicht leiden wie diesen Meyer. Deshalb war er zum Abschuss freigegeben, jenseits aller Sach- und Fachlichkeit. So war nicht nur das Spiel einigermaßen kurios: Den Job verdankt Boulevardhasser Lienen indirekt ausgerechnet dem Vierbuchstabenblatt. Dem indes gilt der sperrige Linke seit jeher als personifizierte Steigerung von Meyer. Ewald Lienen sagte, die Rückkehr war für ihn wie eine Droge. Am Boulevard werden sie beizeiten ihre eigenen Nadeln setzen.“

Christoph Biermann (SZ 10.3.) schreibt dazu. „So merkwürdig es nach nur einer Woche im Amt und nur einem Spiel auf der Bank auch klingen mag, blieb das Gefühl, als würde Lienen genau dort hingehören. Vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass man von ihm erlebte, was aus Kölner Zeit nicht vergessen war: der demonstrative Dank ans Publikum vor der Fankurve etwa oder jene zwischen sachlicher Spröde und deutlichen Statements schwankenden Stellungnahmen nach dem Spiel. Mehr noch aber bildete der 1:0-Sieg über den Deutschen Meister aus Dortmund den Abschluss einer Woche, die unter neuer sportlicher Leitung nicht im Zeichen eines Neuanfangs stand, sondern auch von Lienen selbst ganz bewusst als kontinuierliche Fortführung der Arbeit seines Vorgängers angelegt worden war. So lobte er Hans Meyer noch einmal demonstrativ als „großartigen Trainer“, und man merkte, dass hier kein Respekt geheuchelt wurde, sondern Hochachtung vorhanden war. Ablesen konnte man das auch daran, wie Lienen das Spiel angelegt hatte. Im Vergleich zur Vorwoche war die Mannschaft nur auf zwei Positionen geändert – auf der Ersatzbank. Auch das für Gladbach typische 4-3-3-System blieb unangetastet, es wurde nur rigider defensiv interpretiert. Oder, wie Lienen selbst zugab, hatte er sich für eine „relativ destruktive Taktik“ entschieden. Weit zogen sich die Gladbacher zurück und machten sich zunächst fast ausschließlich an die Verhinderung des Dortmunder Spiels. Schön war das nicht, aber als Mittel im Abstiegskampf angemessen.“

Rainer Seele (FAZ 10.3.) schreibt zum selben Thema. „Dreimal war Mönchengladbacher Pflicht, dreimal grüßte das Publikum, animiert vom Stadionsprecher, einen Abwesenden: Danke, Hans. Hans Meyer, Trainer von gestern, war auch am Samstag noch Tagesgespräch, und selbst sein Nachfolger ging noch einmal auf ihn und sein Wirken am Bökelberg ein – Ewald Lienen vermittelte dabei den Eindruck, ein großer Bewunderer Meyers zu sein. All das spricht für die Arbeit, die hier geleistet wurde, sagte Lienen am Samstag nachmittag, kurz nachdem die Gladbacher 1:0 im Duell der Borussen gewonnen hatten durch ein Tor des Finnen Mikael Forssell, über seine erste Woche in Mönchengladbach, die er als sehr angenehm empfunden hatte – nicht zuletzt wegen Meyers Aufbauwerk. Fast hatte es den Anschein, als müßte Meyer gleich wieder zur Tür hereinkommen, so anhänglich gab sich Borussia Mönchengladbach an dem Tag, an dem Lienen seinen ersten Sieg mit seiner neuen Mannschaft feierte. Auch die Kundschaft auf den Rängen machte, aus freien Stücken, kein Hehl aus ihrer Sympathie für den zurückgetretenen Fußball-Lehrer. Auf einem Transparent stellte sie die Zeitung an den Pranger, die ihrer Meinung nach Stimmung gegen Meyer gemacht hatte. Wir vergessen nicht, war zu lesen, aber natürlich war man auch geneigt, sich schnell dem Neuen zuzuwenden, zumal nach einem gelungenen Einstand. Lienen hatte es am Samstag, im Gegensatz zu seinem Dortmunder Kollegen Matthias Sammer, meist nicht auf seinem Sitz gehalten. Fast immer war er, mit flatternder Krawatte, in Bewegung, stets im Visier des Aufsehers vom Deutschen Fußball-Bund. Lienen gestikulierte und machte sich Notizen, und kurz vor dem Ende seines ersten Einsatzes für die Borussia vom Niederrhein erfaßte ihn besondere Aufregung, weil der Schiedsrichter das Treiben auf dem ramponierten Rasen, nach dem Geschmack der Mönchengladbacher jedenfalls, deutlich zu lange laufen ließ. Lienen war nicht lange genug aus dem Geschäft, um nicht zu wissen, was nach einem solchen Tag zuallererst zu sagen ist. Er pries die Moral seines Teams, seine Leidenschaft, er sprach von Disziplin, und er vergaß auch nicht den Hinweis darauf, daß es nicht um Schönheitspreise gehe in der Situation, in der die Mönchengladbacher derzeit steckten. Das war vor allem im ersten Teil dieses Fußball-Nachmittags offensichtlich, in dem Lienen seine Gefolgsleute so positionierte, als ginge es ihm darum, sich den Ruf eines Riegel-Ewald zu erwerben. Die Gladbacher begaben sich erst einmal geschlossen auf den Rückzug. Das hieß, sie bauten einen Abwehrwall auf, der dazu beitrug, daß ein wenig ansehnliches Fußballspiel ohne nennenswerte Strafraumszenen entstand. Die einen beschäftigten sich vorwiegend mit dem zerstörerischen Dienst, den anderen mangelte es an Entschlossenheit und Esprit, um die Linien des Gegners zu durchbrechen.“

Daniel Theweleit (SZ 10.3.) über die Perspektiven des Dortmunder Abwehrspielers Madouni. „In solchen Spielen müsse man eben im richtigen Moment „den einen Stich setzen“, sagte Matthias Sammer nach der Niederlage und fasste das spielerisch wie kämpferisch schwache Spiel seiner Mannschaft zusammen. Ein genialer Moment soll reichen, um den Platz am Ende als Sieger zu verlassen – für einen deutschen Meister ein äußerst bescheidener Anspruch an sich selbst. Den einen genialen Moment allerdings, den gab es tatsächlich für die Dortmunder Borussia. Es war die 40. Minute, Ahmet Reda Madouni führte den Ball vom eigenen Strafraum ins Mittelfeld, hob den Kopf, spielte einen völlig unerwarteten Pass, und plötzlich lief Evanilson allein auf das Gladbacher Tor zu. Er schoss vorbei. Aber eben jener Pass war die einzige Aktion in der gesamten Partie, an dem sich die Freunde spielerischen Einfallsreichtums erfreuen konnten. Und sie ging nicht von einem der zahlreichen Brasilianer aus und auch nicht von einem der Spieler aus der Kreativabteilung der deutschen Nationalmannschaft, sondern von einem Innenverteidiger, der gerade dabei ist, seine Reifeprüfung abzulegen. Ahmet Reda Madouni gehört in eine Reihe mit jungen Spielern wie Tomas Rosicky, Thorsten Frings, Sebastian Kehl und Ewerthon, die in den vergangenen beiden Jahren nach Dortmund geholt wurden, um die Mannschaft mit einer langfristigen Perspektive zu versehen. Im Gegensatz zu den anderen war der in der Fußballschule des SC Montpellier ausgebildete Madouni ablösefrei und noch nicht ganz reif für eine europäische Spitzenmannschaft. Er blieb eineinhalb Jahre lang ein Spieler, der vorwiegend zwischen der 85. und der 90. Minute eingewechselt wurde. Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert. „Er hat seine Lehrzeit jetzt abgeschlossen“, sagte Sammer über den gebürtigen Marokkaner mit französischem Pass. Fehlte ihm zunächst noch die Routine – bei den sieben Einsätzen in der vergangenen Saison wusste er sich oft nur durch Fouls zu helfen – wird er nun immer souveräner.“

Zur Rückkehr Ewald Lienens an den Bökelberg lesen wir von Christoph Biermann (SZ 8.3.). „Wenn Hochstätter vom „Stallgeruch“ des neuen Trainers spricht, hat das nichts mit dem wohligen Gefühl alter Verbundenheiten zu tun, sondern mit einer Idee von Borussia Mönchengladbach. „Er hat beim 1.FC Köln den Fußball spielen lassen, wie er für unseren Klub immer typisch war“, sagt der Sportdirektor. Zumindest in der Saison 1999/ 2000, auf dem Weg aus der Zweiten Liga, und im ersten Jahr in der Bundesliga gab es beim rheinischen Rivalen genau den Konterfußball zu sehen, wie er traditionell auch in Gladbach gepflegt wurde. Hochstätter hat in den letzten Jahren begonnen, so etwas wie Trainerscouting zu betreiben. Nicht im großen Maßstab zwar, aber immer wieder hat er seine Eindrücke notiert, wie ihm der Stil von Mannschaften gefallen hat und welcher Coach dafür verantwortlich war. Das und weitere Trainer- Informationen hat er in seinem Computer gesammelt, um irgendwann der Notwendigkeit nicht unvorbereitet gegenüber zu stehen, einen neuen Coach verpflichten zu müssen. So war Lienen nicht der einzige Kandidat, als sich am Bökelberg die Ereignisse zuspitzten. Aber sicherlich ein schlüssiger. Für Lienen selbst könnte es bei seiner Heimkehr ein Vorteil sein, auf alte Bekannte zu treffen. „Er hat es mit Leuten zu tun, die seine Macken schon als Spieler kannten“, sagt Hochstätter und lacht. Deshalb werden sie gelassener damit umgehen können. Auf der anderen Seite wurde Lienen nicht als alter Kumpel, sondern als geschätzter Fachmann und besessener Arbeiter verpflichtet. „Er ist in dieser Woche morgens um Acht als Erster gekommen und abends als Letzter gegangen – so war er schon als Spieler“, sagt Hochstätter. Dieser Respekt ohne Illusionen dürfte Lienen an einem Punkt seiner Karriere entgegen kommen, wo er den Weg zu den Sternen verlassen hat. Wurde er vor drei Jahren noch als möglicher Nachfolger von Ottmar Hitzfeld beim FC Bayern gehandelt, ist davon heute nicht mehr die Rede. Sein letztes Jahr in Köln wurde zum Waterloo, und in Teneriffa blieb er nur ein halbes Jahr.“

Michael Horeni (FAZ 8.3.) meint dazu. “Wenn Lienen ein Vorstandsvorsitzender wäre, der ein sanierungsbedürftiges Unternehmen retten müßte, könnte er die Wirkung seiner Ansprache am nächsten Tag am Aktienkurs ablesen: irgendwo im Keller. Keine neuen Impulse, kein neuer Weg, kein überzeugendes Konzept. Das wäre das Urteil der Analysten. Aber Borussia Mönchengladbach ist nicht an der Börse, und vielleicht müssen auch gar keine großen Dinge geändert werden. Vielleicht sind es am Ende der Spielzeit wirklich nur ein paar Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen zwischen dem Absteiger und dem Erstligaklub Borussia Mönchengladbach. Die Ernährung etwa. Darauf achtet Lienen stets als Trainer. Schweinshaxe oder so was kommt bei den Rheinländern nicht mehr auf den Tisch. Aber das weiß man ja. Und auch der Umgang mit der Öffentlichkeit soll künftig ein anderer sein. Präsident Adalbert Jordan erfährt von ihm, daß ein paar unglückliche Aussagen der Führung schon genügten, um die Autorität des Trainers zu untergraben. Es wird bei der Borussia behauptet, Jordan habe ein Blatt schon vor dem Spiel am vergangenen Samstag gegen Schalke von Meyers Rücktritt am späten Abend informiert. Solche Dinge mag Lienen nicht. Und den Medien hat er untersagen lassen, sich an Trainingstagen wie üblich im Hof vor den Kabinen aufzuhalten. In das Gebäude, wo die Umkleiden liegen, dürfen die Journalisten auch nicht mehr rein. Von den Spielern, die unter Meyer kaum oder gar nicht spielten, verlangt er den gleichen hohen Einsatz wie in diesen ersten Trainingstagen. Das ist Vertragsgrundlage, sagt Lienen. Das Niveau im Training müsse hoch sein. Unspektakuläre Kleinigkeiten allesamt, aber womöglich wirken sie. In Teneriffa hat das nicht funktioniert, aber in der Vergangenheit hat es bei Hansa Rostock und beim 1. FC Köln am Anfang gut geklappt. Aber gehen mußte der Fußballerzieher auch dort. Die Akribie und Verbissenheit, mit der er seine Arbeit stets zu erledigen pflegt, haben ihm Respekt eingebracht. Aber Zuneigung hat Lienen nur gewonnen, wenn er siegte. Seinen Vorgänger Meyer haben sie bei der Borussia dagegen auch in der Niederlage geschätzt. Beim Training in dieser Woche haben sich ein paar ältere Romantiker eingefunden, die Unterschriften auf Fotos von Lienen erbitten, auf denen der Profi mit unangepaßtem Bärtchen zu sehen ist. Damals hat er keine gegeben, aus Prinzip.“

VfB Stuttgart – Hamburger SV 1:1

Martin Hägele (SZ 10.3.). „Kevin Kuranyi und Alexander Hleb rangelten um den Ball wie kleine Jungs beim Klassenkick auf dem Schulhof. Der Weißrusse war im Strafraum gefoult worden, Kuranyi hatte zuvor schon mit einem akrobatischen Kopfball das 1:0 für den VfB Stuttgart erzielt. Er fühlte sich also sicher für die Ausführung eines Elfmeters, wie das für diesen Fall zuvor in der Mannschaftssitzung besprochen worden war. Und Kuranyi hatte, auch wenn er das später nicht zugeben wollte, eine Tabelle vor Augen: die Torschützenliste der Bundesliga, in welcher er zu diesem Zeitpunkt, am Samstag kurz nach vier, auf Platz zwei stand. Und der gefährlichste Angreifer der wilden Schwaben hatte auch jenes Plakat „Kevin Kuranyi wird heute Abend Superstar“ in der Kurve des Daimler-Stadions gelesen, was einen 21-Jährigen, der wie viele seiner Kollegen zur begeisterten TV-Kundschaft der naiven Traumfabrik zählt, an so einem Tag in eigener Sache beeinflussen kann. Am Ende des kindischen Streits riss Kuranyi dem kleineren Hleb die Kugel aus der Hand, legte sie auf den Elfmeterpunkt und schoss so schnell, dass ihm bloß keiner dieses Tor mehr klauen konnte. Allerdings: Den Strafstoß des besten Bundesliga-Schützen mit deutschem Pass hätte auch der C-Jugend Torwart vom TB Gaisburg pariert, man hätte dafür keinen Könner wie Martin Pieckenhagen vom Hamburger SV zwischen den Pfosten gebraucht. Ärgerlicherweise war nach dieser Fehleinschätzung von Jungstar Kevin der schwäbische Angriff auf die Königshäuser von Europas Fußball einstweilen gestoppt. Nicht nur Teamchef Magath registrierte, wie sich der Bruch durchs ganze Stadion zog. Der Schwung war weg, die Euphorie und Atmosphäre waren dahin. Allein die Routine und das nun geschlossene Auftreten der Hamburger Profis genügte, die nach dem Ausfall ihres Mittelfeld-Organisators Soldo zusätzlich verunsicherte Jugendbande zu kontrollieren. Mehr als eine halbe Stunde sah man nun die Grenzen der Himmelsstürmer – die auf einmal sogar Angst haben müssen, dass eine bislang brillante Saison womöglich böse endet.“

Thomas Kilchenstein (FR 10.3.) fühlt sich an den Bolzplatz erinnert. „Früher, als wir noch im Park kickten, war die Sachlage klar: Wer schießen wollte, musste diskutieren, es gab ja keine Hierarchie. Es gab nur feste Richtlinien: Einer musste sich den Ball schnappen und Erster alles rufen, dann war er dran – es sei denn, im Team spielte einer, der deutlich kräftiger war oder der Besitzer des Lederballes. Dann musste man sich trollen. Nun ist leider nicht ganz überliefert, wer an diesem Samstag im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion im Spiel zwischen dem VfB und dem Hamburger SV, das 1:1 endete, Erster alles gerufen hat, Kevin Kuranyi oder Aliaksandr Hleb. Wahrscheinlich keiner, denn es steht zu befürchten, dass ihnen dieser Code nicht geläufig war: Hleb stammt aus Weißrussland, Kuranyi hat neben den deutschen auch noch brasilianische und panamesische Wurzeln. Sie wussten also vermutlich nicht, wie man einen Konflikt dieser Größe löst, weswegen es zu einer in der Bundesliga bis dahin selten gesehenen Rangelei unter Kollegen um den Ball gekommen ist: Jeder der beiden wollte nach gut einer halben Stunde partout den Strafstoß – Hleb war gefoult worden – schießen, keiner dem Anderen den Vortritt lassen. Und einen Moment sah es so aus, als würden sie sich nicht einig und das Ganze zu einer fröhlichen Klopperei im Park unter Dreikäsehochs ausarten. Dann hat sich der kräftigere Kuranyi durchgesetzt und hat so schnell geschossen, dass ihm keiner mehr hatte zuvorkommen können.“

Claus Dieterle (FAZ 10.3.) meint zum Spiel. „Der verschossene Elfmeter teilte wie ein Schnitt ein Spiel in zwei ungleiche Hälften, die eigentlich nichts miteinander zu tun hatten. Der HSV, bis dahin gegen die forschen Stuttgarter in argen Nöten, wachte aus seiner Lethargie auf und erzielte einen Glückstreffer, die schwäbische Spielkultur zerfaserte in zähe Einzelgefechte. Und die 37.000 Zuschauer, eine halbe Stunde lang schlichtweg begeistert vom jugendlichen Angriffsfußball des VfB, fingen an zu murren und zu nörgeln. Man ist anspruchsvoll geworden im Schwabenland. Und da schmerzt es um so mehr, wenn man einen der sogenannten Big Points leichtfertig vergibt (…) Der Stuttgarter Rückschlag auf dem Weg womöglich in die Champions League und das kleine Kompetenzgerangel waren auch Indizien für ein Vakuum der besonderen Art. Zwar sprechen in Stuttgart alle von den jungen Wilden. Aber was die Alten wert sind, erschließt sich oft erst, wenn sie nicht mittun können. Und ganz besonders, wenn ein Spiel aus dem Ruder zu laufen droht. Den Ausfall von Krassimir Balakow, der wegen Adduktorenproblemen pausieren mußte, konnte der VfB anfangs noch verkraften, aber als mit Zvonimir Soldo der zweite Fixpunkt im VfB-Mittelfeld verletzt vom Platz mußte, war der Qualitäts- und Stabilitätsverlust nicht mehr aufzufangen. Ohne die Alten können die Jungen nicht und umgekehrt, erklärte der VfB-Coach. Es ist eben die Mischung, die es macht.“

VfL Wolfsburg – Energie Cottbus 3:2

Zu den Reaktionen der beiden Trainer nach dem Spiel heißt es bei Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 10.3.). „Was Geyer nach der Fußball-Vorstellung über seine Mannschaft sagte, kam einem Verriß gleich. Da war die Rede von mangelnder Konzentration, davon, nicht den Leistungsnachweis erbracht zu haben, Bundesligaspieler zu sein. Die Litanei ging weiter: Zu viele Fehler nach vorne, Abwehr nicht solide, die Zuordnung hat zu lange gebraucht, zuwenig die Zweikämpfe gesucht. Schleppenden Schrittes war Geyer zur Pressekonferenz gekommen. Bei den Ausführungen des Kollegen stütze er den Kopf auf. Er wirkte grau und resigniert, dabei trennen die beiden nur neun Lebensjahre. Der neue Trainer des VfL Wolfsburg sah am vierten Arbeitstag so aus, als käme er gerade aus der Sommerfrische. Blendend erholt – einer, der daherkommt, die Ärmel hochkrempelt und schon weht auf der Baustelle ein ganz anderer Wind. Begünstigt durch den Ertrag, der im speziellen Fall mit dem Plus von drei Punkten nicht üppiger hätte ausfallen können. Mit einem einzigen Satz – Fußball hat sich nicht verändert – überbrückte Röber jene Monate, die vergangen waren seit seinem Engagement bei Hertha. Seinen Optimismus, sein Selbstvertauen hat er auf Anhieb auf Roy Präger übertragen können. Der Trainer hat den Stürmer offensichtlich starkgeredet. Präger gelang sein erstes Saisontor und ein imponierender Auftritt auf dem rechten Flügel, bei dem er gegenüber den zurückliegenden Wochen nicht wiederzuerkennen war.“

Javier Cáceres (SZ 10.3.) analysiert Röbers Einstand. „Trainer gelten im Fußballgeschäft als Autoritäten, die ständig destabilisierenden Faktoren ausgesetzt sind. Meist wackelt ihre Macht, wenn sich ihre Wirkung erschöpft, also nach einer relativ langen Zeit. Was dem Fußball-Lehrer Jürgen Röber am Sonnabend, seinem vierten Arbeitstag als Übungsleiter des VfL Wolfsburg, widerfuhr, steht den bisherigen Erfahrungswerten entgegen. Fast nämlich hätte Röber, wie er es nannte, „einen schönen Abgang gemacht“ – bei seinem ersten Punktspiel. Sein Schalensitz am Spielfeldrand der VW-Arena war zwar, dank eingebauter Heizung, wohlig angewärmt, wackelte aber heftig. „Wäre ich nicht in so sportlicher Verfassung“, sagte Röber, „hätte ich alle Viere von mir gestreckt und am Boden gelegen.“ Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Haltlosigkeit noch auf die fünfjährige Ära des Wolfgang Wolf zurückzuführen war, dessen Stuhl – Achtung Symbol– am Ende seiner Wolfsburger Tage .. . Einen neuen Trainer haben sie in ihrer frisch erbauten Arena zwar am Samstag installiert, nur zuvor offenbar vergessen, an allen Stellen die Schrauben zu justieren. Auch die Mannschaft zeigte beim 3:2 gegen Energie Cottbus eine gefährliche Neigung zu Instabilität (…) Dass Stefan Effenberg, der dem Fußball im postindustriellen Ambiente der neuen VW-Arena Glamour verleihen soll, verletzt ausfiel, merkten Beobachter in erster Linie daran, dass eine beachtlich geschlossene Teamleistung des VfL zu sehen war. Effenbergs Rückkehr bald bevor. Bisher galt, dass Munteanu und Effenberg in ihrem Regiespiel nicht kompatibel seien, Röber hofft dennoch auf einen baldigen Versuch. „Solche Probleme sind doch angenehm“, sagt er. Ebenso angenehm wie die „Du-bist-der-beste-Mann“-Rufe, die ihm Wolfsburgs Anhang erstaunlich schnell darbrachte – im Chor mit dem Hertha-Fan- Club „Röber 96“, der nach Wolfsburg gefahren war und so Herthas 6:0 gegen die Münchner Löwen verpasste. Das, was jetzt zum Glück noch fehlt, wollen sie auch bald erledigt haben: „Der Stuhl“, sagte Röber, „wird beim nächsten Mal festgemacht.““

Peter Unfried (FTD 10.3.) wirft ein. „Man muss sehen, wie sich die angebliche Zurückhaltung entwickelt, die Manager Peter Pander nach Recherchen der Lokalpresse lange der Personalie Röber entgegenbrachte. Dann muss der derzeit verletzte Star und Kapitän Stefan Effenberg beschnuppert werden. Dann wird irgendwann die Aufregung im Kader und in der Stadt dem Alltag weichen. Natürlich fand Röber es „erschreckend“, wie taktisch unterbelichtet sein Team am Ende ein Dutzend Konter vergeigte. Letztlich ist es halt doch so, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Sanft perlen Röbers Worte durch das Stadion. Überall sieht er „Potenzial“. Die Ansprüche der VW-Manager? Schrecken ihn nicht. Im Gegensatz zu ihnen war er schon in der Champions League. Die Hoffnung ist zurück in Wolfsburg. Alle hören wieder genau hin, was der Trainer sagt. Und die ersten rechnen nicht mehr den Abstand nach unten, sondern wieder den nach oben aus. Aber wenn er das hört, kriegt Manager Pander einen roten Kopf und legt hiermit offiziell fest: „Wer vom Uefa-Cup redet, hat keine Ahnung.“

Werder Bremen – VfL Bochum 2:0

Über Bremens ersten Sieg in der Rückrunde lesen wir von Jan Kahlcke (taz 10.3.). „Dass ausgerechnet Werder-Torwart Pascal Borel zwei Glanzparaden bei Chancen von Paul Freier zeigen würde, konnte nach menschlichem Ermessen keiner ahnen. Die Werder-Fans rieben sich verwirrt die Augen: War er es wirklich? Der Mann, über dem seit Beginn der Saison Kübel von Spott ausgegossen wurden, den der Bremer Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) ungestraft eine Zumutung nennen durfte, zuletzt ein reines Nervenbündel – dieser Borel fing Bälle, die er sonst dem Gegner zufaustet, verdiente sich Szenenapplaus und hielt für Werder den Sieg fest. Als Trainer Thomas Schaaf ihn auf die Bank gesetzt hatte, sah das nach demütigender Degradierung aus. Aber dann durfte er zwei Wochen zuschauen, wie sich sein Konkurrent Jakub Wierzchowski blamierte. Für Borel scheint das eine Minipsychotherapie gewesen zu sein. Dass Werder den freien Fall gestoppt hat und mit dem ersten Liga-Sieg in diesem Jahr sogar wieder auf einen Uefa-Cup-Platz vorrückt, ist einem weiteren Spieler zu verdanken, der schwere Zeiten hinter sich hat: Regisseur Johan Micoud, an der Weser wie ein Heilsbringer begrüßt, steckt seit der Winterpause in einer sportlichen Krise. Aufsehen hat der Franzose nur abseits des Platzes erregt: Er nölte über die unmenschlichen deutschen Schiedsrichter, kritisierte die mangelnde Erfahrung von Trainer Schaaf, spekulierte über einen Vereinswechsel und verpasste einem Bild-Reporter eine schallende Ohrfeige. Gegen Bochum dirigierte Le Chef jedoch wieder, und, was am wichtigsten war: Innerhalb von fünf Minuten hatte er zweimal die Übersicht, die besser postierten Ailton und Banovic die Werder-Tore schießen zu lassen. Die in diesem Jahr außergewöhnlich hartnäckige Bremer Krankheit – ein wie üblich verpatzter Rückrundenstart – ist damit noch nicht kuriert.“

Frank Heike (FAZ 10.3.) beobachtete den Bremer Trainer nach dem Spiel. „Schaaf war genervt. In den anschwellenden Bocksgesang der Kritiker, der Spieler und am Ende sogar des sich ansonsten vollkommen im Hintergrund haltenden Präsidenten Jürgen L. Born (Es kann nicht sein, daß die Spieler in der Rückrunde alles falsch machen, was sie in der Vorrunde richtig gemacht haben) mochte der Trainer nicht einstimmen. Daher legte er sich gewissermaßen selbst den Maulkorb um. Man muß daraus entnehmen, daß Schaaf dem neuen Frieden an der Weser nicht wirklich traut. Zu tief saß vor allem die Enttäuschung über das Ausscheiden im DFB-Pokal in Kaiserslautern am Mittwoch. Die Möglichkeit, sich vorzeitig für den Uefa-Cup zu qualifizieren – leichtfertig verspielt. Durch einen Erfolg gegen einen lange gleichwertigen, was die Torchancen anging, überlegenen Gegner ist die Krise der Bremer mit davor sechs Niederlagen am Stück zwar vorerst beendet, aber Grund zur Entwarnung gibt es nicht. Schaaf sagte: Heute zählte nur ein Sieg, sonst nichts. Nächste Woche in Rostock ist die Mannschaft in der Pflicht, dort weiterzumachen. Sprach’s und verschwand. Aus der von Schaaf quasi zum Sieg verpflichteten Mannschaft ragten ausgerechnet diejenigen heraus, an denen sich stellvertretend die Kritik der vergangenen, erfolglosen Wochen entzündet hatte: Johan Micoud, Pascal Borel, Ailton. Schaaf hatte nach diversen Umstellungen in den letzten Wochen wieder der Mannschaft vertraut, die in der Vorrunde zum Bayern-Jäger Nummer eins geworden war. Plötzlich lief es, trotz der sichtbaren Verunsicherung in den ersten Minuten. Und das ohne Unterstützung der Fans. Sie hatten ihren Frust mit Farbe auf zwei Laken gemalt: Wir reisen weit, zahlen viel, und ihr verliert jedes Spiel. Der Block, in dem die Anhänger in Grün und Weiß sonst stehen, blieb die erste Viertelstunde leer, und zwar deswegen: Eure Leistung ist ’ne Qual, ihr laßt uns keine andere Wahl. Nach 15 Minuten kletterten die Fans zurück auf ihre Plätze und hatten sich mit den Profis versöhnt. Die zahlten ihnen die Unterstützung spät, aber nicht zu spät zurück (…) Borel, dem scheinbar nichts seine jungenhafte Fröhlichkeit austreiben kann, wertete den Sieg und seine fünf guten Reaktionen schon als persönliches Bewerbungsschreiben für eine Weiterverpflichtung an der Weser: Normalerweise braucht Werder jetzt keinen neuen Torwart mehr.“

Bremer Reaktionen nach dem Spiel SZ

Hertha Berlin – 1860 München 6:0

Zur Diskussion um die vermeintlichen Verfehlungen des Berliner Spielmachers Marcelinho bemerkt Matti Lieske (taz 10.3.). “Er sollte sich auf dem Platz und nicht außerhalb austoben. Das hat er gemacht, oberlehrerte Kapitän Michael Preetz, nachdem Marcelinho vom Publikum mit Ovationen verabschiedet worden war. Sie sind schon arm dran, die Brasilianer in deutschen Landen. Läuft es gut, liegt ihnen alles zu Füßen, wenn nicht, geben sie die idealen Sündenböcke ab. Entweder sie kennen niemanden, dann gelten sie als integrationsunwillig, zickig und egoistisch, oder sie haben ein paar Kumpels, dann wird ihnen flugs Cliquenbildung, Fremdbeeinflussung und übermäßige Partylastigkeit vorgeworfen. Dabei geht es auch anders: Romário hatte einst beim FC Barcelona behauptet, er könne nur Tore schießen, wenn er zuvor die Nacht durchgetanzt habe. Der damalige Trainer Johan Cruyff akzeptierte dies klaglos – solange Romário Tore schoss. Marcelinho hat sich gleich ein kleines Stück Brasilien mitgebracht, eine Entourage nach dem Vorbild von Diego Maradona, der einst ein ganzes ehemaliges Elendsviertel von Buenos Aires nach Europa schleppte. Gute Laune ist garantiert im Marcelinho-Clan, und es spricht für den Spieler, dass er sich diese offenbar selbst durch eine miesepetrige Vereinsführung nicht verderben lässt. Nach außen zeigte er sich reumütig, doch vergessen wird er den Anschlag auf seine Lebensfreude, den Fußballklubs in ganz Europa gewiss interessiert verfolgt haben, sicher nicht. Ein Brasilianer ohne Lizenz zum Samba, das ist schließlich wie eine Caipirinha ohne Limone.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ 10.3.) bewertet die Analysen des Gästecoaches aus München. „Peter Pacult hat ein beeindruckendes Talent, die Schuld am Zerfall seiner Mannschaft von sich zu weisen. Seit anderthalb Jahren arbeitet er schon mit ihr, Mitte der Woche bekam sie das Misstrauen schriftlich ausgesprochen. In einem Interview mit der Abendzeitung erklärte der Wiener, ihm fehlten drei, vier Spieler, um das bevorzugte System aufzuführen. Seine Elf nimmt ihm dieses Manöver nach außen hin nicht übel, im Gegenteil, Torwart Jentzsch sagt kategorisch: „Die Schuldigen stehen auf dem Platz. Wir spielen, kein anderer.“ In Berlin taten sie es in einem Orange, wie man es in der Hauptstadt sonst nur von den Arbeitsanzügen der dortigen Stadtreinigung kennt. Werbespruch der populären Truppe: „We kehr for you!“ Nur nie vor der eigenen Türe.“

Bayern München – Bayer Leverkusen 3:0

Andreas Burkert (SZ10.3.) fragt. “Kann man dem FC Bayern seine Arroganz verübeln? Wohl kaum, wenn die nicht minder millionenschwere Konkurrenz vergeblich um Konstanz ringt, zumal in einem von Mittelmaß dominierten Feld. Und wenn sich ein vermeintlicher Überlebenskämpfer wie Bayer Leverkusen des Jahrgangs 2003 nach dem kläglichen Pokalauftritt vom Mittwoch (1:3) nochmals an Harmlosigkeit selbst übertrumpft. Trainer Ottmar Hitzfeld jedenfalls demütigte den Gast in seiner Analyse unfreiwillig, als er seiner Bayern-Elf eine „viel schlechtere Leistung als am Mittwoch“ attestierte. Dem zweiten Duell ging dennoch weit mehr Spannung ab als dem ersten, und im Gegensatz zum Mittwoch kritisierte Bayer-Manager Reiner Calmund sein Personal recht drastisch. Calmund sagte: „Ab der dritten Minute fehlte uns der Siegeswille.“ Weil das Spiel der Leverkusener ohne Ball absolut unterentwickelt blieb. Weil sie gegen Münchens Techniker ein Zweikampfverhalten wie Gänseblümchen zeigten. Und weil „vorne im Strafraum nichts und hinten zu viel passiert“, wie Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser urteilte. So haben die Bayern nun endgültig den Eindruck gewonnen, erst nächste Saison wieder in Gefahr geraten zu können. (…) Das graue Bild, das Bayer in München ablieferte, machte sogar auf den gewöhnlich hingebungsvoll unterkühlten Bayern-Torwart Kahn Eindruck; wie ein Vater sein Neugeborenes schloss er Bernd Schneider in die Arme, als Bayers verzweifelter Regisseur die größte – und einzige – Chance zum Anschluss versiebt hatte.“

Zu den Perspektiven des Tabellenführers heißt es bei Thomas Becker (FR 10.3.). „Die einzige Gefahr für die Bayern bis zum Saisonende heißt Überheblichkeit, sichtbar bei Schweinsteigers Tunnel gegen Brdaric oder Kahns tröstender Kuschel-Geste für den Fehl-Schützen Bernd Schneider. Die Fans singen Und so schießen Anfänger, Kahn streichelt lieber. Der Neu-Papa offenbart auf dem Platz ein nie gekanntes Bedürfnis nach Nähe, herzt jeden, den er in die Pranken kriegt und ist auch ansonsten etwas durcheinander: Der Kapitän lief ohne Binde auf, bekam das Chef-Insignum erst nach einer Viertelstunde gereicht und sagte hinterher: Wenn man zu konzentriert ist, kann das mal passieren. Den Satz des Tages lieferte aber Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick, der die Leverkusener mit den gängigen Worten verabschiedete: Wir sehen uns dann nächstes Jahr. Ob er darauf wetten würde?“

Roland Zorn (FAZ 10.3.) widmet sich dem Torsteher des FC Bayern. „Für einen Münchner war dieser Samstag mehr als nur ein Spiel: Oliver Kahn. Nach turbulenten Tagen und einer schrillen Boulevardmedienkampagne rund um Kahns Affäre mit einem Partymädchen suchte der Torwart die Nähe zum Fan demonstrativ wie lange nicht mehr. Einem behinderten Kind schenkte er nach Spielschluß sein Trikot und genoß dabei die aufmunternden Zurufe aus der Menge. Kahn sprach anschließend von der größten Zuneigung, die ich in acht Jahren München erfahren habe. Sie sei ein Zeichen dafür gewesen, daß die Leute ein feines Gespür dafür haben, wann es genug ist. Seine schwerste Woche seit Jahren bescherte dem Torwart-Goliath zum Schluß genau die Glücksgefühle, nach denen sich der Mensch Kahn gesehnt hatte: Seine Frau Simone gebar am Freitag Sohn David; tags darauf fand der Kapitän der Bayern auch an seinem Arbeitsplatz ein Stück Seelenheil wieder. Kleine Gesten, große Gefühle: Oliver Kahn war, eine Spur sensibler und nachdenklicher als zuletzt, wieder bei den Gewinnern angekommen.“

Schalke 04 – Arminia Bielefeld 1:1

Thomas Kilchenstein (FR 10.3.) fragt. „Was ist nur los auf Schalke? Es gärt und blubbert und brodelt gewaltig. Und sportlich tritt der Club auf der Stelle, S04 ist der König des Unentschiedens, des Nicht-Fisch-nicht-Fleisch. Schon schreit das Volk im schönsten Stadion der Liga verächtlich nach Huub Stevens, dem alten Coach, der jetzt in Berlin an der Linie steht und auf Schalke einst Euro-Fighter mit einer stehenden Null stark gemacht hat. Das war die Zeit, als der Pott in den Pott geholt, als Schalke wenigstens Meister der Herzen und die Perspektive nicht blau, sondern rosarot gemalt wurde. Dann kam der Umzug in die Arena und nichts war mehr wie früher: Der Auftritt in der Champions League geriet zur Peinlichkeit, ein Jahr später waren selbst Nobodies von Wisla Krakau zu stark. Die Verunsicherung auf Schalke ist mit Händen zu greifen. Es stimmt nicht in der Mannschaft, die aus aller Herren Länder zusammengeholt wurde, vieles passt da nicht recht zusammen. Die Fußstapfen, die Stevens hinterlassen hat, scheinen noch zu groß für Frank Neubarth, den spröden Hanseaten. All diese Schwierigkeiten sind freilich nicht urplötzlich auf Schalke niedergegangen, vieles hat der Erfolg überdeckt, anderes ist womöglich unterschätzt worden.“

Peter Penders (FAZ 10.3.) berichtet das Spiel. „Es ist so eine Sache mit Prophezeiungen – manche sind irgendwann gegen jede Erwartung meilenweit von der Realität entfernt. Über die neue Arena in Gelsenkirchen beispielsweise wurde einst gemutmaßt, daß sie dem FC Schalke pro Saison einige Punkte mehr aus den Heimspielen einbringen werde. Das war kurz nach der Eröffnung des Schmuckkästchens, aber im Jahr zwei des beeindruckenden Beispiels modernen Stadionbaus sieht die Geschichte ganz anders aus. Mittlerweile scheinen sich die Gegner so auf die ungewöhnliche Atmosphäre zu freuen, wie die Schalker Profis die Akustik fürchten. Nirgendwo klingen Pfiffe schließlich lauter, und weil die Schalker Fans mittlerweile gerne auf die eigene Mannschaft pfeifen, hat die Arena mühelos ihren scheinbar so einschüchternden Charakter für den Gegner verloren. Selbst einem Neuling fährt da nicht mehr der Schrecken in die Glieder, wenn er zum Spiel unterm Dach antritt. Tolle Atmosphäre hier, fand der Bielefelder Vata nach dem 1:1, aber wir hätten hier gewinnen müssen. Das Schlimmste an der forschen Aussage für alle Schalker: Dem Arminen konnte nicht widersprochen werden. Für Zusatzpunkte ist die Arena AufSchalke also nicht gut, aber wenigstens wuchern Verschwörungstheorien nirgendwo in der Bundesliga so üppig. Das ist richtig Beschiß – das kennt man von Schalke, sagten diesmal allerdings beide. Schalkes Manager Rudi Assauer hatte beim Führungstreffer der Bielefelder vor dem Eigentor von Waldoch ein Foul des Bielefelders Reinhardt gesehen und lieferte eine weitere wütende Version seiner Sichtweise der Dinge. Das hat uns in der Saison schon sechs Punkte gekostet, die fehlen uns am Ende. Wenn es einen Schiedsrichter-Verbund in der Bundesliga gegen uns gibt, dann sollen sie es offen sagen. Können sie ja gar nicht, fanden die Bielefelder, denn die fühlen sich mittlerweile viel mehr verfolgt von Fehlentscheidungen, als es die Schalker je sein könnten. Vielleicht liegt es daran, daß wir nur das kleine Bielefeld sind, argwöhnten alle, von Torwart Hain über Spielmacher Dammeier und Stürmer Brinkmann bis zu Trainer Möhlmann und Manager von Heesen. Zweifelsfrei war der Fall, der die Arminen so erzürnte, deutlich klarer als das vermeintliche Foul, das die Schalker mal wieder auf die Palme brachte. Hajtos Attacke gegen Brinkmann hätte in der 86. Minute nicht nur zum Elfmeter führen müssen, sondern vermutlich auch die Partie entschieden.“

Dirk Graalmann (SZ 10.3.) fühlt mit den Arminen. „In Bielefeld wiederholt sich das traurige Schicksal in beängstigender Art und Weise. Wenn das Team schlecht spielt, verliert es die Partie. Tritt die Elf dagegen so erstaunlich kompakt und überzeugend auf wie am Samstag beim 1:1 gegen den FC Schalke, müssen sie sich mit einem Punkt zufrieden geben. Und außerdem, darin haben die Arminen ebenfalls Übung, werden sie in fortgesetzter Manier vom Schiedsrichter benachteiligt. So stand Ansgar Brinkmann wenige Minuten vor dem ersten Telefonkontakt im Flur und echauffierte sich, stellvertretend für dessen Kollegen, über die Leistung von Schiedsrichter Jörg Keßler: „Als ich das erste Mal im Strafraum gefoult wurde und der Schiri nicht pfiff, hab ich gesagt: Okay. Beim zweiten Mal war es auch noch okay. Aber jetzt ist es der fünfte oder sechste Elfer, den wir nicht kriegen.“ Ergo würde Arminia Bielefeld, fänden die Regularien des DFB auch für die Ostwestfalen Anwendung, längst in Uefa-Cup-Träumen schwelgen. Es sind Nebenkriegsschauplätze, wie sie stets eröffnet werden, wenn ein Team merkt, dass das eigene Unvermögen, ein Spiel wie jenes auf Schalke für sich entscheiden zu können, nicht aufzuhören vermag. Also sind andere schuld.“

Interview mit Andreas Möller SpOn

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