Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Sebastian Deisler
Sebastian Deisler spricht mit dem Tagesspiegel über seine Krankheit und sein gestörtes Verhältnis zu seinem Arbeitgeber Bayern München – Luciano Gaucci, Präsident des AC Perugia, will Birgit Prinz verpflichten
Ich tue mich schwer damit zu glauben, dass Uli Hoeneß das wirklich gesagt hat
Tsp-Interview mit Sebastian Deisler über sein Verhältnis zum FC Bayern
Tsp: Einer Ihrer Freunde soll Vollmacht über Ihre Konten besitzen.
SD: Noch mal, zum mitschreiben: Das ist mein P-r-i-v-a-t-l-e-b-e-n. Wem ich meine Sachen anvertraue, geht niemanden etwas an. Aber wenn Sie wirtschaftliche Dinge ansprechen: Ich habe tausendprozentiges Vertrauen zu der benannten Person. Es kommt doch immer darauf an, was in der Zeit der Freundschaft passiert ist und wie sich was entwickelt hat. Meine Freunde haben zu mir gestanden, als alles den Bach runterging. Das habe ich auch Uli Hoeneß erzählt wir hatten ein sehr gutes Gespräch, und er hat mir zugesichert, dass alle Sachen in der Öffentlichkeit klargestellt werden. Ich lasse mir meine Freunde nicht schlecht machen. Angeblich haben die Bayern behauptet, ich lasse mich von falschen Freunden leiten. Ich kann im Augenblick nicht zuordnen, von wem diese Behauptung stammt. Aber sie muss auf jeden Fall zurückgenommen werden.
Tsp: Uli Hoeneß wird in den Münchner Zeitungen mit der Bemerkung zitiert, er werde alles tun, um Ihre falschen Freunde auszusortieren.
SD: Ich tue mich noch immer schwer damit zu glauben, dass er das wirklich gesagt hat.
Tsp: Ihr Verhältnis zum FC Bayern scheint gespannt zu sein.
SD: Das liegt an der Behandlung meiner Freunde. Sie sind völlig fertig nach all dem, was sie in den Zeitungen über sich lesen mussten. Dafür müssen sie in der Öffentlichkeit rehabilitiert werden, mit einer Entschuldigung.
Tsp: Von wem soll diese Entschuldigung kommen?
SD: Vom FC Bayern.
Tsp: Sie vermuten Ihren Arbeitgeber hinter all dem Ärger?
SD: Es ist zumindest bekannt, dass auch Privatdetektive eingesetzt wurden.
Tsp: Das ist bekannt?
SD: Meine Schwester hat mir erzählt, dass der Trainer meinem Vater am Telefon erzählt haben soll, der Verein hätte Privatdetektive auf meine Freunde angesetzt.
Tsp: Im Auftrage des FC Bayern?
SD: So ist es rübergekommen. Ich bitte darum, dass das zurückgenommen wird. Das haben meine Freunde nicht verdient. Nur weil sie mir in der Not geholfen haben? Nur weil sie nichts mit der Welt des Fußballs zu tun haben? Nur weil ich mir ein kleines Stück Privatsphäre erhalten wollte? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte das Vertrauensverhältnis zum FC Bayern unbedingt wiederherstellen. Aber das geht nur, wenn alles geklärt ist. Ich verstehe Uli Hoeneß. Denn der Verein hat eine Fürsorgepflicht für die Spieler, also auch für mich. Aber meine Freunde hatten sich ihm von Anfang an vorgestellt, warum hat er nicht mit ihnen dann weiter gesprochen? Das verstehe ich nicht.
Birgit Prinz? Wer ist das?
Birgit Schönau Katrin Steinbichler (SZ 11.12.) beschreiben das Vorhaben Luciano Gauccis, Präsident des AC Perugia, Birgit Prinz zu verpflichten: „Wie ernst gemeint ist dieses Angebot aus Italien? „Der Präsident erwartet, dass Signora Prinz unterschreibt“, heißt es offiziell beim AC Perugia. „Wir haben uns vergangene Woche in Rom getroffen und gesprochen. Nicht mehr, nicht weniger“, sagt die Umworbene. Ihre Entscheidung will die Torschützenkönigin beim WM-Gewinn bis zum kommenden Wochenende verkünden, doch nicht alle würden ein positives Votum begrüßen. Serse Cosmi, der Trainer Perugias und somit demnächst ihr direkter Vorgesetzter, hat bereits durchblicken lassen, dass die jüngste Laune seines Patrons Luciano Gaucci für ihn kein Gesetz ist. „Oder glaubt ihr, dass ich mein Spielsystem auf 90-60-90 umstelle?“ In seiner Mannschaft sei kein Platz für eine Frau, erklärte Cosmi, der zurzeit ohnehin ganz andere Probleme hat: Nach zwölf Spieltagen ist der einst so solide Mittelklasseklub aus Umbrien Drittletzter in der Serie A. Gaucci weiß genau, dass seine fixe Idee nicht nur im Klub auf erbitterten Widerstand stößt. „Wir haben ja noch nicht mal ein Damenklo“, seufzt ein Mitarbeiter des Vereins. Schwerer wiegt, dass Birgit Prinz in Perugia mit höchster Wahrscheinlichkeit ebenso wenig spielen würde wie Al Saadi Gaddafi, der letzte, inzwischen als Dopingsünder abservierte Werbegag des geltungssüchtigen Reinigungsunternehmers Gaucci. Als er den Sohn des libyschen Revolutionsführers mit Pomp und Gloria in seinem Schloss als neuen Mannschaftsführer vorstellte, wusste der Präsident bereits, dass Gaddafi junior ein Match gegen Juventus Turin oder AS Rom allerhöchstens von der Tribüne aus verfolgen würde. Gaddafi war für den gelernten Straßenbahnfahrer Gaucci nur eine Trophäe – und Birgit Prinz wäre nichts weiter als eine weitere Provokation im Feldzug des Provinzbosses gegen seine Verbandsoberen. Gaucci liegt im Dauerclinch mit dem Fußballverband Federcalcio und der Profiliga. Jetzt hat er sich die Emanzipation der Frau im Männerfußball auf die Fahnen geschrieben. „Überall arbeiten Frauen gleichberechtigt neben den Männern, auch am Fließband bei Fiat“, sagte Gaucci der SZ. „Warum also nicht auch im Fußball? Es kommt ja nicht allein auf Kraft an, sondern auf Taktik und Intelligenz.“ Das war im August, und Gaucci hatte noch nie etwas von Birgit Prinz gehört. „Wer ist das?“
Matthias Kittmann (FR 11.12.) rügt Gaucci: „Die Idee ist purer Mumpitz. Das empfanden auch die schwedischen Nationalspielerinnen Hanna Ljungberg und Viktoria Svensson so, ebenfalls mit einem Angebot von Gaucci bedacht. Beide konnten sie sich nur mühsam zurückhalten, bei der Absage die Formen der Höflichkeit zu wahren. Dabei besteht überhaupt kein Zweifel, dass Birgit Prinz, Torschützenkönigin und beste Spielerin der Frauen-WM, die weltweit überragende Kickerin ist. Aber es wäre auch niemand auf die Idee gekommen, Jackie Joyner-Kersee als schnellste Frau der Welt gegen Carl Lewis antreten zu lassen. Das hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern schlicht mit biologischen Unterschieden. Abgesehen von der sportlichen Fragwürdigkeit hätte Birgit Prinz im Fußball-Macho-Land Italien keine Chance. Genau so wenig wie Carolina Morace, die für drei Monate den Drittligisten Cesena trainierte. Durchaus erfolgreich, aber sie wurde entlassen, weil die eigenen Spieler die Schmähungen der Gegner nicht mehr ertragen konnten.“
FR: „Scharfe Kritik an Vorstandschef René Jäggi vor der heute stattfindenden Jahreshauptversammlung des 1. FC Kaiserslautern“
Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208
Ballschrank
Leverkusen entlässt Hörster und ersetzt ihn durch Klaus Augenthaler – Rudi Völler wird Meisterehrung vornehmen
Mehr kühler Verstand, nüchterne Strategie und vor allem Teamwork
Roland Zorn (FAZ 14.5.) blickt skeptisch in die Leverkusener Zukunft. „Selbst wenn die Saison für Bayer glücklich endete und der erste Abstieg nach 24 Jahren Erste Bundesliga vermieden werden könnte, sollten sie sich in Leverkusen nicht zu ausgiebig feiern. Bayer bedarf zur neuen Spielzeit, sei es in der obersten oder in der zweithöchsten Spielklasse, dringend einer Reform von innen. Dazu müßten sich die Verantwortlichen der Bayer AG wie auch der verdienstvolle Geschäftsführer Calmund selbst einen Ruck geben. Mit der Besänftigungsformel, daß auch einem Calmund mal ein schwaches Jahr zustehe, ist es nicht getan. Calmund, Holzhäuser, Sprink, Kaenzig, Kohler, mit Abstand auch Lehnhoff und Kirsten – das ist der große Kreis derjenigen, die in diesem Jahr bei Bayer mitreden durften. Viele Männer, wenig Power und vorneweg ein rundum verzweifelter Rheinländer, der die Fußball-GmbH von Bayer 04 Leverkusen jahrelang quasi aus dem Bauch regierte. Die Zeit der maßgeblichen Bauchmenschen im Bayer-Werk aber neigt sich – ähnlich wie beim FC Schalke 04 mit dem Alleinherrscher Rudi Assauer an der Spitze – dem Ende zu. In Zukunft sind mehr kühler Verstand, nüchterne Strategie und vor allem Teamwork der Sache zuliebe gefragt. Sehr zum Wohle von Bayer 04 Leverkusen.“
Sonntagmorgensportfernsehstammtischprolet
Frank Ketterer (taz 14.5.) glossiert. „Auf dass keiner sage, sie seien nicht gnädig, auf anrührende Weise gar menschlich umgegangen mit ihrem Kurzzeittrainer. Hätte nämlich, wie es durchaus vorgesehen war, ein leider hinreichend bekannter Sonntagmorgensportfernsehstammtischprolet kürzlich den Job des Oberberaters beim Pillenclub aus Leverkusen übernommen, wäre der bemitleidenswerte Thomas Hörster nun viel mehr los als nur sein Traineramt. Udo Lattek jedenfalls hätte weit weniger Federlesen mit dem ehemaligen Amateur-Übungsleiter des Werkclubs betrieben, so jedenfalls teilte er das der Fußball-Nation mit. Noch am Sonntagmorgen ließ der Alttrainer in bewährt bierseeliger Runde wissen, wie er sich des Problems entledigen würde: Wenn ein Trainer so etwas sagt, beckenbauerte Lattek da, muss man ihn nicht entlassen, sondern erschießen. Jawoll! Legt an! Und Prost, Udo!“
Er hat den Test bestanden. Er ist raus.
Das Streiflicht (SZ 14.5.) reagiert ebenso kopfschüttelnd. „Also, jetzt muss aber wirklich mal was passieren am Arbeitsmarkt. Inzwischen ist die Lage so verzweifelt, dass selbst Menschen, die Arbeit haben, diese nicht mehr los werden. Früher hat es noch ausgereicht zu sagen, dass man aufgibt. Heute muss man offenbar erst einen Test bestehen, bevor man seinen Arbeitsplatz verlassen darf. Da hat am Wochenende zum Beispiel der Fußballtrainer Thomas Hörster versucht aufzugeben. Seine Mannschaft, Bayer Leverkusen, hatte wieder einmal verloren. Sie steht immer noch auf einem Abstiegsplatz, und es sind nur noch zwei Spiele bis Schluss. „Steigen Sie jetzt ab?“ fragten die Reporter. Hörster schaute traurig, dann sagte er: „Nach der Leistung heute, muss ich sagen, habe ich aufgegeben.“ So etwas, denkt man, müsste für eine fristlose Kündigung doch ausreichen. Aber nein. Auf einmal war Aufgeben nicht genug, man sollte es auch ehrlich meinen. Und genau das zweifelte der Manager des Vereins, Reiner Calmund, an. Deshalb unterzog er Hörster einem „Glaubenstest“. Es ist dies ein neues Verfahren, das Calmund entwickelt hat. Dabei schaut er seinem Trainer in die Augen und versucht zu erspüren, was für ein Gefühl dieser hat. Und nur, wenn dieses Gefühl tiefe und ehrliche Verzweiflung wäre, würde er ihn feuern. Nun, Hörster hatte Glück. Er hat den Test bestanden. Er ist raus.“
Philipp Selldorf (SZ 14.5.) kritisiert die Weigerung des gut bezahlten Kohler, das Traineramt interimistisch zu übernehmen. „Als besondere Koryphäe hat Calmund außerdem den Sportdirektor Jürgen Kohler ausgezeichnet, dem er attestierte, „ein Brett vor dem Kopf“ zu haben, weil er sich trotz stundenlangen Bittens der Vereinsbosse geweigert hatte, als Trainer für Hörster einzuspringen. Calmund erkennt zwar an, dass diese mit jährlich 600.000 Euro honorierte Verweigerungshaltung des Hospitanten diskutabel ist, doch sieht er lieber die gute Seite: „Gradlinig“ sei Kohler. Solche Mitarbeiter braucht ein Klub mit der Sehnsucht nach Untergang. Mit Augenthaler strebt Bayer 04 nun nach weiteren Höhepunkten der Tragikomik, die den Verein seit Jahren so zuverlässig begleiten wie der Manager Calmund an seinen Hungerkuren scheitert.“
Grüßt nun auch unterm Bayer-Kreuz das Murmeltier?
Christoph Biermann (SZ 14.5.) kann es nicht verstehen. „Es hat so viele Etappen der Krise auf dem beispiellosen Weg von Bayer Leverkusen zum Abgrund gegeben, dass die einzelnen Stationen in der Erinnerung ineinander zu verschwimmen beginnen. Gestern, bei der soundsovielten Pressekonferenz in dieser Saison in der BayArena, gab es dann den Moment endgültiger Verwirrung. „Ich habe es mir nie leicht gemacht und mich nie ins gemachte Nest gesetzt“, sagte Klaus Augenthaler bei seiner Vorstellung als neuer Trainer des taumelnden Erstligisten. An sich war das keine außerordentliche Auskunft, schließlich ist der ehemalige Verteidiger als Kämpfer bekannt und Leverkusen derzeit ein ziemlich zerzaustes Nest. Nur hatte sich vor sechs Wochen Jürgen Kohler mit genau demselben Wortlaut als Sportdirektor vorgestellt. Ist Augenthaler also Kohler oder umgekehrt? Grüßt nun auch unterm Bayer-Kreuz das Murmeltier?“
Zur Situation Augenthalers heißt es bei Erik Eggers (FTD 14.5.). „Der 45-jährige kann der Situation, so heikel sie ist, ja auch mit großer Gelassenheit begegnen. Steigt der Vizemeister ab, dann wird ihn keiner dafür verantwortlich machen. Bleibt die Mannschaft in der Liga, kann er sich als Wunderheiler eines Teams feiern lassen, das nach allgemeiner Ansicht nicht mehr zu heilen war. Verlieren kann er jedenfalls wenig in den letzten beiden Spielen, auch wenn sein vorzeitiger Wechsel in die Bundesligageschichte eingehen könnte. Augenthaler wäre dann der erste Trainer, der sozusagen mit zwei Klubs abstiege. Eines jedenfalls bewies Augenthaler sofort: Dass er die Rhetorik im Abstiegskampf weitaus besser beherrscht als sein Vorgänger. Wenn ich nicht denken würde, dass die Qualität der Mannschaft für sechs Punkte aus den letzten beiden Spielen reicht, so der Bayer, dann wäre ich nicht hier. Er habe auch als Spieler nie aufgegeben. Der absolute Wunschkandidat Jürgen Kohlers will nun erst einmal Ruhe in die Mannschaft einkehren lassen, Panikmache bringt nichts in einer solchen Situation. Und er will arbeiten. Vom Reden ist noch keiner besser geworden, sagt Augenthaler. Das ist nun ein Satz, der in Leverkusen wahrlich schon öfter zu hören war in dieser Spielzeit. Dass die schon notorisch gewordenen panischen Reaktionen in Leverkusen ausbleiben in den nächsten zehn Tagen, ist angesichts dieser Ruine von Fußballmannschaft, die Klaus Augenthaler nun zu betreuen hat, dennoch kaum denkbar.“
siehe auch Leserzuschriften zu diesem Thema
Schalendiebe
Philipp Selldorf (SZ 14.5.) begrüßt die Entscheidung der DFL, Teamchef Rudi Völler die Meisterehrung vollziehen zu lassen. „Unter den Fans von Schalke04 wird derzeit erbittert darüber diskutiert, ob man dem FC Bayern beim Heimspiel am letzten Spieltag Beifall für dessen 18. Meistertitel erweisen oder ihn lieber geschlossen mit Buhrufen eindecken soll – schließlich firmieren die Bayern dort seit dem Saisonfinale 2001 unter dem Namen „die Schalendiebe“. In München dagegen haben die Fans die Debatte beendet, ob sie bei der Übergabe der Meisterschale am Samstag im Olympiastadion nach dem Spiel gegen den VfB Stuttgart pfeifen oder klatschen sollen. Es gibt Applaus: Für den FCBayern – und für Rudi Völler, der die Trophäe an Oliver Kahn überreichen wird. Eine kluge Idee ist das, den beliebten Teamchef als Glücksboten einzusetzen anstelle der zuständigen Funktionäre der Deutschen Fußball Liga (DFL). DFL-Vorsitzender Werner Hackmann hat zwar Übung in der Zeremonie, aber die DFL hat sich bekanntlich bei den Freunden der Bayern nicht beliebt gemacht. Misstöne waren zu erwarten und getrübte Feierlichkeiten.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Spannung im Aufstiegskampf – St. Pauli, der friedliche Partyschreck, steigt ab – Unterhaching steigt wieder auf
Provinztheater?
Jan Christian Müller (FR 20.5.) fühlt sich durch die Dramaturgie in Liga Zwei für mangelnde Spannung im Oberhaus entschädigt. „In Liga zwo geht es bei den drei den Aufstieg entscheidenden Spielen zwischen Eintracht Braunschweig und Mainz, Eintracht Frankfurt und Reutlingen sowie Karlsruher SC und Greuther Fürth auch jeweils um den Kampf um den Klassenerhalt. Zittern wie Espenlaub unten und oben, schlotternde Knie, Nerven, gespannt wie Drahtseile, die ganze Bandbreite des Kitzels, den der unnachahmlich sympathisch breit grinsende Mainzer Trainer Klopp so gern in der Magengegend verspürt: Im Park kicken bringt keinen Spaß, hat Klopp am Sonntag gesagt, da kann gewinnen, wer will und niemanden interessiert es, so was reizt ihn nicht. Die Zweite Bundesliga aber – sie wird am kommenden Sonntag Millionen Menschen zu Nervenbündeln mutieren lassen. Aber sie läuft auch Gefahr, im kommenden Spieljahr mausgrau daher zu kommen: Dann nämlich, wenn die Eintracht aufsteigt und die namenlosen Ostwestfalen aus Bielefeld neben Cottbus und Nürnberg absteigen müssen. Ohne Aue, Regensburg, Unterhaching und Osnabrück zu nahe zu treten: Aber wenn sie – wie erwartet – von unten dazu kommen, ist das Provinztheater komplett.“
Souveränität und Abgeklärtheit
Wie ist die Stimmung in Frankfurt, Thomas Kilchenstein (FR 20.5.)? „200 Stundenkilometer werden es wohl gewesen sein, vielleicht auch 220, die Autobahn war frei, der Beton trocken. Regnen sollte es erst bei der Heimfahrt, aber da war das Schwierigste ja schon geschafft. Ihnen hatte es ganz offensichtlich nicht schnell genug gehen können, auf jeden Fall noch rechtzeitig anzukommen in Oberhausen: Die multifunktionale Fahrgemeinschaft Jürgen Neppe, Aufsichtsratschef, und Peter Fischer, Präsident, auf Dienstreise mit Eintracht Frankfurt, wollte nur nichts verpassen vom Spektakel im Westen. Und waren dann prompt gut zwei Stunden zu früh im Niederrheinstadion. Oder war es die pure Nervosität, die Anspannung, die Angst vor dem Versagen auf den letzten Metern, die das Gaspedal ganz unten hielt? Und wenn es denn je da gewesen sein sollte, das Fracksausen der Führungskräfte, es sollte allenfalls 20 Minuten dauern. Die Partie war danach bereits entschieden, zwei schnelle Tore des Dauerreservisten Dino Toppmöller machte die Dienstreise zu den heimstarken Oberhausenern zum entspannten Vergnügen. Vielleicht ist das in der Nachbetrachtung das wirklich Bemerkenswerte an diesem ungefährdeten 2:0-Sieg der Frankfurter. Dass sie den Erfolg mit einer Souveränität und Abgeklärtheit nach Hause schaukelten, die man ihnen eigentlich gar nicht richtig zugetraut hätte.“
Das Bayer Leverkusen der zweiten Liga
Jörg Hanau (FR 20.5.) beleuchtet die Chancen für den FSV Mainz. „Trainer Klopp scheint auf den Effekt zu setzen, dass in der Ruhe die Kraft liegt. Zwar fühlen sich die Mainzer vor dem letzten Spieltag in der Rolle des Jägers von Eintracht Frankfurt wohl – Manager Christian Heidel ist sich sogar sicher, dass die Eintracht Muffensausen hat, weil sie weiß, dass wir hinten dran sind –, doch stehen die Rheinhessen ebenfalls unter Zugzwang. Denn nachdem sie im Vorjahr erneut am letzten Spieltag wie schon 1997 in Wolfsburg durch eine Niederlage bei Union Berlin den Aufstieg verspielten, würden sie bei einem weiteren Misserfolg so etwas wie das Bayer Leverkusen der zweiten Liga werden. Wenn uns das nochmal passieren würde, wäre es eine Katastrophe für den Verein, die Fans und die Stadt, sagt der nach Köln wechselnde Torjäger Andrej Woronin, der nach seinem letzten Heimauftritt von den Fans begeistert gefeiert wurde. Präsident Harald Strutz hofft jedenfalls, dass den Mainzern ein ähnliches Horrorszenario wie im vergangenen Jahr erspart bleibt. Verständlich, dass Klopp nach dem Erfolg über Lübeck darum bemüht ist, die Gedanken an das letztjährige Drama bei Union Berlin zu verdrängen. Wir sind stolz, dass wir wieder ein Endspiel erreicht haben. Und wem das zweimal hintereinander gelungen ist, der hat alles richtig gemacht, lautet deshalb die Sprachregelung des 35-Jährigen, der die Ausgangsposition der Clubs vor dem Saisonfinale als völlig offen ansieht.“
Friedlicher Partyschreck
Frank Heike (FAZ 20.5.) bedauert den Abstieg des FC St. Pauli. „Am kommenden Sonntag um Viertel vor acht morgens soll es losgehen, ab Bahnhof Hamburg-Altona. Das Reiseziel ist Aachen. Dort spielt der FC St. Pauli bei der Alemannia. Es geht um nichts mehr. Trotzdem werden die Mitglieder des Fanklubs Kleine Mexikaner in den Westen fahren, um ihre Mannschaft beim vorerst letzten Auftritt im bezahlten Fußball zu unterstützen. Sie werden in der kommenden Serie auch nach Paderborn und Chemnitz reisen und dort die bewährte Rolle als friedlicher Partyschreck übernehmen. Mir tut es für die Fans leid, sie sind erstklassig, hat Corny Littmann gesagt, der Präsident des Klubs vom Kiez. Seit Sonntag nachmittag, kurz vor fünf, trennen Anhänger und Profis zwei Ligen – der FC St. Pauli ist nach 17 Jahren Profifußball in die Regionalliga abgestiegen. Daran konnte auch das 4:0 gegen den MSV Duisburg nichts mehr ändern. Noch einmal waren fast 20.000 Menschen zum Millerntor gepilgert und plakatierten ihre Botschaft: Ihr werdet uns nicht los! Dabei hat der FC St. Pauli in den vergangenen anderthalb Jahren alles dafür getan, auch den letzten treuen Anhänger zu vergraulen. Vom erstklassigen Bezwinger des Weltpokalsiegers beim 2:1 gegen Bayern München vor vierzehn Monaten zum Objekt von Spott und Mitleid, das vor einer finanziell und sportlich ungewissen Zukunft in Liga drei steht (…) Erst als Littmann im Dezember 2002 Reenald Koch als Präsidenten ablöste und Gerber kam, zog neuer Realismus ein am Heiligengeistfeld. Die Bestandsaufnahme war ernüchternd: leere Kassen, der Verwaltungsapparat überdimensioniert, die Mannschaft am Boden. Littmann gelang es in kurzer Zeit nicht, die vielen Konflikte beim FC St. Pauli quasi durch Handauflegen zu beseitigen. Er hat das Profigeschäft wohl auch unterschätzt. Aber ohne den rührigen Theaterintendanten stünde der Verein vor dem Sturz in die Oberliga. Nur weil er Hamburgs Ersten Bürgermeister Ole von Beust und andere mitbestimmende Persönlichkeiten der Stadt kennt, könnte die Bürgschaft des Senats zustande kommen, die St. Pauli benötigt, um einen Kredit in Höhe von zwei Millionen Euro aufzunehmen. So hoch wird die Unterdeckung im Etat bis Juni 2003 sein; ein Loch, entstanden aus Nachverpflichtungen und anderen Ausgaben, das nun gefüllt werden muß, um überhaupt die Lizenz für die Regionalliga zu erhalten. Der einstmals irgendwie andere, den Traum vom linken, politisch korrekten Fußball abseits von Kommerz und Kapitalismus befriedigende Verein ist zum Sanierungsfall geworden und hängt am Tropf der Stadt.“
Blechschaden
Thomas Becker (taz 20.5.) gratuliert der Spielvereinigung Unterhaching zum Wiederaufstieg. „Der Bus steht immer noch da. Die Blaskapelle? Logisch, die fehlt nie. Und der Verrückte, der bei jedem Wetter in der kurzen Hose neben der Reservebank hockt, der ist natürlich auch noch da. Irgendwie schön, Vertrautes an gewohnter Stelle zu finden. Ein bisschen wie nach Hause kommen. Man kennt die Gesichter, hat zunächst nicht die Namen dazu, aber bald fällt einem alles wieder ein: Wolfgang Binderberger heißt er, der König aller abgehärteten Mannschaftsbetreuer, bei dem immer noch keine Frostbeulen an den blanken Beinen zu sehen sind. Die Kapelle hieß Blechschaden, ihr Chef Bob Ross, und dass sie jetzt statt rechts der Haupttribüne links davon auf der überdachten Terrasse des schicken VIP-Hauses pusten und trommeln – geschenkt. Das besondere Kennzeichen dieses Stadions war und ist aber der Busparkplatz für die Gastmannschaft. Keine Ahnung, warum der ausgerechnet an der einzigen Mini-Steigung weit und breit sein muss, keine zehn Meter von der Eckfahne entfernt. Willkommen im Sportpark, willkommen bei der SpVgg Unterhaching, willkommen in der 2. Liga! Haching ist wieder drin, aufgestiegen aus der Regionalliga Süd, trotz eines mageren 2:2 gegen die Sportfreunde Siegen. Die schwierigste Saison der Vereinsgeschichte habe man durchgemacht, sagt Engelbert Kupka, der Präsident. Er muss es wissen: Seit 30 Jahren ist der 64-Jährige Vereinspräsident. Damals war er Bürgermeister und der Klub spielte in der B-Klasse. Es folgten zig Auf- und einige Abstiege; am Sonntag feierte man den vierten Aufstieg in die zweite Liga – ein unerwarteter Erfolg. Die Saison hatte nämlich in Frankfurt begonnen, und dort wurden gleich mehrere Partien ausgetragen, mit wechselndem Ergebnis: Zunächst durfte die wie immer finanzklamme Eintracht Frankfurt zweite Liga spielen, dann wieder die grundsoliden, aber lobbyschwachen Hachinger und umgekehrt. Ein paar Wochen ging das so an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt, dem Sitz des Deutschen Fußball-Bundes – ein Trauerspiel. Der Underdog blieb schließlich unten, und sollte die Eintracht tatsächlich den Aufstieg in Liga eins schaffen, wäre das nicht frei von Pikanterie (…)Die schönste Neuerung aber ist auf dem Platz zu finden: Es wird Fußball gespielt, nicht nur verteidigt wie unter Betontrainer Lorenz-Günther Köstner. Bestes Beispiel: Francisco Copado, ein ballverliebter Fummler mit weißen Kickstiefeln. Drei Jahre ist der in Deutschland geborene Spanier schon in Haching, doch richtig gut wurde er erst in dieser Saison. Köstner warf ihn einst aus dem Kader, als er nach einer Disco-Nacht mit Gipsarm zum Training kam. Der einstige Pädagogikstudent Frank (zwei Semester) bog ihn zurecht, Copado wurde mit 22 Treffern zum Torjäger und Publikumsliebling.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Auftritt der Bayern auf dem Betzenberg
Wer vor dem Auftritt der Bayern auf dem Betzenberg einen „Hassgipfel” vorausgesagt hatte, musste sich durch den ungefährdeten Gästesieg in einer emotionslosen Partie eines Besseren belehren lassen. Die SZ sah ein „Spiel, das nur Bayern-Fans und Sadisten hat beglücken können.” Ebenso hofften die Lauterer Anhänger vergebens auf den gewohnt leidenschaftlichen Kampf ihrer Elf gegen die „Großkopferten Münchner” (FAS). „Aus den stolzen Rebellen der Provinz sind verzagte Mitläufer geworden, gefügig gegenüber der herrschenden Klasse. Demütig hat sich der 1. FC Kaiserslautern am Samstag in die 0:2-Niederlage gegen Rekordmeister Bayern München ergeben, als hätte er sich schon mit dem Abstieg aus der Bundesliga abgefunden“, beschreibt die FAZ den dortigen Wandel zum Abstiegskandidaten.
Die beiden Überraschungsteams aus Bremen und Stuttgart nutzten diese Gelegenheit, sich mit Siegen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu spielen. Während der „Liebling der Bundesliga“ – wie die NZZ die „jungen Wilden” des VfB nennt – durch das 3:0 über Hannover ein im Schwabenland selten gewordenes Fußballfest feierte, scheinen die Norddeutschen beim 1:0 in Berlin ihre Abwehrschwäche überwunden zu haben. Dahingegen „präsentierten Herthas Profis eine Mischung aus Angst vor dem Sprung auf Tabellenplatz zwei und aus Überheblichkeit“ (FTD).
Michael Eder (FAZ 25.11.) beschreibt die Stimmungslage in der Liga. „Das Problem ist: Es gibt nur ein‘ Rudi Völler, und deshalb fehlt schon ziemlich viel, wenn unsere Auswahlkicker nur noch getrennt von ihrem Teamchef in mehr oder weniger langweiligen Teams um schnöde Bundesligapunkte spielen. Es fehlt die große Begeisterung, vor allem fehlt die gute Laune. Rudis Fußballshow hat etwas von Popkonzert für die ganze Familie, Bundesliga hingegen ist eher etwas für Hardcore-Fans. Zum Beispiel Bayern München auf dem Betzenberg, Trauerspiel statt Unterhaltungsstück. Hitzfeld statt Rudi, Gerets statt Rudi, Sammer statt Rudi, Stevens statt Rudi – so sieht es aus, und vielleicht liegt es auch ein bißchen an diesem Personalstand, daß die Bundesliga ziemlich deutsch ausschaut, selbst wenn Belgier und Holländer an der Außenlinie stehen: sehr ernst, sehr gezwungen, sehr verkrampft. Im Fußball-Land des Lächelns – siehe WM-Logo – geben verkniffene Charaktere die Richtung vor, der Druck der Ämter und Erwartungen lastet schwer auf den Trainern, und die meisten würden wunderbare Werbefiguren abgeben für Remmi-räumt-den-Magen-auf oder irgendwelche vollsynthetischen Gemütsaufheller. Daß der Zuschauer in den Stadien – vom Fernsehpublikum ganz zu schweigen – nicht viel zu lachen hat, liegt deshalb auf der Hand, und wenn Stevens oder Sammer nach den Partien ihre Kommentare abfeuern und noch dazu verloren haben, dann tun sie es nur mit mühsam gebremstem Schaum. Warum sollten ausgerechnet ihre Spieler auf dem Feld die große Lebensfreude verströmen, die Leichtigkeit des Fußballspiels, warum sollten ausgerechnet sie Begeisterung wecken und eine Stimmung wie bei der Nationalmannschaft, die selbst mit einer Niederlage noch heiter daherkommen kann?“
Die beiden Überraschungsteams der Spielzeit aus Bremen und Stuttgart treffen nächste Woche aufeinander. Jan Christian Müller (FR 25.11.) analysiert deren ähnliche Strategie. „Beide Mannschaften machen mit ihrer mutigen, unverbrauchten, stets offensiven Spielweise auch anderen Klubs Mut. Mut, sich statt wie in den vergangenen fetten Jahren, als die TV-Gelder wie Honig flossen, vermeintlich fertiges und entsprechend teures Personal zuzulegen, bei der eigenen Jugend zu bedienen. Beim SV Werder stehen elf Spieler, beim VfB Stuttgart neun Akteure im Profikader, die bereits für die eigenen Regionalliga-Amateure spielten. Ein derartiges Konzept verfängt natürlich nur, wenn zuvor entsprechende, langfristige Aufbauarbeit geleistet wurde. Das ist in Bremen und Stuttgart der Fall.”
VfB Stuttgart – Hannover 96 3:0
Ob des Stuttgarter Höhenflugs ist Josef Kelnberger (SZ 25.11.) skeptisch. „Stets auf der Suche nach dem Schönen und Guten wollen wir heute den VfB Stuttgart loben. Ganz schnell, bevor es wieder abwärts geht mit ihm. Sorry VfB, das ist dein Schicksal, weil deine Pläne immer gar so hoch fliegen (…) Am liebsten hielte man bei diesem zauberhaften Anfang inne, am liebste würde man nun einen Zaun um dieses schwäbische Idyll ziehen – aber ach, es drängt die Erfolgreichen, Pläne zu schmieden, Ziele zu formulieren, und das ist meist der erste Schritt ins Verderben. So las man in der Stuttgarter Zeitung: Magath will mit dem VfB Europacup-Sieger werden. Er nennt das Jahr 2006. Das ist ein gewaltiger Fehler. Es wird kommen, wie es kommen muss. Aus München, oder Dortmund, wird ein Millionenangebot für Amanatidis, Hleb oder Kuranyi hereinplatzen. Der VfB wird seine Jünglinge verkaufen, wie damals Elber und später Bobic, weil er ja Schulden zu tilgen hat. Oder er wird deren Gehälter aufmörteln, wie damals bei Balakov, und das wird Neid und Missgunst säen. Zum nächsten Heimspiel des VfB kreuzen am 7. Dezember die Bayern auf. Die haben einen Heidenspaß daran, mit Idyllen aufzuräumen.“
Tobias Schächter (taz 25.11.) über Erfolgstrainer Magath. „Der Feuerwehrmann steht immer unter Zeitdruck. Wird er gerufen, steht das Gebäude schon in Flammen. Seine einzige Aufgabe ist es, den Brand zu löschen, danach hat der Feuerwehrmann seine Schuldigkeit getan, er kann nach Hause gehen. Für die Vision eines neuen Lebens, für den Wiederaufbau ist der Architekt zuständig. Der Fußballtrainer Felix Magath galt in seiner Branche als Feuerwehrmann: als Retter in der Not des Abstiegskampfes. Er bildete die letzte Instanz, den Trouble Shooter mit den umstrittenen Methoden. Magath eilte ein zweifelhafter Ruf voraus, nachdem er zuerst den HSV, dann Nürnberg und Bremen und schließlich Frankfurt vor dem Abstieg gerettet hatte. Immer musste er danach schnell wieder die Koffer packen. Ein Architekt zu sein, einer, der eine Mannschaft formt und langfristig mit ihr arbeiten kann, das schrieb man Felix Magath nun wirklich nicht zu, als er im Februar 2001 den VfB Stuttgart vor dem Abstieg retten sollte (…) Es gibt den Magath vor Stuttgart und den Magath seit Stuttgart. Zwar predigt der 49-Jährige, den man mit Saddam verglich und Quälix nannte, Grundzüge seiner früheren Arbeitsauffassung auch heute noch: Disziplin, harte Arbeit und Fleiß. Das Feuer hat er gelöscht, das Fundament gelegt, nun darf er darauf aufbauen. Felix Magath ist längst kein Feuerwehrmann mehr.“
Roland Zorn (FAZ 25.11.) berichtet vom Spiel. „Die in einer zaghaften PR-Aktion des Vereins für Bewegungsspiele offiziell so genannten „jungen Wilden“ des VfB hatten sich vor der Saisonrekordkulisse von 46.000 Zuschauern derart ausgetobt, daß ihr sonst kritischer Trainer Felix Magath nur noch zahm, aber glückselig sagen konnte: „Das Schlechte heute ist, daß ich nichts zu meckern habe. Das war ein Fußballfest, bei dem alles gestimmt hat.“ Ihm zur Seite saß ein mißgestimmter zweiter schwäbischer Rückkehrer, der Kollege Ralf Rangnick. Der beim VfB gegen Ende seiner Trainerjahre im Spott zum „Professor“ promovierte Fußballehrer konnte diesmal nicht anders, als seinem Team ein „Ungenügend“ ob dessen eklatanter Abwehrschwächen zu attestieren. Die Niedersachsen ließen sich in Stuttgart widerstandslos überrennen. „Außer Fredi könnt ihr alle geh‘n“, hämten die VfB-Fans in Richtung 96; dem im Gegensatz zu Bobic ungeliebten hannoverschen Trainer riefen sie höhnisch zu, „siehst du, Rangnick, so wird das gemacht“ (…) Stuttgart, inzwischen auf Platz drei der Tabelle, kommt – und das gewaltig. Trotz inzwischen schon 28 Pflichtspielen stürmt Magaths ungestüme Mannschaft die Tabelle und auf Europas Fußballfeldern. Der Grund für den jüngsten Aufschwung des VfB Stuttgart heißt für Balakow ganz einfach Magath. Früher mit seinem Härteprogramm oft gescheitert, hat sich der Trainer von der Aufbruchstimmung in Stuttgart beflügeln lassen. Der Trainer ist „jünger” geworden, seine Mannschaft gewinnt an Erfahrung. So überrascht der VfB Stuttgart – zuerst sich selbst, danach die ganze Bundesliga.“
1. FC Kaiserslautern – Bayern München 0:2
Die Situation in Kaiserslautern beschreibt Jan Christian Müller (FR 25.11.). „Dieser 1. FC Kaiserslautern ist nur noch ein Torso jenes Traditionsklubs, der von der landsmannschaftlichen Verbundenheit seiner Fans mit den Spielern, der aufgeheizten, Gegner und Schiedsrichter gleichermaßen einschüchternden Atmosphäre, und der brachialen Urgewalt seiner Recken in einem Maße lebte wie kein anderer Fußballklub in diesem Land. Das Band zwischen Anhängern und Klubverantwortlichen ist in den Wirren der vergangenen Wochen zerrissen, die Nachfolger der Friedrich, Wieschemann und Konsorten arbeiten mit der betriebswirtschaftlichen Nüchternheit von Sanierern in einem in Not geratenen Wirtschaftsunternehmen. Längst haben die Fans nicht mal mehr Kraft zum Pfeifen. Mit leisem, mitleidigem Beifall verabschiedeten sie eine Mannschaft, die nicht mehr die ihre ist. „Vielleicht haben sie ein Gespür dafür, dass man auf uns nicht mehr drauftritt, jetzt, da wir schon fast unterm Boden liegen“, mutmaßte Mario Basler. Der Trainer, Erik Gerets, war vor zwei Monaten als starker Mann gekommen, als einer, der in Eindhoven sogar die eigenen Hooligans kraftvoll in die Schranken gewiesen hatte; man hatte ihm die notwendigen Aufräumarbeiten auf dem Betzenberg allemal zugetraut. Jetzt steht er hilflos an der Seitenlinie. Man möchte ihn fast in den Arm nehmen und trösten.“
Elke Rutschmann (FTD 25.11.) meint dazu. „Über die Jahre hinweg haben die Fans des 1. FC Kaiserslautern ihren Gegnern immer wieder trotzig den Glauben an sich selbst und den Mythos vom gefürchteten Fußballberg entgegengehalten. Doch jetzt scheint selbst Lautern nicht mehr an Lautern zu glauben. Der FCK ist eine Mannschaft mit gebrochenem Herzen. Die dritte Heimniederlage in Folge am Samstag beim 0:2 gegen den FC Bayern München nahmen die Fans schweigend hin. Es fehlte die Kraft für Pfiffe. Die einstige Hölle wurde selbst gegen den Lieblingsfeind zur Flüstertüte. Von wegen Pfälzer Angstregime. Im Moment deutet vieles darauf hin, dass der 1. FC Kaiserslautern am Ende der Tabelle überwintern wird. Keine Vision weit und breit. Der Kader ist mit 29 Spielern aufgebläht, aber Verkäufe sind bei der Lage des Markts eher unwahrscheinlich. Und Einkäufe erscheinen beim hochverschuldeten Tabellenletzten geradezu unmöglich. Deshalb wird auch die immer noch rätselhafte Welt des Mario Basler jeden Tag ein bisschen düsterer. Selbst nach unangenehmen Niederlagen ist der frühere Meister des ruhenden Balles keiner, der das Stadion durch die Hintertür verlässt. Der Mann, den man in seiner Laufbahn immer wieder gerne für Dummheit im Dienst bestraft hätte, der Schiedsrichter und gegnerische Fans mit Gesten und Worten provozierte, wurde nach dem erneuten Debakel zum ernsthaften Gesprächspartner. Selbst auf dem Platz, wo er den Libero gab, beeindruckte der 35-Jährige mit starken Zweikampfwerten und den meisten Ballkontakten im Trikot der ansonsten toten Teufel. Basler taugt zwar nicht zum Geläuterten, aber zumindest scheint der schwierige Geist die Herausforderung Klassenerhalt neben Mittelstürmer Miroslav Klose als einziger Akteur verinnerlicht zu haben.“
Peter Heß (FAZ 25.11.) fragt. „Wo ist er geblieben, dieser Zorn, dieser Furor, diese Leidenschaft, mit der sich der pfälzische Fußballklub jahrzehntelang der gegnerischen Übermacht an Kapital und Personal erwehrte? Manche äußerten den Verdacht, die Mannschaft betreibe Arbeitsverweigerung, um Trainer Gerets loszuwerden. Aber die Spieler grätschten, traten oder rannten – nur vergeblich. Der bemitleidenswerte Nationalstürmer Miroslav Klose hatte in der Isoliertheit seines trostlosen Stürmerdaseins die Zeit, sich eine treffende Beschreibung für das Phänomen auszudenken: „Du willst jemanden treten, du willst jemanden festhalten, aber der ist schon zwei Meter weg.“ Angst lähmt – und die Angst der Lauterer Profis ist so groß wie ihr Rückstand zum rettenden 15. Tabellenplatz. Die Schuldfrage stellt sich wie von selbst. Und wie von selbst wird der Trainer zum Thema. Die Spieler loben Gerets in den höchsten Tönen. Mario Basler und Klose gaben nach dem Abpfiff geradezu Ehrenerklärungen für den Belgier ab. Der frisch gewählte Aufsichtsrat kommt bei der Fehleranalyse zu einem anderen Schluß. Er hat offenbar die Entlassung von Gerets gefordert (…) Insider des Klubs bestätigten den Machtkampf in dieser Frage zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Zudem berichtete Jäggi davon, daß der Aufsichtsrat den ehemaligen Meistertrainer Karl-heinz Feldkamp als Sportdirektor einsetzen will. Die Situation erinnert fatal an den vergangenen Sommer. Der damalige Verwaltungsrat demontierte den damaligen Trainer Andreas Brehme und der damalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Friedrich wehrte sich. Diese Konstellation bildete den Ausgangspunkt der Krise, in der sich der FCK immer noch befindet.“
Philipp Selldorf (SZ 25.11.). „Dem FC Bayern, der hier mit einer Inbrunst verabscheut wird wie selten sonstwo auf der Welt, widmeten die Fans nicht mal ein leises Schimpfen, was ein bedenkliches Zeichen ist. Stattdessen applaudierten sie ihrer Mannschaft, weil die es fertig gebracht hatte, in der zweiten Halbzeit gegen die vor lauter Überlegenheit eingedösten Münchner drei Torchancen zu erspielen (…) Bei all den Teufeln, die hier als Maskottchen rumspringen, denkt man nicht mehr an nette Pfälzer Folklore, sondern an Bilder vom Jüngsten Gericht, auf denen Höllenmonster die armen Sünder in den Schlund reißen. Und wie hier gesündigt wurde: Dieser Tage wurde bekannt, dass der Spielerberater Wiesner dem Verein für den Transfer von Ciriaco Sforza 850.000 Euro Vermittlungsprovision berechnet hat – für einen Fußballer, der in München nicht mehr erwünscht war und die Zusage für den ablösefreien Wechsel besaß.“
„Uli Hoeneß mimt den braven Mann“, berichtet Jan Christian Müller (FR 25.11.). „Uli Hoeneß, im März noch impulsiver Rechtssprecher in eigener Sache und ordnungswidrig zankend mit dem ehemaligen Lautern-Trainer Andreas Brehme am Spielfeldrand gesichtet, benahm sich vorbildlich: Hosenboden wie mit Spezial-Stoffkleber angepappt auf den bequemen Sitz unterm Plexiglas, zweimal nur kurz freudig aufgesprungen, als die beiden Tore fielen, brav Autogramme gebend bei Halbzeit und nach Spielschluss. So ein Bayer würde nie zur Hassfigur, noch nicht mal in der Pfalz, wo er zum Jahresanfang unter anderem im Pokalspiel unangenehm aufgefallen war, weil er sich vorm Elfmeterschießen mit dem Schiedsrichter unterhalten hatte und auf diesen eingewirkt haben soll, damit die Entscheidung nicht vor der Tribüne der Lauterer Hard-Core-Fans stattfinde (…) Zum Abschied hatte der kreuzbrave Uli Hoeneß dann doch noch einen schneidigen Satz parat. Die Sache mit dem Aufpasser für seine Wenigkeit sei eine „Furzidee“ vom Lauterer Fanbetreuer gewesen. „Furzidee“ – man muss sich keine Sorgen machen: Unser Uli ist doch noch der Alte. Er hat sich in Kaiserslautern bloß für 90 Minuten geschickt verstellt.”
VfL Wolfsburg – Borussia Dortmund 2:0
Jörg Marwedel (SZ 25.11.) erkennt einseitige Dortmunder Menschenführung. „Es war augenscheinlich, dass dieser Mannschaft die Spielfreude abhanden gekommen ist. Die gedeiht aber nur in einem Klima, in dem neben Erfolgsdruck auch spielerische Leichtigkeit ihren Platz hat. In Dortmund bemüht sich, aus Sorge, die Profis könnten sich auf den Lorbeeren des Sommers ausruhen, seit Wochen die komplette Führungscrew vor allem um Druck. Mal drohte Sportdirektor Michael Zorc wegen fehlender Einstellung mit Konsequenzen, mal hielt Präsident Gerd Niebaum Appelle an die Willenskraft. Zuletzt prophezeite Sammer selbst, bei einer Niederlage in Wolfsburg werde das Klima „kälter als in Moskau“. Als die Niederlage Realität wurde und das Champions-League-Spiel bei Spartak Moskau am Dienstag in seinen Blick rückte, erschrak sich Sammer dann doch ein bisschen über die Aussage und versprach, künftig „jeden Satz noch besser zu überlegen“. Man kann sich bei Borussia ja keine Unruhe erlauben vor dem Mammutprogramm und bei acht Punkten Rückstand auf den FC Bayern.“
Frank Heike (FAZ 25.11.). „Es gehört zur Folklore der Fußballausreden, daß manchmal der Platz schuld sei. Daß die schlechte Qualität des Rasens als Mitgrund einer Niederlage von Borussia Dortmund herhalten sollte, überraschte am Samstag nachmittag in Wolfsburg. Denn die Dortmunder spielen zu Hause im Westfalenstadion ja auch nicht gerade auf einem sattgrünen Teppich. Doch es ging um botanische Feinheiten: Daheim sei man immerhin „einen festen Untergrund“ gewohnt, sagte Matthias Sammer, mit vielleicht nur wenig Grashalmen obendrauf, aber immerhin standfest. Das war in Wolfsburg anders. Dort flogen ganze Grassoden durch die Luft. „Einen schlechten Platz, einen tiefen Acker“ hatte der Dortmunder Trainer während des 0:2 seiner Borussia beim VfL Wolfsburg ausgemacht, und Torwart Jens Lehmann stöhnte später: „Auf so einem Platz hat man es nicht leicht.“ Er wußte, wovon er sprach. Und so rutschten und stolperten die Dortmunder über den tiefen Grund, während der Ball fröhlich über die Schlaglöcher und Maulwurfshügel im Stadion am Elsterweg hoppelte – als wohnte ein Frosch in der Kugel. Niemand wollte Sammer widersprechen, aber es war schon merkwürdig, daß dem Trainer zuerst der Platz, dann der Schiedsrichter und erst zuletzt die unbefriedigende Leistung der eigenen Mannschaft als Gründe für die zweite Saisonniederlage einfielen.“
Arminia Bielefeld – Bayer Leverkusen 2:2
Peter Penders (FAZ 25.11.) über die Ursachen der Leverkusener Misere. „Der internationale Ruhm lockt, und mancher spart die letzten Kräfte vielleicht unbewußt für das Rampenlicht auf. Es bleibt aber auch keine Zeit zur Erholung, die Leverkusen ganz offensichtlich dringend nötig hätte. Kein Verein stellte bei der WM mehr Spieler ab, und ausgerechnet dieses Bayer-Personal war auch noch bis zum WM-Schluß dabei (…) So wurschtelt Leverkusen weiter, müde wirkend und ohne rechten Esprit, ohne jeglichen Glanz – und vor allem ohne gefährliche Stürmer. Zwar gelang Brdaric mit Hilfe von Murawski, von dessen Rücken der Ball ins Tor sprang, nach 818 Minuten in der Bundesliga endlich das erste Stürmertor für Bayer, aber der Schuh drückt im Angriff dennoch am meisten. Franca, als Torjäger vorgesehen und mit 8,5 Millionen Euro Ablöse der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte, saß tatenlos auf der Ersatzbank; Jan Simak, der beste Spieler der zweiten Liga in der vergangenen Saison und mit sechs Millionen Euro auch nicht gerade ein Schnäppchen, durfte nur die letzte Viertelstunde ran. Allein der Hinweis, mit Ballack und Ze Roberto zwei herausragende Spieler verloren zu haben, hilft auf Dauer als Erklärung für die Misere nicht weiter. Bayer hat auch viel Geld reinvestiert. Die Gefahr wächst, immer noch von der herausragenden vergangenen Saison verblendet zu sein – allerdings nicht nur in Leverkusen. Die Bielefelder Fans, überrascht vom guten Start der Arminia und entsetzt über zuletzt drei Niederlagen in Folge, mäkeln mittlerweile über die defensive Einstellung von Trainer Möhlmann. Daß diese Taktik der spielerischen Not gehorcht und die Bielefelder vor zwei Jahren fast aus der zweiten Liga abgestiegen wären, ist längst in Vergessenheit geraten. Aber immerhin eint das die Arminia und Bayer – beide würden wohl gerne so spielen wie in der vergangenen Saison, können es aber aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht.“
Hertha Berlin – Werder Bremen 0:1
Friedhard Teuffel (FAZ 25.11.). „Wenn im Ergebnisvergleich eine Geschichte läge, dann müßte sie so lauten: Thomas Schaaf hat seinen Spielern mitten im November die effiziente Abwehrarbeit beigebracht. Er hat sie zu Fußball-Ökonomen erzogen, die dem Gegner den Ball wie eine fallende Aktie überlassen und dann im entscheidenden Moment wieder zugreifen. Bis zum Samstag hatte der SV Werder nämlich 25 Gegentore in dieser Saison hinnehmen müssen, mehr als Energie Cottbus oder Arminia Bielefeld. Nur Hannover 96 war mit 27 Toren noch schlechter als die Bremer. Und dann dies: Bei Hertha BSC Berlin, dem Klub aus der großen Stadt mit den großen Zielen, bilden die Bremer auf einmal eine lückenlose Abwehrkette nach der anderen. Ein Freistoß aus zwanzig Metern und einer aus dreißig waren die einzigen Chancen der Berliner. Näher ließen die Bremer sie nicht herankommen.“
Spielbericht taz SZ
Borussia Mönchengladbach – VfL Bochum 2:2
Über den Torschützen zum Bochumer Ausgleich lesen wir von Christoph Biermann (SZ 25.11.),. „Im Sommer letzten Jahres kam Graulund von Bröndby Kopenhagen ins Ruhrgebiet. 2,8 Millionen Mark gab der VfL für den Transfer aus, so viel wie nie zuvor und nie danach. Der Mittelstürmer sollte den Absteiger in die Bundesliga zurückschießen, und irgendwie trug er auch dazu bei. Einige Punkte gewannen seine drei Tore und einige Vorlagen mehr, doch seit seinem letzten Treffer waren genau 365 Tage vergangen. In dieser Phase mit zwischenzeitlichen Verletzungen hatte der Däne nicht nur seinen Platz im Team, sondern auch die Perspektive verloren, dorthin zurückzufinden. Längst spielt der VfL Bochum nämlich mit drei Angreifern. Graulunds Landsmann Thomas Christiansen ist mit seinen zehn Treffern in der Mitte so gesetzt, wie Nationalspieler Slawo Freier auf der rechten Seite. Allenfalls auf der linken Seite hätte er gegen den schwankenden Delron Buckley eine Chance – nur ist diese Position überhaupt nicht seine. „Das ist tragisch“, gibt Bochums Trainer Peter Neururer zu. Er sieht den kleinen Stürmer sowieso als zweite Spitze neben einem bulligen Reißer, nur gibt es den in seinem Team so wenig wie die Option auf einen Zwei-Mann-Sturm. „Ich kann das System doch nicht ändern, weil er mal der teuerste Neueinkauf war“, sagt Bochums Trainer. Und genau das wird Graulund im Laufe dieser Woche dämmern. Spätestens dann, wenn sein Coach die Aufstellung für das kommende Wochenende an die Tafel schreibt.“
1860 München – 1. FC Nürnberg 2:2
Spielbericht SZ
Europäischer Fußball: Resultate – Tabellen – Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Hol den Magath!
Richard Leipold (FAZ 26.5.) analysiert Probleme des Schalke-Managers. “Simone, hol schon mal den Wagen. Die Schauspielerin Simone Thomalla, Lebenspartnerin des Schalker Managers Rudi Assauer, tut wie ihr geheißen und wartet mit laufendem Motor nahe dem Hauptportal auf dem Arenaring. Ein kurzes Hupen, doch ihr Rudi macht keine Anstalten einzusteigen. Zwei Stunden nach dem Schlußpfiff steht Assauer im Gelsenkirchener Regen einer Gruppe von Fans gegenüber. Sie haben ihn auf dem Weg zum Wagen abgefangen, lassen sich nicht mit dieser netten kleinen Geste der Entschuldigung abspeisen, die sich Assauer im Verbund mit der Marketingabteilung ausgedacht hat. Vor dem Anstoß hatten die Profis ein Spruchband hochgehalten Ihr wart Spitze, wir diesmal nicht!. Auf dem Fußballplatz fügten sie beim 1:0 über den deutschen Meister Bayern München sogar einen sportlichen Erfolg hinzu, und nach dem Spiel verabschiedeten sie den Teamchef Marc Wilmots und den Mittelfeldstrategen Andreas Möller mit viel Applaus aus der Bundesliga. Ganz Schalke wirkte wieder versöhnt. Ganz Schalke? Nein. Diese kleine, aufmüpfige Gruppe baut sich vor Assauer auf und formuliert hartnäckig ihren Auskunftsanspruch. Was nun, Herr Assauer? Wie soll es bloß weitergehen? Vor allem: Mit welchem Trainer? Die Antwort kommt aus dem Halbkreis, der sich vor dem Befragten formiert hat. Hol den Magath! Assauer steht Rede und Antwort. Wenn die Vorwürfe ihm zu kraß werden, schreit und schimpft der Manager. Schalke sei nun einmal ein Klub voller Höhen und Tiefen, aber der Fall auf den siebten Rang mit der Chance, am UI-Cup teilzunehmen, sei nur eine kleine Delle in der Aufwärtsentwicklung der zurückliegenden Jahre. Die Trainerfrage ignoriert Assauer, auch wenn ein Mann mit ostdeutscher Sprachfärbung so hartnäckig fragt wie zuvor manch ein Journalist.“
Ein großes Fest
Philipp Selldorf (SZ 26.5.) stellt Versöhnung auf Schalke fest. „Die Selbstgeißelung mit Rute, Stock oder Peitsche gehörte unter den Mönchen des Hochmittelalters zum Bestandteil ihrer christlichen Glaubenspraxis. Die Spieler des FC Schalke 04 verzichteten zwar darauf, sich unter Klagelauten blutende Wunden zuzufügen, um Reue für ihre Sünden zu beweisen, aber sie gingen zumindest ähnlich vor, als sie vor dem Spiel gegen den FC Bayern ein Transparent auf den Platz trugen, auf dem sie Anklage erhoben – gegen sich selbst: „Ihr wart Spitze! Wir diesmal nicht!“, stand drauf. Vom ersten Torwart bis zum letzten Reservisten hielten sie das gedruckte Bekenntnis ihrer Sündenfälligkeit in alle Himmelsrichtungen, und die Reaktion der Zuschauer lässt sich im Zeitraffer des Nachmittags zusammenfassen: Zuerst Staunen, dann vorsichtige Zustimmung, und schließlich: haltlose Begeisterung. Auch Rudi Assauer, den Manager, sprach die Botschaft an: „Das trifft den Kern“, sagte er später und schaute streng über den Rand der Lesebrille: „Genauso ist es.“ Aber irgendwie wollte davon keiner etwas wissen. Als das Spiel vorbei war, der FC Schalke die nur mittelmäßig an einer scharfen Auseinandersetzung interessierten Bayern 1:0 besiegt hatte, wurden Hymnen angestimmt, Ehrenrunden gedreht und Kusshände verteilt. Schalke war mühselig Siebter geworden, nach einem laut Teamchef Marc Wilmots „verlorenen Jahr“ – und feierte ein großes Fest (…) Und die Bayern? Waren zwar überlegen, aber höfliche Gäste, und schossen deswegen meist am Tor vorbei. Eigentlich fielen sie nur durch exzentrische Einlagen auf. Oliver Kahn traf per Abschlag den 27 Meter über der Grasnarbe angebrachten Videowürfel, was zuvor noch keinem Spieler gelungen war. Das Schalker Publikum zollte ihm dafür aufrichtig Beifall.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Keine gute Europapokal-Woche
Keine gute Europapokal-Woche, oder besser: kein gutes Europapokal-Jahr für den hiesigen Vereinsfußball. Das Viertelfinale in beiden Wettbewerben (Champions League und Uefa-Cup) wird wohl ohne deutsche Beteiligung stattfinden. Allein Borussia Dortmund hat noch eine kleine Chance, die nächste Runde zu erreichen, obwohl der späte Ausgleichstreffer im der Gäste aus Madrid beim 1:1 im Dortmunder Westfalenstadion die sportlichen Aktien des deutschen Meisters rapide fallen ließ.
Vom Geschehen auf dem Rasen zeigt sich die Sportwelt allerdings begeistert (alle Pressestimmen ). „Es war neunzig Minuten lang ein Traumabend für Borussia Dortmund – und am Ende stand ein Albtraum“, liest man in der NZZ, während die SZ ein „Champions-League-Spiel der allerersten Kategorie“ sah.„Nicht wenige Beobachter sprachen vom qualitativ besten Spiel, das je im Westfalenstadion gespielt worden sei.“ Insbesondere Torhüter Jens Lehmann machte seine von vielen Seiten als Ausraster gewertete Auseinandersetzung mit Mannschaftskollege Amoroso am vergangenen Wochenende mit seiner Leistung vergessen und „brachte Ronaldo mit drei tollen Paraden so weit, dass der Brasilianer sich Oliver Kahn ins Dortmunder Tor wünschte“ (taz). Letztendlich bleibt jedoch ein ernüchterndes Fazit: „Mochte das 1:1 am Ende dieses faszinierenden Spiels das unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten passende Resultat sein, so bestrafte es doch die Westfalen brutaler als jede Niederlage“ (FAZ).
Der andere deutsche Champions-League-Teilnehmer aus Leverkusen hat es durch die Niederlage in Newcastle offenbar fertig gebracht, nicht vorhandene Erwartungen zu enttäuschen. „Ratlos taumelt Bayer am Abgrund entlang“, titelt die FAZ, und die SZ schreibt: „Bayer Leverkusens Irrfahrt durch die Champions League erreicht tragikomische Ausmaße.“
Newcastle United – Bayer Leverkusen 3:1
Angesichts des Leverkusener Auftritts sorgt sichRaphael Honigstein (SZ 28.2.). „Die Niederlage kam so wenig überraschend wie der Regen in Englands Nordosten, aber das tragikomische Ausmaß der in allen Belangen höchst peinlichen Leistung verstörte noch den wohlgesonnensten Beobachter. Immer wenn man denkt, Bayer 04 habe die Talsohle bereits erreicht, tauchen noch weitere Aussetzer und Unzulänglichkeiten auf. Beim auf absehbare Zeit letzten Auftritt auf der Insel trugen in Gestalt von Ramelow, Neuville und Brdaric gleich drei Bayer-Spieler die Kapitänsbinde, aber Verantwortung wurde auf dem Platz ähnlich hektisch an den nächsten geschoben wie der Ball. Der nach 30 schockierenden Minuten durch Auswechslung von seinem Leid erlöste Cris – der angeblich auch als brasilianischer Nationalspieler tätige Verteidiger hatte Alan Shearer dessen Tore förmlich aufgedrängt – war nur der schlechteste von vielen schlechten Darstellern an diesem Abend (…) Wolfgang Holzhäuser war seltsam milde gestimmt. Ein entspanntes Lächeln lag ihm auf den Lippen, als er in Vertretung des gar nicht erst angereisten Reiner Calmund im schokoladenbraunen Vorstandsmantel darauf verwies, dass hier„nicht die 1A, auch nicht die 1B, sondern die zweite Besetzung” der Werkself gespielt habe. Von einem Imageschaden wollte er nichts wissen, mit Juan in der Abwehr sehe die Sache gegen Bremen am Samstag sowieso wieder ganz anders aus. Das klang verdächtig nach Toppmöllerschen Ausflüchten. Oder war es gar bitterböser Sarkasmus? Es sei eben „viel spielerisches Potential verschüttet gegangen”, und diesen Schutt müsse man jetzt abtragen – Thomas Hörster werde das schon hinkriegen. Als Mann im Bulldozer-Führerhäuschen kann man sich „das Ekelpaket” (Calmund) zwar gut vorstellen, doch was die Bayer-Spieler wohl viel dringender brauchen, ist psychologische Betreuung. Bisher hat der barsche Trainer-Neuling nicht gezeigt, dass er auch subtilere Töne anstimmen könnte; die präziseste Diagnose ist aber nichts wert, wenn dem Patienten nicht die nötige Medizin verschrieben wird. „Wir kennen die Fehler und wir arbeiten dran” – mehr vermochte Hörster auch auf Nachfrage nicht zu verkünden. Man muss also weiter Angst um dieses begabte Team haben.“
Moritz Küpper (FR 26.2.) kommentiert die seitens RTL geäußerte Kritik gegenüber Bayer Leverkusen. „Nun ist es also auch beim Kölner Privatsender RTL angekommen: Im benachbarten Leverkusen herrscht Abstiegskampf, der Bundesligastandort Leverkusen ist ernsthaft gefährdet. Doch anstatt an die Zukunft von Bayer 04 zu denken, macht sich RTL-Sportchef Manfred Loppe Sorgen um seinen Mittwochabend, den Champions-League-Abend. Heute spielt Leverkusen in Newcastle, doch dem Verein ist das erklärtermaßen egal. Die Spiele sind nicht mehr als hochkarätige Tests. Für Loppe unverständlich: Mit bösen Befürchtungen (Zuschauer-Minusrekord) und Appellen (Der Verein ist dem Zuschauer verpflichtet) zeigt sich RTL besorgt um die unglaublich hohen Investitionen. Doch der Vorwurf ist alt – und nicht nachvollziehbar. Denn schon ganz andere, größere Vereine wie Real Madrid oder Bayern München haben, nachdem die Qualifikation für die nächste Runde geschafft war, ihr Stammpersonal geschont. So macht es nun auch Bayer, nur der Antrieb ist ein anderer. Im Bundesliga-Keller haben Argumente wie die Moral-Diskussion des TV-Partners oder die Uefa-Fünfjahreswertung kein Gewicht.“
Tim Bartz (FTD 28.2.) erkennt. „Wie fatal die Lage von Bayer Leverkusen derzeit ist, macht folgende Anekdote deutlich: Während seine Mannschaft am Mittwochabend bei Newcastle auf die Schlachtbank des europäischen Klubfußballs geführt wurde und sich mit 1:3 aus der Champions League verabschiedete, weilte der bemitleidenswerte Ober-Strippenzieher Rainer Calmund im heißen Brasilia – aktuelle Temperatur gestern: 29 Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit: 48 Prozent –, um dem verletzten Abwehrmann Lucio auf die Beine zu helfen. Der Manager muss schon arg verzweifelt sein, wenn er um die halbe Welt reist, um Wunderdoktor zu spielen. Für Lucios Verletzung ist das personifizierte Bayer-Rollkommando zwar nicht verantwortlich, wohl aber für die Verpflichtung des Ersatzmannes Cris, ebenfalls Brasilianer. Der spielt mittlerweile so erbärmlich, dass Calli besser den Fast-Namensvetter Chris vom Zweitligisten FC St. Pauli für äußerst schmales Geld verpflichtet hätte.“
Christian Zaschke (SZ 28.2.) urteilt hart. „England und Europa lachen ob dieses wunderbaren Witzes: Cris, der Fußballer. Munter verschuldet der angebliche brasilianische Nationalspieler Gegentor um Gegentor, er steht herrlich an den falschen Orten des Feldes herum, er staunt über das seltsame Spiel, das um ihn wogt. Leverkusen hat es mit Cris geschafft, zur witzigsten und unterhaltsamsten Mannschaft der Champions League zu werden. Dafür gebührt ihnen Dank. Das beste ist: RTL ist aufgrund der Fernsehverträge gezwungen, in drei Wochen das Spiel von Bayer gegen Inter Mailand zu zeigen, live, in voller Länge. Wenn die Fernsehmenschen klug sind, fordern sie, was jeder Freund der schönen Dinge, des Fußballs, der Samba und vor allem des Humors sich für alle Zukunft wünscht: Cris auf dem Platz.“
Thomas Kilchenstein (FR 26.2.) porträtiert Reiner Calmund. „Das Allerschlimmste wäre: Wenn er sich eingestehen müsste, dass er, der omnipotente Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Manager, Schuld auf sich geladen hätte am Untergang seines Lebenswerkes Bayer 04. Dass er, der Allesmöglichmacher, mehr oder weniger taten-, respektive hilflos mit ansehen müsste, wie sein gepäppelter Club durch den Rost rutscht. Wie könnte er damit leben? Weiter leben? Im Stadion spielt mein Leben, hat er mal gesagt. Auch in einem Zweitliga-Stadion? (…)Sind da, als Bayer Leverkusen fast ganz, ganz oben war, die entscheidenden Fehler gemacht worden? Hat er sich blenden lassen von der Sonne, die natürlich auch auf ihn, den Macher und Strippenzieher, nicht zu knapp schien? Oder andersrum: Was hat Calmund falsch gemacht? Hätte er Ballack und Ze Roberto halten müssen, um jeden Preis? Geld war ja durch die Erfolge in Hülle und Fülle vorhanden, allein für diese, bislang so verkorkste Saison hat Bayer Leverkusen 28 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Hätte er genauer gucken sollen, welche absoluten Wunschspieler Klaus Toppmöller denn da alles haben wollte für seinen Kader? Andererseits: Warum hätte er seinen gerade zum Trainer des Jahres 2002 gekürten Fußballlehrer bremsen sollen? Über solche Dinge zermartert er sich den Kopf. Es macht ihn mürbe. Denn Reiner Calmund, 54, ist auch Fan. Wahrscheinlich der größte, den Bayer 04 hat und je haben wird. Bayer 04 ist Calmund. Und umgekehrt. Der frühere Retortenclub hat eine Identifikationsfigur, mehr nicht: eben Calmund (…) Calmund war ein typischer Vereinsmensch. Und im Grunde ist er das noch heute: ein Vereinsmeier. Auf höchsten Niveau zwar, mit (von ihm aufgebauten) professionellstem Umfeld und mit einem millionenschweren Etat, mit linken Tricks und scheinbar immerwährender Medienpräsenz, aber immer für den Verein. Und immer schön menschelnd. Und Calmund, den jeder Calli nennen darf, genießt inzwischen Narrenfreiheit bei Bayer. Wer sollte ihn je feuern? Wer ihm je Fehler ankreiden? Bisher jedenfalls hat es der sympathische Chaot (Bayer-Finanzmanager Wolfgang Holzhäuser) immer geschafft, für Fehlentwicklung, missratenes Krisenmanagement oder Fehleinkäufe – etwa die Ribbeck-Verpflichtung, das Vogts-Missverständnis oder die Nibelungentreue zum Kokser Daum – nie zur Verantwortung gezogen zu werden. Neun Trainer hat der nette Herr Calmund in 15 Jahren als Bayer-Manager bislang entlassen müssen. Schweren Herzens, wie er sagt. Er sagt das immer, dass man ihm fast glauben mag. Die anderen sind halt schuld, nie er, der folkloristische Pate unterm Bayer-Kreuz. Reiner Calmund steht irgendwie doch nie auf der Seite der Verlierer.“
Peter Heß (FAZ 26.2.) auch. “Wer ist Reiner Calmund? Eine seltsame Frage. Kaum jemanden im Fußball-Geschäft meint man so gut zu kennen wie den Geschäftsführer der Fußball AG von Bayer Leverkusen. Der Dicke gibt ein so eindimensionales Bild ab, wie es bei 140 Kilogramm auf 1,73 Meter nur möglich ist. Der Pate, der Mann mit dem Geldkoffer, das dicke Bandito, der Macher, der Zampano. In allen Beschreibungen, die über ein Schlagwort hinausgehen, schwingen die gleichen Attribute mit: gerissen, gemütlich, jovial, witzig, sachkundig – ein Manager mit Leib und Seele. Don Camillo und Peppone in einer Person. Wer ist Reiner Calmund? Reiner Calmunds Antwort gerät nicht zum Wortschwall, mit dem er schon so viele Gesprächspartner in die Verzweiflung getrieben hat. Ein paar stockende, wenig aufhellende Sätze. Denkt der Mann so wenig über sich selbst nach? Dann streift er ein anderes Thema, packt es, und der Wasserfall plätschert los. Calmund sagt, was er will, nicht, was er gefragt wird. Calmund sagt, was, wie er meint, Bayer Leverkusen nützt – und ihm. Bayer und Calmund: Das ist sowieso untrennbar miteinander verbunden.“
Weiteres
„Barcelona kreidet das müde 0:0 gegen Inter dem Mailänder Rasen an“ SZ
Zum Ausscheiden des VfB Stuttgart aus dem Uefa-Cup liest man in der FTD (28.2.). „Hätte ihnen vor der Saison jemand prophezeit, dass sie überhaupt so weit kommen, wären die Stuttgarter vermutlich hoch zufrieden gewesen. Schließlich hat sich der Klub erst über den kräftezehrenden UI-Cup für das europäische Geschäft qualifiziert. Und der hoch verschuldete Verein startete als einziger Bundesligist ohne jeden Neuzugang in die laufende Saison. Doch nach den Erfolgen der vergangenen Wochen – der VfB steht in der Liga derzeit auf dem dritten Tabellenplatz – hatte der ein oder andere schon mit dem Erreichen des Viertelfinales geliebäugelt. Und so sagte der Trainer Felix Magath nach dem Spiel auch: „Natürlich müssen wir heute enttäuscht sein.“ (…) Es ist dieser jungen Stuttgarter Mannschaft hoch anzurechnen, dass sie sich auch in der zweiten Hälfte redlich mühte und sich nicht kampflos ihrem Schicksal ergab. Denn an eine Chance aufs Weiterkommen glaubten zu diesem Zeitpunkt wohl nur noch Fantasten. So dürfte der Trainer Felix Magath immerhin damit zufrieden gewesen sein. Genau das hatte er von seinem Team gefordert: „Ich möchte, dass sie auf jeden Fall vom Platz gehen und sagen, wir haben alles probiert.“ Dieser Einstellung ist es zu Verdanken, dass die Schwaben das Spiel durch ein Tor von Michael Mutzel am Ende sogar noch gewonnen haben. Auch wenn ihnen das nichts mehr geholfen hat.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Internationaler Stellenwert des deutschen Vereinsfußballs
Die Sportredaktionen beschäftigen sich diese Woche mit der – in Anbetracht der aktuellen weltpolitischen Ereignisse letztlich irrelevanten – Frage, welchen Stellenwert der deutsche Vereinsfußball derzeit hat. (mehr …)
Ballschrank
Schwalbenvergangenheit
Christoph Biermann (taz 6.2.). „Es ist nicht einfach, sich vorzustellen, wie schwer es ist, den ganzen Tag Bernd Hölzenbein zu sein. Man wacht morgens auf und ist Bernd Hölzenbein, beim Frühstück kommt man so wenig um den Umstand herum, Bernd Hölzenbein zu sein, wie später beim Einkaufen oder auf dem Golfplatz. Und ist abends wieder ein ganzer Tag als Bernd Hölzenbein vorüber, droht für den nächsten das Gleiche. Nun mag man sich fragen, was denn daran so schlimm sein soll, Bernd Hölzenbein zu sein, wo es einen noch viel übler erwischen könnte. Nicht auszudenken, als Paul Breitner aller Welt stets ihre Unfähigkeit vorhalten oder als Udo Lattek den Großtrainerdarsteller geben zu müssen. Doch anders als bei denen, sieht man Bernd Hölzenbein auf den ersten Blick an, wie schwer er an der Bürde trägt, Bernd Hölzenbein zu sein (…) 0:1 stand es, als Bernd Hölzenbein über die linke Seite in den niederländischen Strafraum lief und über die Beine von Wim Jansen stürzte. Stolperte? Zur Schwalbe abhob? Oder doch: gefoult wurde? Schiedsrichter Jack Taylor, der Metzger aus Wolverhampton, sah es jedenfalls so, entschied auf Elfmeter, den Paul Breitner zum Ausgleich verwandelte, bevor Gerd Müller den Siegtreffer erzielte.Bernd Hölzenbein ist seitdem nicht nur in Holland unvergessen. Als er die launige Begrüßung gehört hatte, kam er schmollend auf die Bühne, und da wurde jedem klar, warum es so schwer ist, Bernd Hölzenbein zu sein. Wenn dieser Elfmeter als Einziges von mir in Erinnerung geblieben ist, dann ist das schade. Ich finde, man sollte das Thema beenden, sagte Bernd Hölzenbein, und da gab es keinen Millimeter Platz für Ironie, selbst Franz Beckenbauer schaute für einen Moment fassungslos drein. Schließlich, sagte Bernd Hölzenbein jammernd, hätte er 420 Bundesligaspiele gemacht und dabei 160 Tore für die Eintracht geschossen. Das solle man nicht vergessen. Da nahm mich ein Kollege aus Frankfurt zur Seite, der mit Bernd Hölzenbein zusammen Fußball spielt, und sagte, dass der arme Mann seine Mitspieler daran fast jede Woche erinnern würde. Denn Bernd Hölzenbein lebt unter dem Fluch der Schwalbe, die sein Leben seit 29 Jahren zur Hölle gemacht hat. Ein freier Mann ist der 57-Jährige nie mehr geworden.“
Gesetzesverstoß
Der Verstoß von Alemannia Aachen gegen das Vertragsamateursrecht bleibt für diese ohne Folgen. Aber nicht für alle, wie Jan Christian Müller (FR 6.2.) einwirft. „Aachen wird seine verbandsgesetzwidrig eroberten sieben Punkte also nicht zurückgeben müssen, es sei denn, ein ordentliches Gericht entschiede, dass die entsprechenden DFB-Ordnungen gegen Treu und Glauben verstoßen, wovon beileibe nicht auszugehen ist. Laut Verband können persönliche Geldstrafen (Verjährungsfrist: fünf Jahre) gegen die vielleicht ja nur schusseligen, vielleicht doch arglistigen Aachener Lügenbarone ausgesprochen werden, die den arglosen Schiedsrichtergespannen die falsch ausgefüllten Spielberichtsbögen untergejubelt haben. Aber davon hat Unterhaching rein gar nichts. Irgendwie kann einem der Underdog aus dem Alpenvorraum inzwischen wirklich Leid tun, weil ihm so viel Böses widerfährt: Rein in die Liga zwo, weil Reutlingen Bilanzen frisiert und raus muss, Reutlingen wieder rein, Haching wieder raus, die Eintracht aus Frankfurt raus, Haching wieder rein, die Eintracht doch drin, die Hachinger wieder raus. Und jetzt die Chose mit Aachen. Es gibt keinen lieben Fußball-Gott. Noch nicht mal in Bayern.“
Fanprotest
Marc Basten (vom Gladbacher Fanzine Torfabrik) kritisiert die Anstoßzeit des Mönchengladbacher Nachholspiels. „Die DFL beugt sich dem Diktat der Geldgeber vom Fernsehen, in diesem Fall die Freunde von Premiere. An diesem Mittwoch gibt es ab 20.45 Uhr live den 3. Spieltag der zweiten Gruppenphase der Champions-League. Wenn die Königsklasse übertragen wird, möchte Premiere das Pflichtprogramm Bundesliga hinter sich haben und daher wird das Spiel Gladbach gegen Wolfsburg eben um 18.15 Uhr angepfiffen. Auch zu früheren Zeiten wurden Nachholspiele so gelegt, dass sie etwaigen Live-Übertragungen anderer Spiele nicht in die Quere kamen. Damals allerdings unter dem Aspekt, dass die Zuschauer nicht ins Stadion gehen um Bundesliga zu schauen, wenn gleichzeitig ein vermeintliches Top-Spiel im Fernsehen übertragen wird. Man wollte also die Vereine vor Mindereinnahmen bewahren, waren doch seinerzeit die Zuschauer die größte Einnahmequelle. Heute gibt es das große Geld vom Fernsehen und was der gemeine Fan will, zählt schon lange nicht mehr. Für den Großteil der Anhänger von Borussia Mönchengladbach bedeutet die Anstoßzeit um 18.15 Uhr ganz einfach, dass sie dieses Spiel nicht im Stadion erleben können. Viele Fans reisen von weit her an, aber selbst diejenigen, die „gleich um die Ecke wohnen, werden im berühmt berüchtigten Feierabendverkehr auf den Autobahnen rund um Mönchengladbach verdammt viel Glück brauchen, um den Bökelberg pünktlich zu erreichen. Und nicht alle werden einen Tag Urlaub opfern (können), um sich rechtzeitig auf den Weg zu machen. Diese Spielansetzung ist eine bodenlose Frechheit. Nicht nur die Fans werden veräppelt, sondern auch der Verein benachteiligt. Der Bökelberg wird bei dieser eminent wichtigen Partie ziemlich trostlos besetzt sein und damit schrumpft der Heimvorteil ganz eindeutig. Doch gegen die Macht der Geldgeber scheint es keine Mittel zu geben. Der Verein schluckt die Kröte mit allen Konsequenzen, den treuen Fans bleibt der nackte Hintern der DFL im Gesicht.“
Das DFB-Aufgebot für das Länderspiel in Spanien (12. Februar) FR
Ligareformen in Italien?
Zum italienischen Reformvorhaben, die beiden oberen Ligen zusammenzulegen, meint Birgit Schönau (SZ 5.2.). „Bis jetzt ist es nur eine Idee, aber was für eine. Der italienische Profiligaverband Lega Calcio, angeführt von dem Berlusconi-Statthalter beim AC Mailand, Adriano Galliani, will die Serie B, die italienische 2. Liga, abschaffen. Das Argument: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft könne sich der Profifußball angesichts eines Defizits von 1,5 Milliarden Euro nicht mehr leisten. Deshalb: Alle in die Serie A, 40 Mannschaften, Nichtabstiegsgarantie für die großen Klubs, ewiges Mauerblümchendasein für die Chievos, die meinen, gut Fußball spielen reiche aus, um etwa einen Champions- League-Platz zu ergattern. „Der Abstieg in die zweite oder dritte Liga kostet unsere Klubs zu viel“, sprach Adriano Galliani, und wie sein großer Boss („90 Prozent der Italiener stehen hinter mir“) jongliert auch der ewige Vize souverän mit der Statistik. Eine Klasse tiefer bedeute 60 Prozent weniger Umsatz. Was lernt man daraus? Trainer wechseln und besser spielen, könnten diejenigen antworten, die nichts begriffen haben. Von wegen. Wenn das Absteigen zu teuer sei, so Gallianis Kopernikanische Wendung, müsse man es eben abschaffen (…) Und wie geht es jetzt weiter? Wie soll man 40 Klubs in einer Saison aufeinander treffen lassen? Da gibt es mehrere, putzige Modelle. Etwa die Organisation nach Gruppen wie in der Champions League. Vorteil: Die Kleinen dürfen anfangs ein bisschen mitspielen, die Großen bleiben später unter sich. Chievo? Wozu hat man Schiedsrichter. Nachteil: Wissenschaftlich erwiesene Langeweile. Aber man kann sich nicht um alles kümmern, schon gar nicht ums Publikum. So groß ist der Sparzwang doch nicht, dass man auf den Einsatz von Bällen verzichten würde. Na also. Jetzt behauptet die ansonsten ganz und gar linientreue Gazzetta, Galliani wisse selbst sehr gut, dass sein Vorschlag überhaupt nicht funktionieren könne. In Wirklichkeit schwebe ihm eine „Superliga“ vor wie die amerikanische NBA „unabdingbar sind ein großes Stadion, ein großer Flughafen und viele Tifosi.“ Für den Anfang täten es auch ein paar Damenklos in den Stadien, möchte man den Erneuerungswütigen zurufen. (Wissend, wie abwegig das ist, Mailand hat schließlich auch keine Kläranlage.)“
Dirk Schümer (FAZ 6.2.) schreibt zum selben Thema. „Das neue System, nach dem alle in einen Topf geworfen werden, soll deshalb die Großstadtvereine nach amerikanischem Vorbild auf ewig im bezahlten Fußball absichern. Man könne es sich nicht mehr leisten, jede Saison vier Vereine absteigen zu lassen und damit ins wirtschaftliche Nichts zu stoßen. Sportliche Fehler oder Mißwirtschaft würden demnach in Zukunft nicht mehr bestraft, während innovative Klubs von außen gar nicht erst in den erlauchten Zirkel der 40 oder 42 Profivereine vordringen könnten. Kein Wunder, daß dieses Modell nach dem Geschmack manchen Klubeigners wäre (…) Nicht grundlos wird in Italien gemutmaßt, Großvereine wie Inter Mailand, Juventus Turin oder AS Rom könnten die finanzielle und sportliche Bankrotterklärung der Lega Calcio nutzen, eine eigene Meisterschaft der Besten auszurufen und sich auf alle Zeit des Ballasts der Unterklassigen zu entledigen. Bei alldem ist der publizistische Widerstand gehörig. Durchgehend bemängeln die Kommentatoren, hier würden sich genau die Präsidenten, die mit Phantasiegehältern, Trainerkündigungen und kommerzieller Ahnungslosigkeit den italienischen Fußball heruntergewirtschaftet haben, jetzt zu Rettern in tiefster Not aufschwingen. Ich ertrage nicht mehr die immergleichen Gesichter, schrieb der Kommentator der linken Tageszeitung Repubblica, die über den Fußball so reden, als wäre er der Teppichboden bei ihnen zu Hause. Ausgerechnet die Serie A, der einzige Teil der Ligen, der noch echtes Interesse wecke, solle nun zugunsten der Erfolglosen verwässert werden. Daß es mit dem hergebrachten Klüngel und der notorischen Verschwendung nicht mehr weitergehen kann, haben inzwischen, da in vielen Vereinen die Gehälter nicht mehr bezahlt werden, der Spielermarkt quasi zum Erliegen kam und ein reguläres Ende der Saison durchaus fraglich ist, nicht nur die schärfsten Kritiker verstanden. Dennoch riecht dieser Reformversuch, der am 14. Februar als Diskussionsgrundlage zwischen Fußballverband und Liga dienen soll, nach Panik. Nicht einmal die sportliche Kernfrage, wie denn Italiens Spitzenklubs in einer Liga mit vielen Zweitklassigen ihre internationale Konkurrenzfähigkeit erhalten können, hat offenbar eine Rolle gespielt.“
Asien-Trend
Martin Hägele (FR6.2.) ist der Auffassung, dass die Orientierung nach Asien überfällig war. „So langsam schwant der Liga, dass dort ein riesiges Marktpotenzial vorhanden ist. Indes: Das haben andere Ligen in Europa schon viel eher gemerkt (…) Michael Pfad, in der Deutschen Fußball Liga (DFL) zuständig für Kommunikation und PR, räumt ein, man könne nur über außergewöhnliche Maßnahmen den Rückstand gegenüber dem Einfluss und den Einnahmen aus der TV-Vermarktung von Premier League, Serie A und Primera Division aufholen. Pfad schwebt eine Saison-Eröffnung der Bundesliga in Peking oder Yokohama vor, und wieso solle nicht Rudi Völler einmal durchs Land der Mitte reisen und chinesische Talente schulen. Oder Olli Kahn in Japans größter Fernseh-Show auftreten. Man brauche verrückte Ideen, um auch entsprechende Aufmerksamkeit zu erreichen, glaubt Pfad. Es kann tatsächlich nicht schaden, wenn die DFL auf diesem Gebiet strategisch denkt. Das ist weit besser, als Trends oder gar einen Boom zu verschlafen, wie das Klaus Schlappner behauptet. Der Elektromeister aus Biblis hatte zu Beginn der neunziger Jahre als National- Trainer und Berater des chinesischen Verbands alle nur möglichen Türen nach Peking geöffnet, nur wollten deutsche Fußball-Funktionäre ihrem Landsmann nur ungern folgen. Zu jener Zeit, erinnert sich Schlappner, hätten Wirtschaftsminister aus England und Italien ihre besten Fußball-Mannschaften als Präsente zum Staatsbesuch mitgebracht. Die Deutschen schwadronierten derweil von der Bundesliga als besten Liga der Welt, ließen sich Jahrzehnte lang gemächlich vom Deutschen Fußball-Bund führen, und merkten gar nicht, wie allen voran die professionell organisierte englische Premier League sich längst zum Global Player entwickelte. Die Zeiten, da die Bundesliga in China an erster Stelle stand, wenn es um Fußball-Übertragungen ging, sind jedenfalls vorbei. In Japan kommt der deutsche Fußball trotz des heißen WM-Fiebers aus dem vergangenen Sommer praktisch nicht vor, im Gegensatz zur Premier League. Es gibt also einiges aufzuholen.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Ein Ultimatum oder die längste Trainerentlassung der Welt
„die einen nennen es Ultimatum, für die anderen ist es die längste Trainerentlassung der Welt“ (BLZ) – Andreas Thom, Assistent und vorläufiger Nachfolger, „gilt als glänzender zweiter Mann, er ist der Harry. Für ein paar Spiele muss er nun den Derrick geben“ (BLZ) – “Berlin braucht Hertha nicht, aber Hertha braucht Berlin” (Tsp)– „Hertha und Huub, das hat einfach nicht gepasst“ (FR)
of Hertha BSC Berlin bekommt von Werder Bremen den Tarif bekannt gegeben (1:6) und entlässt Trainer Huub Stevens; was schreiben die Zeitungen? Die SZ hält die Entlassung für „das späte Eingeständnis eines Fehlers“: Berlins Manager Dieter Hoeneß hielt lange an seiner Wahl Stevens fest – trotz sportlichen Fehlschlag und trotz gegensätzlichen Ratschlägen der Presse. Die BLZ würde sich nun Besserwisserei gerne verkneifen: „Stevens, Hoeneß und Hertha BSC – die einen nennen es Ultimatum, für die anderen ist es die längste Trainerentlassung der Welt“ und vergießt Krokodilstränen über das „Ende keiner Ära“. Die FAZ erkennt bei der Pressekonferenz den dünnhäutigen Dickkopf wieder: „Daß Stevens in Bremen die Leistung seiner Spieler schönredete und einen Rücktritt ausschloß, paßt ins Bild des Mannes mit steinerner Fassade: Er wollte keine Schwäche zeigen. Unter seinem Scheitern wird der verkniffene Ehrgeizling, der als Trainer noch nie vorzeitig aus einem Vertrag entlassen wurde, noch Monate zu leiden haben.“
Wer wird Nachfolger Stevens’ bei Hertha? Die NZZ meint, dass dem Klub beim Verfassen der Stellenanzeige die Feder geführt werden muss: „Der Mann soll den Erfolg zurückbringen, er muss nicht auf dem Ku‘damm singen.“ Den Berlinern wird nachgesagt, beim Vorstellungsgespräch auf Redekunst, Scheitel und Garderobe zu achten, auf Maßanzug, Seidenkrawatte und rahmengenähte Schuhe.Vorläufig hat man Assistent Andreas Thom auf die Trainerbank gezerrt – oder wie Thom meckert: „mit der Aufgabe konfrontiert“. Die BLZ fühlt mit ihm: „Thom gilt als glänzender zweiter Mann, er ist der Harry. Für ein paar Spiele muss er nun den Derrick geben.“
Berlin braucht Hertha nicht, aber Hertha braucht Berlin
Sven Goldmann (Tsp 5.12.) schreibt ein Soziogramm der Hauptstadt: „Der Berliner leidet nicht, der Berliner arrangiert sich. Seine Ideologie ist der Pragmatismus. In Berlin wird ein schwuler Bürgermeister nicht nur akzeptiert, sondern geschätzt, ja hofiert. Berlin lebt gut mit den Nachfolgern der Mauerbauer in der Regierungskoalition und mit seinem zurzeit so erfolglosen Fußballverein. Niederlagen bringen hier niemanden um den Schlaf. Der Gelsenkirchener schließt seine Schalke-Mannschaft ins Abendgebet ein, der Berliner rührt bei Siegen anerkennend die Hände zum Beifall. Bedingungslose Loyalität ist ihm fremd, spätestens seit dem Bundesligaskandal in den siebziger Jahren, als Herthas Profis sich für Niederlagen bezahlen ließen. In Kaiserslautern würde der Bürgermeister zur Not sein Büro als Umkleidekabine zur Verfügung stellen. Wann hat man Klaus Wowereit zuletzt auf der Ehrentribüne des Olympiastadions gesehen? Herthas Manager Dieter Hoeneß ist Schwabe, und er hat die Distanz der Berliner wechselweise als Herzlosigkeit und Undankbarkeit interpretiert. Hoeneß hat für Hertha in den vergangenen sieben Jahren ein deutsches Spitzenteam zusammengekauft, er hat dem Verein ein seriöses Image gegeben und ein runderneuertes Stadion, es wird im kommenden Jahr fertig. Und wie wird es ihm gedankt? Mit freundlicher Zustimmung in Zeiten des Erfolges, mit Häme und Gleichgültigkeit in der Krise. Warum nur wird seine Zuneigung zu dieser Stadt nicht erwidert? Berlin heischt nicht um Liebe und Bewunderung, Berlin setzt beides als Selbstverständlichkeit voraus. Wenn jemand der Stadt seine Zuneigung versagt, reagiert Berlin nicht beleidigt, sondern gleichgültig, im besten Fall verwundert oder mitleidig. Selbst schuld. Wer hier nicht gut genug ist, der fällt durch. Als vor ein paar Jahren das SchillerTheater geschlossen wurde, heulten die Künstler und Feuilletons in ganz Deutschland auf. Den Berlinern war es herzlich egal. Hingegangen ist eh keiner mehr. Genauso sieht es mit Hertha BSC aus. Sollen sie halt besser spielen, die Herrschaften, dann werden die Berliner Fußballfans auch wieder ins Olympiastadion kommen. Berlin braucht Hertha nicht, aber Hertha braucht Berlin (…) Es kommt nicht von ungefähr, dass in Berlin so viele Bayern-München-Fans wie in keiner Stadt außerhalb Bayerns leben. Der Berliner bewundert die Münchner Eleganz und Fußballkunst. Im Fußball, da darf München ruhig die Hauptstadt sein.“
Wer soll neuer Trainer bei der Hertha werden? Ein Tsp-Aufruf zur Abstimmung
Martin Hägele (NZZ 5.12.) kommentiert die Entlassung Stevens’: „Nach anderthalb Dienstjahren in Berlin wurde aus Huub Stevens jetzt doch der „fliegende Holländer“; endlich und viel zu spät, wie viele Zeitungen in der Hauptstadt das Ende des Hertha-Coaches kommentieren. Aus den Nachrufen auf den 50-jährigen Fussball-Lehrer lässt sich neben viel Erleichterung und mancher Häme auch jene Erkenntnis herauslesen, dass es einfach nicht funktioniert hat zwischen dem knurrigen und introvertierten Niederländer und dem Berliner Gemüt, das so gern aus sich rausgeht und mehr aus sich macht. Auf Schalke, dem ehemaligen Arbeitgeber, hatte die Chemie gestimmt zwischen dem Publikum und der Leitfigur Huub, doch einer wie Stevens kann nicht einfach raus aus dem Trainingsanzug, eine Krawatte umbinden und sich vorm Spiegel in jenen internationalen Fussballchef verwandeln, wie man sich ihn vorgestellt hatte bei dem ganz auf Champions-League-Denkart ausgerichteten Klub aus der Hauptstadt. Die Schalker sind übrigens die Lieblingsgegner der Hertha-Fans, und die mögen die Berliner auch nicht. Manager Hoeness muss nun aufpassen, dass es beim nächsten Stühleräumen nicht auch ihn erwischt – denn Hoeness hatte bis zuletzt geglaubt, dass es nach mehreren Abreibungskämpfen am Ende doch zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen könnte. Stevens war sein Mann, war seine Idee gewesen – und ein Hoeness kämpft für seine Überzeugung auch gegen eine Übermacht an. Nach den drei jüngsten Niederlagen konnte auch Hoeness keine Argumente oder Emotionen mehr liefern für Stevens; schliesslich hat man in Berlin ein warnendes Beispiel aus dem letzten Winter vor Augen, als Bayer Leverkusen durchgereicht wurde bis in die Abstiegszone und es viel zu lange dauerte, ehe sich der Konzernklub von dem in dieser bedrohlichen Situation psychisch aufgebrauchten Coach Toppmöller trennte.“
Den vertrauensvollen Kontakt zur Außenwelt verloren
Peter Heß (FAZ 5.12.) tröstet: “Stevens hatte alles versucht. Der Einsatz von 23 Feldspielern zeigt, wie sehr der Trainer rotierte. Die Abwärtsentwicklung beschleunigte er dadurch nur. Die Rolle des coolen, überlegten Fußballstrategen, sein Markenzeichen, spielte Stevens schon länger nicht mehr überzeugend. Weder in der Öffentlichkeit, wo er als übelgelaunter Gesprächspartner die Medien verschreckte, noch vor der Mannschaft, die er durch seine Sprunghaftigkeit in der Personalwahl verunsicherte. Daß er ausgerechnet Nationalstürmer Fredi Bobic aus disziplinarischen Gründen ausmusterte, wirkte auch nicht belebend auf den Rest der Mannschaft. Der einsame Streiter, der nach eigenen Angaben gerne eine Mauer um sich zieht, hatte den vertrauensvollen Kontakt zur Außenwelt weitgehend verloren. Deswegen ist Huub Stevens kein schlechter Trainer, er gehört sogar zu den besseren, das hat er oft bewiesen. Die Station Hertha wird für den Niederländer kein Wendepunkt zum Schlechteren in der Karriere werden. Ein bißchen Ruhe und Abstand gewinnen, ein bißchen zu sich selbst zurückfinden: dann geht es schon weiter – und wenn Stevens sich nicht mehr so einmauert, um so besser.“
Sven Goldmann (Tsp 5.12.) zählt die Narben: „Am Ende gibt es nur Verlierer: Huub Stevens, weil er über Wochen in aller Öffentlichkeit vorgeführt wurde als ein Mann, der trotz aller erdenklicher Unterstützung ein sportliches Problem nicht in der Griff bekommen hat. Die Mannschaft, weil sie mittlerweile so stark verunsichert ist, dass aus dem anfänglichen Kokettieren mit dem Abstiegskampf längst Wirklichkeit geworden ist. Und Dieter Hoeneß, weil er seinen Verein beharrlich und resistent gegen jede Form von Beratung in die Krise manövriert hat.“
Hertha und Huub, das hat einfach nicht gepasst
Reinhard Sogl (FR 5.12.) schreibt Dieter Hoeneß ins Stammbuch: „Hertha und Huub, das hat einfach nicht gepasst. Nicht an Stevens so lange festgehalten zu haben, war ein Kardinalfehler, sondern die Verpflichtung des Niederländers als solche. Dass Stevens ein Mann vom Fach ist, steht außer Frage. Doch ebenso, dass er vom ersten Tag an seines Engagements in Berlin einen überaus schweren Rucksack zu tragen hatte, weil er nicht nur den erfolgreichen Interimstrainer Falko Götz ablöste, sondern für die nicht als zimperlich bekannten Hertha-Fans als langjähriger Coach von Schalke 04 gewissermaßen das Böse verkörpert hatte, der sich dazu noch mit den Galionsfiguren anlegte. Die latente Gefahr unterschätzt zu haben, dass Stevens schneller als andere Trainer Volkes Zorn zu spüren bekommen würde, muss sich Hoeneß vorwerfen lassen. Jetzt steht auch der Manager in der Kritik, der eine Machtfülle besitzt wie kaum ein Zweiter in der Liga. Vielleicht sollte die Firma Hoeneß BSC, wie der Berliner Bundesligist von den Hauptstadtgazetten bezeichnet wird, künftig auch in der Geschäftsstelle mehr das Mannschaftsspiel pflegen.“
Christof Kneer Michael Jahn (BLZ 5.12.) stellen uns Andreas Thom wor: „Es hat eine gewisse Ironie, dass nun ausgerechnet Andreas Thom mit den vorübergehenden Reparaturarbeiten beauftragt worden ist. Auch an seiner Person lassen sich die personellen Verwirrungen ablesen, die im Laufe der Jahre über Hertha gekommen sind. Als Thom im Januar 1998 für 900 000 Mark von Celtic Glasgow zu Hertha kam, gehörte das zur Oststrategie des Vereins; mit Spielern wie Thom, Herzog, Wosz, Tretschok oder später Rehmer wollte der Klub in beiden Teilen der Stadt ankommen. Nur wurde die Ostphase kurz darauf von der Wir-sind-jetzt-ein-Weltklub-Brasilien-Phase abgelöst, worauf die Wir-kaufen-jetzt-übrigens-Typen-Phasen folgte. Nun ist es an Thom, das schwer Mischbare vorübergehend zu mischen. Man muss wohl aus dramaturgischen Gründen hoffen, dass Thom mindestens bis übernächsten Sonnabend auf Herthas Bank Platz nimmt. Dann kommt der TSV 1860 mit Falko Götz, mit dessen Schicksal das Schicksal des Andreas Thom stets eng verbunden war. Als Götz und Dirk Schlegel 1983 in Belgrad in den Westen flohen, rückte stattdessen ein 17-Jähriger in den Kader des BFC Dynamo: Andreas Thom.“
sid-Interview mit Dieter Hoeneß
Die Antrittsrede Andreas Thoms Tsp
Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208
Ballschrank
Erfolgsrezept von Erik Gerets
Jörg Kramer (Der Spiegel 19.4.) erläutert das Erfolgsrezept von Erik Gerets, (Trainer des 1. FC Kaiserslautern). „Dass ausgerechnet Basler, lange einer der gesprächigsten Wortführer beim 1. FC Kaiserslautern, Befehle empfängt, ist ein deutliches Indiz für den umsturzartigen Wandel, der sich beim Pfälzer Bundesligisten in den vergangenen Monaten vollzogen hat. Wie der früher nicht minder mitteilsame Georg Koch, 31, der seinen Stammplatz im Tor an den erst 21-jährigen Tim Wiese verlor, hat sich auch der Exzentriker vom rechten Flügel seiner Anführerschaft entledigt und in die Rolle des stets disponiblen Mitläufers gefügt. So konnte der Club vorigen Dienstag erwartungsgemäß Personalien bekannt geben, die keinen mehr aufregten: Die Verträge der beiden früheren Häuptlinge Koch und Basler werden nicht mehr verlängert. Für Clubchef René Jäggi ist dies das Resultat einer Meisterleistung des Trainers. Gerets, staunt der FCK-Boss, könne Wahrheiten verabreichen, ohne dass es zu einer Meuterei kommt. Das sind Dinge, die ihn zu einem Großen machen. Gerets, 48, der Erneuerer aus Belgien, hat nicht weniger geschafft als eine Wiederbelebung des im Herbst noch für hinüber gehaltenen Traditionsclubs der Roten Teufel. Seit der Winterpause hat der lebhafte Flame alte Seilschaften in der Mannschaft zerschlagen, die althergebrachte Teamhierarchie gekippt und die Untergebenen Disziplin am Arbeitsplatz gelehrt. So tritt die Elf inzwischen als geschlossene Einheit mit modernem Spielsystem auf – mit Viererkette hinten und funktionierendem Flügelspiel vorn. Damit hat er 86-malige belgische Nationalspieler, der im September auf den offenkundig konzeptlosen Teamchef Andreas Brehme folgte, nach schleppendem Start rechtzeitig die Kurve gekriegt. Das Team, Anfang März noch Tabellenletzter, hat nach zwölf Pflichtspielen ohne Niederlage die Abstiegsregion auf Distanz gebracht und das DFB-Pokalfinale erreicht. Und der Teufels-Trainer (Bild) stieg zur regionalen Kultfigur auf, der die halbe Pfalz sogar bei dem aussichtslosen Unterfangen beispringt, das ihm vor der Wohnung geklaute Auto wiederzufinden. Schon jetzt hat er die weit verbreitete These widerlegt, wonach es in sportlicher Not unbedingt jener Feuerlöscher aus der Trainergilde bedarf, die für kurzfristige Erfolge bürgen, einem anschließenden Neuaufbau mangels eigener Gestaltungskraft jedoch meist im Wege stehen. Der Präzeptor Gerets braucht einen langen Anlauf und hat einen langen Atem. De Leeuw, der Löwe, wie sie den knorrigen Verteidiger in Belgien nannten, ist auch kein Schauspieler wie der Neu-Wolfsburger Jürgen Röber, der neuerdings klingt, als hätte er ein Tonband mit Sätzen des Altmeisters Otto Rehhagel verschluckt. Gerets, der stets bemüht ist, Konflikte im Dialog zu lösen, sagt: Ich lebe Kommunikation. Das muss selbst Basler, den einsilbig gewordenen Zampano, beeindruckt haben.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Menschenhandel in Nürnberg
Vor dem Rückrundenstart der Bundesliga – Portrait Stefan Reuter Tomás Rosický – Nowotny vor Comeback – die Perspektiven des VfB Stuttgart – asiatischer Trend in der Liga – „Menschenhandel“ in Nürnberg – schlechtes Zeugnis für Nachwuchsarbeit u.v.m. (mehr …)
Ballschrank
Ein Duell, das nicht stattfindet
„Ein Duell, das nicht stattfindet. Angekündigt, hochgejazzt, doch dann haben die Revolverhelden nur Platzpatronen im Colt“, vermisst die taz die Brisanz der Rückkehr Effenbergs ins Münchner Olympiastadion. Die Atmosphäre war zwar freundlich, das sportliche Ereignis – Bayern siegte glücklich mit 1:0 – belanglos, weswegen die Zeitungsexperten heute diesem Geschehen nicht allzu viel Aufmerksamkeit widmen. „Wie soll man sich aber erklären, dass nach 90 Minuten außer Schiedsrichter Merk niemand einen einzigen Pfiff ertönen ließ? Hat das Münchner Publikum alle Ansprüche fahren lassen und sich an lustlos abgedrehte B-Movies gewöhnt, deren einzig akzeptabler Aspekt das Happy-End ist?“ fragt die SZ erstaunt.
Im Vordergrund dieses „unscheinbaren bis unangenehmen 13. Bundesliga-Spieltags“ (FAZ), steht daher erneut die Schiedsrichterdebatte, die von umstrittenen Entscheidungen in Leverkusen, München, Rostock, Hannover und Cottbus gefüttert wurde. Doch mehren sich erfreulicherweise die Stimmen derjenigen, die die Referees ob derer schwierigen Aufgabe in Schutz zu nehmen versuchen. Besondere Wirkung entfachen solche Standpunkte, wenn sie aus dem Mund eines Benachteiligten kommen; wie im Falle von Gladbach-Coach Hans Meyer, der dem Spielleiter zu seiner Leistung gratulierte, obwohl dieser ein Handspiel des Leverkusener Torschützen Daniel Bierofka übersah.
Zum Sportlichen: Das beste Spiel fand nach allgemeinem Konsens in Hannover statt, wo starke Gastgeber den noch stärkeren Herthanern mit 0:1 unterlagen. „In Berlin entsteht nach wechselhaften Wochen das Gefühl, gereift und zu Großem bereit zu sein“ bemerkt die FAZ in freudiger Erwartung fußballerischer Großtaten.
Roland Zorn (FAZ 18.11.) fasst die Ereignisse des vergangenen Wochenendes zusammen. „Schlechte Stimmung in Deutschland. In der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft – und auch im Fußball. Dort allerdings ist es alle Jahre wieder dasselbe Lied: Wenn’s draußen novembert, wird’s auch grau auf den dauergrünen Wiesen der 18 Bundesliga-Klubs. Spätestens dann beginnt im Tiefparterre das große Zittern um die weitere Klassenzugehörigkeit, während sich in der Beletage erste Ermüdungserscheinungen nach zu vielen Duellen auf der nationalen wie internationalen Bühne bemerkbar machen. Zu der saisonal üblichen Dosis Kampf und Krampf gesellt sich in diesem Jahr ein ganz besonderes Reizklima, weil das Verhältnis zwischen Spielern und Schiedsrichtern zum Zerreißen gespannt ist. Daran hat sich auch am dreizehnten Spieltag nichts geändert, als die Unparteiischen allein in den sieben Begegnungen vom Samstag viermal das Stoppsignal Rot und einmal das Haltzeichen Gelb-Rot setzten.“
Im Rahmen der allgemeinen Schiedsrichterdiskussion – es grassiert der Vorschlag, Referees mit Hilfe von Polizeispezialisten durchgeführten Seminaren auf Konfliktsituationen auf dem Spielfeld vorzubereiten – übt Jan Christian Müller (FR 18.11.) massive Kritik, wobei er sich nicht ausschließt. „Soweit ist es nun also bereits gekommen. So wie Ordnungshüter darauf trainiert werden, Kriminellen fachgerecht die Handschellen anzulegen, ohne vorher vertrimmt und hinterher im Notarztwagen vom Tatort abtransportiert zu werden, lassen sich alsbald auch Deutschlands Elite-Schiedsrichter schulen, auf dass sie in Zukunft besser mit unbelehrbaren Fußball-Profis klar kommen (…) Zum Beispiel mit so einem wie Giovane Elber, der vor einer Woche fand, mit Vollspann in Richtung Vorderhirn des Dortmunder Torhüters Jens Lehmann treten zu können, dabei glücklich mit einer Gelben Karte wegkam und diese überflüssige Rücksichtnahme auf sein zerbrechliches Selbstwertgefühl sieben Tage später gehörig missinterpretiert: Ein lediglich mit einer ernsthaften Ermahnung geahndeter Check gegen seinen Wolfsburger Gegenspieler verführt ihn dazu, den selben Mann keine zehn Sekunden später nochmals mit dem Ellbogen ins Visier zu nehmen. Erst dann gibt es – leider zu spät – Gelb. Elber muss gehofft haben, dass sein zweites Vergehen im Rücken des Schiedsrichters stattfinden würde. So, wie ein Halbstarker beim Raubüberfall davon ausgeht, dass die alte Oma ihn sowieso nicht einholen kann und sich auch nicht traut, um Hilfe zu schreien. Elbers Verhalten vom Samstag steht exemplarisch für die zunehmenden, von uns Medien jahrelang nicht scharf genug gegeißelten Bösartigkeiten auf dem Fußballplatz.“
René Martens (FTD 18.11.) dagegen hält die Hitze der Debatte für übertreiben. „All die Aufregung lässt darauf schließen, wir hätten miterleben müssen, dass in einem Bundesligastadion zum Schutz des Schiedsrichters Polizisten aufs Spielfeld stürmen, einem Spieler per Schlagstock eine Platzwunde und einem Trainer eine Ladung Tränengas verpassen. So erging es Ende Oktober in Brasilien zwei Angestellten des FC Santos. Und haben wir in Deutschland etwa gerade Schurken à la Byron Moreno erlebt? Der Ecuadorianer kippte Italien aus dem WM-Turnier – danach konnte er sich ein Haus kaufen und seine Schulden abbezahlen. In Ecuador ist er gesperrt, weil er in einer Partie zwölf Minuten nachspielen ließ, sodass die Richtigen gewinnen konnten. Doch hier zu Lande nichts. Kein Skandal nirgends, und dennoch ist die Hysterie schon so groß, dass ein Blutgrätscher wie Christian Beeck plötzlich als sympathischer Bursche verklärt wird, weil er Opfer eines Schiedsrichters wird, der vermeintlich das Gefühl in seinen Fingerspitzen vergisst, wenn er Torschützen auf Zäunen jubeln sieht. Die Rechtfertigung des Exekutors Meyer aus Burgdorf –- bei Hannover! – mag hölzern klingen. Aber dass Schiris das Regelwerk der Fifa so uneingeschränkt solidarisch verteidigen wie Kardinäle die Haltung des Papstes in Sachen Abtreibung – das ist ja nicht neu.“
Hannover 96 – Hertha Berlin 0:1
Vom 1:0-Erfolg der Hertha in Hannover ist Dietrich zur Nedden (taz 18.11.) sehr angetan. „Sieben Minuten gespielt und kein einziges Foul, auch keines, das unbemerkt geblieben war. Der große Zeiger drehte drei weitere Runden, bis sich ein Herthaner erbarmte und gegen Bobic regelwidrige Methoden anwendete. Danach folgten fünf weitere Minuten ohne Foulspiel. Diese friedvolle Viertelstunde verbrachten Hertha und 96 aber nicht etwa mit Nichtstun, sondern spielten hochorganisierten Fußball, der beinahe so aussah, als sei das ganz einfach. Direkt, schnell und präzise lief der Ball hin und her, wobei die Hannoveraner eine Idee weniger direkt, schnell und präzise kombinierten als die Berliner. Was die nämlich in ihrem Drang nach vorne inszenierten, machte einen so starken Eindruck, dass Dieter Hoeneß später sagen durfte: „besser kann man nicht spielen“, und man ihm spontan erst mal nicht grundsätzlich widersprechen wollte. Mit dem, was Hertha zeigte, können die diversen Investoren zufrieden sein, die in der Hauptstadt partout einen Fußballklub von Weltniveau züchten wollen. Eine schreckliche Ahnung lag in der Luft: Lässt sich Erfolg etwa doch kaufen?“
Raimund Witkop (FAZ 18.11.) sieht das ähnlich. „Der Unterhaltungswert des Nachmittags war kaum noch zu steigern, also versuchte es Huub Stevens gar nicht erst: „Wir sind auf dem Weg, da entwickelt sich etwas.“ So nüchtern resümierte der Trainer von Hertha BSC Berlin den 1:0-Erfolg bei Hannover 96 in einem hervorragenden Spiel. Um das Niveau der Partie auch rhetorisch zu halten, hätte Stevens nur einfallsreich genug loben müssen. Das aber ist die Sache des Holländers nicht, der statt dessen zu nörgeln begann: Man habe nach der frühen Führung – Bart Goor in der 17. Minute – zuwenig Chancen herausgespielt. Harte Worte nach neunzig Minuten, in denen beide Mannschaften nicht einen langweiligen Moment, dafür aber Tempo, Kombinationen und Torszenen jede Menge produziert hatten. Kritik auch an blendenden Leistungen gehört zwar zum pädagogischen Arsenal der Trainer, aber manchmal ist es schade. Denn einige Angriffe der Berliner – im späteren Verlauf vorwiegend Konter – müssen dem Gegner den Eindruck vermittelt haben, ein Hochgeschwindigkeitszug rase auf sie zu. Mit der Besonderheit, daß dabei Kontrolle über Ball und Raum nicht beeinträchtigt waren. Vor allem dem brasilianischen Duo Alves und Marcelinho war es ziemlich egal, ob gerade zwei oder fünf Verteidiger vor ihnen waren – sie kamen fast immer gefährlich in Tornähe. Um so schöner, daß der inzwischen selbstbewußte Aufsteiger aus Hannover den Berlinern kaum nachstand.“
Jörg Marwedel (SZ 18.11.) erläutert die „Fußball-Rezeptur“ von Hertha-Trainer Huub Stevens: „klares Schema, Höchstmaß an Sicherheit plus ein Quäntchen künstlerische Freiheit. Zu besichtigen war also eine Berliner Mannschaft, die einen derart kompakten Wall um ihr Tor aufgebaut hatte, dass der Ball allenfalls durch Zufall den Weg ins Netz gefunden hätte. Derweil veranstalteten vorn, unterstützt von einem maschinengleich arbeitenden Mittelfeld, der überragende Marcelinho und der wieselige Alex Alves einen brasilianischen Zauber, dass einem Angst werden konnte um die keineswegs schwachen Hannoveraner.“
Interview mit Fredi Bobic Tsp
Borussia Dortmund – 1860 München 1:0
Christian Zaschke (SZ 18.11.) analysiert das Spielgeschehen. „In dieser ersten Halbzeit ist die Borussia einigermaßen standesgemäß aufgetreten. Sie ist Deutscher Meister, sie steht in der zweiten Runde der Champions League, und doch wirkte sie zuletzt auf eigenem Platz so unentschlossen wie ein Zweifler an Gott, der in einen Orden eintreten soll. Sie misstraute dem eigenen Urteil; sie verlor den Glauben an die eigene Stärke. 68.600 Menschen sahen im Westfalenstadion eine Mannschaft, die unruhig war (…) Doch Dortmund ist zurzeit keine Mannschaft, die eine Führung ausbaut und souverän verteidigt. Ab Mitte der zweiten Halbzeit gaben die Dortmunder das Mittelfeld auf, und die Sechziger kamen ins Spiel. In dieser Phase war sehr gut zu beobachten, was den Münchnern schwerfällt: das Spiel in einer Weise zu gestalten, die dem Gegner gefährlich wird. Ständig war 1860 in Ballbesitz. Die übrigen wehrte die sichere Dortmunder Verteidigung ab. Zudem öffnete sich dem Mittelfeld kein Weg in den Sturm. Häufig drehte Häßler, der gut spielte, kurz hinter Mittellinie wieder um, weil er kein Anspiel fand. Er drehte Kreise wie ein Segelboot mit festgeklemmter Pinne, er kam nicht vom Fleck.“
Zu der vermeintlichen Wirkung der Ansprache von BVB-Präsident Niebaum an die Mannschaft meint Felix Meininghaus (FTD 18.11.). „Nach dem Seitenwechsel ließ Dortmund gegen harmlose Gäste viel von dem Feuer vermissen, das Niebaum eingefordert hatte. Warum der BVB, der in dieser Saison zu Hause schon viermal unentschieden gespielt hat, aus Schaden nicht klug wird, bleibt unergründlich. Immer wieder nimmt es die Mannschaft fahrlässig in Kauf, den Gegner nach starkem Beginn ins Spiel kommen zu lassen. Sammer begründete das Nachlassen mit dem „Substanzverlust“ nach kräftezehrenden Wochen. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Seit Saisonbeginn beschränken sich die Dortmunder bei einer Führung darauf, das Ergebnis zu verwalten. Mit solchem Minimalistenkick riskiert der Meister nicht nur unnötige Punktverluste, sondern verärgert auch die zahlreiche Stammkundschaft. Gegen 1860 München quittierten die Fans das uninspirierte Ballgeschiebe der zweiten Hälfte mit deutlichen Unmutsäußerungen.“
VfL Bochum – Schalke 04 0:2
Andreas Morbach (FTD 18.11.). „Mal Uefa Cup, dann Abstieg, Aufstieg, Abstieg, Aufstieg, im Moment sogar ganz vorne in der Liga. So unvorhersehbar wie das Leben selbst. Das ist Bochum, das sein Dasein als fußballerischer Jojo gestern Abend im Revierderby gegen den FC Schalke 04 mit einem 0:2 fortsetzte und seinen „Parameter“ suchenden Trainer Peter Neururer zumindest die Gewissheit verschafft hat: Der Nachbar im Westen dürfte in diesem Jahr wohl eine Nummer zu groß sein.“
Spielbericht SZ
Hansa Rostock – VfB Stuttgart 1:1
Roland Zorn (FAZ 18.11.) bemängelt die Härte des Spiels. „Rund ging es in Rostock, wo der nach ansehnlichem Start doch wieder in Seenot geratene FC Hansa holzend wie lange nicht gegen den Verruf, nur noch der Schönspielerei zu frönen, antrat. Im Duell mit den sich robust wehrenden Stuttgartern bekam das Publikum wieder einmal jenes Unsittengemälde zu sehen, das seit längerem die klimatischen Beziehungen der Beteiligten eintrübt: fiese Fouls, schauspielerische Täuschungsversuche und Rudel rauflustiger Spieler. Mittendrin ein Schiedsrichter, in diesem Fall Hermann Albrecht, bei dem die Rostocker und Stuttgarter bösen Buben schlechte Karten hatten und noch von Glück reden konnten, daß der Fifa-Referee nicht alles so ahndete, wie es bei diesem Härtefall nötig gewesen wäre.“
Christian Ewers (FAZ 18.11.) sieht die Schuld dafür primär bei den Gastgebern. „Das Spiel lief gerade sechs Minuten, da wollte Jochen Kientz kurz klarstellen, warum er in Rostock den Kampfnamen „Knochen-Jochen“ trägt. Kientz, der seine Haare mit viel Gel zu einem zackigen Hahnenkamm aufgestellt hatte, sprintete im Mittelfeld dem Ball hinterher. Er sah nur sich und den Ball. Keinen Mitspieler, keinen Gegenspieler, Kientz hatte sein Ziel fest im Auge. Dummerweise hielt sich der Stuttgarter Mannschaftskapitän Zvonimir Soldo gerade in Ballnähe auf. Pech für ihn an diesem Nachmittag. Kientz kam herangestürmt und verpaßte dem arglosen Soldo einen Bodycheck. Einen üblen, den selbst jeder Eishockeyschiedsrichter mit einer Hinausstellung bestraft hätte. Soldo krümmte sich minutenlang mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen. Hermann Albrecht jedoch, der Fußball-Referee, ließ Milde walten. Es waren ja erst sechs Minuten gespielt, Albrecht verhängte eine Bewährungsstrafe: Gelb für Kientz. Vielleicht war dieser frühe Akt der Nachsichtigkeit ein Fehler. Denn in den folgenden 84 Minuten wurde es nur noch schlimmer. Es wurde gegrätscht, getreten und geschauspielert, wie es glücklicherweise nur selten in der Bundesliga zu sehen ist. Albrecht zeigte zweimal Rot und sechsmal Gelb. Tore dagegen notierte er nur zwei. Die „Schlacht“ im Ostseestadion endete 1:1. Nach dem Abpfiff, als beide Teams mit erdverschmierten Trikots Richtung Kabine trotteten, wollte niemand etwas von einem überharten Duell wissen (…) Tatsächlich ist es Hansa Rostock mit dem Spiel gegen Stuttgart gelungen, sein Image als zahnlose Schönspielertruppe abzulegen. Vier Gelbe Karten und eine Rote Karte für Bachirou Salou sind eine schaurige Bilanz. Doch drängt sich die Frage auf: Genügt die Grätsche als einziges Mittel im Kampf um den Klassenverbleib? Wohl kaum. Hansa übt sich zur Zeit in reiner Destruktion, ohne selbst etwas fürs Spiel zu tun. Der Stuttgarter Ausgleich durch Kevin Kuranyi war verdient, denn die Schwaben spielten den attraktiveren Fußball. Allerdings hatten sie sich anfangs einschüchtern lassen vom rüden Spiel.“
Bayern München – VfL Wolfsburg 1:0
Zur Form des Tabellenführers heißt es bei Ludger Schulze (SZ18.11.). „Die Bayern – sie haben eine den Namen nach atemberaubende Mannschaft, die man, ohne weit daneben zu liegen, als Ableger einer Weltelf bezeichnen könnte. Doch die individuellen Vorzüge fügen sich nicht zu einem Gesamtkunstwerk: opulenter Rahmen, nur kein Bild drin. Von Ausnahmen abgesehen trotten sie an der unteren Leistungsgrenze herum. Furcht einflößende Abwehrpfeiler wie Thomas Linke oder Samy Kuffour verlieren beim geringsten Stress Kopf, Übersicht und Gelassenheit. Dem ehemals imponierenden Kämpfer Jens Jeremies scheint abhanden gekommen zu sein, was ihn einmal zum Schreckgespenst der Liga gemacht hat. Unaufgeregt verrichtet Jeremies seinen Dienst, als hätte er einen Job von neun bis fünf. Michael Ballack, der die vielfältigsten Talente bündelt, passt sich zusehends dem sinkenden Niveau an, geleitet von der vagen Hoffnung, seine Blässe durch den einen oder anderen Treffer vergessen zu machen. Mitunter wirft er eine genialische Szene auf den Rasen, nicht genug, um zu beweisen, dass er den FC Bayern zu neuer Blüte führen kann. Schließlich Giovane Elber: Blasiert treibt er sein zickiges Spielchen, das hauptsächlich aus Beinschüssen und anderen Veralberungen des Gegners besteht. Elber macht den Eindruck einer alternden Diva, die der Plackerei des Showbetriebes überdrüssig ist und sich im Glanz einer großen Vergangenheit sonnt. Aus der allgemeinen Tristesse erhoben sich immerhin drei Lichtblicke: Oliver Kahn wirkte nach Wochen der gelebten Verunsicherung wieder konzentriert- aggressiv und seiner Verantwortung bewusst. Auch Torschütze Roque Santa Cruz ist auf dem stark aufsteigenden Ast. Als überragender Münchner jedoch zeichnete sich Zé Roberto aus mit Laufstärke, verwirrenden Dribblings und einer Fülle von Flanken, die mit geometrischer Genauigkeit in den Wolfsburger Strafraum segelten.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 18.11.) schreibt über die Rückkehr Effenbergs. „Nicht nur das Wiedersehen mit den Klub-Oberen und den ehemaligen Mitspielern war herzlich, auch die Fans des FC Bayern begrüßten Effenberg wie einen verlorenen Sohn. „We love you Effe“ und „Effe is back“ stand auf Transparenten in der Südkurve des Münchner Olympiastadions, und beim Verlesen der Wolfsburger Mannschaftsaufstellung gab es beim Namen Effenberg Beifall im Stadionrund. So viel Ehre wurde dem streitbaren Leitwolf während seiner vier Jahre in München nur nach großen Spielen zuteil. Selbst der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, zugleich Vorsitzender des Verwaltungsbeirats des FC Bayern und in dieser Funktion einst größter Kritiker von Effenberg, fand nur lobende Worte für den Rückkehrer: „Er hat Michael Ballack gezeigt, was dem noch fehlt, er war heute der Stärkere.“ Die gute Laune und Auskunftswilligkeit nach dem Spiel hatte vermutlich auch damit zu tun, daß Effenberg als leichter Punktsieger aus dem Duell mit seinem Nachfolger beim FC Bayern, Ballack, hervorging. Er genießt den Vergleich, der in den vergangenen Wochen immer wieder gezogen wurde, und der nicht zu seinen Ungunsten ausfiel. Der Wolfsburger Leitwolf trat im Olympiastadion auf, wie man es von ihm in München, mal abgesehen von seinem ersten Jahr, gewohnt war. Er versuchte mit Gesten und Grätschen den Gegner einzuschüchtern, aber Akzente konnte er nur selten setzen. Würde er noch beim FC Bayern spielen, wäre seine Leistung als mittelprächtig abgetan worden – in einer durchschnittlichen Wolfsburger Elf, von der nicht halb soviel erwartet wird wie vom FC Bayern, wird Effenbergs Wirken hoch geschätzt (…) Der FC Bayern ist auf dem besten Weg, zu dem ergebnisorientierten Fußball zurückzukehren, der ihm in den vergangenen Jahren zwar keine Schönheitspreise einbrachte, aber dafür jede Menge Titel.“
Spielbericht taz
Das „Duell“ zwischen Ballack und Effenberg SZ
Energie Cottbus – Arminia Bielefeld 2:1
Zur Diskussion um den des Feldes verwiesenen Cottbuser Beeck bemerkt Javier Cáceres (SZ 18.11.). „Das Eigentümliche an der Situation war, dass Beeck sich zum Duschen in die Kabine begab, ohne auch nur die geringsten Anstalten zu machen. Auch nach vollendeter Körperpflege war Beeck kaum mehr als ein mea culpa zu entlocken, obwohl da bereits absehbar war, dass manche Medien den Umstand instinktsicher zum „Skandal“ (Bild am Sonntag) erheben – und in die derzeit tobende Schiedsrichterdebatte einreihen würden (…) Aus Cottbuser Sicht hatte die Posse um Beeck aber auch einen positiven Aspekt – in Einheit mit dem Sieg übertünchten sie nämlich so Einiges. Den offiziellen Abschied der ausgemusterten Profis Bruno Akrapovic und Vasile Miritua sowieso; desweiteren aber auch weitere Diskussionen um Energies Finanzsituation. Unter der Woche hatte Vereinspräsident Dieter Krein erklärt, dass sich die Außenstände aus Sponsorengeldern auf eine halbe Million Euro belaufen; weil auch die TV-Gelder wegen der Kirch-Krise weniger üppig fließen und die Zuschauereinnahmen gesunken sind, hat der Klub mit Spielern und Angestellten Gespräche über Gehaltsverzicht begonnen. Darüber hinaus geriet aber auch fast in Vergessenheit, dass der Bundesligavergleich zwischen Cottbus und Bielefeld qualitativ von einer selten gesehenen Belanglosigkeit war.“
Matthias Wolf (FAZ 18.11.) beleuchtet die Lage der Lausitzer. „618 Minuten hatten sie in der Bundesliga auf ein Tor gewartet, dann traf der Pole Andrzej Kobylanski um 15.38 Uhr. Vor den Augen von Manfred Stolpe, als Bundesminister auch für den Aufbau Ost zuständig. Er hat den Kampf des kleinen FC Energie zu einer Mission mit Symbolcharakter für das ganze, von wirtschaftlichen Problemen gebeutelte Land Brandenburg erklärt – und Kobylanski nahm die Vorlage auf. „Das war ein wichtiges Tor für die ganze Region“, sagte er. Welche Bedeutung der Treffer für ihn selbst hatte, darüber wollte er nicht reden. Der Schütze des zweiten Treffers, Christian Beeck, sprach dann im Sinne seines Kollegen: „Es ist immer die Frage, wie ein Spieler sich verhält, der auf dem Abstellgleis steht“, erklärte der Kapitän: „Koby hat eine sensationelle Antwort gegeben.“ Es ist erst wenige Wochen her, da saß Kobylanski auf der Tribüne, und Manager Klaus Stabach fällte das vernichtende Urteil: „Er ist zu alt, hat den Zenit überschritten.“ Nun zeigte der erst 31 Jahre alte Mittelfeldspieler jenen alten Cottbuser Kampfgeist, der bereits abhanden gekommen schien. Kobylanski rannte – und die anderen folgten ihm. Das Publikum, zuletzt wie erstarrt, inklusive (…) Der Fußball-Lehrer trägt den neuen Jugendstil des Vereins nur eingeschränkt mit, wie auch vor dem Spiel deutlich wurde: Da erhielten die entlassenen Bruno Akrapovic und Vasile Miriuta zum Abschied Präsente. Geyer ließ es sich nicht nehmen, beide Weggefährten demonstrativ noch einmal fest an sich zu drücken. Doch wenn nicht alle Zeichen trügen, wird er noch häufiger Abschied nehmen müssen. Der Kader müsse weiter ausgedünnt werden, sagt Manager Stabach: Der Rückgang bei Fernsehgeldern, sinkende Zuschauerzahlen sowie wirtschaftliche Probleme bei regionalen Sponsoren ließen keine andere Wahl. So können auch jene Geldgeber, die versprochen haben, die Neuzugänge Rink und Berhalter zu finanzieren, ihre Zusagen nicht einhalten, Stabach beziffert das Etatloch auf 800.000 Euro bis Jahresende. Intern soll er davon gesprochen haben, bis Saisonschluß könnten vier Millionen fehlen. Nun werden alle Profis gebeten, auf zwanzig Prozent ihres Gehalts zu verzichten – Geyer hat als erster Bereitschaft signalisiert. Die Bielefelder hatten Energie Cottbus wohl schon abgeschrieben”
Bayer Leverkusen – Borussia Mönchengladbach 2:2
Christoph Biermann (SZ 18.11.) analysiert die Lage der Leverkusener. „Dort ist in dieser Saison eine Station eingerichtet worden, an der alle darbenden Teams mit Punkten versorgt werden. Der VfL Bochum begann dort seinen Höhenflug, Hannover 96 schaffte die Wende, und der VfB Stuttgart stabilisierte sich in der Tabelle. Neben Kaiserslautern unterlag dort nur der FC Bayern, und Borussia Dortmund kam über ein Remis nicht hinaus – aber die wollten wohl zu viel. Es leidet Bayer nämlich stets, wenn der Gegner das Visier herunterlässt und sich hinten verbarrikadiert. Längst hat sich die Tendenz zu einer Gewissheit verfestigt, dass seine Mannschaft in Manchester besser aussieht als gegen Mönchengladbach und bald wahrscheinlich gegen Barcelona als gegen Bielefeld. Schauerlich war es wieder einmal, wie die Spieler des letztjährigen Meisterschaftszweiten den Kopf verloren. Ständig verstellten sie sich die Wege, verstopften die Räume, boten sich nicht ausreichend an, spielten zu flau oder zu wild. Schlichtweg dumm agierten auch die, deren taktisches Geschick sie im letzten Jahr noch bis ins Finale der Champions League brachte. Dazu kommt ein nun auch offiziell eingestandenes Sturmproblem.“
Erik Eggers (Tsp 18.11.). „Eine Begebenheit am Rande hat den erfahrenen Schiedsrichterbeobachter Günther Linn dann doch sehr irritiert. Es war nicht die Szene kurz vor Schluss des Spiels zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach, als Daniel Bierofka den Ball mit der Hand stoppte und ihn anschließend zum 2:2-Endstand ins Netz schießen konnte, weil Schiedsrichter Peter Gagelmann das Vergehen nicht gesehen hatte. Diese Szene hat Linn mit einer gewissen Routine zur Kenntnis genommen. „Das ist zwar schade“, sagt der Beobachter, „aber er hat es nun einmal nicht gesehen.“ Solche Fehler findet Linn nicht außergewöhnlich. Außergewöhnlich fand er das Verhalten des Mönchengladbacher Trainers Hans Meyers. Linn, der selbst zwischen 1966 und 82 als Schiedsrichter in der Bundesliga war, berichtete einigermaßen perplex, dass Meyer in die Schiedsrichterkabine gekommen sei und sich „bei Gagelmann für die vorzügliche Leistung bedankt“ habe. Und zwar ohne jede Ironie, die den Gladbacher Trainer sonst auszeichnet. „Wenn der Schiedsrichter dieses Handspiel gesehen hätte, dann hätte er es auch gepfiffen“, hatte Meyer bereits in der Pressekonferenz gesagt, und auch in der Kabine habe er dem Schiedsrichter keine Vorwürfe gemacht. „Das habe ich unter diesen Bedingungen noch nie erlebt“, sagt Linn. Immerhin waren den Gladbachern durch die Fehlentscheidung zwei wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg abhanden gekommen. Linn lässt durchblicken, dass Meyer wegen seiner sportlichen Haltung einen Fair- Play-Preis verdient hätte.“
Jörg Stratmann (FAZ 18.11.) zum Spielgeschehen und den Reaktionen darauf. „Hans Meyer hat die Bemerkung nicht ins Lächerliche gezogen. Dabei lag dem zu kabarettistischen Einwürfen neigenden Trainer des Bundesligaklubs Borussia Mönchengladbach bestimmt noch eine Spitze auf der Zunge, als der Leverkusener Kollege Klaus Toppmöller den Krankenstand in dem Moment beklagte, da er das 2:2 beider Teams kommentieren sollte. Doch lag es wirklich daran, daß Toppmöllers Team nur mit Glück die vierte Saisonniederlage in der BayArena vermied? Auch Toppmöller konnte schließlich nicht umhin, ganz andere Schwächen einzuräumen. „Wir müssen kleine Brötchen backen“, sagte er. „Uns fehlen die Mittel, um sogar einen ersatzgeschwächten Gegner abzuschießen.“ Umgekehrt nämlich hätte Kollege Meyer viel eher von empfindlichen Lücken berichten dürfen. Zum Beispiel, daß gleich drei Kräfte der eingespielten Viererabwehrkette fehlten. Auf der linken Seite lief Amateur Daniel Embers auf, der erst dreimal mit den Profis trainiert hatte; später kam ein zweiter Amateur, Sebastian Plate, hinzu. Darüber hinaus war Stürmer van Hout nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Doch weil sich die Seinen dann „wirklich gut“ aus der Affäre zogen, klagte Meyer nicht. Im Gegenteil, er machte Witze darüber: „Vor dem Spiel habe ich gehört, daß uns neun Stammspieler fehlen. Da muß auch der Hausmeister und seine Frau dabeigewesen sein.“ Eigentlich habe er nur „drei bis vier Basisspieler“ vermißt. So aber sei sein Team wohl unterschätzt worden. „Ein psychologisches Lehrbeispiel“ nannte Meyer den Effekt, der fast zum ersten Sieg über Leverkusen seit acht Jahren geführt hätte. Gegen das Bollwerk, hinter das sich die Gladbacher vor und nach gelegentlichen Kontern zurückzogen, fand Leverkusen jedenfalls kein Rezept.“
1. FC Nürnberg – Hamburger SV 1:3
Gerald Kleffman (SZ 18.11.). beobachtete Hamburger Jubelszenen nach dem Spiel. „Es war ein bewegender Moment, es schien, als habe der HSV den Weltpokal gewonnen oder irgendetwas Bedeutendes – und nicht bloß Nürnberg besiegt, mit 3:1 Toren. So maßlos ist der Profifußball an manchen Tagen. Andererseits, man muss den HSV verstehen. Es gab einige Gründe, warum die Gefühle nach dem Erfolg in Nürnberg siedeten wie kesselndes Teewasser. Egal, wo man stand und egal, welchem Hamburger man lauschte, die Lobesarien wollten nicht enden. Hier, im Eingang zu den Umkleidekabinen, stand Bernd Hollerbach, der Mittelfeldrackerer, und plauderte von einer Mannschaft, die nach der wochenlangen Krise wieder zueinander gefunden habe, eine harmonische Einheit sei und endlich, zum ersten Mal in dieser Saison, auswärts gewinnen konnte. Dort, im Pressekonferenzraum – in Nürnberg ist es eine alte Turnhalle – stand Kurt Jara, der Trainer und lobte so ziemlich alles, was mit Hamburg und Fußball zu tun hatte. Die Zweikampfstärke, die Dynamik, die Flanken, die Pässe, die Einsatzfreude, die Moral. Alles, einfach alles sei vorbildlich gewesen. Wahrscheinlich hätte Jara auch den eigenen Busfahrer für dessen Einparkkünste gelobt, wenn ihn jemand gefragt hätte. Jaras Hang zur Euphorie war jedoch nicht unbegründet. Von Anfang an spielten die Hamburger so, als seien sie die Gastgeber. Sie schossen aus der Ferne, sie kombinierten direkt und unkompliziert, sie setzten jedem Ball nach. Vor allem das wieder komplett zur Verfügung stehende Trio Mehdi Mahdavikia, Sergej Barbarez und Rodolfo Cardoso glänzte als Motor des HSV-Spiels.“
Hans-Joachim Leyenbeg (FAZ 18.11.). „Den „Club“ hatte die kleine Siegesserie der vergangenen Wochen pomadig und selbstzufrieden gemacht. Die Hamburger aber kombinieren Spielkultur mit einer Zielstrebigkeit, die plötzlich an jene Saison erinnert, als sie es mit Trainer Pagelsdorf bis in die Champions League brachten (…) Beim HSV heißt die bange, unausgesprochene Frage, ob er langfristig mit Cardoso gesundet. Der Rückkehrer, der wegen einer Kniegeschichte fast sechs Monate aussetzen mußte, veredelt das Spiel des HSV. An ihm wachsen auch die Kollegen.“
Portrait Sasa Ciric SZ
Europäischer Fußball: Resultate – Torschützen – TabellenNZZ
Gewinnspiel für Experten
« spätere Artikel — frühere Artikel »